Über Hasskommentare nur mal reden, aber Handlungsfähigkeit simulieren wollen

1.) Bei „Zeit Online“ hieß es mit Blick auf die neuen Regeln, die Justizminister Heiko Maas und seine Task-Force zum Thema „Umgang mit rechtswidrigen Hassbotschaften im Internet“ am Dienstag in Berlin vorstellten: „Besorgte Bürger müssen sich weiter keine Sorgen machen“. Unternehmen wie Facebook und Google sowie zivilgesellschaftliche Organisationen wie die Amadeu-Antonio-Stiftung waren eingeladen, Antworten zum Thema „Hate-Speech“ zu finden. Was genau unter „Hate-Speech“ zu verstehen ist und ob damit eher hasserfüllte Kommentare oder vor allem strafrechtliche relevante Äußerungen zu verstehen sind, die als beispielsweise Volksverhetzung einzustufen wären, bleibt noch immer vage, wie Netzpolitik.org-Chef Markus Beckedahl schreibt ((https://netzpolitik.org/2015/hate-speech-besorgte-buerger-muessen-sich-weiter-keine-sorgen-machen/, Aufruf am 16.12.2015, 18.15 Uhr)

Geschenke für die Großen und die Kleinen

Mit den Ergebnissen können laut Beckedahl nur Facebook und Google zufrieden sein, denn es handele sich um einen eher unverbindlichen Katalog an „Könnte man mal“-Regeln, die weitgehend bereits den Status Quo beschrieben. Maas simuliere Handlungsfähigkeit. „Aber sonst gab es viel heiße Luft um Nichts. Zumindest mit dem Ergebnis kann niemand so richtig zufrieden sein. Es sei denn, man arbeitet für Facebook oder Google. Und die zivilgesellschaftlichen Organisationen bekommen etwas „Anzeigevolumina“, also Anzeigenplätze, von den kommerziellen Plattformen geschenkt.“ Unklar bleibe vor allem, auf welche technische und organisatorische Weise die vermeintliche „Hate-Speech“ blockiert werden solle.

Aber, aber, Herr Chefredakteur!

2.) „Ich glaube daran, dass die OZ auch in Zukunft Erfolg haben wird. Im guten Lokal- und Regionaljournalismus liegt unsere große Chance – in der Printausgabe aber auch in den digitalen Medien. Ich bin auch stolz, in einem so starken Team arbeiten zu können.“ (http://kress.de/mail/tagesdienst/detail/beitrag/133370-madsack-greift-durch-bei-der-ostsee-zeitung-fallen-18-stellen-weg.html, 16.11.2015, 13.27 Uhr). Schreibt laut Branchendienst „kress“ immerhin der Chefredakteur der „Ostseezeitung“ (Madsack-Gruppe Hannover), Andreas Ebel, in einer längeren Mail an seine Mitarbeiter.

Ich bin Medienschaffender aber so richtig schreiben kann ich kaum.

„Aber“ als Konjunktion verlangt nicht immer ein Komma vor sich („Einer von uns muss es aber gewesen sein.“), aber (sic! Wie Bastian Sick!) doch meistens. Denn es ist eine gegenüberstellende oder zumindest einschränkende Konjunktion. Der Satz oben könnte ja vollständig auch lauten: „Keiner bekannte sich zu der Tat, aber einer von uns muss es gewesen sein.“ Da ich aber selbst in Texten von Superhirnen wie Jürgen Habermas auf dieses Phänomen des Weglassens des Kommas vor der Konjunktion „aber“ gestoßen bin, will ich an dieser Stelle nur sagen: „Ja, okay, aber es geht wie so oft im Menschenleben auch anders.“ Ohne Wenn und Aber – auch der Duden lässt hier vorerst keine Spielräume, aber beim Apo´stro´ph schon. Aber das ist eine andere Geschichte.

Wühltisch widerspiegelt worst case?

1.) FAZ-Medienkritikerin Nina Rehfeld sprach von dem „Tiefpunkt“ des US-amerikanischen Fernsehens. Wie am Wühltisch sei es zugegangen in der Wohnung der mutmaßlichen Attentäter von San Bernardino, die zu jenem Zeitpunkt bereits selbst getötet waren.
(http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/wie-amerikanische-nachrichtensender-die-wohnung-der-attentaeter-von-san-bernadino-stuermten-13951366.html, Aufruf am 9.12.2015, 19.13 Uhr)

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Zitiert aus faz.net / AFP – Intime Einblicke: Fotografen im Kampf um die besten Plätze

Vom „skurrilsten Tag der Kabelnachrichten“ sprach man in „Vanity Fair“, als nach dem Attentat Dutzende Reporter vor live geschalteten Fernsehkameras die Wohnung der mutmaßlichen Täter durchwühlten. Laut Rehfeld stellt die Aufgabe jedweder Zurückhaltung bei diesem Gedränge, das Szenen bei einem Schlussverkauf glich, einen neuen Tiefpunkt des US-amerikanischen Nachrichtenfernsehens dar. Angetrieben von Fox News, das als Murdoch-Medium der politischen Correctness den Krieg erklärt und kurzerhand alle Verhaltensregeln suspendiert habe, seien auch die Sender CNN und MSNBC in die Arena durchlauferhitzter Nachrichtenmacher hinabgestiegen. „Action-News“ rund um die Uhr.

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Hier geht es zu einem Ausschnitt – Quelle: You Tube

CNN-Reporterin Stephanie Elam berichtet aus dem Apartment der mutmaßlichen Attentäter.

Die FAZ moniert einen blanken Voyeurismus – mit einer auch nur ansatzweise erhellenden Berichterstattung habe das nichts mehr zu tun gehabt: „Journalismus als Rummelplatz“. Erik Wemple von der „Washington Post“ kritisierte laut faz.net diesen „erbärmlichen Moment des Journalismus“. Selbstverständlich sei der Zugang zu der Wohnung der Attentäter ein Nachrichten-Ereignis, doch sei die Situation für eine Live-Berichterstattung denkbar ungeeignet gewesen. Das Zeigen der Personal-Dokumente sei ein „enormer Regelbruch – das darf man einfach nicht“. Personen auf diese Weise kenntlich zu machen, das könne unvorhersehbare Folgen haben.

Menschen im Mittelpunkt?

Die Reaktion von CNN habe in einem Seitenhieb auf die noch hemmungslosere Konkurrenz bestanden: Man habe eine „bewusste redaktionelle Entscheidung getroffen, keine Nahaufnahmen von sensiblen oder identifizierenden Materialien wie Fotografien oder Ausweisen“ zu zeigen. Der MSNBC-Moderator Chris Hayes habe erklärt, man vergesse in solchen Situationen schon mal, dass es sich bei den Subjekten der Berichterstattung um Menschen handele.

Bei Journalistenkollegen, aber auch bei Strafrechtsexperten war der taz zufolge das Entsetzen über den Vorfall groß (http://www.taz.de/Wohnung-der-mutmasslichen-Attentaeter/!5258259/, Aufruf am 9.12.2015, 20.54 Uhr). Kritik richtete sich hier vor allem gegen Behörden wie das FBI, weil diese die Wohnung (überhaupt oder zu früh?) dem Eigentümer zurück- und damit in gewisser Weise freigegeben hätten.

Wessen Probleme?

Die Bundespolizei FBI verteidigte sich laut taz gegen den Vorwurf, sie habe die Wohnung nicht ausreichend abgeriegelt. Die Beamten hätten in weniger als 48 Stunden ihre wissenschaftlichen Analysen in der Wohnung in Redlands bei San Bernardino entfernt abgeschlossen. Wenn ein Tatort den Besitzern wieder überlassen werde, „dann ist das nicht mehr unser Problem, wer da reingeht“, sagte David Bowdich vom FBI in Los Angeles.

Aber inwiefern den Journalistenkollegen vor Ort einseitig die Schuld geben? Wer als TV-Reporter wo auch immer in der ersten Reihe steht, von dem wird oft erwartet, zumindest nichts zu verpassen – „mit der Welle mitgehen“ ist dabei eine der pragmatischen Orientierungen. Wie wollte man dann solches Verhalten innerhalb sich zuspitzender, kaum regulierter Konkurrenz anders als billig verdammen? Es ist nicht zynisch oder resignierend gemeint – Gesellschaften haben in der Tendenz die Medien, die sie verdienen. Und auch, dass die Kritik von FAZ bis taz die Ereignisse von Redlands im Superlativ als extreme Ausrutscher darstellt, ist schon wieder viel mehr Teil der Probleme als Ansatz zu Lösungen.

Widerspiegeln oder Wiederspiegeln?

2.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Immer wieder stoße ich in journalistischen oder Studierenden-Texten auf den Terminus „wiederspiegeln“. Das Verb heißt natürlich „widerspiegeln“, zählt auch im Duden online zu den rechtschreiblich schwierigen Wörtern (siehe http://www.duden.de/rechtschreibung/widerspiegeln, Aufruf am 9.12.2015, 14.55 Uhr). Klar, es dreht sich hier nicht um „erneut“ oder „zurück“, sondern um „gegen“. Dennoch frage ich mich, ob es nicht kürzer und einfacher geht: Gerade angesichts des Duden-Beispieles „Der Mond hat sich im Wasser widergespiegelt“ – auch hier reicht „spiegeln“ meines Erachtens völlig, „widerspiegeln“ scheint mir hingegen in Richtung von „weißen Schimmeln“, also Tautologien zu gehen, wie die Klassiker „vorprogrammieren“ oder „zusammenaddieren“. Wenn ein Gegenstand gespiegel wird, entstehen die Bildpunkte auf der jeweiligen Gegenseite der Spiegelachse. Insofern hätte tatsächlich nur das (laut Duden gar nicht mögliche) „wiederspiegeln“ einen Informationsgehalt, nämlich dann, wenn jemand oder etwas eben noch einmal gespiegelt würde.

Nicht Königsweg, sondern Schlüssel zum Newsroom-Verständnis

Drei Schlüsselaspekte prägen die digitale Transformation der Newsrooms laut dem Digitalisierungs-Verantwortlichen des BBC World Service, Dmitrij Shishkin (http://blog.wan-ifra.org/2015/11/27/3-key-components-of-the-digital-transformation-of-newsrooms, Aufruf am 2.12.2015, 15.26 Uhr). 1.) digitaler Journalismus, 2.) Entscheidungen auf Daten-Grundlage, 3.) permanente Innovationen

Shishkin geht davon aus, dass derzeit rund drei Milliarden Menschen weltweit das Internet nutzen, 2020 dürften es vier Milliarden sein (was immer noch weniger als die Hälfte der Erdbevölkerung wäre). Die Schwerpunkte beim Zuwachs liegen für Shishkin in den Entwicklungsländern und bei der Mobilnutzung. Für die Newrooms, die Redaktionen von morgen würden Generalisten gebraucht, die den redaktionellen Inhalt genau verstehen, die technisch kompetent sind und die auf der organisatorischen Ebene fähig sind, „to get things done“, also kurz-, mittel- und langfristig konkrete Ergebnisse zu erreichen.

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Kernstück vieler Redaktionen ist mittlerweile ein kombinierter Newsroom. Zugleich laufen aber auch manche Prozesse immer noch oder wieder separat ab, zum Beispiel Auftragsvergabe, Recherchieren, Bild- und Ton-Produktion und Post-Produktion der Beiträge. Das Verständnis für den Gesamtauftritt des Mediums sollte wachsen. Shishkin kritisiert exemplarisch, dass immer wieder Bild- und Tonmaterial zu lange in Speichermedien verschwinde (mit Blick auf eine TV- oder Radiosendung) und es dann auch erst Stunden später online nutzbar sei. Hier müssten die Fähigkeiten, der Horizont der Journalisten erweitert werden. Die BBC versuche seit April 2015 mit ihrer Plattform „BBC Africa Live page“ einen neuen Ansatz – „feed digital platforms as you gather, irrespective of what platform you are on an assignment for“ – der schnelle Web-Output sei sehr wichtig.

Shishkin fordert, Journalisten sollten besessen sein von Daten. Auch wenn kein Rechner-Programm redaktionelle Entscheidungen ersetzen solle, möge das Bauchgefühl künftig eine geringere Rolle spielen. Vor allem sei das bei sehr begrenzten Ressourcen wichtig – „if you are only able to produce 10 pieces of content a day, you really ought to know which ones to go for.“ Wenn zum Beispiel Pageviews klare Nutzertendenzen anzeigen, dann sollte das die Produktion auch bestimmen.

Last but not least – „Innovation is the underlying principle“: Die Nutzer sind kaum einer bestimmten Marke treu: Redaktionen lösen sich tendenziell auf, sie werden weniger direkt angesteuert, und netz-basierte Newsaggregatoren wie Google News oder aber Micropayment-Kioske wie Blendle vermitteln zunehmend Journalismus. Die Nutzer sind vor allem über Plattformen wie Facebook, WhatsApp, Snapchat, Instagram oder Twitter unterwegs, diese gelten ihnen oft auch als Quelle der Nachrichten – wenn nicht sogar „das Internet“. Shishkin empfiehlt, ganz im Sinne von Herbert Marshall McLuhan (The medium is the message), dass die Inhalte zählen, „but interesting treatment and packaging of content matter too.“ Zum Text hinzu kommen, ergänzen oder ersetzen diesen: Bilder, Audios, Videos, Infografiken, One-Foto-Stories, Kurzvideos, Vertikalvideos, Cartoons, Emoticons, interaktive Charts usw. Shishkin sagt – versuche es, miss es, versuche es noch einmal. Wenn es klappe, sei das großartig, wenn nicht, auch gut – dann habe man etwas gelernt. Faszinierend sei die enorme Beweglichkeit der digitalen Medien.

Nicht auf das Komma verzichten, sondern es setzen!

2.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: „Nach den Worten von Frankreichs Ministerpräsident Manuel Valls werden weitere Anschläge nicht nur in Frankreich sondern auch in Europa vorbereitet.“(siehe http://www.handelsblatt.com/politik/international/paris-und-die-folgen-im-newsblog-syrien-ist-die-groesste-terrorismusfabrik-der-welt/12593156.html,Aufruf am 2.12.2015, 18.24 Uhr). Gegenüberstellende Konjunktionen wie „aber“ oder „sondern“ werden in der Regeln durch ein Komma getrennt vom vorhergehenden Satz. „Sondern“ sogar immer, laut Duden: „Eins gleich vorweg: Obwohl es fast von jeder Interpunktionsregel eine Ausnahme gibt, existieren doch ein paar Fälle, die Sie sich für „immer“ merken können. Dazu gehört die Regel, dass vor die Konjunktion sondern immer ein Komma zu setzen ist. Davon gibt es praktischerweise keine Ausnahme. Sondern drückt bekanntlich einen Gegensatz aus. Dieser setzt voraus, dass zuvor etwas verneint wurde, beispielsweise durch nicht oder kein: „Uns fehlen nicht nur Teller, sondern auch Gläser. Das ist kein Hamster, sondern ein Meerschweinchen.“ Wenn die Verneinung nicht explizit vorliegt, darf sondern allerdings nicht verwendet werden: „Das war weniger schlau als vielmehr hinterlistig.“
Nun kommt sie aber doch noch, die Ausnahme. Steht nämlich kaum im ersten Teil, darf der Anschluss dennoch mit sondern erfolgen: „Er hat kaum gearbeitet, sondern nur vor sich hin geträumt.“ Wir hoffen, dies war nun weniger verwirrend als vielmehr erhellend.“ (http://www.duden.de/sprachwissen/sprachratgeber/besonderheiten-von–em-sondern–em-, Aufruf am 2.12.2015, 18.35 Uhr). Kann ich auch nicht besser sagen, sondern nur zustimmen.