Rasta-Fahndung für alle

Von Sebastian Köhler
1.) Facebook ist durch die NSA-Überwachungsdebatten nicht mehr oder weniger in der Kritik als Microsoft, Apple, Google, Yahoo und wie sie alle heißen. Das Kern-Problem bei den verharmlosend „Späh-Affäre“ genannten Phänomenen sehe ich darin, dass wir Bürgerinnen und Bürger im Modus „Überwachung 2.0“ tatsächlich von zwei Seiten „erkundet“ werden – von Geheimdiensten namens demokratisch verfasster Staaten und von den Global Playern des mittlerweile (auch) informationsgetriebenen Kapitalismus. Schwer zu sagen, was schlimmer ist. Aber Facebook scheint als ein Pionier der Branche schon mal die „Rasterfahndung für alle“ (BLZ 11.7.2013, S.25) eingeführt zu haben: Die neue Suchfunktion „Graph Search“ soll es erklärtermaßen einfacher machen, gemeinsame Interessen zu „erkunden“. Doch Kritiker monieren, dass die Detailgenauigkeit und die Eingrenzungsmöglichkeiten jenen Rasterfahndungen aus den 1970er-Jahren ziemlich nahekommen könnten. Facebook als sogenanntes „soziales Netzwerk“ (Datensammel- und Datenverkaufskonzern scheint mir sachlicher) verfügt zufälligerweise von seinen (im Mai 2013 nach eigenen Angaben) weltweit 1,11 Milliarden Mitgliedern über umfängliche und detaillierte Datensätze. Und „Graph Search“ dürfte diese verstreuten Mosaik-Steine auf neue Weise sehr zielgenau zusammensetzen können – Unternehmer mögen so erfahren, welcher Bewerber als gewerkschaftsnah gelten kann oder wie überhaupt dessen politische Einstellungen sind. Das Blog „ http://actualfacebookgraphsearches.tumblr.com/“ listet dazu beispielhaft auf, dass man (Aufruf am 17.7.2013; 22.05 Uhr) auf Facebook mittels „Graph Search“ weniger als 100 Mütter von Juden finden könne, die Schinken mögen. Dagegen gebe es mehr als 100 Tesco-Mitarbeiter, die auf Pferde stehen. Und so weiter … Facebook hat den Trend erkannt (oder erst mit-etabliert?), dass wir im Netz tendenziell danach suchen (werden), was uns Freunde empfehlen. Und wo gibt es die meisten „Freunde“ und „Freunde von Freunden“? Meinen Erkundungen zufolge bei Facebook.
2.) Im Literatur-Magazin des RBB-Inforadios hieß es am Morgen des 14.7.2013, „es ist kaum ein abenteuerlicheres Leben vorstellbar wie das von Joachim Ringelnatz“. Fragt sich – ist das selbst schon Kunst (als bei Ringelnatz), oder kann das weg?

Nur keine Neidspirale: Umsonst kann teuer werden

Von Sebastian Köhler

1.) Auf sogenannten sozialen Netzwerken wie Facebook geht es weit überwiegend „positiv“ zu, es herrscht hier laut dem deutsch-koreanischen Philosophen Byung Chul Han geradezu ein „Übermaß an Positivität“ – beispielsweise gibt es vor allem und ganz einfach zu bedienen den „Like“-Button (siehe mein Blog vom 23.3.2012). Doch dieser besondere Positivismus führt – Forschern der Berliner Humboldt-Universität um Wirtschaftsinformatikerin Hanna Krasnova zufolge – dazu, dass „Facebook“ tendenziell als Neidspirale funktioniert: Die ausgestellten guten Seiten, tollen Meldungen und schönen Fotos erzeugen im sozialen Vergleich bei vielen Befragten Frustration. Um diese zu kompensieren, stellen etliche Nutzer in Reaktion darauf ihr eigenes Leben auch oder sogar noch positiver dar, was wiederum zu Neidgefühlen bei den nächsten „Freunden“ führen dürfte – die Spirale ist im Gang. Solche Neidgefühle sollen sich durchaus negativ auf die Lebenszufriedenheit der Nutzer auswirken (vgl. http://meedia.de/internet/facebook-erzeugt-eine-neidspirale/2013/01/22.html, Aufruf am 23.1.2013, 16.14 Uhr, siehe Tageszeitung junge Welt. 22.1.2013. S.12). Deshalb scheint der Logout-Button in solchen Fällen fast noch wichtiger als der Like-Button.
2.) Die Tendenz zum „Umsonstjournalismus“ (hier gemeint vor allem in Form der unbezahlten Mehrfachverwendung journalistischer Arbeit durch Verlage oder Sender in verschiedenen Medien/Kontexten) ist laut Journalistikwissenschaftler Hektor Haarkötter (München) und Medien-Anwalt Stefan Müller-Römer (Köln) auch urheberrechtlich fragwürdig: Wenn wir von § 32 des Urhebergesetzes ausgehen, der eine angemessene Vergütung für den Urheber rechtlich verlangt, dann sollten auch die allermeisten journalistischen Beiträge als Werke in diesem Sinne gelten. Das Landgericht Hamburg hat in einem vor allem für freie Journalisten weg-weisenden Urteil befunden (vgl. MMM 7/2012, S.35, Urteil des LGH vom 22.9.2009, 312 O 411/09), dass der „Urheber tunlichst an dem wirtschaftlichen Nutzen zu beteiligen ist, der aus seinem Werk gezogen wird, und zwar bei jeder einzelnen Nutzung des Werkes“. Scheinbar umsonst kann also für die Verwerter richtig teuer werden, wenn sich die Urheber organisieren.
3.) Zum jüngsten sprachkritischen Kaleidoskop (vom 16.1.) schrieb mir der Erste Chefredakteur von ARD-aktuell, Dr. Kai Gniffke: „Vielen Dank für Ihre Mail und die Anregung in Bezug auf den „Hinterhof“. Auch wenn ich Ihre historische Herleitung nachvollziehen kann, bin ich an dieser Stelle anderer Meinung. Ich finde, dass „Hinterhof“ mittlerweile eher einen räumliche Nähe als eine Abhängigkeit bzw. Unterlegenheit ausdrückt. Insofern glaube ich, dass sich die Bedeutung tatsächlich gewandelt hat. Dennoch: Wenn eine Bezeichnung von einigen Zuschauern missverstanden wird und negativ besetzt ist, sollten wir prüfen, ob wir nicht einen anderen Terminus benutzen sollten. Ich könnte mir vorstellen, dass wir statt vom „Hinterhof“ künftig vielleicht vom „Vorhof“ sprechen“. Das finde ich einen konstruktiven Umgang mit Kritik und würde dennoch in dieser Woche die Redaktion der „Tagesthemen“ fragen, ob wir – wie es Moderator Tom Buhrow und Reporterin Tina Hassel am 20.1. taten – von Barack Obama als dem „ersten schwarzen US-Präsidenten“ sprechen sollten. Das tun sicher viele Medienvertreter, konservative wie liberale. Vielleicht mag sich ja auch die Bedeutung des metaphorischen Ausdruckes „schwarz“ in solchen Kontexten gewandelt haben – ich nenne Obama in meinen journalistischen Texten in dieser Hinsicht den ersten „afroamerikanischen“ oder „dunkelhäutigen“ US-Präsidenten. „Schwarz“ oder „farbig“ erscheint mir bestenfalls gedankenlos, eher aber versteckt rassistisch, weil man (und frau) von all dem, was bei „Schwarz-Weiß-Malerei“ mitschwingt (Schwarzfahren, blütenweiß etc.), als medienkompetenter Nutzer und Produzent nicht oberflächlich absehen sollte.

Klartext und Klarnamen

Von Sebastian Köhler

1.)    Der bekannte Facebook-Kritiker und hauptberufliche Datenschutzbeauftragte des Landes Schleswig-Holstein, Thilo Weichert, hat ein internationales Einschreiben mit Rückschein an Facebook-Boss Mark Zuckerberg geschickt. Darin wird Facebook laut Mediendienst kress (http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/119384-wegen-verfuegungen-zur-klarnamenpflicht-facebook-wirft-weichert-steuergeld-verschwendung-vor.html, Aufruf am 19.12.2012, 10.31 Uhr) verpflichtet, „für natürliche Personen, die in Schleswig-Holstein Telemedien unter www.facebook.com nutzen möchten“, sicherzustellen, dass sie sich anstelle der Eingabe von Echtdaten unter Eingabe eines Pseudonyms registrieren können. Konten registrierter Personen, die wegen des Grundes der Nichtangabe oder der nicht vollständigen Angabe ihrer Echtdaten bei der Registrierung gesperrt seien müssten entsperrt werden. Dazu müsse Facebook die Nutzer vor der Registrierung „in einfacher, verständlicher und leicht zugänglicher Form sowie in deutscher Sprache“ über die Möglichkeiten der Registrierung unter Angabe eines Pseudonyms unterrichten. Sollte Facebook den „Anordnungen“ nicht innerhalb von zwei Wochen nachkommen, werde gegen den Konzern ein Zwangsgeld in Höhe von 20.000 Euro verhängt. Facebook verstoße gegen das deutsche Telemediengesetz, wenn es sich weigere, pseudonyme Konten zuzulassen, heißt es in einer Stellungnahme des Unabhängigen Landeszentrums Schleswig-Holstein (ULD). Dieses Regelung in § 13 Abs. 6 TMG stehe mit europäischem Recht in Einklang und diene u. a. dazu, im Internet die Grundrechte und insbesondere das Grundrecht auf Meinungsfreiheit zu wahren. Der Gesetzgeber habe damit klargestellt, dass sich Nutzer von Internetdiensten wie Facebook dort weitgehend unbeobachtet und ohne Angst vor unliebsamen Folgen bewegen können. Ein Facebook-Sprecher sagte hingegen der dpa: „Wir sind der Ansicht, dass die Verfügungen vollkommen unbegründet und eine Verschwendung deutscher Steuergelder sind.“ Facebook werde energisch dagegen vorgehen. Das Unternehmen agiere konform mit europäischen Datenschutzbestimmungen. Es liege in der Hand der Dienstleister, also von Facebook selbbst, Geschäftsbedingungen bezüglich Anonymität festzulegen. Facebook habe schon immer eine Klarnamenpolitik verfolgt, „weil wir glauben, dass die Verwendung der wahren Identität eine bestimmte Sicherheit mit sich bringt, und dass unsere Nutzer von dieser Sicherheit profitieren“, so der Sprecher. Profitieren ist natürlich ein gutes Stichwort ….
2.)    Im „Tagesspiegel“ hat sich dapd-Investor Ulrich Ende, 60, über die Fehler der Vergangenheit und die Zukunft der Nachrichtenagentur geäußert. Ende sagte, er sehe sich eher als Journalist denn als Investor. Die dapd sei in den vergangenen zwei Jahren auf eine wirtschaftlich unsinnige Weise aufgebläht worden. „Aber dass es mit der dpa quasi eine genossenschaftliche, allumfassende erste Kraft gibt und sich dahinter alle anzustellen haben, das kann doch auch nicht sein , was der deutsche Journalismus will“, sagte Ende und machte damit deutlich, dass Konkurrenz hier auch weiter das Geschäft beleben soll. (vgl. http://www.tagesspiegel.de/medien/nach-der-insolvenz-unsinnig-aufgeblaeht/7533642.html, Aufruf am 19.12.2012, 10.40 Uhr).
3.)    Auch angesichts der aktuellen Entwicklungen bei Facebook oder N24 wird die Frage wichtiger, woher der Journalismus als professionelles, als für soziale Demokratisierung besonders relevantes Berufsfeld seine ökonomischen Ressourcen beziehen soll. Und zwar als Problem der „schwierigen Finanzierung des Journalismus“, wie es die Wiener Medienökonomin Marie-Luise Kiefer formuliert. Systematisch und historisch kann demzufolge der Journalismus von den Medien und insbesondere von den tradierten Massenmedien unterschieden werden (Kiefer spricht sogar von „Trennung“). Zwar schienen beide über Jahrhunderte symbiotisch verbunden, doch hebt sich der Journalismus von den Medien als demokratisch „fundamentale Institution“ ab. Als Alternative vor allem zur privatwirtschaftlichen Finanzierung und damit Verwertung des Journalismus lässt sich für eine öffentliche Finanzierung dieser Institution plädieren. Das verlangt – nicht zuletzt im Unterschied zu den entprofesionalisierenden Tendenzen zum Beispiel des Bloggens, des Bürgerjournalismus oder des service-orientierten Vermischens von Journalismus und PR – laut Kiefer nach einer gewissen „Formalisierung“ des Journalismus in Richtung erneuerter Professionalisierung, als konzern- UND staatsferner sozialer, selbstverwalteter Organisation. Das wirft mehr Fragen auf, als es Antworten gibt – aber allein die Suche nach neuen Geschäftsmodellen (Kosten senken, Einnahmen steigern) scheint mir deutlich zu kurz gesprungen.
4.)    Und noch eine Prise oder Sur-Prise Sprachkritik im Kaleidoskop: Im ZDF-Teletext, Tafel 140, war am 12.12.2012 um 21.45 Uhr zu lesen: „(Hugo Chávez) ist bekannt für seine US-feindlichen Bemerkungen“. Da eine ähnliche Formulierung in der Art „George W. Bush ist bekannt für seine Venezuela-feindlichen Bemerkungen“ genauso wahrscheinlich hätte produziert werden können, wollen wir hier nicht mit etwaigen ZDF-feindlichen Äußerungen Öl (und schon gar nicht aus Venezuela) ins mediale Feuer gießen. Aber im Ernst: Sollten Nachrichtenredaktionen nicht besser texten: „Er ist bekannt für seine kritischen Äußerungen gegenüber der US-Regierung“? Denn weder scheint es Chávez gegen die gesamten USA (insbesondere nicht gegen die „normale“ US-Bevölkerung) zu gehen, noch wäre „feindlich“ ein relativ sachliches Attribut, sondern ein doch ziemlich stark wertendes.

Kleinfabriken und Giganten

Von Sebastian Köhler
1.) Das Nutzen sogenannter sozialer Netzwerke (diese Namensgebung ist ein genialer PR-Coup, denn was gibt es Besseres als „sozial“ und „Netzwerken“) dient gerade auf Geschäfts-Plattformen wie Facebook z.B. laut dem Züricher Medienforscher Felix Stalder der Verschleierung neuer Macht- und Ausbeutungsverhältnisse. Denn verschleiert wird durch die weiterhin bestehende Augenhöhe, also Horizontalität auf Seiten der vielen Nutzer, dass gleichzeitig neue, hochgradig vertikale Machtzentren auf Eigentümer- und Managementseiten entstehen (vgl. mein Blog vom 9.5.2012). Das sieht der aufgeklärte Konservative Frank Schirrmacher, einer der FAZ-Herausgeber, ähnlich: Er kritisiert es als „Ideologie von Netzintellektuellen“, dass sich jede und jeder selbst ermächtige als „Stimme öffentlicher Meinung und individueller Partizipation“ (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/zukunft-des-journalismus-das-heilige-versprechen-11970610.html#Drucken. Aufruf am 29.11.2012, 08.26 Uhr.). Das Problem betriebswirtschaftlich beschränkter Aktualisierungen aus viel reicheren Spektra kulturell-technischer Möglichkeiten beschreibt auch Schirrmacher angesichts der „eminenten intellektuellen und kreativen Potentiale“. Die werden aber nicht annähernd in ganzer Bandbreite verwirklicht, weil angesichts der gesamtgesellschaftlichen Kapitalisierung „ökonomisch total erfolglose geistige Kleinfabriken“ einerseits und neue „industrielle Giganten“ wie Google, Facebook, Amazon oder Apple andererseits einander gegenüberstehen. Ideologisch behauptet wird ein kulturell.-technologischer Determinismus, sozial wirkt aber vor allem betriebswirtschaftliche Konzentration bis hin zu neuen Monopolisierungstendenzen. Schirrmacher: „Die Technologie ist nicht in der Lage, die partizipativen und emanzipatorischen Prozesse auszulösen, die in der Betriebsanleitung versprochen wurden“ . Wir kommen darauf zurück.

2.) Derzeit findet in Dubai der Weltgipfel der Internationalen Fernmelde-Union (ITU) mit Vertretern beinahe aller Länder der Erde statt. Auf der Tagesordnung stand eine Überarbeitung der internationalen Telekommunikationsregulierungen, die bisher im wesentlichen aus dem Jahre 1988 datierten, also rund 25 Jahre alt waren und vor allem aus der Vor-WWW-Zeit stammten. Staaten wie Russland, China und einige Schwellenländer wollten per Konferenzbeschluss zumindest einige der globalen Internet-Verwaltungsaufgaben künftig an die UNO-Sonderorganisation ITU übergeben sehen. Bislang war dafür weitestgehend die in den USA ansässige ICANN als sogenannte „Nichtregierungsorganisation“ zuständig. Der US-Delegation in Dubai nun gehörten auch Vertreter von – durch ihre eigentümliche Netznutzung enorm profitierenden – Großkonzernen wie Google und Microsoft an. Delegations-Leiter Terry Kramer sagte (siehe Tageszeitung junge Welt vom 4.12.2012, S.9), unterschiedliche Regeln für den Umgang mit dem Internet in den verschiedenen Ländern müssten mit allen Mitteln verhindert werden: Denn solche Regulierungen öffneten „die Tür für eine Zensur der Inhalte“. Dagegen äußerte der Chefstratege der ITU, Alexander Ntoko, das sei „Propaganda“: Konzerne wie Google zeigten sich nur deshalb so beunruhigt, weil es ihnen um die Bewahrung ihrer Geschäftsmodelle gehe (siehe „Freiheit für wen?“ In: Der Spiegel, Heft 49/2012, S.84ff.). Google fuhr – ähnlich wie bei seinem Kampf gegen ein Leistungsschutzrecht in Deutschland – eine Kampagne unter dem Label von offener Welt und Freiheit für alle auf verschiedenen seiner Netz-Kanäle. Dabei durfte auffallen, dass Google nicht irgendeine Weltmacht ist, sondern auch laut Spiegel über beispiellose Meinungsmacht und Kampagnenfähigkeit verfügt, die alle nationalen oder auch supranationalen Grenzen sprengen. Das öffentlichkeitswirksame Novum: Konzerne wie Google oder auch Facebook versuchen immer erfolgreicher, für ihre „ureigenen Geschäftsinteressen“ (vgl. ebd.) auch und gerade die Nutzer einzusetzen. Es geht um das „Crowdsourcing“ der konzern-eigenen Lobby-Arbeit, um „Graswurzel-Lobbying“ (ebd.). Der hier ausgerufene Kampf gegen Zensur ist vor allem einer der Verteidigung der eigenen Geschäftsfreiheit und damit einer zugunsten der eigenen „monopolartigen Markt- und Meinungsmacht“.

3.) Statt Emanzipation der vielen und ihrer Teilnahme und Teilhabe am Netzverkehr läuft Wesentliches der globalen Digitalisierung auf neue Beschränkungen und Festlegungen der Nutzer auf bloße Konsumenten-Rollen hinaus: FAZ-Herausgeber Schirrmacher sieht statt Partizipation vor allem „Belohnungssysteme“ und „Empfehlungsbuttons“ (SCHIRRMACHER 2012). Soziales Verhalten und soziale Beziehungen (in ihrer Subjektivität und Intersubjektivität) werden zur Ware und daher möglichst mehrfach und zugleich maximal als Daten verwertet. Schirrmacher: „Interessanter als die Frage, was das neue iPhone100 kann, ist die Frage, welchen weiteren Aspekt sozialen Verhaltens Apple damit vermarkten kann“.
Die Kapitalverhältnisse expandieren unter den Labels des „social networking“ in extensiver und intensiver Richtung. Man könnte daher auch eine neue, längere Welle innerhalb des fünften „Kondratjew-Zyklus“ (informationstechnologisch geprägter globaler Kapitalismus seit ca. 1990) bestimmen. Ein wichtiger Aspekt dabei scheint die vermehrte Einbeziehung von „Selbstausbeutung“ (Schirrmacher) oder eben Ausbeutung sozialen Netzwerkens bzw. Netzverkehrs, sofern Gewinn als Profit wesentlich durch die Aneignung des von anderen/durch andere geschaffenen Mehrwertes, also in der Ausbeutung fremder Arbeit entsteht und verwirklicht wird. Mit Blick auf die Öffentlichkeiten mit ihrem symbolisch-generalisierten Medium der Aufmerksamkeit lässt sich in neuer Weise von einer „Aufmerksamkeitsökonomie“ (Schirrmacher) sprechen: Die Ökonomisierung als Kapitalisierung eignet sich sowohl tradierte als auch neue Felder von Öffentlichkeit an und unterwirft sie ihren Zweck- und Maßbestimmungen. Mit Habermas könnte dies auch als Kolonialisierung neuer und weiterer lebensweltlicher Bereiche gelesen und kritisiert werden. Klar scheint, wer von einer „Atomisierung“ (Schirrmacher) öffentlicher Diskurse am meisten profitiert und noch mehr profitieren würde. Dagegen bedarf es auch laut Frank Schirrmacher Debatten über wirtschaftliche Interessen und ökonomische Modelle, und dagegen bedarf es, darüber hinaus, Debatten über Wiederbelebungen und Neubelebungen von Politik und Kultur, von Politiken und Kulturen im Lokalen, Regionalen, Nationalen und Internationalen bis zum Globalen, um angesichts möglicher Vielfalt nicht der Betriebswirtschaft allein die Welt, die Öffentlichkeiten und den Netzverkehr zu überlassen.

4.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Moderatorin Irina Grabowski sprach im RBB-Inforadio am Morgen des 25.5.2012: „Für den Fiskalpakt ist die Bundesregierung bei der Abstimmung im Bundestag auf die Stimmen der Opposition angewiesen.“. Wieso mit bestimmtem Artikel? Auch für die Annahme dieses Gesetzes wäre es in einer parlamentarischen Demokratie merkwürdig, wenn 100 Prozent der Abgeordneten zustimmen müssten. Es ist kein Geheimnis, dass in diesem Falle genau zwei Drittel der Stimmen benötigt wurden. Da stimmte also etwas nicht in der Formulierung der Journalistin ….

Qualitätsjournalismus – ein weißer Schimmel steigt auf?

Von Sebastian Köhler

1.) Betrachten wir die Verhältnisse von tradierten Medien und Netzverkehr und die Rolle des Journalismus da wie dort, finden wir im ohnehin höchst lesenswerten Universal-Nachdenkbuch „Der Implex“ von Dietmar Dath und Barbara Kirchner über sozialen Fortschritt (Suhrkamp Frankfurt/M. 2012, S.317) einen feinen Impuls: Erklärungskräftiger als Walter Benjamins Motiv, wonach in den alten Medien die neuen steckten, erscheint den Autoren – bei aller sonstigen Nähe zu Argumenten Benjamins – die These von Herbert Marshall McLuhan, der zufolge der Inhalt neuer Medien die alten seien (seinerzeit Theater im Fernsehen, Fortsetzungsroman in der Zeitung etc.). Kein Wunder daher, dass sich der Netzverkehr am tradierten Journalismus bedient und ihn in den neuen Formen und Verbreitungswegen des Internets zum Inhalt macht. Der hier freilich in der Turing-Galaxis, gemessen an den Maßstäben aus Print-Ära und Gutenberg-Galaxis, viel schwerer einzeln verwertbar erscheint denn bisher als Doppelcharakter von Ware und Kulturgut überwiegend aus privatwirtschaftlichen Verlagshäusern. So lässt sich medientheoretisch zum Beispiel der Kern der aktuellen Konflikte zwischen Konzernen wie Google und Konzernen wie Springer besser verstehen.
2.) Google rief in dieser Woche die Nutzer auf, „Dein Netz“ zu verteidigen insbesondere gegen die aufziehenden Bezahl-Ansprüche tradierter Zeitungsverlage in Deutschland unter dem gerade im Bundestag debattierten verlegernahen Label „Leistungsschutzrecht“. (http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/119052-grosse-kampagne-gegen-das-leistungsschutzrecht-google-ruft-nutzer-auf-ihr-netz-zu-verteidigen.html, Aufruf am 28.11.12, 17.30 Uhr). Nun wäre es ja schön, wenn das Netz „unser“ wäre – aber wie die Dinge liegen, ist es doch weit mehr und eher das Netz von Google als z.B. „meines“. Die beiden großen Verlegerverbände in Deutschland reagierten erwartbar: Sie verurteilen das Agieren des – bei den allgemeinen Suchmaschinen mit Abstand marktbeherrschenden – Internet-Konzerns Google als eine „Kampagne gegen das Leistungsschutzrecht“ und „üble Propaganda“ . Google arbeite mit perfiden Methoden, um Angst zu verbreiten ( http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/119061-reaktion-auf-google-kampagne-zum-lsr-bdzv-und-vdz-sprechen-von-uebler-propaganda.html, Aufruf am 28.11.12, 18.09 Uhr). Zwischen der Scylla der neuen Konzerne wie Google oder Facebook und der Charybdis der alten Verleger-Platzhirsche versucht Berufsvertreter Michael Konken zu segeln, der DJV-Vorsitzende: Wichtig sei, dass die Interessen der Journalistinnen und Journalisten als der Urheber der publizistischen Leistungen fair berücksichtigt werden.
3.) Der Vorstandsvorsitzende des Springer-Verlages, Mathias Döpfner, schreibt in der „Welt“, der Journalismus habe seine besten Zeiten noch vor sich (http://www.welt.de/debatte/article111363883/Der-Journalismus-hat-das-Beste-noch-vor-sich.html, Aufruf am 28.11.12, 18.20 Uhr): Döpfner meint dort: „Unabhängig recherchierter Journalismus hat seinen Preis und seinen Wert.“ Abgesehen von Fragen nach Gebrauchswert oder Tauschwert erhebt sich hier das Problem des „weißen Schimmels“: Denn was sollte Journalismus sonst sein, wenn nicht von vornherein und jedenfalls recherchiert, und das bitte auch möglichst unabhängig? Das sind Aspekte der journalistischen Basis-Arbeit, die anscheinend weder die Chefs von Springer noch die von Google besonders interessieren.
4.) In der 14-Uhr-Ausgabe vom Do., 22.11.2012, der „Tagesschau in 100 Sekunden“ hieß es, beide Konfliktparteien in Nahost „halten sich scheinbar an die Waffenruhe“. Mir schien, dort war ganz klar „anscheinend“ (oder „offenbar“ etc.) gemeint – „scheinbar“ hieße ja, es wäre nicht so, und der An-Schein trüge. Doch das war hier anscheinend nicht gemeint, oder? Ich schrieb eine Mail an die Redaktion von „ARD aktuell“ in Hamburg, und der Erste Chefredakteur Dr. Kai Gniffke antwortete „mit herzlichem Gruß: „Bingo, Herr Professor Köhler, anscheinend haben wir hier ungenau formuliert.“. Und wenn der Schein nicht trügt, ist es nicht sinnlos, sich auch per Rückmeldung am Journalismus zu beteiligen – Interaktivität und Austausch auf Augenhöhe hier nicht nur als trügererischer Schein.

Freelancer mit Zweidrittel-Mehrheit

Blog vom 6.6. 2012 von Sebastian Köhler:

1.) Facebooks anlegerfreundliches Gesicht scheint Kratzer zu bekommen: Erst kündigte der Autokonzern General Motors an, keine Werbung mehr auf der Plattform zu schalten, weil die bezahlten Anzeigen zu ineffizient seien (http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/116409-reuters-umfrage-werbung-auf-facebook-verleitet-nicht-zum-kauf.html. Aufruf am 6.6.2012, 10.31 Uhr). Nun hat eine Umfrage von Reuters/Ipsos unter 1.032 US-Bürgern ergeben, dass – laut deren eigenen Angaben – bei vier von fünf Nutzern Werbung oder Kommentare auf Facebook nicht zum Kauf geführt hätten. Ebenfalls unvorteilhaft: 34% der Befragten erklärten, weniger Zeit auf Facebook zu verbringen als noch vor sechs Monaten (während 20% sagten, sie verbrächten jetzt mehr Zeit auf der Seite).
Diese Ergebnisse sind Wasser auf die Mühlen derer, die die Facebook-Aktie für überbewertet halten. Mit einem Ausgabepreis von 38 US-Dollar und einer daraus resultierenden Bewertung von 104 Mrd. Dollar war das Unternehmen am 18. Mai an die Börse gegangen. Seitdem musste die Facebook-Aktie mächtig Federn lassen – am 5.6. schloss sie bei 26,90 $. Facebook hat nach eigenen Angaben weltweit über 900 Millionen Mitglieder – die Geschäftszahlen fallen aber im Vergleich mit anderen Börsengiganten eher bescheiden aus: Im vergangenen Jahr gab Facebook 3,7 Mrd. Dollar Umsatz und eine Mrd. Dollar Gewinn an. Das mit Abstand meiste Geld dabei wird mit Werbung eingefahren. Zum Vergleich: Google erzielte in beiden Sparten im Jahr 2011 rund das Zehnfache.

2.) Der Publizist, Schriftsteller und Journalist Neil Gaiman hielt im Mai 2012 eine Rede für die Absolventen der University of the Arts in Philadelphia (USA) (http://vimeo.com/42372767, Aufruf 6.6.2012, 9.50 Uhr – vielen Dank für den Hinweis an Bernd Ziegenbalg, Geschäftsführer Raufeld Medien in Berlin). Er sagte dabei, immer mehr der publizistischen Erwerbstätigkeit werde „Freelance Work“, also Honorararbeit als mehr oder weniger Selbständiger. Das sei bei aller Unübersichtlichkeit sogar systematisch zu verstetigen, wenn man drei Bedingungen erfülle: die Beiträge müssten gut sein, man selbst ein leicht zu handhabender Typ und die Lieferungen pünktlich. Genaugenommen reichten jeweils sogar zwei der drei Anforderungen: Auftraggeber würden es tolerieren, wie nervend man sei, wenn nur die Arbeit gut und die Lieferung pünktlich ist. Sie würden auch Unpünktlichkeit vergessen können, wenn die Arbeit gut ist und sie Dich, den Freelancer, mögen. Und schließlich müsse man auch gar nicht so hervorragend sein, wenn man zumindest nett und pünktlich erscheine.

3.) Nach jahrelangen Debatten hat im Mai 2012 ein neues Gesetz zur Pressefreiheit in Deutschland die parlamentarischen Hürden Bundestag und Bundesrat mehrheitlich genommen. Es trägt die Handschrift der Regierungskoalition und wird von Vertretern der Journalistenverbände kritisiert: Beispielsweise Ulrich Janßen, Vorsitzender der dju in ver.di, sagt, es handele sich um ein „Gesetz zum Versuch, die Pressefreiheit wenigstens ein bisschen zu fördern.“ Vor allem versäume das Gesetz, Journalisten als Träger von Berufsgeheimnissen anzuerkennen, wie das weiterhin für Abgeordnete, Geistliche oder Rechtsanwälte gilt. Eine gewisse Verbesserung sieht Janßen darin, dass Journalisten nun nicht mehr wegen „passiven Geheimnisverrates“ verfolgt werden dürften, also nicht mehr der Beihilfe zum Geheimnisverrat beschuldigt werden dürften, wenn ihnen brisantes Material von Informanten zugespielt wird. Im Falle „aktiven Geheimnisverrates“, also wenn Journalisten selbst aktiv werden und sich brisantes Material besorgen, bleiben die bisherigen Sanktionen bestehen (vgl. MMM 3/2012, S.4).

4.) Der Linken-Parteitag am Wochenende in Göttingen war auch für ein sprachkritisches Kaleidoskop ergiebig:
Gerd Joachim von Fallois sagte am 2.6. um 19.20 Uhr auf „Phönix“ zum Verhältnis der Linken-Politiker Gregor Gysi und Oskar Lafontaine: „Das Tischtisch ist zerstritten“. Solche Bonmots gehen natürlich weg wie frisch zerstritten Brot. Oder wie es der Sprachkritiker Karl Kraus gesagt hätte: Den Journalisten mache aus, keinen eigenen Gedanken zu haben und das dann auch noch schlecht auszudrücken.
Bei „Stern online“ hieß es, gleichsam intern plural und in voller Pressefreiheit (von der Wahrheit): „(Die neue Vorsitzende Katja) Kipping wird keinem der beiden Flügel zugerechnet (…). Die 34-jährige, die dem Reformflügel der Partei zugerechnet wird, gewann die Abstimmung auf dem Parteitag in Göttingen gegen die 63-jährige Hamburger Fraktionschefin Dora Heyenn.( http://www.stern.de/politik/deutschland/parteitag-der-linken-kipping-und-riexinger-sind-die-doppelspitze-1835747.html, Aufruf am 2.6., 23.58 Uhr). Und wenn der „Stern“ Kipping selbst gefragt hätte, wäre vermutlich noch eine dritte Position herausgekommen.

Journalismus-to-go: Wer oder was muss gehen?

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> Blog vom 11.1. „Journalismus-to-go“: Wer oder was muss gehen?
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> Die Wendung „Journalismus-to-go“ fand ich dieser Tage beim Schriftsteller und Satiriker Wiglaf Droste (http://www.herrenzimmer.de/2012/01/09/geiselhaft/., Aufruf 11.1.2012, 14.45 Uhr). Droste fiel auf, dass bei „Spiegel online“ davon die Rede war, Bundespräsident Christian Wulff habe sowohl „sein Land“ als auch „die Öffentlichkeit“ in „Geiselhaft“ genommen durch sein Lavieren in der Kredit- und Medienaffäre. Der Befund des Kritikers dagegen: die Kollegen seien „schwatzhaft“, wenn sie so von „Geiselhaft“ reden – gleichsam durch den Wulff gedreht: „Ist es nicht immer wieder erstaunlich, mit welchem Weihrauch im Ton Journalisten das Ausfüllenkönnen von Bewirtungsquittungen schon für Schreiben ausgeben?“ Neben der journalistikwissenschaftlichen Bestimmung von „Journalismus-to-go“ als durch raum-zeitliche Entkoppelungen per Internet und Mobilkommunikation geprägtem (siehe bei den Kollegen Neuberger oder Kretzschmar u.a. unter http://www.zeppelin-university.de/deutsch/lehrstuehle/Bilandzic/Publikationen_vorZU_Kretzschmar_eb.pdf, Aufruf 11.1.2012, 14.55 Uhr) kann ich dem Terminus hier mindestens drei neue Seiten abgewinnen: Solcher Journalismus wird wie der entsprechende Café schnell produziert und soll leicht konsumierbar sein. Er kann dazu beitragen, Leute hoch- oder runterzujazzen, auch zum Gehen oder eben Rücktritt zu zwingen. Und er mag bei kritischen Nutzern wie Droste bewirken, dass die sich abwenden – einfach weggehen. Ganz schön viel herauszulesen aus solchem Kaffee-Satz.
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> Was „Bild“ angeht (von der kluge Köpfe wie Wolfgang Storz und Hans-Jürgen Arlt mit guten empirischen und theoretischen Gründen schreiben – siehe http://www.otto-brenner-shop.de/publikationen/obs-arbeitshefte/shop/drucksache-bild-eine-marke-und-ihre-maegde-ah-67.html, Aufruf 11.1.2012, 21.04 Uhr -, dass es dort gar nicht um Journalismus gehe, sondern mittlerweile praktisch ausschließlich um Kampagnen von Öffentlichkeitsarbeit, Werbung und Marketing), ist es schon verblüffend, wie wenig der oberste Gralshüter der Pressefreiheit hierzulande, Kai Diekmann, gefragt wird, warum er das Thema „Anruf des bösen Wulff“ nicht zeitnah Mitte Dezember selbst und unzensiert publik machte. Die Medienjournalistin Ulrike Simon schreibt (BLZ 11.1.2012, S.26): „Nun steht Bild als Blatt da (…), mit dem sich andere Medien solidarisieren. Dieser Wert ist höher zu schätzen als jede Werbung, jede Auflagensteigerung, jedes Plus bei Online-Visits und jeder Aufstieg auf Platz irgendwelcher Rankings über die meistzitierten Medien. Wer Kai Diekmann kennt, weiß, wie spitzbübisch er sich darüber freuen kann.“ Und die Werbung könnte Christian Wulff hinterher rufen – „BILD dir ein, du wärest Bundespräsident“.
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> Facebook dreht weiter auf und damit dem einstigen Marktführer „VZ“ hierzulande weiter das Wasser ab: Die US-basierte Kommunikationsplattform des Mark Zuckerberg (http://kress.de/mail/tagesdienst/detail/beitrag/114064-featured-stories-facebook-platziert-werbung-im-newsfeed.html, Aufruf 11.1.2012, 21.19 Uhr) führt Werbung im Newsfeed, dem Hauptnachrichtenstrom der Nutzer, ein. Die Werbemeldungen sollen „Featured Stories“ heißen und nicht wie geplant „Sponsored Stories“, womit vermutlich noch mehr Nähe zum Journalismus simuliert werden soll. Anders als bei traditioneller Werbung dürfte der Inhalt der „Featured Stories“ nicht einfach aus einer vom werbenden Unternehmen formulierten Botschaft bestehen, sondern aus „Interaktionen“ von „Freunden“ mit dem jeweiligen Unternehmen. Solche „Featured Stories“ können Unternehmen, Organisationen oder Personen buchen. Laut Facebook sollen die meisten Nutzer nur eine Werbemeldung pro Tag in ihrem Newsfeed sehen. Ganz abschalten lässt sich laut Mediendienst „kress“ die Werbung nicht, jedoch können Nutzer einzelne Beiträge ausblenden. Man muss es eben mögen oder „liken“, dass der reine Adressen- und Datenverkauf anscheinend nicht ausreicht als Geschäftsmodell.
> 4.
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> Und noch eine sprachkritische Fußnote zu „Dancing with Wulffs“, im Text von Reuters am 10.1.: „Die Diskussion über Bundespräsident Christian Wulff hat dem Staatsoberhaupt einer Umfrage zufolge in den vergangenen Tagen in der Bevölkerung Zustimmung gekostet“. Da schien mir ein schwerwiegender Fehler enthalten – wir diskutierten in der Redaktion anhand von Duden, Bertelsmann und Spellcheck. Ich erinnerte mich dann schließlich des Hamlet-Satzes von William Shakespeare (oder seinem Ghost-Writer): „Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als Eure Schulweisheit sich träumen lässt“. Denn was vor einigen Jahren noch klar falsch gewesen sein mag, ist heute zumindest auch richtig. Das dürfte auch Christian Wulff oder Kai Diekmann trösten, sofern sie „Trost-to-go“ nötig haben.
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Hühnchen-Rupfen mit Mark Zuckerberg

  1. Traurige Nachrichten für Trauerredner – der Bundestag hat den Zugang zur Künstlersozialkasse (KSK) eingeschränkt, in der sich auch selbständige Journalisten in Sachen Rente, Gesundheit und Pflege paritätisch versichern können. 2006 noch hatte das Bundessozialgericht diese Berufsgruppe der Trauerredner auch zu der Gruppe von Künstlern und Publizisten gezählt, die mündliche oder schriftliche Beiträge an eine wie auch immer begrenzte Öffentlichkeit richten und sich daher in der KSK relativ sinnvoll versichern können sollen. Die KSK versichert derzeit (vgl. Berliner Zeitung, 8.12.2011, S.30) etwa 170.000 Menschen, vom Zauberer bis zum Show-Eiskunstläufer. In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl der Versicherten vervierfacht. Nicht zuletzt deshalb, weil Journalisten kaum noch fest angestellt werden, sondern viele von ihnen mehr oder weniger selbständige Erwerbsformen finden (müssen). Ihrerzeit hatte die Bundesregierung aus SPD und FDP diese Kasse auf den Weg gebracht (Gesetz von 1981). Vielleicht auch, um die Multiplikatoren und Meinungsführer in den Reihen der selbständigen Medien-Profis sozial etwas besser abzusichern. Praktisch für viele der Publizisten und Künstler ist, dass sie ähnlich wie Angestellte die Hälfte ihrer Beiträge bezahlen – die andere Hälfte kommt derzeit zu 30 Prozent von den Verbänden der Verwerter und Auftraggeber, zu 20 Prozent aus einem Bundeszuschuss – dieser lag 2010 bei etwa 150 Millionen Euro. Und wer darf zum Leidwesen der Trauerredner künftig (ab 2012) laut Bundestag und dem veränderten Künstlersozialgesetz als Publizist gelten? Nun, „wer als Schriftsteller, Journalist oder in ähnlicher (bisher: anderer) Weise publizistisch tätig ist oder Publizistik lehrt“. Traurig, aber wahrscheinlich: der Redner schreibt nach seinem Auftritt noch schnell einen Essay in seinem Blog – dann wäre er wohl schon wieder „Publizist“. Schade, dass die sozialen Ressourcen immer mehr unter Druck geraten – oder eben gesetzt werden.
  2. Das gibt den Datenschutz-Affen natürlich wieder billigen Zucker: Ziemlich private Bilder von Facebook-Chef Mark Zuckerberg waren dieser Tage ziemlich öffentlich zu sehen (www.focus.de, Aufruf am 8.12.11, 15.15 Uhr). Der Firmengründer mit einem Huhn in der Hand und ähnlich persönliche Dinge. Die Bilder waren vom Meister selbst als privat markiert – aber anscheinend gab es eine kleine Lücke im sonst ja doch perfekten Datenschutz bei Facebook: Nutzer hatten erklärt, wenn man Bilder melde, die Nacktheit oder Pornografie enthielten, liste Facebook weitere, gerne auch private Bilder des Verdächtigen auf, um den Sachverhalt zu überprüfen. Ein Sprecher der Firma sagte, es handle sich um einen Fehler bei einem Update. Es könne sich aber nur um einen kurzen Pannen-Zeitraum gedreht haben. Doch selbst in den USA gibt es offenbar Kulturpessimisten, die mittlerweile Facebook kritischer sehen und darauf drängten, dass sich das markt-führende soziale Netzwerk nach langem Rechtsstreit mit der US-Handelskommission FTC (Federal Trade Commission) darauf verpflichtete, die Privatsphäre der Nutzer besser zu schützen. Noch besser?
  3. ARD und ZDF wollen anscheinend, dass man nicht erst mit den dritten (Zähnen oder Programmen) besser sieht und daher näher an die jüngeren Nutzer heran: Radio Bremen soll für Jugendliche eine Tages-Webschau produzieren (kress.de, Aufruf am 8.12.2011, 15.27 Uhr). Ausgestrahlt werden dürfte die Sendung ab Frühjahr 2012 zunächst für sechs Monate im nicht gerade ein Massen- oder Jugendprogramm seienden Fernsehkanal „Eins Extra“, aber auch auf den Internetseiten von Jugend-Radiowellen wie “Fritz“, über soziale Netzwerke und auf mobilen Endgeräten. Das ZDF sieht sich in einer nächsten Phase seiner Internet-Offensive und weitet mit „heute journal plus“ sein Nachrichtenangebot besonders für Hybrid-Fernseher (TV und Internet in einem Gerät) aus. Schauen wir mal! (vgl. BLZ 7.12.2011, S.30)
  4. Ein Blick durch das sprachkritische Kaleidoskop sagt uns heute, dass laut Berliner Zeitung (25.11., S.16) Occupy-Anhänger einen großen Hörsaal der Berliner Humboldt-Universität besetzt hätten: „An die Fenster haben sie Banner gehangen, darauf steht: „Kein Sex mit Bologna“.“ Das mag sexy formuliert sein. Aber hat die Autorin des Beitrages hier nicht ihr journalistisches Fähnlein zu sehr in den sprachlichen Wind – gehangen?