Pressefreiheit durchgewunken?

Von Sebastian Köhler

1.) Der griechische Journalist Kostas (manche Quellen schreiben auch Costas) Vaxevanis wurde in der vorigen Woche in Athen angeklagt, nachdem er in seinem Wochen-Magazin „Hot Doc“ die Namen von mehr als 2000 Griechen veröffentlicht hatte, die mutmaßlich geheime Konten in der Schweiz führen, um Steuern zu hinterziehen (vgl. Printausgabe The Guardian, England, 2.11.2012, S.3). 2010 hatte die damalige französische Finanzministerin Christine Lagarde ihrem griechischen Amtskollegen eine Liste mit solchen Namen übergeben, um mögliche Fälle von Steuerhinterziehung zu untersuchen. Die jetzige Veröffentlichung dieser Liste durch „Hot Doc“ hatte die Politik- und Wirtschaftseliten Griechenlands aufgescheucht. Das griechische Gericht sprach den Journalisten frei, und der sagte zu dem Fall in Anlehnung an Georg Orwell: „Journalismus bedeutet, etwas zu veröffentlichen, was jemand anderes nicht veröffentlicht sehen möchte. Alles andere ist Öffentlichkeitsarbeit“ (Übersetzung aus dem Englischen SeK). Es gibt zum Glück also beides noch in Griechenland – unabhängige Journalisten und unabhängige Richter. Das Land scheint mir alles andere als verloren.
2.) Keine gute Nachricht für die insolvente Nachrichten-Agentur dapd: Die WAZ-Gruppe, die als drittgrößtes Verlagshaus Deutschlands gilt, hat sich laut Mediendienst kress entschieden, wieder zur Nutzung der dpa-Angebote zurückzukehren und somit dapd den Rücken zu kehren. Das ist besonders spannend, weil die WAZ-Gruppe 2009 im Zuge von Ausgaben-Kürzungsvorhaben recht spektakulär von der dpa hin zu dapd gewechselt war. Dort firmiert der Essener Konzern als prestigeträchtiger Kunde, der für etwa vier Prozent des Umsatzes der Agentur sorgen soll (vgl. http://kress.de/mail/tagesdienst/detail/beitrag/118734-post-aus-essen-waz-gruppe-will-dapd-den-laufpass-geben.html, Aufruf am 7.11.12 um 16.13 Uhr).
3.) Gute Nachrichten, was die eigenen Bilanzen angeht, hingegen aus dem Hause „Springer“: Vorstandschef Mathias Döpfner hat angesichts der dritten Quartalsbilanz dieses Jahres erneut ein Rekordergebnis für das Gesamtjahr in Aussicht gestellt (siehe http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/118745-axel-springers-neun-monats-bilanz-digital-geschaeft-traegt-immer-staerker-zum-konzernergebnis-bei.html, Aufruf am 7.11.12 um 16.24 Uhr): Vor allem die Digitalgeschäfte scheinen sehr gut zu laufen, aber auch die inländischen Printmedien (z.B. BILD) spielen laut Döpfner – trotz sinkender Werbe-Einnahmen, also durch Kostensenkungen und entsprechend höhere Verkaufserlöse – Gewinne vor Steuern und Abschreibungen in Höhe von mehr als 20 Prozent ein. Die Konzernoberen sprechen von weiterhin hoher Ertragskraft und sehen als ein weiteres Mittel dazu die angekündigte „Redaktionsgemeinschaft“ von Welt-Gruppe, Hamburger Abendblatt und Berliner Morgenpost.
4.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Die Kollegen des deutschen Textdienstes von Reuters berichteten am Montag, 5.12., um 13.41 Uhr, die spanische Regierung lege sich bei der Nominierung des Luxemburger Notenbankchefs Yves Mersch für das EZB-Direktorium quer: Im Text hieß es weiter hinten: “Die Euro-Staaten waren sich in der Personalfrage eigentlich bereits seit Juli einig. Nun versagte Spanien einem „schriftlichen Verfahren“ seinen Segen, in dem Mersch eigentlich durchgewunken werden sollte.” Ein Wunk mit dem Zaunpfahl sprachlicher Schmalspuren? Der Duden rät mittlerweile online zur Hauptvariante “durchgewinkt”. “durchgewunken” sei auch, aber vor allem umgangssprachlich möglich, mittlerweile sogar häufig anzutreffen (http://www.duden.de/rechtschreibung/winken, Aufruf am 5.11.12, 14.24 Uhr).
Viel strenger winkt der philologische Zeigefinger von Bastian Sick: “Das Verb „winken“ wird regelmäßig konjugiert: ich winke, ich winkte, ich habe gewinkt. Die Form „gewunken“ ist landschaftlich verbreitet, aber streng genommen ein Irrtum. Zwar heißt es „sinken, sank, gesunken“ und „trinken, trank, getrunken“, doch nicht „winken, wank, gewunken“. Die Formen von „winken“ werden wie die Formen von blinken, hinken und schminken regelmäßig gebildet. http://www.spiegel.de/kultur/zwiebelfisch/zwiebelfisch-abc-gewinkt-gewunken-a-311683.html, Aufruf am 5.11.2012, 14.18 Uhr)” Dasselbe gilt laut Sick für Zusammensetzungen wie eben: Der Lastwagen wurde durchgewinkt. Mir scheint ein ähnliches Argument mit Blick auf die sprachliche Vielfalt wichtig: Sofern die deutsche Sprache folgerichtig und formenreich mit schwachen und starken Verben aufgebaut ist, ist der Leitformen-Weg von “winken” über “wank” oder “wankte” zu “gewunken” schon besetzt durch ein anderes regelmäßiges, schwaches Verb: wanken- wankte – gewankt. Kurzschlüssige Verengungen unserer sprachlichen Möglichkeiten sollten nicht einfach “durchgewunken” werden.

BILD als Vorreiter der Aufklärung?

Blog vom 24.10.2012 von Sebastian Köhler:
1.) Das ZDF ist dieser Tage in der Diskussion, mit zwei Beispielen zur Fragwürdigkeit von Objektivität im Journalismus. Einmal mehr von der Themensetzung her, das andere Mal wegen Problemen in der Darstellung: Der DJV-Vorsitzende Michael Konken (siehe http://kress.de/mail/tagesdienst/detail/beitrag/118546-versuchte-csu-einflussnahme-auf-zdf-bericht-djv-findet-vorgehen-skandaloes.html, Aufruf am 24.10.2012, 20:08 Uhr) kritisierte es als skandalös, dass offenbar ein CSU-Sprecher mit einem Anruf beim ZDF verhindern wollte, dass der Sender über den Parteitag der bayerischen SPD überhaupt berichtet. Über den genauen Inhalt des Anrufes gibt es widerstreitende Versionen, aber dass ein solcher stattgefunden hat, scheint unstrittig. Wichtiger, als dass Herr Ude und seine Nominierung doch Beitragsthema im ZDF waren, finde ich, wer da bei wem im Umkreis solcher Fragen prinzipiell zu meinen scheint, anrufen zu können. Das spricht im Grundsatz weder für die CSU noch für das ZDF, wenn wir die Norm der „Staatsferne“ auch nur halbwegs ernst nehmen. Mit einem anderen politischen Beitrag brachte sich das ZDF selbst in die Schlagzeilen, mit jenem im „heute journal“ über das Rede-Duell von Angela Merkel und Peer Steinbrück im Bundestag. Hier avancierte Jürgen Trittin vom Nebendarsteller zur Hauptfigur (vgl. http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/118499-trittin-jubelte-nicht-wegen-steinbrueck-zdf-hat-falsche-bilder-in-bericht-montiert.html, Aufruf am 24.10.2012, 20:17 Uhr). Nach Sequenzen aus den Reden der beiden Kontrahenten hatte es nach Recherchen des „Focus“ im ZDF-Beitrag geheißen: „Wenn Steinbrück Attacke reitet, jubelt die Opposition.“ Zu sehen war Trittin, der erst feixend die rechte Faust schwang und dann einen Knopf seines Hemdes öffnete. Tatsächlich hatte Trittin nicht auf Steinbrück reagiert, sondern auf die Rede von Rainer Brüderle von der FDP. Dieser hatte Trittin attestiert, dass der unter „feinem Zwirn“ doch „immer noch das Mao-Jäckchen“ trage. Das ZDF räumte später eine „ungenaue“ Bildauswahl ein, machte darum aber bei weitem nicht so viel Aufhebens wie um die von der UEFA im Sommer wohl auch etwas „ungenau“ manipulierten Löw-Bildchen vom scheinbaren Balljungen-Foppen live während des Spieles.
2.) BILD als Vorreiter der Aufklärung? Gerade war Verlegerin Friede Springer zur Nach-Feier ihres 70. Geburtstages offiziell zu Gast bei Bundespräsident Joachim Gauck. Und es gab 2012 erstmals den Henri-Nannen-Preis für die beste investigative Leistung im Journalismus für zwei Reporter der BILD – Martin Heidemanns und Nikolaus Harbusch. Wenn auch die Auflage sinkt, bleibt die BILD mit einer täglichen Reichweite von mehr als zwölf Millionen Print-Nutzern und mehr als sechs Millionen Online-Nutzern das massenwirksamste Medium in Deutschland. Aber was ist daran überhaupt „Zeitung“? Was ist daran Journalismus? Den Nannen-Preis in der Rubrik „Investigative Recherche“ gab es nicht für irgendeine Recherche, sondern für einen der auslösenden Artikel („Wirbel um Privatkredit“) im „Fall“ des Christian Wulff. BILD contra Wulff – da lief doch zuvor ganz Anderes? Die beiden Publizisten Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz untersuchten im Auftrag der IG-Metall-nahen „Otto-Brenner-Stiftung“ mehrfach das Phänomen Bild. In der Studie „Drucksache „Bild“ – Eine Marke und ihre Mägde“ (Frankfurt am Main 2011) bestimmen sie ausgehend von Bild-Darstellungen der Griechenland- und Eurokrise vor allem im Jahre 2010, was diese Publikation ausmacht. Laut Arlt und Storz ist BILD ein Hybrid-Medium par excellence: Als massenmediale Publikation bedient sie sich in Inhalt und Darstellung aus ganz verschiedenen „medialen Kommunikationsgattungen“ (Karl Nikolaus Renner), von der PR und Werbung bis hin zu Formen des Journalismus. BILD gilt daher als Prototyp einer massenmedialen Veröffentlichung (ARLT 2011-95f.), der möglichst viele Funktionen der Massenkommunikation erfüllt, und zwar als „das entgrenzte, das transvestive Medium“: Multimedialität in der Gestaltung, crossmediale Themensetzung und -verwendung, Erreichen von potentiell allen im Verbreitungsgebiet, Einsatz werblicher Mittel, Unterhaltsamkeit bis hin zur fiktiven Geschichte, Ausschöpfen der Identifikations- und Motivationsmöglichkeiten der PR-Kampagne, Reklamieren journalistischer Unabhängigkeit wie exemplarisch beim „Fallen-Lassen“ von Wulff, Nutzung ausgefeilten Marketings.
Von den drei Grundfunktionen jeder Kommunikation (Information, Motivation, Unterhaltung) scheint dabei die Unterhaltung jene zu sein, mit der sich Aufmerksamkeit als Maßstab (Medium, Regulativ, knappe Ressource) in der Öffentlichkeit am besten erzielen lässt und damit zugleich „das Geld der Vielen“ (ARLT 2011-57f.). BILD darf als Makler öffentlicher Aufmerksamkeit gelten, da das Blatt vermittelt zwischen der Alltagswelt der Nutzer, dem Show-Business einschließlich Sportes, Teilen des Politik- und Unternehmer-Betriebes sowie großen Bereichen der anderen Medien. Die Forscher sehen BILD als Vorreiter einer neuartigen Auflösung öffentlich-relevanter Kommunikation (Politik, Wirtschaft, Grundrechte) in Richtung Unterhaltung (ARLT 2011-81). Allerdings abstrahiert jener Ansatz zunächst von der ökonomischen Seite des Journalismus als massenmedialer Kommunikationsgattung (ARLT 2011-93f.), um die normative Unabhängigkeit des Journalismus besser extrapolieren zu können. Jedoch gibt es historisch und systematisch gute Gründe, den modernen Journalismus von vornherein durch den Doppelcharakter von Ware und Kulturgut bestimmt zu sehen (so u.a. Marie-Luise Kiefer).
3.) „Berliner Zielfahnder fassen einen Totschläger vom Alex“, so lautete die Hauptüberschrift auf Seite 1 der Märkischen Allgemeinen (MAZ) in Potsdam am 24.10.2012. In der Unterzeile ist von einem „Verdächtigen“ die Rede, und auch der Berichtsvorspann spricht von einem „möglichen Täter“. Aber diese Schlagzeile ist in der Tat schon mehr als ein Urteil – sie darf in dieser tragischen Angelegenheit selbst wiederum als Rufmord gelesen werden. Denn auch zwölf Stunden nach Redaktionsschluss redeten viele seriöse Quellen weiter von einem „Verdächtigen“ oder „Festgenommenen“, aber eben nicht von einem Täter. Im Rechtsstaat sollte auch (und gerade) bei schlimmsten Verbrechen die Unschuldsvermutung gelten, bis ein Gerichtsverfahren den/die Verdächtigen überführt hat. Und die Medien als selbsternannte vierte Gewalt dürften sich nicht auf derart platte Art als „Volkes Stimme“ (die MAZ war zu DDR-Zeiten die „Märkische Volksstimme“) verstehen, dass sie hier auf ihre eigene Weise „kurzen Prozess“ machten.

Verzögerungstaktik statt „Life is live“

1.) „Life is live“ hieß 1985 das massenwirksame Opus der Österreicher von der gleichnamigen Musik-Gruppe. Am Sonntag machte ein anderer Österreicher Schlagzeilen unter diesem Motto: Der Extremsportler Felix Baumgartner. Der Getränkekonzern Red Bull konnte sich so im Lichte mehrerer Rekorde sonnen, wofür er ca. 50 Millionen Euro investiert haben soll. Laut Marketingexperten war das Ganze ein im Sinne der Auftragskommunikation äußerst wertvoller Coup (http://www.berliner-kurier.de/panorama/marketing-coup-baumgartners-50-millionen-sprung-war—jeden-euro-wert-,7169224,20602986.html, Aufruf am 17.10.2012 um 11.21 Uhr).
Journalistisch spannend, dass der deutsche privat-rechtliche Nachrichtensender n-tv die mit großem Abstand größte Reichweite seiner 20-jährigen Geschichte meldete mit über sieben Millionen Zuschauern. Auch der YouTube-Livestream des Internetkonzerns Google annoncierte mit über acht Millionen Nutzern im globalen Live-Stream einen neuen Weltrekord.
Aber Live-Stream? Galt auf gut österreichisch tatsächlich „Life is live“? Der spektakuläre Sturz aus einer Kapsel in rund 39 Kilometer Tiefe wurde laut Medienberichten mit mehr als 35 Kameras gefilmt, darunter auch mehrere in dem Spezialanzug Baumgartners. Die Übertragung unter anderem auf die Webseite des Sponsors Redbull erfolgte allerdings mit 20 Sekunden Verzögerung – eine kaum zu erkennende Manipulation, erklärtermaßen für den Fall eines unglücklichen Ausgangs. (http://www.welt.de/newsticker/news1/article109829338/Millionen-Menschen-sahen-Rekordsprung-von-Baumgartner.html, Aufruf am 17.10.2012 um 11.09 Uhr)
Diese Verzögerungstaktik bei der Übertragung mag man gut finden oder sogar nötig – im Lichte journalistischer Transparenz bleibt die Angabe „Live“ auf den Sendebildern zumindest umstritten, wenn nicht irreführend. Denn jenseits der technischen Verzögerungen zwischen Licht- und Schallgeschwindigkeit wurde hier, wie auch bei ähnlichen Pseudo-Live-Ereignissen in der Mediengeschichte (Verzögerung bei Oscar- und Grammy-Übertragungen nach dem Super-Bowl-„Nipplegate“ Janet Jacksons 2004, Joachim Löws scheinbares Live-Foppen eines Balljungen während der EM 2012), vertuscht, dass eben nicht immer gilt: „Life is life“.

2.) In der TV-Nachrichtensendung des WDR „Aktuelle Stunde“ am 13.10. 2012 sagte Moderator Thomas Heyer, für eine Ausstellung seien in Wuppertal Bilder von Peter Paul Rubens „aufgehangen“ worden. Auch wenn wir uns an Fernseh-Äußerungen nicht allzu sehr „aufhängen“ wollen („Das versendet sich!“), hängt von der sprachlichen Vielfalt auch im Medium TV manches ab: Das Verb „hängen“ gibt es im Deutschen nicht nur in einer Version, sondern in einer zielenden und in einer nicht zielenden Variante – transitiv und intransitiv. Regelmäßig gebeugt wird „hängen“ als transitives Verb: hängen – hängte – gehängt. „Ich habe das Bild dorthin gehängt“ und entsprechend auch „Das Bild wurde (von mir) dorthin gehängt“. Unregelmäßig gebeugt wird die nicht auf ein Akkusativ-Objekt zielende, also intransitive Version: hängen – hing – gehangen. „Das Bild hing in der Ausstellung.“ und daher auch: „Es hat dort gehangen“. Die erste Form beschreibt also eher eine Handlung und eine Richtung, die zweite mehr einen Zustand und einen Ort.

Wo-Nach-Richten bei Insolvenz?

1.) Vor einigen Wochen noch ein rauschendes Sommerfest in Berlin mit viel Prominenz (z.B. aus der FDP mit den Herren Genscher sowie Rösler) und daher Aufmerksamkeit – nun Anfang Oktober die Anmeldung der Insolvenz: Die Nachrichtenagentur dapd, seit Sommer 2010 selbsternannter großer Gegenspieler zur in Deutschland marktführenden dpa, zeigt sich zahlungsunfähig. Benno Stieber hat in der „taz“ darauf hingewiesen (http://www.taz.de/Nach-Insolvenz-von-dapd/!103021/ Aufruf am 10.10.2012, 12.06 Uhr), dass dies nicht für Gesellschafter und Geschäftsführer, sondern vor allem für die Beschäftigten dramatisch sei: fast 300 von über 500 Mitarbeitern sollen zunächst und direkt betroffen sein, und mindestens ebenso hart wie die Festangestellten treffe es die Freien: Die dürften jetzt zumindest für den September ohne Honorar bleiben, das ohnehin z.B. für einen Tag Gerichtsberichterstattung anfänglich nur 77 Euro und später dann etwa 100 bis 137 Euro als eine Art Aufwandsentschädigung betragen habe. Stieber, als Vorsitzender des Berufsverbandes „Freischreiber“, sieht drei Lehren für freie Journalistinnen und Journalisten: 1.) Auf möglichst mehrere Auftraggeber setzen; 2.) nicht nur journalistisch arbeiten, sondern auch in der Auftragskommunikation – freilich bei Beachtung des Trennungsgebotes: Nicht in derselben Sache z.B. PR UND journalistische Berichterstattung betreiben; und 3.) Blogger werden zum Beispiel im viel diskutierten „Hyperlokalbereich“ und sich durch Nutzer-Spenden etc. mitfinanzieren, also Aufgaben als Journalist wahrnehmen, welche die ausgedünnten Lokalredaktionen mit ihren Tendenzen zum Durchwinken von PR-Beiträgen und zur Hofberichterstattung leider immer weniger zu leisten scheinen.
2.) Warum richten sich Menschen nach den Nachrichten? Pamela Shoemaker und Toralf Brakutt weisen darauf hin (vgl. die exzellente Diplomarbeit – Brakutt, Toralf: Nachrichtenfaktor Narrationspotenzial: Eine Analyse zur Rolle des Kommunikationsmodus Storytelling bei der TV-Nachrichtenselektion am Beispiel von NDR aktuell. Diplomarbeit am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschafen der Universität Leipzig. Eingereicht im April 2012), dass Menschen in ihrer biologischen und kulturellen Evolution mehr als andere Tiere auf Information und Kommunikation angewiesen waren und sind: Es besteht stammesgeschichtlich ein Interesse an Geschehen, das vom Normalzustand abweicht und damit Ungewohntes anzeigt sowie Gefahr (oder eben mittlerweile auch oder sogar vor allem distanzierte Entspannung) bedeuten kann. Journalisten sind hierbei nur ganz besonders menschliche Menschen: Neugierig die Umgebung beobachten, solche Abweichungen erkennen und dies dann gegen Anerkennung (Ansehen, Macht, Geld oder eben als Blogger zunehmend auch im eher ästhetischen Sinne Selbst-Bestätigung durch Selbst-Betätigung) einer Gemeinschaft oder Gesellschaft zum Da-Nach-Richten mitteilen.
3.) Und hier noch etwas aus meinem Kaleidoskop zum sprachkritischen Mit-und Weiterdenken, immer im Sinne des „Entdecken wir gemeinsam die (alten, neuen) Möglichkeiten, uns möglichst vielfältig auszudrücken!“: Am 6.5. war mittags im RBB-Inforadio in einer Reportage über die Lage in Mali der Satz zu hören: „Die Tuareg-Rebellen lehrten den regulären Streitkräften das Fürchten“. Fein, dass den beteiligten Journalisten so gutes Deutsch als Standardsprache gelernt wurde – oder sollte man das vielleicht doch anders ausdrücken (können)? Obwohl der Duden da mittlerweile auch schon die „Anything- goes“-Variante als Nebenversion anbietet, sieht Bastian Sick im Zwiebelfisch die Standardsprache mit dem doppelten Akkusativ nach „lehren“ eher im Recht: Wen was lehren? Aber umgangssprachlich oder historisch betrachtet, darf hier auch schon mal (wieder) der Dativ den (oder eben: dem) Akkusativ das Fürchten lehren.

„Neuzugänge“ auch bei den NSU-Ermittlungen

Blog vom 4.7. von Sebastian Köhler

1.) Da wir uns im Kurs auch gerade an Glossen zum Thema „NSU-Ermittlungen“ versuchten, hier eine Version aus einem der beiden Zentralorgane für Satire in Deutschland: Titanic-Chefredakteur Leo Fischer schreibt in seinem aktuellen Editorial (Heft 4/2012, S.3.): „Liebe Leser, es scheint, dass die Behörden nun endlich, endlich beginnen, aus den Taten der Zwickauer Zelle ihre Lehren zu ziehen: es tut sich was in Sachen Extremismusbekämpfung! So möchte beispielsweise Bundesinnenminister Hans-Penis Friedrich die Salafisten stärker ins Visier nehmen: Mittlerweile ist erwiesen, dass Mitglieder des NSU immer wieder auch die Nähe zu radikalen wie auch moderaten Muslimen suchten. Zwar nur, um sie umzubringen – doch auch bei Mord gilt der Satz: Es braucht immer zwei dazu!“ Wiederum eine geradezu idealtypische Glosse, einzig den „Penis“ hielte ich für verzichtbar – wegen: „so kurz wie möglich“.

2.) Das Thema der medial ventilierten Skandale bleibt medien- und kommunikationwissenschaftlich präsent: „Der entfesselte Skandal“ heißt im Frühjahr 2012 das Buch von Bernhard Pörksen und Hanne Detel: „Entfesselung“ soll hierbei mit Blick auf die Betroffenen einen totalen Kontrollverlust bedeuten im Unterschied zu früheren Skandalen in raum-zeitlich überschaubareren, linearen Medienwelten. Auch haben den Autoren zufolge Journalisten kein Monopol mehr auf Enthüllungen – jeder kann mit Mobilgeräten jederzeit und praktisch in Echtzeit zum Enthüller werden. Tradierte Trennungen von Sendern und Empfängern werden aufgehoben. Private Relevanz (Unterhaltsamheit, Interessantheit) wird noch dominanter im Vergleich mit öffentlicher Relevanz (gesellschaftliche Wirksamkeit und Bestimmtheit) (vgl. BLZ 9.5.2012, S.26).
Die beiden Autoren erklären (vgl. Freitag 18/2012, S.6f.), wie es zum „jüngsten Gerücht“ komme: Verschiedene Formen von Gerüchten seien wie Organismen, die unterschiedlich gut an ihre kommunikativen Umwelten angepasst sind. In Prozessen fortlaufender Optimierung setze sich schließlich die wirksamste Variante durch. Solche Informationseinheiten hat der Soziobiologe und Evolutionsforscher Richard Dawkins als „Mem“ bezeichnet: Ein solches Mem sei ein öffentlich präsentes, sich veränderndes „Konzept“, das der Selektion unterworfen ist. Um sich in der Aufmerksamkeitskonkurrenz durchzusetzen, muss das jeweilige Mem interessant, leicht verständlich und anschlussfähig sein. Ein bloßes Gerücht entfesselt sich explosionsartig zum Mem, wenn es einen bestimmten „Nachrichtenwert“ erreicht, wobei Faktoren dazu aus Nachrichten- und Narrationsforschung bekannt sind: Konflikthaltigkeit, Überschaubarkeit, Personalisierung etc. Um eine „Aura des Authentischen“, eine „Fiktion des Faktischen“ zu schaffen, werden oft Zeugen präsentiert oder Details genannt, die mit dem Sachverhalt selbst wenig zu tun haben. Will sich ein Betroffener gegen solche jüngsten Gerüchte wehren, bleibt er in einem Paradox gefangen: Er muss, wie in einer Art Gegendarstellung, zunächst die zu dementierende Behauptung wiederholen. So kehrt in der Form der bloßen Negation auch das Gerücht selbst wieder in die Öffentlichkeit zurück.

3.) Es ist mal wieder die Zeit der „Neuzugänge“, zwischen den Spielzeiten. Beim FC Bayern wurde laut Focus online (http://www.focus.de/sport/fussball/bundesliga1/xherdan-shaqiri-kein-olympia-fuer-fc-bayern-_aid_775928.html, Aufruf am 4.7.2012, 12.55 Uhr) unter anderem der Schweizer Xherdan Shaqiri vorgestellt, natürlich als „Neuzugang“. Und nicht als weißer Schimmel, was ähnlich „richtig“ gewesen wäre. Denn selbstverständlich ist der Kicker ein „Zugang“ und kein „Neuzugang“. Oder gibt es auch „Altzugänge“? Claudio Pizarro, könnte man meinen, mag beim FC Bayern als solcher gelten, nicht primär wegen seines Alters, sondern weil er ja schon früher mal beim deutschen Rekordmeister spielte und jetzt erneut den Bayern zuging. Aber deswegen ist der Peruaner weder „Neuzugang“ noch „Altzugang“, sondern einfach ein „Zugang“. Ist kürzer und richtiger als der notorisch aufgeblasene „Neuzugang“.

Skandale zwischen Schland und Schloch?

Blog vom 28.6.
1.) War es ein Skandal, dass während der Live-Übertragung des Fußballspiels Deutschland gegen Niederlande die Sekunden-Story „Löw und der Balljunge“ einfach als scheinbar live in die Direktbilder hineingeschnitten wurde, obwohl sich die Szene bereits vor dem Spiel ereignet hatte? Offenbar wurde auch hier seitens der UEFA nicht von mündigen Nutzern ausgegangen, die selber zur Einordnung medialer Angebote in der Lage sind oder doch dazu befähigt werden. Sonst hätte man (wie auch zum Beispiel bei Zeitlupen von der andern Seite der Bildachse mit der Einblendung „reverse angle“) mit einer Zusatzinformation wie „Recorded“ allen Interessierten die Chance gegeben, den Kontext je nach eigenem Niveau selbst rekonstruieren zu können.

2.) Skandalöser finde ich, dass über die äußerst fragwürdigen Auftritte einiger offenbar rechtsextremer Anhänger der DFB-Elf fast nur in linken Nischen-Medien zu lesen ist (siehe z.B. http://www.taz.de/Nazis-bei-der-EM/!96011/ oder Wiglaf Droste in http://www.jungewelt.de/2012/06-13/036.php). Der europäische Fußball-Verband UEFA verhängte eine erneute Geldstrafe nach dem Spiel gegen Dänemark, diesmal 25.000 Euro wegen „ungebührlichen Verhaltens“ einiger und damit offenbar nicht nur einzelner Fans. Das solche Szenen nicht in das heile UEFA-Weltbild passen, wundert weniger als die Tatsache, dass sich nicht zumindest einzelne der vielen Extra-Kameras von ARD und ZDF im Stadion und im Umfeld gelegentlich und tiefgründiger auch diesen gesellschaftlich relevanten Themen widmen und nicht nur beispielsweise der „Wade der Nation“ des Bastian Schweinsteiger.

3.) Skandale – wohl oder übel? Der konservative Mainzer Medienforscher Hans-Mathias Kepplinger geht eher kulturpessimistisch einer empirischen Skandaltheorie nach mit seinen „Die Mechanismen der Skandalisierung (Neuauflage 2012). Verhängnisvoll sei insbesondere der Gruppendruck innerhalb der Journalistenzunft (vgl. Wolfgang Michal in Freitag 13/2012, S.13) mit deren Leitmedien Spiegel, FAZ und Bild. Eine intensive Dramatisierung des Geschehens führt laut Kepplinger per Gruppennorm zu einer schematisch-einseitigen Sichtweise des skandalisierten Missstandes. Innerhalb der Journalisten beobachtet er große Angst vor abweichender Meinung: In diesem Sinne wiesen viele Skandale totalitäre Züge auf, weil sie auf die „Gleichschaltung“ aller zielten, denn die öffentliche Abweichung einiger würde den Machtanspruch der Skandalisierer infrage stellen. Führende Journalisten gerierten sich so monopolistisch als Ankläger, Richter, Henker und Moraltheologen in einer Person. Dagegen hatte der linksliberale Soziologe Karl Otto Hondrich 2007 eine funktionalistische Phänomenologie des Skandals vorgeschlagen. Nichts sei den guten Sitten zuträglicher als ein Skandal, denn nur der ermögliche der modernen, unübersichtlichen Gesellschaft durch Aufarbeitung von Normverletzungen die Bestimmung von Grundwerten, also Reformation oder Restauration. Skandale tragen Hondrich zufolge zum Lernen, zur Selbstkontrolle und Selbstkritik bei und ermöglichten gerade in Krisen- oder Umbruchzeiten beschleunigte Normenwechsel.
Autor Wolfgang Michal verweist darauf, dass sowohl Kepplinger als auch Hondrich systemimmanent argumentieren und daher beide nicht erklären können, wieso Anfang 2012 ein Bobby-Car im Kinder-Fuhrpark des damaligen Bundespräsidenten Wulff für helle Empörung sorgte, aber die zur gleichen Zeit vor allem von der Bundesregierung für Banken bereitgestellten hundertfachen Milliarden-Steuergelder „kein moralisches Beben auslösten“, geschweige als möglicher Skandal thematisiert wurden.

4.) Im RBB-Inforadio waren am Abend des 4.5.2012 innerhalb von fünf Minuten zwei fragwürdige Sätze in einer Meldung und einem Bericht zu hören: „US-Außenministerin Clinton sagte, dass ihre Regierung weiterhin für die Menschenrechte eintreten wird.“ Kurz darauf: „Merkel erklärte, dass Deutschland zu seinen Bündnisverpflichtungen stünde.“ Einmal des Guten zu viel, einmal des Guten zu wenig. Maßhalten hieße die Kunst, um mal den Konjunktiv I zu bemühen.

Fußball als Kriegs- und Denkersatz

Blog vom 20.6.2012:
1.) Der ZDF-Fernsehratsvorsitzende Ruprecht Polenz (CDU) hat sich mit einem formalen Zwischenbescheid schon mal gemeldet. Ich hatte an ihn sowie die anderen Verantwortlichen des ZDF eine Beschwerde gesandt, hier das Wichtigste daraus:
„Sehr geehrter Herr Bellut als Intendant, sehr geehrter Herr Dr. Frey als Chefredakteur, sehr geehrter Herr Polenz als Vorsitzender des Fernsehrates, sehr geehrter Herr Beck als Vorsitzender des Verwaltungsrates,
ich möchte mich bei Ihnen nach meiner Beschwerde via Ihr offizielles Beschwerdeformular auch auf diesem Wege als kritischer ZDF-Nutzer beschweren angesichts des Werbespots der Firma Media Markt („Deutscher Fan erschlägt jemanden, der niederländisch aussieht“). Ich sehe zumindest den § 8 der ZDF-Programmgrundsätze verletzt, zum Thema:
„Unzulässige Sendungen, Jugendschutz“:
(1) Sendungen sind unzulässig, wenn sie
1. zum Rassenhass aufstacheln oder grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen in einer Art schildern, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt (§ 131 StGB).
Meine Beschwerde bezieht sich auf die TV-Werbung von Media Markttt, die das ZDF zur besten und jugendoffenen Sendezeit zeigte vor der Live-Übertragung des Spieles Niederlande gegen Deutschland am 13.6. 2012 gegen 19.45 Uhr zeigte (Quelle bei YouTube: http://www.youtube.com/watch?v=BPstVggf6Fo)
Es kann und darf nicht sein, dass damit geworben wird, dass ein Deutscher jemanden mit dem Hammer buchstäblich plattmacht, weil dieser Mensch aussieht wie ein Fan der Niederländer.
Das ist ein extrem zum gewaltsamen Rassismus aufrufender Spot.
Bitte verhindern Sie so etwas künftig! Mit dem Zweiten sollte man besser sehen! – Oder hieße das hier: „Wir sind doch nicht blöd!“ (und machen eben die Anderen einfach platt).“
Hoffen wir, dass nun nicht womöglich Gyros aus Menschen und Fußballern gemacht wird, wie es im ARD-Morgenmagazin am 19.6. im Berichts-O-Ton aus einer deutschen Fanmeile im Westen des Landes schon wieder sch(-w)allte.

2.) Im Blog auf der Seite der Brandenburgischen Zentrale für politische Bildung läuft eine Debatte über wie Verwendung der deutschen Ortsnamen für viele polnische oder ukrainische Städte im Kontext der Fussball-EM (http://www.politische-bildung-brandenburg.de/themen/die-extreme-rechte/blog/was-mir-aufgefallen-ist#comment-653, Aufruf am 20.6.2012, 21.08 Uhr). Ich sehe viele gute Gründe, gerade die Städte in Tschechien, der Slowakei, in Polen, der Ukraine oder in Belarus sowie in Russland namentlich in ihrer Landessprache zu erwähnen, mit Ausnahme der Hauptstädte (weil deren Namen in deutscher Sprache sicherlich historisch auch unabhängig von der Nazi-Zeit so gewachsen sind).
Wir sagen nicht „Neu York“ oder „Die Engel“ zu bestimmten Städten in den USA. Okay, da waren die Deutschen ja auch (noch) nicht, mag man da einwenden. Doch genau dort dürfte der Kern des Problems liegen – und man muss kein polnischer Nationalist (wie z.B. die Kaczynski-Brüder) sein, um sehr aufmerksam auf das wabernde deutsche Un- oder Unter- oder Überbewusstsein zu reagieren. Der Satz: „Da denkt sich doch keiner was dabei, Danzig zu sagen“, ist kein Argument – Sprechen und Denken sollten zusammenhängen. Und in ukrainischen Stadien kurz nach der eigenen Führung lauthals minutenlang „Sieg … Sieg … Sieg“ zu brüllen, macht die „Truppen“ da draußen auch nicht sympathischer.
3.) Laut Berliner Zeitung vom 7.4.2012, S.10, meldete AFP, dass bei Eiern aus zwei Betrieben in NRW „zulässige Dioxin-Grenzwerte“ überschritten worden seien. Was die Frage aufwirft, ob es auch „unzulässige Dioxin-Grenzwerte“ gibt? „Grenzwert“ scheint doch die Trennscheide zu sein – auf der einen Seite des Grenzwertes sind die Werte noch zulässig, auf der anderen nicht mehr, und dann fragt sich die Reflexion wie beim Ausball im Sport, ob die Grenze selber noch zum Feld zählt, das sie begrenzen soll. Aber das würde kaum das offenbar besinnungslose Schreiben über „zulässige Grenzwerte“ erklären – oder wir reden eben tautologisch über weiße Schimmel bzw. oberflächliche Journalisten.

Freelancer mit Zweidrittel-Mehrheit

Blog vom 6.6. 2012 von Sebastian Köhler:

1.) Facebooks anlegerfreundliches Gesicht scheint Kratzer zu bekommen: Erst kündigte der Autokonzern General Motors an, keine Werbung mehr auf der Plattform zu schalten, weil die bezahlten Anzeigen zu ineffizient seien (http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/116409-reuters-umfrage-werbung-auf-facebook-verleitet-nicht-zum-kauf.html. Aufruf am 6.6.2012, 10.31 Uhr). Nun hat eine Umfrage von Reuters/Ipsos unter 1.032 US-Bürgern ergeben, dass – laut deren eigenen Angaben – bei vier von fünf Nutzern Werbung oder Kommentare auf Facebook nicht zum Kauf geführt hätten. Ebenfalls unvorteilhaft: 34% der Befragten erklärten, weniger Zeit auf Facebook zu verbringen als noch vor sechs Monaten (während 20% sagten, sie verbrächten jetzt mehr Zeit auf der Seite).
Diese Ergebnisse sind Wasser auf die Mühlen derer, die die Facebook-Aktie für überbewertet halten. Mit einem Ausgabepreis von 38 US-Dollar und einer daraus resultierenden Bewertung von 104 Mrd. Dollar war das Unternehmen am 18. Mai an die Börse gegangen. Seitdem musste die Facebook-Aktie mächtig Federn lassen – am 5.6. schloss sie bei 26,90 $. Facebook hat nach eigenen Angaben weltweit über 900 Millionen Mitglieder – die Geschäftszahlen fallen aber im Vergleich mit anderen Börsengiganten eher bescheiden aus: Im vergangenen Jahr gab Facebook 3,7 Mrd. Dollar Umsatz und eine Mrd. Dollar Gewinn an. Das mit Abstand meiste Geld dabei wird mit Werbung eingefahren. Zum Vergleich: Google erzielte in beiden Sparten im Jahr 2011 rund das Zehnfache.

2.) Der Publizist, Schriftsteller und Journalist Neil Gaiman hielt im Mai 2012 eine Rede für die Absolventen der University of the Arts in Philadelphia (USA) (http://vimeo.com/42372767, Aufruf 6.6.2012, 9.50 Uhr – vielen Dank für den Hinweis an Bernd Ziegenbalg, Geschäftsführer Raufeld Medien in Berlin). Er sagte dabei, immer mehr der publizistischen Erwerbstätigkeit werde „Freelance Work“, also Honorararbeit als mehr oder weniger Selbständiger. Das sei bei aller Unübersichtlichkeit sogar systematisch zu verstetigen, wenn man drei Bedingungen erfülle: die Beiträge müssten gut sein, man selbst ein leicht zu handhabender Typ und die Lieferungen pünktlich. Genaugenommen reichten jeweils sogar zwei der drei Anforderungen: Auftraggeber würden es tolerieren, wie nervend man sei, wenn nur die Arbeit gut und die Lieferung pünktlich ist. Sie würden auch Unpünktlichkeit vergessen können, wenn die Arbeit gut ist und sie Dich, den Freelancer, mögen. Und schließlich müsse man auch gar nicht so hervorragend sein, wenn man zumindest nett und pünktlich erscheine.

3.) Nach jahrelangen Debatten hat im Mai 2012 ein neues Gesetz zur Pressefreiheit in Deutschland die parlamentarischen Hürden Bundestag und Bundesrat mehrheitlich genommen. Es trägt die Handschrift der Regierungskoalition und wird von Vertretern der Journalistenverbände kritisiert: Beispielsweise Ulrich Janßen, Vorsitzender der dju in ver.di, sagt, es handele sich um ein „Gesetz zum Versuch, die Pressefreiheit wenigstens ein bisschen zu fördern.“ Vor allem versäume das Gesetz, Journalisten als Träger von Berufsgeheimnissen anzuerkennen, wie das weiterhin für Abgeordnete, Geistliche oder Rechtsanwälte gilt. Eine gewisse Verbesserung sieht Janßen darin, dass Journalisten nun nicht mehr wegen „passiven Geheimnisverrates“ verfolgt werden dürften, also nicht mehr der Beihilfe zum Geheimnisverrat beschuldigt werden dürften, wenn ihnen brisantes Material von Informanten zugespielt wird. Im Falle „aktiven Geheimnisverrates“, also wenn Journalisten selbst aktiv werden und sich brisantes Material besorgen, bleiben die bisherigen Sanktionen bestehen (vgl. MMM 3/2012, S.4).

4.) Der Linken-Parteitag am Wochenende in Göttingen war auch für ein sprachkritisches Kaleidoskop ergiebig:
Gerd Joachim von Fallois sagte am 2.6. um 19.20 Uhr auf „Phönix“ zum Verhältnis der Linken-Politiker Gregor Gysi und Oskar Lafontaine: „Das Tischtisch ist zerstritten“. Solche Bonmots gehen natürlich weg wie frisch zerstritten Brot. Oder wie es der Sprachkritiker Karl Kraus gesagt hätte: Den Journalisten mache aus, keinen eigenen Gedanken zu haben und das dann auch noch schlecht auszudrücken.
Bei „Stern online“ hieß es, gleichsam intern plural und in voller Pressefreiheit (von der Wahrheit): „(Die neue Vorsitzende Katja) Kipping wird keinem der beiden Flügel zugerechnet (…). Die 34-jährige, die dem Reformflügel der Partei zugerechnet wird, gewann die Abstimmung auf dem Parteitag in Göttingen gegen die 63-jährige Hamburger Fraktionschefin Dora Heyenn.( http://www.stern.de/politik/deutschland/parteitag-der-linken-kipping-und-riexinger-sind-die-doppelspitze-1835747.html, Aufruf am 2.6., 23.58 Uhr). Und wenn der „Stern“ Kipping selbst gefragt hätte, wäre vermutlich noch eine dritte Position herausgekommen.

„Witwenschüttler“ auf dem Höhepunkt?

Blog vom 23.5.2012 von Sebastian Köhler
1.) Es gibt Neues von der Front der Grenzgänger zwischen Journalismus, Öffentlichkeitsarbeit und Werbung. Denn in der „Bild“ findet sich ja ohnehin laut der Studie von Arlt und Storz „Eine Marke und ihre Mägde“ eine Mischung dieser drei medialen Kommunikations-Gattungen.
Und „Bild“ scheint auch die Drehscheibe zu sein für die Karriere(-n) des Bela Anda: Der hatte bis zum Jahre 2002 als Redakteur, Chefreporter und Ressortleiter bei dem Blatt gearbeitet. Dann berief ihn im Jahre 2002 Gerhard Schröder (der sollte ja 1999 geäußert haben, dass er zum Regieren nur Bild, Bams und Glotze brauche) nach seiner Wiederwahl zum Kanzler als Regierungssprecher, was Anda bis 2005 blieb. Später wurde Anda Leiter der Unternehmenskommunikation eines großen Finanzkonzerns, der AWD-Holding. Ab 15.Mai 2012 sollte Bela Anda wieder zur „Bild“ zurückkehren und als stellvertretender Chefredakteur ressortübergreifende Aufgaben wahrnehmen (vgl. BLZ 8.5.2012, S.26). Woran wir sehen können, dass „Bild“ sich mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft befindet – fragt sich nur, in welcher Gesellschaft?
2.) Auch in anderer Hinsicht steht „Bild“ wenn schon nicht in der Mitte, so doch im Mittelpunkt: Erstmals erhielten Mitarbeiter des Blattes den renommiertesten Journalistenpreis hierzulande in einer der Königskategorien, den Henri-Nannen-Preis für den besten investigativen Journalismus (siehe http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/116081-henri-nannen-preis-2012-hans-leyendecker-lehnt-auszeichnung-ab.html). Den Preis, aufgrund eines Jury-Patts geteilt mit einem Recherche-Team der „SZ“ für eine ganz andere Aufdeckung (wobei den dann namentlich Hans Leyendecker demonstrativ nicht annahm), gab es für Nikolaus Harbusch und Martin Heidemanns, die den Auslöser veröffentlichten, nach dem dann die Kreditaffäre um den damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff aufgedeckt wurde. Der Kern des Disputes für einen an gesellschaftlicher Demokratisierung beteiligten Journalismus liegt darin, ob es bei einem solchen Preis 1.) um die reine Recherche-Leistung gehe oder 2.) um die konkrete Wirkung der Publikation oder aber 3.) um den Gesamtkontext des Mediums. Doch wenn Jury-Mitglied Ines Pohl von der taz ihre Ablehnung gegenüber Bild als Blatt der „Witwenschüttler“ kundtut, hat sie natürlich einerseits ganz einfach Recht, aber andererseits anscheinend nicht begriffen, dass Bild eben schon immer (s.o.) zumindest eine Melange aus (Boulevard-)Journalismus, PR in eigener und fremder Sache und aus Werbung ist. Und wenn sich dort die Gesellschaft dieser Tage in ihrer Mitte trifft, dann mag sich das freilich treffen mit dem wertvollsten Journalisten-Preis hier und jetzt.
3.) Im ZDF-Teletext stand am Sonntagabend, 6.5., die Schlagzeile: “Griechenland-Wahl: Euro-Sparkurs gefährdet”.  Abgesehen von der Problematik des Wortes “Sparen” als positiv besetztes scheint mir die gebotene Neutralität hier vor allem durch ein anderes Wort gefährdet. Denn gibt eine Gefahr, der wir auch nur gleichgültig, geschweige denn sogar positiv gestimmt gegenüberstehen können? Ich fürchte (sic!): Nein. Doch die Problematik von scheinbar objektiven Sorgen und Befürchtungen grassiert: Bei Reuters hieß es am 15. 5: „In Griechenland ist am Dienstag nach Angaben des Präsidialamts auch der letzte Versuch zur Regierungsbildung gescheitert. Damit steht das hochverschuldete Euro-Land vor Neuwahlen. Es wird befürchtet, dass daraus die Gegner der Sparauflagen von EU und IWF noch stärker hervorgehen könnten. Damit wachsen die Sorgen, dass das Land auf dem direkten Weg in den Bankrott ist und die Euro-Zone verlässt.“ Fragen eines lesenden Zeilen-Arbeiters: Wer befürchtet das? Und wessen Sorgen wachsen? Nur, falls wir keine anderen Sorgen haben …

Der Augenblick, wo Köpfe rollen sollen?

Blog vom 9.5.2012 von Sebastian Köhler

1.) War vor Facebook etwas im Netz? Und gäbe es ein Danach? Diese Fragen stellt Felix Stalder, der in Zürich Neue Medien lehrt (vgl. Freitag 13/2012, S.15; http://www.freitag.de/kultur/1213-vor-und-nach-facebook). Das Internet war in den 1990er-Jahren bestimmt von ersten Versuchen, many-to-many-Kommunikation auf zivilgesellschaftlicher Ebene zwischen Individuen und Gruppen (peers) sowohl zu verwirklichen als auch darüber nachzudenken. Einen Höhepunkt dieser Kultur der Offenheit und Partizipation bildete 1995 der Request for Comments (RFC) mit der Toleranzfaustregel: „Sei zurückhaltend in dem, was du verschickst, und großzügig in dem, was du empfängst.“ Kurz darauf begann die massive und massenhafte Kommerzialisierung des Internets, das in bestimmter Weise auch zum Massenmedium wurde mit neuer einseitiger Gerichtetheit für viele Konsumenten. Gemeinschaften verschoben sich rasant zu Geschäftsmodellen, Börsenkurse hoben ab und stürzten bald darauf wieder. Doch nur scheinbar verlangsamte sich die Kommerzialisierung: Im Gegenteil, mit dem Web 2.0 wurde ein Label geschaffen, das in kurzer Zeit die Ware-Werdung der sozialen Bereiche in ganz neue Sphären treiben sollte. Aus sozio-kultureller und politischer Teilhabe wurde „user generated content“, der laut Stadler zum „modus operandi“ einer neuen Kulturindustrie wurde. Während die tradierte Kulturindustrie (Musik- und Medienverlage, Filmfirmen) immer stärker unter Druck zu geraten schien, legten die neuen Plattformen ungeheure Wachstümer hin. Die sozialen Kosten der Massentauglichkeit hält Stalder für hoch, denn die Vernetzung der Vielen wurde den Geschäfts-Strategien der Plattformanbieter untergeordnet. Diese Vernetzung muss seitdem stets zwei Zielen dienen: Zum einen soll sie kommunikative Bedürfnisse der Nutzer befriedigen, zum anderen die Sammlung von Daten und deren Vermarktung unterstützen. Stalder schreibt: „Diente es dem ersten Ziel nicht, floppte das Angebot, diente es dem zweiten nicht, wurde es erst gar nicht entwickelt.“ Keiner kann mehr unterscheiden zwischen Bedürfnissen der Nutzer und solchen, die überhaupt erst durch die Plattformanbieter geschaffen werden. Die Teilhabe auf solchen Plattformen dient laut Stalder der Verschleierung der neuen Macht- und Ausbeutungsverhältnisse. Verschleiert wird durch die weiterhin bestehende Augenhöhe, also Horizontalität auf Seiten der vielen Nutzer, dass gleichzeitig neue, hochgradig vertikale Machtzentren auf Eigentümer- und Managementseite entstehen. Hier wird nicht nur der Wert gemeinsamer Arbeit abgeschöpft, sondern es entstehen auch neue Kontrollpunkte. An diesen Punkten fällt Wissen über die Zusammensetzungen und Entwicklungen der Gesellschaft „in Echtzeit“ an. Aus Motiven der Vermarktung oder auch Vermachtung kann mit solchem Herrschaftswissen – kaum bemerkbar – in gesellschaftliche Prozesse eingegriffen werden. Die Widersprüche zwischen den Dynamiken horizontaler Vernetzung und vertikaler Kontrolle werden Stalder zufolge deutlicher. Für politische Aktivisten ist Facebook mittlerweile ein Risiko – Geheimdienste werten nicht nur routiniert Daten aus, sondern es werden auch gezielt Seiten gelöscht oder Zugänge gesperrt. So kommt der engagierte Nutzer zeitlich von „vor Facebook“ zu „nach Facebook“: Die alte Internet-Erfahrung, dass man nicht nur Inhalte, sondern auch Infrastrukturen selber schaffen kann und manchmal muss, führt zu Entwicklungen wie den „Maschen-Netzwerken“, „mesh-networks“, jenseits zentraler oder zentralisierter Infrastrukturen. Gemeinsame Infrastrukturen sollen entstehen durch die Vernetzung vieler lokaler Netzwerke. So könnte das emanzipatorische Potential der Horizontalität von Gruppen von Neuem befreit werden von den Zwängen der Vertikalität durch Vermarktung und Vermachtung.
2.) Lokaljournalismus hat es anscheinend besonders schwer, den Fallen der „Hofberichterstattung“ und des Überangepasstseins mit Blick auf die Mächtigen zu entgehen – selbst an den wenigen Orten in Deutschland, an denen nicht nur ein Verlag allein über das örtliche Geschehen berichtet. In Potsdam gibt es immerhin zwei Lokalredaktionen von Tageszeitungen, die der MAZ (seit 2012 zur Madsack-Gruppe Hannover gehörig) und die der PNN (über den Berliner „Tagesspiegel“ zum Holtzbrinck-Konzern Stuttgart/München zählend). In einem Bericht über die Diskussion im Potsdamer Stadtparlament zum Angebot des Software-Milliardärs Hasso Plattner, in Potsdam eine Kunsthalle zu errichten, schreibt Henri Kramer (vgl. PNN, 4.5.2012, S.9), dem das Angebot Plattners apriori als „Geschenk“ gilt: „Doch nun sprachen jene, die das Geschenk Plattners auch bereit sind auszuschlagen. So Hannes Püschel von der Fraktion Die Andere: Er behauptete, Plattners Firma „SAP“ sei gewerkschafts- und betriebsratsfeindlich.“ Das Verb „behaupten“ als eines aus dem Wortfeld „sagen“ ist schon viel negativ-wertender als die Verben, die Kramer in seinem Bericht den Unterstützern von Plattners Vorschlag zuspricht: Die nämlich äußern sich, indem sie etwas „sagen“, vor etwas „warnen“, etwas „nennen“ oder um etwas „bitten“, sich sogar „freuen“ oder einfach „reden“. Allesamt relativ sachliche oder leicht positiv-glaubwürdig besetzte Verben aus dem Wortfeld „sagen“. Aber für besagten Vertreter der „Anderen“, einen der wenigen erklärten Kritiker des Projektes, hat Journalist Kramer noch einen besonderen Sprechakt in petto: Dieser Hannes Püschel nämlich „ätzte, für ‚hungernde Kinder‘ hätten (sic! Konjunktiv II) die Stadtverordneten kein Geld übrig“. Laut Duden ist „ätzen“ ein Terminus, der relativ stark wertet – er wird demzufolge salopp verwendet und besagt, dass sich jemand ätzend und damit zerstörend und zerfressend äußere. Solch ein Verb mögen Journalisten – gut begründet – in Kommentaren oder Glossen verwenden – aber in einem Bericht? Man mache die Umkehrprobe und frage sich, ob im Sinne des möglichst gleichen Abstandes zu allen (gewählten) Akteuren auch der Oberbürgermeister oder die Dezernentin (als Vertreter des Regierungslagers) „ätzen“ könnten in der Optik des Journalisten Kramer? Das darf als extrem unwahrscheinlich gelten. Es gibt die – meines Erachtens sehr sinnvolle – Forderung des Journalistik-Professors Michael Haller nach „Äquidistanz“ gerade für die informationsbetonten Darstellungsformen wie Meldung oder Bericht. Oder auch die Mahnung des einstigen TV-Nachrichtenmoderators Hanns-Joachim Friedrichs, der zufolge sich Journalisten nie verbrüdern sollten mit einer Sache – und scheine sie auch noch so gut zu sein. Zumal bei in der betroffenen Bevölkerung durchaus umstrittenen Angelegenheiten (wie der hier unüberlesbar hofierten Offerte Plattners) sollten solche Handwerksregeln nicht einfach „weggeätzt“ werden – zumindest nicht in einem Journalismus, der sich der Demokratisierung verpflichtet sehen möchte.
3.) Im RBB-Inforadio fragte am Morgen des 9.5. Moderatorin Anne-Kathrin Mellmann im Interview die Politikerin Ramona Popp von den Berliner Grünen angesichts der Meldung von der Schönefelder Flughafen-Verspätung: „Ist das der Augenblick, wo Köpfe rollen sollten?“. „Köpfe rollen“ klingt natürlich immer gut – aber „wo“?