Klartext und Klarnamen

Von Sebastian Köhler

1.)    Der bekannte Facebook-Kritiker und hauptberufliche Datenschutzbeauftragte des Landes Schleswig-Holstein, Thilo Weichert, hat ein internationales Einschreiben mit Rückschein an Facebook-Boss Mark Zuckerberg geschickt. Darin wird Facebook laut Mediendienst kress (http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/119384-wegen-verfuegungen-zur-klarnamenpflicht-facebook-wirft-weichert-steuergeld-verschwendung-vor.html, Aufruf am 19.12.2012, 10.31 Uhr) verpflichtet, „für natürliche Personen, die in Schleswig-Holstein Telemedien unter www.facebook.com nutzen möchten“, sicherzustellen, dass sie sich anstelle der Eingabe von Echtdaten unter Eingabe eines Pseudonyms registrieren können. Konten registrierter Personen, die wegen des Grundes der Nichtangabe oder der nicht vollständigen Angabe ihrer Echtdaten bei der Registrierung gesperrt seien müssten entsperrt werden. Dazu müsse Facebook die Nutzer vor der Registrierung „in einfacher, verständlicher und leicht zugänglicher Form sowie in deutscher Sprache“ über die Möglichkeiten der Registrierung unter Angabe eines Pseudonyms unterrichten. Sollte Facebook den „Anordnungen“ nicht innerhalb von zwei Wochen nachkommen, werde gegen den Konzern ein Zwangsgeld in Höhe von 20.000 Euro verhängt. Facebook verstoße gegen das deutsche Telemediengesetz, wenn es sich weigere, pseudonyme Konten zuzulassen, heißt es in einer Stellungnahme des Unabhängigen Landeszentrums Schleswig-Holstein (ULD). Dieses Regelung in § 13 Abs. 6 TMG stehe mit europäischem Recht in Einklang und diene u. a. dazu, im Internet die Grundrechte und insbesondere das Grundrecht auf Meinungsfreiheit zu wahren. Der Gesetzgeber habe damit klargestellt, dass sich Nutzer von Internetdiensten wie Facebook dort weitgehend unbeobachtet und ohne Angst vor unliebsamen Folgen bewegen können. Ein Facebook-Sprecher sagte hingegen der dpa: „Wir sind der Ansicht, dass die Verfügungen vollkommen unbegründet und eine Verschwendung deutscher Steuergelder sind.“ Facebook werde energisch dagegen vorgehen. Das Unternehmen agiere konform mit europäischen Datenschutzbestimmungen. Es liege in der Hand der Dienstleister, also von Facebook selbbst, Geschäftsbedingungen bezüglich Anonymität festzulegen. Facebook habe schon immer eine Klarnamenpolitik verfolgt, „weil wir glauben, dass die Verwendung der wahren Identität eine bestimmte Sicherheit mit sich bringt, und dass unsere Nutzer von dieser Sicherheit profitieren“, so der Sprecher. Profitieren ist natürlich ein gutes Stichwort ….
2.)    Im „Tagesspiegel“ hat sich dapd-Investor Ulrich Ende, 60, über die Fehler der Vergangenheit und die Zukunft der Nachrichtenagentur geäußert. Ende sagte, er sehe sich eher als Journalist denn als Investor. Die dapd sei in den vergangenen zwei Jahren auf eine wirtschaftlich unsinnige Weise aufgebläht worden. „Aber dass es mit der dpa quasi eine genossenschaftliche, allumfassende erste Kraft gibt und sich dahinter alle anzustellen haben, das kann doch auch nicht sein , was der deutsche Journalismus will“, sagte Ende und machte damit deutlich, dass Konkurrenz hier auch weiter das Geschäft beleben soll. (vgl. http://www.tagesspiegel.de/medien/nach-der-insolvenz-unsinnig-aufgeblaeht/7533642.html, Aufruf am 19.12.2012, 10.40 Uhr).
3.)    Auch angesichts der aktuellen Entwicklungen bei Facebook oder N24 wird die Frage wichtiger, woher der Journalismus als professionelles, als für soziale Demokratisierung besonders relevantes Berufsfeld seine ökonomischen Ressourcen beziehen soll. Und zwar als Problem der „schwierigen Finanzierung des Journalismus“, wie es die Wiener Medienökonomin Marie-Luise Kiefer formuliert. Systematisch und historisch kann demzufolge der Journalismus von den Medien und insbesondere von den tradierten Massenmedien unterschieden werden (Kiefer spricht sogar von „Trennung“). Zwar schienen beide über Jahrhunderte symbiotisch verbunden, doch hebt sich der Journalismus von den Medien als demokratisch „fundamentale Institution“ ab. Als Alternative vor allem zur privatwirtschaftlichen Finanzierung und damit Verwertung des Journalismus lässt sich für eine öffentliche Finanzierung dieser Institution plädieren. Das verlangt – nicht zuletzt im Unterschied zu den entprofesionalisierenden Tendenzen zum Beispiel des Bloggens, des Bürgerjournalismus oder des service-orientierten Vermischens von Journalismus und PR – laut Kiefer nach einer gewissen „Formalisierung“ des Journalismus in Richtung erneuerter Professionalisierung, als konzern- UND staatsferner sozialer, selbstverwalteter Organisation. Das wirft mehr Fragen auf, als es Antworten gibt – aber allein die Suche nach neuen Geschäftsmodellen (Kosten senken, Einnahmen steigern) scheint mir deutlich zu kurz gesprungen.
4.)    Und noch eine Prise oder Sur-Prise Sprachkritik im Kaleidoskop: Im ZDF-Teletext, Tafel 140, war am 12.12.2012 um 21.45 Uhr zu lesen: „(Hugo Chávez) ist bekannt für seine US-feindlichen Bemerkungen“. Da eine ähnliche Formulierung in der Art „George W. Bush ist bekannt für seine Venezuela-feindlichen Bemerkungen“ genauso wahrscheinlich hätte produziert werden können, wollen wir hier nicht mit etwaigen ZDF-feindlichen Äußerungen Öl (und schon gar nicht aus Venezuela) ins mediale Feuer gießen. Aber im Ernst: Sollten Nachrichtenredaktionen nicht besser texten: „Er ist bekannt für seine kritischen Äußerungen gegenüber der US-Regierung“? Denn weder scheint es Chávez gegen die gesamten USA (insbesondere nicht gegen die „normale“ US-Bevölkerung) zu gehen, noch wäre „feindlich“ ein relativ sachliches Attribut, sondern ein doch ziemlich stark wertendes.

Was kostet die Welt? Und was will die Pedal-Polizei?

Von Sebastian Köhler

1.) Journalistische Beiträge waren seit langem (spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts) durch ihren widersprüchlichen Doppelcharakter als Kulturgut und als Ware bestimmbar (worauf unter anderem aufgeklärte Medienökonomen wie Klaus-Dieter Altmeppen oder Marie-Luise Kiefer hinweisen, vgl. mein Blog vom 16.11.2010). Diese Beiträge bleiben daher wesentlich „Werbeträger“, also Mittel zum Zweck, möglichst kaufkräftige Publika massenhaft und dennoch zielgenau zu erreichen bzw. überhaupt erst zu produzieren. Doch die bisherige, überwiegend privatwirtschaftliche Finanzierung des Journalismus ist selbst aus ökonomischer Sicht ein „sehr spezielles Arrangement“ (siehe KIEFER 2011 – Kiefer, Marie-Luise: Die schwierige Finanzierung des Journalismus. In: M & K – Medien- und Kommunikationswissenschaft, Herausgegeben vom Hans-Bredow-Institut Hamburg, Heft 1/2011, S.5-22.), das zudem mittlerweile auch von klassisch-liberalen Ökonomen infragegestellt wird, was die „allokative Effizienz“ angeht: Denn die Auswahl der Inhalte und Formen folgt „weniger der Wertschätzung des Publikums als den Zielgruppenpräferenzen der Werbewirtschaft“. Immer problematischer wird, dass journalistische Beiträge zu gelingender gesamtgesellschaftlicher Kommunikation als öffentliche „Güter“ oder „Dienstleistungen“ (KIEFER 2011-19) zwar Finanzierungen bedürfen, diese über hochkonzentrierte Märkte als „Refinanzierungsmechanismus jedoch nicht ausreichend erreicht werden“ könnten.

Lässt sich Journalismus mehr als Zweck denn nur als Mittel zum Zweck neu bestimmen? Also: Wofür wird er gesellschaftlich selbst benötigt, außer dafür, mit ihm Geld verdienen oder Macht erhalten zu können? Mittlerweile zeigen sich auch überzeugte Betriebswirte wie Medienberater Peter Littger oder der Leiter Digitale Medien bei der „NZZ“ Peter Hogenkamp nach dem Durchdeklinieren dreier versuchter Geschäftsmodelle der Online-Monetarisierung wie Paid Content, Werbefinanzierung oder umfassender Versandhandel (wie bei der „Bild-Bibel“) nicht mehr gänzlich abgeneigt gegenüber Vorschlägen in Richtung einer „Journalismus-Flatrate“ als allgemeiner Abgabe, wohin gehend ja seit Jahren auch Vorschläge von z.B. Jürgen Habermas diskutiert werden (siehe NDR-Sendung „Zapp“ vom 28.11.2012).

2.) Weiter beim Durchdeklinieren neuer oder eben alter Geschäftsmodelle bleibt Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende der Axel-Springer AG: Die dort erscheinende Tageszeitung „Die Welt“ startete am Mittwoch ihr angekündigtes Bezahlmodell für das Internet. Nunmehr werden laut Meldung von Reuters (11.12.12, 8 Uhr) auf der Seite „welt.de“ für einen Nutzer 20 Artikel kostenlos pro Monat sein, ab dem 21. angeklickten Beitrag greift ein Bezahlsystem ähnlich einem Abonnement. „Wir suchen nach einem Geschäftsmodell für die digitale Welt“, hatte Döpfner am Montagabend bei der Vorstellung des Projekts in Berlin gesagt: „Wir wollen, dass Qualitätsjournalismus ein Geschäftsmodell bleibt.“ Der bei Springer für die „Welt“-Gruppe und Technik verantwortliche Vorstand Jan Bayer betonte, bei den Werbeerlösen sei welt.de bereits erfolgreich, „nun wollen wir die Vertriebserlöse als zweite Säule ausbauen“. Die „Welt“ ist die erste überregionale Tageszeitung in Deutschland, die für ihren Internet-Auftritt ein Bezahlsystem einführt. „Wir werden an Reichweite verlieren“, räumte Romanus Otte, der bei der „Welt“-Gruppe für den digitalen Auftritt verantwortlich ist, ein. „Nervös machen wird uns das aber nicht.“ Auch Bayer betonte, das Bezahlsystem bei „welt.de“ sei ein langfristiges Projekt: „Es geht uns nicht um schnelle Erfolge.“ Die Startseite bei welt.de bleibt den Angaben zufolge kostenfrei. Artikel, auf die von Suchmaschinen, sogenannten sozialen Netzwerken oder anderen Seiten verlinkt wird, können demnach ebenfalls weiter kostenlos gelesen werden. Und Abonnenten einer Zeitung der „Welt“-Gruppe erhalten unbegrenzt freien Zugang. Zahlen zu den Erwartungen an das Bezahlsystem wollten Springer-Vertreter nicht nennen. Döpfner räumte ein, dass die Skepsis darüber groß sei, ob das Projekt ein Erfolg werde. Offen scheint, wie andere Nachrichten-Portale wie „Spiegel Online“ auf den Vorstoß reagieren. Bei Springer gibt es zudem bereits Pläne, auch bei „Bild.de“ eine Art Bezahlschranke einzubauen. Der Start dazu ist im nächsten Jahr geplant. Erwartet wird, dass der Zeitpunkt der Einführung mit dem Erwerb der Internet-Rechte für die Fußball-Bundesliga ab der nächsten Saison in Zusammenhang steht.

3.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Die Märkische Allgemeine (MAZ), seit 1.1.2012 im Besitz der Mediengruppe Madsack (Hannover), die wiederum laut der Fachzeitschrift „Media Perspektiven“ derzeit das sechstgrößte deutsche Verlagshaus ist (siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Verlagsgesellschaft_Madsack, Aufruf am 12.12.2012, 20.04 Uhr), hatte in ihrer Extra-Ausgabe vom 27.10.2012 auf Seite 1 die große Überschrift: „Pedalpolizei will Rad-Rowdys stellen“. Gleich zwei schöne Alliterationen, also Sprachspiele mit Wörtern, die den gleichen Anfangsbuchstaben haben, zumal klingt es treffend lautmalerisch – was gäbe es da noch zu diskutieren? Nur die Sache selbst – denn was die vier Beamten wirklich wollen, das darf und soll ihr Geheimnis bleiben. Wir können nicht in deren Köpfe hineinschauen. Worauf sich Journalisten zumal im Bereich der Nachrichten konzentrieren sollten, ist das, was intersubjektiv beobachtbar ist, also hier konkret: was gesagt wurde. Und dann wird es in der Tat ziemlich einfach: „Pedal-Polizei: Wollen Rad-Rowdys stellen“ Ist nur drei Zeichen länger, aber neben der Form sollte dann auch noch der Inhalt stimmen, oder?

Kleinfabriken und Giganten

Von Sebastian Köhler
1.) Das Nutzen sogenannter sozialer Netzwerke (diese Namensgebung ist ein genialer PR-Coup, denn was gibt es Besseres als „sozial“ und „Netzwerken“) dient gerade auf Geschäfts-Plattformen wie Facebook z.B. laut dem Züricher Medienforscher Felix Stalder der Verschleierung neuer Macht- und Ausbeutungsverhältnisse. Denn verschleiert wird durch die weiterhin bestehende Augenhöhe, also Horizontalität auf Seiten der vielen Nutzer, dass gleichzeitig neue, hochgradig vertikale Machtzentren auf Eigentümer- und Managementseiten entstehen (vgl. mein Blog vom 9.5.2012). Das sieht der aufgeklärte Konservative Frank Schirrmacher, einer der FAZ-Herausgeber, ähnlich: Er kritisiert es als „Ideologie von Netzintellektuellen“, dass sich jede und jeder selbst ermächtige als „Stimme öffentlicher Meinung und individueller Partizipation“ (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/zukunft-des-journalismus-das-heilige-versprechen-11970610.html#Drucken. Aufruf am 29.11.2012, 08.26 Uhr.). Das Problem betriebswirtschaftlich beschränkter Aktualisierungen aus viel reicheren Spektra kulturell-technischer Möglichkeiten beschreibt auch Schirrmacher angesichts der „eminenten intellektuellen und kreativen Potentiale“. Die werden aber nicht annähernd in ganzer Bandbreite verwirklicht, weil angesichts der gesamtgesellschaftlichen Kapitalisierung „ökonomisch total erfolglose geistige Kleinfabriken“ einerseits und neue „industrielle Giganten“ wie Google, Facebook, Amazon oder Apple andererseits einander gegenüberstehen. Ideologisch behauptet wird ein kulturell.-technologischer Determinismus, sozial wirkt aber vor allem betriebswirtschaftliche Konzentration bis hin zu neuen Monopolisierungstendenzen. Schirrmacher: „Die Technologie ist nicht in der Lage, die partizipativen und emanzipatorischen Prozesse auszulösen, die in der Betriebsanleitung versprochen wurden“ . Wir kommen darauf zurück.

2.) Derzeit findet in Dubai der Weltgipfel der Internationalen Fernmelde-Union (ITU) mit Vertretern beinahe aller Länder der Erde statt. Auf der Tagesordnung stand eine Überarbeitung der internationalen Telekommunikationsregulierungen, die bisher im wesentlichen aus dem Jahre 1988 datierten, also rund 25 Jahre alt waren und vor allem aus der Vor-WWW-Zeit stammten. Staaten wie Russland, China und einige Schwellenländer wollten per Konferenzbeschluss zumindest einige der globalen Internet-Verwaltungsaufgaben künftig an die UNO-Sonderorganisation ITU übergeben sehen. Bislang war dafür weitestgehend die in den USA ansässige ICANN als sogenannte „Nichtregierungsorganisation“ zuständig. Der US-Delegation in Dubai nun gehörten auch Vertreter von – durch ihre eigentümliche Netznutzung enorm profitierenden – Großkonzernen wie Google und Microsoft an. Delegations-Leiter Terry Kramer sagte (siehe Tageszeitung junge Welt vom 4.12.2012, S.9), unterschiedliche Regeln für den Umgang mit dem Internet in den verschiedenen Ländern müssten mit allen Mitteln verhindert werden: Denn solche Regulierungen öffneten „die Tür für eine Zensur der Inhalte“. Dagegen äußerte der Chefstratege der ITU, Alexander Ntoko, das sei „Propaganda“: Konzerne wie Google zeigten sich nur deshalb so beunruhigt, weil es ihnen um die Bewahrung ihrer Geschäftsmodelle gehe (siehe „Freiheit für wen?“ In: Der Spiegel, Heft 49/2012, S.84ff.). Google fuhr – ähnlich wie bei seinem Kampf gegen ein Leistungsschutzrecht in Deutschland – eine Kampagne unter dem Label von offener Welt und Freiheit für alle auf verschiedenen seiner Netz-Kanäle. Dabei durfte auffallen, dass Google nicht irgendeine Weltmacht ist, sondern auch laut Spiegel über beispiellose Meinungsmacht und Kampagnenfähigkeit verfügt, die alle nationalen oder auch supranationalen Grenzen sprengen. Das öffentlichkeitswirksame Novum: Konzerne wie Google oder auch Facebook versuchen immer erfolgreicher, für ihre „ureigenen Geschäftsinteressen“ (vgl. ebd.) auch und gerade die Nutzer einzusetzen. Es geht um das „Crowdsourcing“ der konzern-eigenen Lobby-Arbeit, um „Graswurzel-Lobbying“ (ebd.). Der hier ausgerufene Kampf gegen Zensur ist vor allem einer der Verteidigung der eigenen Geschäftsfreiheit und damit einer zugunsten der eigenen „monopolartigen Markt- und Meinungsmacht“.

3.) Statt Emanzipation der vielen und ihrer Teilnahme und Teilhabe am Netzverkehr läuft Wesentliches der globalen Digitalisierung auf neue Beschränkungen und Festlegungen der Nutzer auf bloße Konsumenten-Rollen hinaus: FAZ-Herausgeber Schirrmacher sieht statt Partizipation vor allem „Belohnungssysteme“ und „Empfehlungsbuttons“ (SCHIRRMACHER 2012). Soziales Verhalten und soziale Beziehungen (in ihrer Subjektivität und Intersubjektivität) werden zur Ware und daher möglichst mehrfach und zugleich maximal als Daten verwertet. Schirrmacher: „Interessanter als die Frage, was das neue iPhone100 kann, ist die Frage, welchen weiteren Aspekt sozialen Verhaltens Apple damit vermarkten kann“.
Die Kapitalverhältnisse expandieren unter den Labels des „social networking“ in extensiver und intensiver Richtung. Man könnte daher auch eine neue, längere Welle innerhalb des fünften „Kondratjew-Zyklus“ (informationstechnologisch geprägter globaler Kapitalismus seit ca. 1990) bestimmen. Ein wichtiger Aspekt dabei scheint die vermehrte Einbeziehung von „Selbstausbeutung“ (Schirrmacher) oder eben Ausbeutung sozialen Netzwerkens bzw. Netzverkehrs, sofern Gewinn als Profit wesentlich durch die Aneignung des von anderen/durch andere geschaffenen Mehrwertes, also in der Ausbeutung fremder Arbeit entsteht und verwirklicht wird. Mit Blick auf die Öffentlichkeiten mit ihrem symbolisch-generalisierten Medium der Aufmerksamkeit lässt sich in neuer Weise von einer „Aufmerksamkeitsökonomie“ (Schirrmacher) sprechen: Die Ökonomisierung als Kapitalisierung eignet sich sowohl tradierte als auch neue Felder von Öffentlichkeit an und unterwirft sie ihren Zweck- und Maßbestimmungen. Mit Habermas könnte dies auch als Kolonialisierung neuer und weiterer lebensweltlicher Bereiche gelesen und kritisiert werden. Klar scheint, wer von einer „Atomisierung“ (Schirrmacher) öffentlicher Diskurse am meisten profitiert und noch mehr profitieren würde. Dagegen bedarf es auch laut Frank Schirrmacher Debatten über wirtschaftliche Interessen und ökonomische Modelle, und dagegen bedarf es, darüber hinaus, Debatten über Wiederbelebungen und Neubelebungen von Politik und Kultur, von Politiken und Kulturen im Lokalen, Regionalen, Nationalen und Internationalen bis zum Globalen, um angesichts möglicher Vielfalt nicht der Betriebswirtschaft allein die Welt, die Öffentlichkeiten und den Netzverkehr zu überlassen.

4.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Moderatorin Irina Grabowski sprach im RBB-Inforadio am Morgen des 25.5.2012: „Für den Fiskalpakt ist die Bundesregierung bei der Abstimmung im Bundestag auf die Stimmen der Opposition angewiesen.“. Wieso mit bestimmtem Artikel? Auch für die Annahme dieses Gesetzes wäre es in einer parlamentarischen Demokratie merkwürdig, wenn 100 Prozent der Abgeordneten zustimmen müssten. Es ist kein Geheimnis, dass in diesem Falle genau zwei Drittel der Stimmen benötigt wurden. Da stimmte also etwas nicht in der Formulierung der Journalistin ….