Wer leistet (sich) hier was?

1.) Angela Merkel sprach „Google“ und „Facebook“ nicht direkt an während ihrer Rede zur Eröffnung der Medientage in München (http://www.handelsblatt.com/unternehmen/it-medien/medientage-in-muenchen-merkel-fordert-mehr-transparenz-von-internetplattformen/14739656.html., Aufruf am 26.10.2016 um 13.39 Uhr). Aber sie sagte immerhin, dass die großen Plattformen sich mit ihren Algorithmen zunehmend „zum Nadelöhr für die Vielfalt der Anbieter“ entwickelten. Dies könne erhebliche wirtschaftliche Folgen für andere Medien haben und deren Existenz bedrohen. Und in der Tat: Google und Facebook, die beiden großen Internet-Konzerne, werden seit Jahren immer wieder aufgefordert, sich nicht zuletzt an der Finanzierung von Journalismus nachhhaltig zu beteiligen.

Capitalism reloaded

Die aktuelle Einschätzung des EU-Kommissars für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft, Günther H. Oettinger (ebenfalls von der CDU), scheint klar (vgl. http://www.inforadio.de/programm/schema/sendungen/medienmagazin/201610/68277.html; Aufruf am 26.10.2016): Vor allem Google generiert Milliarden mit Inhalten europäischer Verlage. Vielen Nutzern scheint das „kostenlose“ Angebot an Snippets (Nachrichtenschnippseln) von automatisierten Aggregatoren wie eben „Google News“ zu reichen. Ein europäisches Leistungsschutzrecht soll nun laut Oettinger den Verlagen endlich garantieren, ihr angemessenes Stück vom Kuchen zu bekommen. Der Kommissar: „Kapitalismus von heute heißt: Werbestrategien von Onlineplattformen“. (Und er bedeutet, denke ich, sicher auch die darüber hinausgehende Sammlung und den Verkauf von Daten). Doch Verlage profitieren insofern bereits von Google, da viele Nutzer über die Suchergebnisse den Weg zu Inhalten auf den Verlagsplattformen (und der dortigen Werbung oder eben den Bezahlschranken) finden.
Besonders intensiv wird zur Zeit mal wieder über ein europäisches Leistungschutzrecht diskutiert, das vor allem gegenüber Google finanzielle Ansprüche geltend machen könnte, da die Suchmaschine schließlich mit Verlagsinhalten Milliarden Werbeerlöse erzielt. Das hierzulande bisher bestehende Leistungsschutzrecht funktioniert kaum. Verlage geben Google Gratislizenzen, um in den Suchmaschinenergebnissen zu bleiben. Weltweit sollen die Medienkonzerne andererseits momentan etwa 10 Milliarden Euro pro Jahr durch Google-Werbung zusätzlich in die Kassen bekommen.

Globalisierung als Problem

Ich denke, dass auch ein solches Recht als soziale Errungenschaft am ehesten international oder global durchzusetzen wäre, um weltweite Wegtauch-Bewegungen (wie bei der tradierten „Steuervermeidung“) vom „scheuen Reh“ (dem Kapital) zu verhindern. Globale Konzerne müssten meines Erachtens durch globale Politik, Kultur und Recht reguliert werden, wenn das überhaupt gelingen soll. Last but not least: Wer erbringt die Leistungen? Vor allem wir Journalisten. Wir sind die „Arbeitgeber“, die Konzerne und Leitungsebenen doch eher „Arbeitsplatzgeber“, falls wir in dieser Medienwelt von Selbständigkeit und Scheinselbständigkeit noch von „Arbeitsplätzen“ reden wollen. Diese Leistungen der Journalisten sollten Oettinger, Merkel & Co. besser schützen, zum Beispiel mit Blick auf die Mehrfach- und Endlosverwertungen unserer Leistungen oder auch hinsichtlich prekärer (werdender) Arbeitswelten. Statt dessen spricht die Kanzlerin in München darüber, dass feste Arbeitsverhältnisse für die nötige Flexibilität in der Branche doch eher hinderlich seien. Tolle Leistung!

Anti-europäisch oder EU-skeptisch?

2.) Sprachkritisch fiel mir in den Tagesthemen vom 13.10. im Beitrag zum Tod von Literaturnobelpreisträger Dario Fo folgender Satz von Korrespondent Richard C. Schneider auf: „In den letzten Jahren schloss er sich der anti-europäischen Fünf-Sterne-Bewegung an“. Das finde ich doppelt überzogen: Fo & Co. hatten die EU gemeint und insbesondere deren Politik sowie Spitzenpersonal. Und „anti-“ scheint mir auch zu schwarz-weiß gemalt und würde als schlichte und schlechte Gegenthese dem Dialektiker Fo kaum gerecht. Warum nicht einfach „EU-kritisch“ oder „EU-skeptisch“ texten? Weil es zu komplex klänge? Wäre schade und dann doch leider wieder ziemlich von oben herab geschrieben. In dem Falle nicht nur auf Fo und seine Mitstreiter hinabgeschaut.

Keineswegs wortlos

1.) Medienkritisch spannend: Texte und Texten bleiben wichtig. Angesichts der hohen Wertschätzung für Video-Beiträge sind die Ergebnisse des Meinungs- und Medienforschungsinstitutes Pew Research (Washington D.C) bemerkenswert, über welche gerade das ebenfalls renommierte Nieman Journalism Lab an der Harvard University berichtet (http://www.niemanlab.org/2016/10/younger-adults-prefer-to-get-their-news-in-text-not-video-according-to-new-data-from-pew-research/Aufruf am 12.10.2016, 13.15 Uhr). Junge Erwachsene (18 bis 29 Jahre alt) scheinen demzufolge weiter (oder wieder) Worte gegenüber Bewegtbild als Nachrichtenmedium nicht nur zu schätzen, sondern sogar zu bevorzugen:

pew_2016

Nur 38 Prozent der jungen Erwachsenen geben an, Videonachrichten zu bevorzugen. 42 Prozent hingegen sagen, sie präferierten Text (meist „natürlich“ online). Immerhin (die restlichen) 19 Prozent ziehen das Hören vor (Radio, Podcast, Audio). Bei der Gesamtbevölkerung hingegen liegt News-Video (TV, Plattformen) mit 46 Prozent vorne, aber eben auch nur mit relativer Mehrheit gegenüber Lesen und Hören. Insgesamt meines Erachtens ein neues Plädoyer für (mehr) Vielfalt bei Produktion und Nutzung von Nachrichten sowie in der professionellen (Aus-)Bildung dafür.

Terrorzugriff in LE?

2.) Sprachkritisch aktuell: Am 10.10. hieß bei n-tv im Ticker-Text (Inserteinblendung) mit Blick auf Meldungen über die Festnahme eines syrischen Verdächtigen: „Terrorzugriff in Leipzig“.

Zwei Fragen – die erste ist einfach zu beantworten: Wenn, dann meinte man sicherlich „Antiterrorzugriff in Leipzig“.

Die zweite ist komplexer: Inwiefern muss hier ständig schon von „Terror“ geredet werden? Das Wort (und sein Wortfeld) ist sehr emotionalisierend und wertend. CNN zum Beispiel schrieb von „explosive suspect“, was im Deutschen mit „Sprengstoff-Verdächtiger“ auch noch nicht sehr lang ist und den Stand der Dinge meines Erachtens besser trifft als „Terror-Verdächtiger“ oder gar „Terrorist“. Wenn Quellen aus deutscher Politik oder Polizei oder Geheimdiensten das hingegen so sagen – o.k., dann sollten wir Journalisten das aber mit Quellenangabe zitieren, wie vor 15 Jahren den vom damaligen US-Präsidenten George W. Bush erklärten „War on Terror“, also seinen „Antiterrorkrieg“.

Schmäh-Kritik und Einheits-Gegröle?

1.) Medienpolitisch wichtig dieser Tage sicher der Entscheid aus Mainz in Sachen „Schmähkritik und Böhmermann“ (vgl. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/verfahren-gegen-jan-boehmermann-eingestellt-14465948.html; Aufruf am 5.10.2016, 12.30 Uhr): Die Ermittlungen gegen den ZDF-Moderator Jan Böhmermann wegen dessen „Schmähgedichts“ über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan wurden eingestellt. Wie die Staatsanwaltschaft Mainz mitteilte, seien „strafbare Handlungen nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachzuweisen“. Der TV-Satiriker und Grimme-Preisträger Böhmermann hatte sein Gedicht „Schmähkritik“ Ende März in seiner Sendung „Neo Magazin Royale“ vorgetragen.

Ermächtigung zur Strafverfolgung

Die Staatsanwaltschaft hatte wegen Verdachts auf Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts ermittelt. Dabei ging es zum einen um den Strafantrag Erdogans wegen Beleidigung nach Paragraph 185 des Strafgesetzbuches. Zum anderen hatte die Bundesregierung ihre – durchaus umstrittene – Ermächtigung zur Strafverfolgung wegen des Vorwurfs der Beleidigung von Vertretern ausländischer Staaten nach Paragraph 103 StGB erteilt (der nun laut Regierung ja abgeschafft werden soll). Parallel dazu soll aber noch eine Privatklage Erdogans gegen Böhmermann am 2. November in Hamburg vor Gericht kommen. Dort dürfte es darum gehten, dass der türkische Präsident anscheinend erreichen will, den gesamten Text verbieten zu lassen. Auf seinen Antrag hatte das Hamburger Landgericht bereits im Mai eine einstweilige Verfügung gegen Böhmermann erlassen. Der ZDF-Moderator darf demnach den größeren Teil seines Gedichts nicht wiederholen.

Insbesondere zeigte sich die Mainzer Staatsanwaltschaft nicht sicher, ob Böhmermann Erdogan vorsätzlich beleidigt habe. Dagegen könnte nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft sprechen, dass der Beitrag als Beispiel für eine Überschreitung der Meinungsfreiheit dienen sollte.

Sodomie und Pädophilie?

Mit seinem Gedicht über Erdogan wollte Böhmermann nach eigenen Angaben den Unterschied zwischen in Deutschland erlaubter Satire und verbotener Schmähkritik aufzeigen. Der Text handelt unter anderem von Sex mit Tieren und Kinderpornografie und transportiert außerdem Klischees über Türken.

Daniel Krause, Verteidiger Jan Böhmermanns im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Mainz, kommentierte: „Die Staatsanwaltschaft hat rechtsstaatlich entschieden und jedem politischen Druck widerstanden. Das verdient Hervorhebung und Respekt.“ Der Rechtsanwalt Christian Schertz, der den Moderator in den vom türkischen Präsidenten angestrengten Zivilverfahren vertritt, kritisierte in seiner Stellungnahme Kanzlerin Merkel: „Anders als etwa die Bundeskanzlerin, die offenbar in Unkenntnis des genauen Sachverhalts ihren Regierungssprecher die satirische Nummer von Herrn Böhmermann sogleich pauschal als ‚bewusst verletzend‘ bewerten ließ, noch dazu gegenüber einer ausländischen Regierung, hat die Staatsanwaltschaft erkannt, dass man das Gedicht nicht solitär betrachten kann, sondern es in dem Gesamtkontext seiner Einbindung beurteilen muss.“

Die Bewertung der künstlerischen Arbeit Böhmermanns durch die Bundeskanzlerin stelle „nicht nur eine Kompetenzüberschreitung und eine nicht hinzunehmende Verletzung der verfassungsmäßigen Gewaltenteilung dar, sondern kam einer öffentlichen Vorverurteilung gleich, die umso schwerer wiegt, als dass sie von der türkischen Regierung als Ermutigung aufgefasst werden konnte, straf- und zivilrechtlich gegen Herrn Böhmermann vorzugehen.“

Sehr positives Echo vielerorten

Die ZDF-Spitze, die im Frühjahr meines Erachtens noch eingeknickt war vor etwaigem politischen Druck, begrüßte nun lautstark die Einstellung der Ermittlungen. „Das ist eine gute Nachricht“, erklärte Intendant Thomas Bellut. Ähnlich äußerte sich Frank Werneke, Mitglied des ZDF-Fernsehrats und stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Verdi, und ergänzte, es sei ein Fehler der Bundesregierung gewesen, dem Ersuchen der türkischen Regierung zur Strafverfolgung Böhmermanns überhaupt nachgegeben zu haben.

Der Deutsche Journalisten-Verband zeigte sich ebenfalls erfreut. Damit sei „klar, dass in Deutschland die Satirefreiheit einen höheren Stellenwert besitzt als die Ehrpusseligkeit eines Autokraten“, sagte der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall. Die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen erklärte, der Staatsanwaltschaft müsse man danken: „Im Gegensatz zur vorverurteilenden Bundeskanzlerin Merkel verteidigt sie die Kunst- und Pressefreiheit in Deutschland gegen den türkischen Präsidenten Erdogan, einen erklärten Feind der Pressefreiheit.“ Und in der Tat – die türkische Führung hatte erst dieser Tage wieder mehrere TV-Kanäle aus dem Satellitenangebot nehmen lassen, wegen mutmaßlicher Gefährdung der nationalen Sicherheit (siehe http://www.heise.de/tp/artikel/49/49581/1.html, Aufruf am 5.10.2016, 12.37 Uhr)

2.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Im RBB-Inforadio sagte am 3.10.2016 um 13.07 Uhr der live aus Dresden zugeschaltete Reporter Karsten Wolf angesichts von lautstarken und heftigen Protesten gegen Merkel, Gauck & Co. auf dem Weg zum Einheitsfeier-Gottesdienst: „Und diese Leute grölten ihre Parolen“.

Sachlich oder meinungsbetont?

Ich denke, solche Worte könnten in einem Kommentar als meinungsbetonter Darstellungsform fallen – aber kaum in einem informationsbetonten Beitrag. Voltaire (1694-1778), einer der großen Aufklärer, soll ja geäußert haben, er teile bestimmte Meinungen ganz und gar nicht, gäbe aber sogar sein Leben dafür, dass sie geäußert werden könnten. Die Redeweise „Und diese Leute grölten ihre Parolen“ hat auch mit etwaiger journalistischer Einordnung wenig zu tun – es ist eine stark abwertende Äußerung. Natürlich hat laut Artikel 5 Grundgesetz die Meinungsfreiheit auch hierzulande ihre Grenzen, nämlich in den Bestimmungen der entsprechenden Gesetze und insbesondere in den Regeln zum Schutze der Jugend sowie der persönlichen Ehre. Aber solange sich Demonstranten im Rahmen dessen bewegen, was (vielleicht gerade noch) erlaubt zu sein scheint, sollte der Berichterstatter doch versuchen, relativ sachlich zu bleiben. Und nicht zugleich „Scharfrichter“ sein wollen.
Das heißt nun, dialektisch betrachtet, überhaupt nicht, dass die Damen und Herren Petry und Meuthen, Gauland und Höcke etc. in mittlerweile gefühlt jeder Talkshow etc. gehypt werden müssten. Wir Journalisten sollten einfach professionell-distanziert mit ihnen umgehen – das heißt prinzipiell auf Augenhöhe (wie mit allen Menschen) und nicht weiterhin ziemlich von oben herab.