Mehr beitragen, weniger senden!

Brauchen wir „Das Erste“ der ARD? Dieser Tage hat ja der CDU-Kultusminister von Sachsen-Anhalt, Rainer Robra (bis 1990 Niedersachsen), die Existenzberechtigung von „Das Erste“ (Programm der ARD) überraschend deutlich infrage gestellt. War das ein schon spezielles Blinken (oder Blinkern) in Richtung AfD? Oder lässt sich ein rationaler Gehalt in des Konservativen populärer Medienschelte rekonstruieren? Der Branchendienst „meedia“ weist hier – wohl unfreiwillig – auf einen Kern des schwarzen Pudels hin (http://meedia.de/2017/10/17/tagesschau-ueberfluessig-kanzlerduell-und-hollywood-filme-ins-zdf-cdu-minister-aus-sachsen-anhalt-fordert-radikalen-ard-umbau/Aufruf am 19.10.2017, 22.07 Uhr):

„Allein dies wäre eine interessante Frage: wie würden die Politiker in Berlin reagieren, wenn man ihnen mit der „Tagesschau“ die mit Abstand größte und reichweitenstärkste Bühne nehmen würde, ihre Politik zu erklären.“

Wenn es so sein sollte, wie „meedia“ hier die Lage vermutlich sachlich zu beschreiben meint, dann wäre die „tagesschau“ genau jenes Sprachrohr vor allem der herrschenden Politiker, das Leute vom Schlage Gaulands (und Robras?) in ihr zu sehen vorgeben. Nein, es sollte eben nicht Aufgabe von „tagesschau“ & Co. sein, dass die Mächtigen „ihre Politik erklären“ dürfen. Sondern, dass wir Journalisten möglichst unabhängig informieren und Beiträge zur Meinungsbildung bieten, dass wir kritisieren und kontrollieren sowie wichtige Tendenzen unserer Gesellschaft artikulieren. Steht unter anderem in den 16 deutschen Landespressegesetzen. Also exemplarisch objektivieren durch Perspektivenwechsel, durch Transparenz, durch Außenreferenz, durch Vielfalt der Verantwortlichen und der Mitarbeiter, durch Vielfalt der Themen, Meinungen und Darstellungsformen.

And now for something completely different, wie es ja bei Monty Python so schön heißt:

Hier mein aktueller Mailwechsel mit der Redaktion der bundesweit reichweitenstärksten politischen Talksendung, „Anne Will“, zu sehen sonntags nach dem Krimi in jenem „Das Erste“, dass CDU-Robra erklärtermaßen abschaffen will:

25.9. :
Sehr geehrte Redaktion von „Anne Will“, habe gerade gelesen beim Handelsblatt, dass Ihr Vertrag mit der ARD bis 2020 verlängert wurde! Gratulation!

Umso wichtiger mein Anliegen: Ich kann nicht verstehen, warum bei der gestrigen Sendung Ihres Formates wieder einmal ALLE nunmehr im Bundestag vertretenen Parteien präsent waren – mit einer Ausnahme: Es fehlte erneut jemand von „Die Linke“. Obwohl ja sechs Plätze in der Runde vorhanden waren. Keine Ahnung, weshalb schon wieder Hans-Ulrich Jörges Gast der Sendung war. „Die Linke“ ist nunmehr zum dritten Male in Folge bei einer Bundestagswahl (2009, 2013, 2017) stärker als die Grünen – leider findet das auch und gerade in den uns allen verpflichtet sein sollenden öffentlich-rechtlichen Medien kaum angemessenen Ausdruck. Erbitte als Journalistik-Wissenschaftler und journalistischer Kollege freundlichst Ihre Antwort – bleiben wir gemeinsam dran und beste Grüße: Sebastian Köhler.

Am 26.09.2017 um 11:58 schrieb die dortige Zuschauerredaktion:

Sehr geehrter Herr Köhler,
Vielen dank für Ihre Mail. Zu Ihrer Frage bezüglich der Gästeauswahl:
Die Sendung „Anne Will“ am Wahlabend war eingebunden in eine umfassende ARD-Wahlberichterstattung. Im Anschluss an die „Berliner Runde“ mit allen sieben im Bundestag vertretenden Parteien, war der Anspruch der Sendung, den Zuschauern eine Analyse der Wahlergebnisse zu liefern und einen Ausblick auf das, was diese Ergebnisse für die Zukunft bedeuten könnten. Dafür hat die Redaktion die Parteien mit den höchsten Gewinnen und Verlusten eingeladen und die Parteien, die die theoretische Chance haben, eine künftige Bundesregierung zu stellen. Dazu gehört „Die Linke“ nicht, sie wird aber sicher in einer der kommenden Sendungen wieder vertreten sein. Die Redaktion achtet sehr genau darauf, dass in der Summe der Sendungen eine faire und angemessene Einladungspraxis alle relevanten Meinungen zu Wort kommen lässt.
Mit freundlichen Grüßen,
Ihre ANNE WILL – Zuschauerredaktion

Ich schrieb dann am 1.Oktober Folgendes:

Sehr geehrte Redaktion von „Anne Will“, zwei Fragen:
1.) Warum senden Sie Kritikern Ihrer Sendung vom 24.9. (die monierten, dass kein Vertreter der Linken dabei war, obwohl sonst ALLE Fraktionen des neuen Bundestages vertreten waren plus Herr Jörges) offenbar diesselbe vorgefertigte Antwort? Ich habe von mehreren Bekannten mitbekommen, dass Sie also anscheinend einen identischen Text versenden, der weder inhaltlich überzeugt noch irgendwie auf den jeweiligen Einzelfall der Kritik eingeht. Das ist sehr schade und zeugt leider nicht davon, dass Sie es mit dem Feedback der Nutzer und mit Ihrem Feedback darauf besonders ernst nähmen.

Wenn Sie allerdings so viele kritische Äußerungen „von links“ bekommen haben sollten, dass Sie nicht jede Kritik einzeln beantworten konnten – nun, dann sollte das für Ihre Redaktion erst recht ein Grund für ernsthafte Selbstkritik sein.

2.) Woraus sich direkt Frage zwei ergibt: Wieso war in Ihrer heutigen Sendung WIEDERUM kein Vertreter des bisherigen Oppositionsführers Linkspartei anwesend? Falls Sie antworten wöllten, dass auch die AfD diesmal nicht vertreten war – das machte es nicht besser! Täuscht der Eindruck, dass namentlich die Bündnisgrünen und die FDP seit Monaten und auch an Tagen wie diesen über jedes vernünftige Maß hinaus präsent sind auch in Ihrer Sendung? Gemessen an ihren Wahlergebnissen?

Erbitte nunmehr dringend Ihre möglichst differenzierte Antwort und nicht schon wieder eine kaum überzeugende pauschale Massen-Abfertigung!

Mit freundlichem Gruß: Sebastian Köhler

Am 11.10.2017 um 19:01 schrieb ich dann:

Erbitte endlich eine Antwort von Ihnen – mfG: Sebastian Köhler

Und siehe da, schon einen Tag später, am 12.10.2017 um 16:59, erwiderte die Zuschauerredaktion:

Sehr geehrter Herr Köhler,

es handelte sich bei unserer Antwort um eine redaktionelle Stellungnahme, die wir deswegen selbstverständlich mehrfach verschickt haben. Wenn Sie diese als „kaum überzeugende pauschale Massen-Abfertigung“ wahrnehmen, so ist das bedauerlich, es ändert aber nichts an unserer Positionierung zu diesem Thema. Wir kündigten in dieser Stellungnahme auch an – was Ihre zweite Frage betrifft – dass demnächst wieder ein Vertreter der Linken in der Sendung zugegen sein werde, was in Gestalt von Herrn Gysi in der letzten Sendung auch der Fall war.

Mit freundlichen Grüßen, die ANNE WILL Zuschauerredaktion

Woraufhin ich am selben Tag schrieb:

Sehr geehrte Redaktion von „Anne Will“, Danke für Ihre Antwort.

Ich finde es wichtig (als Verteidiger des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im dualen System), dass Sie auf sachliche Kritik der Bürgerinnen und Beitragszahler auch möglichst konkret eingehen – (mangelndes) Feedback ist meines Erachtens einer der Hauptaspekte des aktuellen Wandels im Journalismus.

Insofern lassen Sie uns bitte gemeinsam dranbleiben im Interesse gelingender Kommunikation in unserer Gesellschaft!

Mit freundlichem Gruß: Sebastian Köhler

Darauf gab es, nicht sehr überraschend, leider keine Antwort mehr bis dato. Dennoch liegt es mir fern, die Abschaffung des „Ersten“ zu fordern. Allerdings gibt es gerade bei den öffentlich-Rechtlichen, im Großen wie im Kleinen, einen beträchtlichen Reformbedarf. Wahrscheinlich sogar mehr als nur den. Auch darüber müsste möglichst öffentlich und vielfältig diskutiert werden. Können die öffentlich-Rechtlichen nicht zuletzt dazu deutlich Besseres beitragen als bisher? Das wäre überhaupt ein gutes Motto, finde ich, für jeden von uns und erst recht für die öffentlich-rechtlichen Anstalten: Mehr beitragen, weniger senden!

2.) Noch ganz kurz eine Prise Sprachkritik im Kaleidoskop: „CDU-Regierungschef Günther warnt CSU vor Jamaika-Sondierungen“, schrieben verschiedene Medien am 27.9.2017 (siehe unter anderem https://newstral.com/de/article/de/1075975226/cdu-regierungschef-jamaika-erfordert-zur%C3%BCckhaltung-der-csu; Aufruf am 19.10.2017, 22.42 Uhr). Mit den Präpositionen ist es oft ein vertracktes Ding im Deutschen – „Ich warne Dich vor etwas“ ist in der Regel weder räumlich noch zeitlich gemeint, sondern sachbezogen. Hier aber wird es, entgegen den Erwartungen, zeitlich gemeint – und ist damit „vor“ allem eines: ziemlich verwirrend. Wie ginge es besser? „Vor Beginn der Jamaika-Sondierungen warnt Günther die CSU“ zum Beispiel.

Das nächste Mal bitte im Container!

1.) War es angemessen seitens der Behörden, das Foto der Vierjährigen, die laut BKA Opfer schlimmsten sexuellen Missbrauches war und weiter in großer Gefahr schwebte, als Fahndungshilfe zu veröffentlichen? Es war immerhin der Staatsanwaltschaft zufolge das erste Mal in Deutschland, dass dieser Weg einer Fahndung nach einem Mißbrauchsopfer und nach dem Täter gegangen wurde (siehe unter anderem Hier geht es zur Seite der Berliner Zeitung, Aufruf am 11.10.2017, 18.30 Uhr). Staatsanwaltschaft, Polizei und ein Richter haben damit ein Tabu gebrochen – und viele Medien machten mit. War das angemessen seitens der Redaktionen? Generell lautet ein wichtiger Einwand (zumindest gegen Medien als Co-Fahnder), dass durch solche quotenträchtigen Veröffentlichungen regelmäßig auch Menschen in Verdacht und Verruf geraten, die mit der Straftat gar nichts zu tun haben.

Das Netz vergisst wenig

Das schnelle Ergreifen eines laut Polizei dringend Tatverdächtigen aus dem Umfeld des Kindes scheint Behörden und Medien in diesem aktuellen Einzelfall recht zu geben. Schnell wurde dann auch allseits gebeten, die Fotos des Mädchens nun wieder zu löschen. Aber: Die Bilder sind viral im Netz unterwegs (über das Darknet hinaus) und entwickeln dort ein Eigenleben. Der Aufruf auf der BKA-Seite mit den Fotos war fast 400.000 Mal genutzt worden, bei Facebook sogar rund eine Million mal.

Ich fürchte, nach dem Leiden unter dem Täter wird das Mädchen sein Leben lang weiterhin auch von diesen Bildern verfolgt werden. Datenschutzbeauftragte weisen daher in solchen Lagen darauf hin, dass es auch anders ginge – und meines Erachtens gehen sollte: Die entsprechen Aufnahmen könnten in einem eigenen sogenannten Container auf der Internetseite der Ermittler abgelegt werden. Auf diesen Container mag dann auf allen Plattformen verwiesen werden. Sollen die Aufnahmen schließlich gelöscht werden, wird der Container geschlossen, und die Aufnahmen sollten aus dem Netz verschwinden. Das ist sicher etwas mühsamer (und weniger quotenträchtig) als das einfache Kopieren und Weitergeben, sollte aber den Aufwand wert sein (vgl. u.a. Hier geht es zur Seite der Lausitzer Rundschau, Aufruf am 11.10.2017, 18.40 Uhr).

2.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Im oben erwähnten Artikel aus der „Berliner Zeitung“ findet sich auch folgender Absatz: „Es sei das erste Mal gewesen, dass man den Weg einer öffentlichen Fahndung nach einem Missbrauchsopfer gegangen sei. Allerdings gebe es auch regelmäßig Schulfahndungen, bei der gezielt einer bestimmten Gruppe Fotos gezeigt würden. Dies geschehe aber eben nicht öffentlich.“.

In Übereinstimmung (mit den Regeln)

Ein Fallbeispiel des leider zunehmenden Problemes (mit) der Kongruenz, also der Übereinstimmung. Kongruenz (lateinisch congruentia „Übereinstimmung“) meint in der Sprachwissenschaft die Übereinstimmung von Satzteilen in bestimmten grammatischen Merkmalen. Wichtiges Beispiel im Deutschen ist die Übereinstimmung von Subjekt und Verb in den Merkmalen Person und Zahl (Numerus). „Schulfahndungen“ im Hauptsatz ist ein Wort in der Mehrzahl, und dann muss auch der Platzhalter dafür im Nebensatz im Plural stehen: …“bei DENEN (nicht: der) gezielt (…) Fotos gezeigt würden.“

AfD und kein Ende

1.) Medienkritisch interessant: In einem Interview wird der Soziologieprofessor Holger Lengfeld von der Uni Leipzig von der SZ befragt (http://www.sueddeutsche.de/kultur/abgehaengte-bevoelkerungsgruppen-afd-waehler-sind-nicht-wirtschaftlich-sondern-kulturell-abgehaengt-1.3675805, Aufruf am 22.9.2017, 13.30 Uhr)

Was würden Sie den Medien raten, um wieder an Glaubwürdigkeit zu gewinnen?

Die Antwort des Soziologen kann ich gut nachvollziehen: „Überlegen Sie, inwiefern Ihre Berichterstattung beeinflusst ist durch das, was Sie politisch und gesellschaftlich selbst denken. Dann ist die Chance größer, dass Berichterstattung unparteiischer ausfällt. Bringen Sie mehrere Perspektiven, auch von Menschen, die ganz andere Wertevorstellungen haben. Gar nicht so lange nach der Flüchtlingskrise, schon im Herbst 2015, kam es bei Journalisten zu Selbstreflektionen. Damals waren die Medienberichte voll von der Hilfsbereitschaft der Deutschen, und dann hat man durch das Erstarken der AfD bei den Landtagswahlen plötzlich bemerkt, dass man ein Phänomen übersehen hat. Viele Medienschaffende waren als Bürger sehr stark mit der Hilfsbereitschaft einverstanden und wollten darüber berichten. Wenn man die Ressentiments übersieht und da nicht mehr hinguckt, kommt es zu Problemen.“

Weit weniger kann ich seine Argumente nachvollziehen zum Thema, wo die offenkundige Unzufriedenheit von AfD-Wählern herkommt. Die SZ fragte in dieser Richtung:

Wie sieht das historisch aus? Wurde der „kleine Mann“ oder auch einfach der unzufriedene Bürger in früheren Jahrzehnten weniger übersehen? Gibt es da einen Wandel?

Der Soziologe antwortet: „Man darf die Steuerungsfähigkeit der Politik nicht überschätzen. Das Kleine oder Große am Mann oder der Frau wird im Bereich der Wirtschaft entschieden. Die Politik kann nur an den Verteilungsverhältnissen etwas ändern. In Westdeutschland wurde mit dem Wirtschaftswunder seit Mitte der 50er Jahre immer spezifischer versucht, unterschiedlichste Lebenslagen materiell zu unterstützen. Deshalb kann ich nicht erkennen, dass der kleine Mann früher mehr Beachtung bekommen hat als heute. Was sich geändert hat, sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die die Politik kaum beeinflussen kann. Wenn etwas woanders deutlich billiger hergestellt wird, endet die Steuerungsfähigkeit.“

Das erscheint mir als eine Art Bankrotterklärung des Soziologen: Wenn der Bereich der Wirtschaft vom Bereich des Politischen und damit auch der Demokratie derart getrennt (betrachtet) wird, dann könnte man wohl sagen, dass es VW-Chef Müller oder Siemens-Chef Kaeser ziemlich egal sein dürfte, wer unter ihnen Kanzler ist – ob nun Merkel oder Schulz. Und dann muss man sich über Politikverdrossenheit, Wahlmüdigkeit oder eben AfD-Wählen nicht wundern.

Verzerrt

2.) Zur aktuellen Sprachkritik in meinem Kaleidoskop: Die AfD und ihr Wahlergebnis sind in vieler Munde, auch in dem von ZDF-Moma-Moderatorin Dunja Hayali. Frau Hayali sagte am Tag nach der Bundestagswahl, die AfD habe „auf Anhieb“ oder auch „aus dem Stand“ ihre 12,6 Prozent Zweitstimmenanteil erreicht. Wieso das? Die Partei war bereits bei der Wahl davon angetreten, hatte 2013 mit 4,7 Prozent allerdings den Einzug in den Bundestag verpasst. Sonst müsste man auch sagen, die FDP habe „aus dem Stand“ ihre 10,7 Prozent erreicht. Und auch das stimmt offensichtlich nicht. Mein Vorschlag: Die AfD weder ignorieren noch skandalisieren, sondern im informationsbetonten Bereich des Journalismus (im Unterschied zum meinungsbetonten) sachlich das Angemessene vermitteln. Und wie zur Illustration dieses Problemes sagt Frau Hayali am Freitag, 29.9., „die AfD will die Kanzlerin vor einen Untersuchungsausschuss zerren“. Hallo – wieso „zerren“? Das ist ein extrem wertendes Verb. Warum nicht „bringen“, was relativ sachlich wirkt? Oder meinetwegen auch „zitieren“, schon wertender. Aber „zerren“, sorry, das verzerrt doch jede Objektivierung in solchem Kontext.