Zwischen Himmel und Hölle – gibt es eine „fieseste Redaktion Deutschlands“?

  1. Es gibt weiterhin kein Pressefreiheitsgesetz in Deutschland, denn die parlamentarischen Beratungen in dieser Richtung sind laut Deutschem Presserat leider wieder ins Stocken geraten. Es geht dabei laut dem Sprecher des Presserates, Bernd Hilder (der jüngst deutlich mit seiner umstrittenen, weil offenbar parteipolitisch betriebenen Kandidatur als MDR-Intendant gescheitert war und nun weiter Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung LVZ und zudem eben ehrenamtlich Presseratsstimme ist), vor allem um den Schutz von Journalisten vor strafrechtlicher Verfolgung bei Vorwürfen des Geheimnisverrates. Und zwar in den beiden Varianten der aktiven Anstiftung dazu oder auch der bloßen Weitergabe von passiv erhaltenen Hinweisen aus Insider-Kreisen. Nicht nur dem Presserat zufolge ist es dringend notwendig, dass der Gesetzgeber das Cicero-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom Februar 2007 aufgreift. Damals hatten die Karlsruher Richterinnen und Richter eine staatsanwaltschaftliche Durchsuchung der Redaktionsräume der Monatszeitschrift „Cicero“ in Potsdam als ungerechtfertigten Eingriff in die Pressefreiheit verurteilt. Hintergrund waren Ermittlungen der Justiz seit 2005 wegen der Cicero-Veröffentlichung eines vertraulichen Berichtes des Bundeskriminalamtes (BKA) zur Überwachung eines mutmaßlichen islamistischen Anschlagtäters.
  2. Es gibt weiterhin auch keine „fieseste Redaktion Deutschlands“, zumindest nicht offiziell. Denn der Berufsverband „Freischreiber“ hat die Wahl dazu gestoppt (vgl. BLZ vom 17.10.2011, S.26). Dabei haben freie Journalisten natürlich nicht nur bei den 70 vorgeschlagenen Redaktionen mit Problemen wie Themenklau, verschlechterndes Redigieren oder Niedrighonoraren zu kämpfen.  Besonders schlecht scheint die Lage dabei im Umfeld der drei Redaktionen „Für Sie“, „Spiegel Online“ und „Neon“ zu sein, wie die entsprechenden Vorschläge von der Freischreiber-Basis an den Verband deutlich machten (gelobt wurden übrigens am meisten „Enorm“, „brand eins“ und „P.M.“). Alle Nominierungen sind laut „Freischreiber“ nicht durch Einzelstimmen zustande gekommen. Protest gegen die Ausschreibung des „Hölle“-Preises gab es nicht zuletzt von Neon-Chefredakteur Michael Ebert: Die Vorgehensweise sei unseriös und grenze bald an Rufmord. Auch deswegen wohl haben die Freischreiber ihren Wettbewerb um den Negativ-Preis abgebrochen. Man sei etwas zu mutig gewesen, habe aber eine wichtige, ja notwendige Debatte im deutschen Print- und Onlinejournalismus angestoßen. Ziel bleibt laut Freischreiber-Vorsitzendem Kai Schächtele ein Katalog von Kriterien für eine faire Zusammenarbeit zwischen Redaktionen und Freien. Und 2012 wolle man sich dann doch zwischen „Himmel“ und „Hölle“ bewegen, so, wie die meisten freien Journalisten ja auch.
  3. Und schließlich mein „Kaleidoskop“, worin ich sprachliche Erscheinungen im aktuellen Journalismus versuche, in einem anderen Licht zu betrachten:
    1. Im ARD-Morgenmagazin, in der dortigen Ausgabe der Tagesschau am 14.10., gab es eine NiF, eine Nachricht (oder News) im Film, zum Jahrestag der Rettung chilenischer Bergleute aus der Grube von San José. Der Sprechertext verlautete, Menschen hätten sich „an der heute geschlossenen Grube versammelt“. War das Bergwerk am Tag davor und am Tag danach denn geöffnet? Wie hätte es besser lauten können?
    2. Im RBB-Inforadio wiederum war am Samstag die Rede davon, die  Proteste von „Occupy Wall Street“-Empörten in New York hätten nun auch auf das Viertel am Times Square „übergegriffen“. Wer oder was greift über? Probleme, Konflikte, Krankheiten, ein brutaler Familienvater …. ? Ist das Verb „übergreifen“ bzw. das Substantiv „Übergriff“ so objektivierend wie möglich? Auch hier bleibt die Frage – wie hätten die Kollegen es angemessener formulieren können?

Hühnchen-Rupfen mit Mark Zuckerberg

  1. Traurige Nachrichten für Trauerredner – der Bundestag hat den Zugang zur Künstlersozialkasse (KSK) eingeschränkt, in der sich auch selbständige Journalisten in Sachen Rente, Gesundheit und Pflege paritätisch versichern können. 2006 noch hatte das Bundessozialgericht diese Berufsgruppe der Trauerredner auch zu der Gruppe von Künstlern und Publizisten gezählt, die mündliche oder schriftliche Beiträge an eine wie auch immer begrenzte Öffentlichkeit richten und sich daher in der KSK relativ sinnvoll versichern können sollen. Die KSK versichert derzeit (vgl. Berliner Zeitung, 8.12.2011, S.30) etwa 170.000 Menschen, vom Zauberer bis zum Show-Eiskunstläufer. In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl der Versicherten vervierfacht. Nicht zuletzt deshalb, weil Journalisten kaum noch fest angestellt werden, sondern viele von ihnen mehr oder weniger selbständige Erwerbsformen finden (müssen). Ihrerzeit hatte die Bundesregierung aus SPD und FDP diese Kasse auf den Weg gebracht (Gesetz von 1981). Vielleicht auch, um die Multiplikatoren und Meinungsführer in den Reihen der selbständigen Medien-Profis sozial etwas besser abzusichern. Praktisch für viele der Publizisten und Künstler ist, dass sie ähnlich wie Angestellte die Hälfte ihrer Beiträge bezahlen – die andere Hälfte kommt derzeit zu 30 Prozent von den Verbänden der Verwerter und Auftraggeber, zu 20 Prozent aus einem Bundeszuschuss – dieser lag 2010 bei etwa 150 Millionen Euro. Und wer darf zum Leidwesen der Trauerredner künftig (ab 2012) laut Bundestag und dem veränderten Künstlersozialgesetz als Publizist gelten? Nun, „wer als Schriftsteller, Journalist oder in ähnlicher (bisher: anderer) Weise publizistisch tätig ist oder Publizistik lehrt“. Traurig, aber wahrscheinlich: der Redner schreibt nach seinem Auftritt noch schnell einen Essay in seinem Blog – dann wäre er wohl schon wieder „Publizist“. Schade, dass die sozialen Ressourcen immer mehr unter Druck geraten – oder eben gesetzt werden.
  2. Das gibt den Datenschutz-Affen natürlich wieder billigen Zucker: Ziemlich private Bilder von Facebook-Chef Mark Zuckerberg waren dieser Tage ziemlich öffentlich zu sehen (www.focus.de, Aufruf am 8.12.11, 15.15 Uhr). Der Firmengründer mit einem Huhn in der Hand und ähnlich persönliche Dinge. Die Bilder waren vom Meister selbst als privat markiert – aber anscheinend gab es eine kleine Lücke im sonst ja doch perfekten Datenschutz bei Facebook: Nutzer hatten erklärt, wenn man Bilder melde, die Nacktheit oder Pornografie enthielten, liste Facebook weitere, gerne auch private Bilder des Verdächtigen auf, um den Sachverhalt zu überprüfen. Ein Sprecher der Firma sagte, es handle sich um einen Fehler bei einem Update. Es könne sich aber nur um einen kurzen Pannen-Zeitraum gedreht haben. Doch selbst in den USA gibt es offenbar Kulturpessimisten, die mittlerweile Facebook kritischer sehen und darauf drängten, dass sich das markt-führende soziale Netzwerk nach langem Rechtsstreit mit der US-Handelskommission FTC (Federal Trade Commission) darauf verpflichtete, die Privatsphäre der Nutzer besser zu schützen. Noch besser?
  3. ARD und ZDF wollen anscheinend, dass man nicht erst mit den dritten (Zähnen oder Programmen) besser sieht und daher näher an die jüngeren Nutzer heran: Radio Bremen soll für Jugendliche eine Tages-Webschau produzieren (kress.de, Aufruf am 8.12.2011, 15.27 Uhr). Ausgestrahlt werden dürfte die Sendung ab Frühjahr 2012 zunächst für sechs Monate im nicht gerade ein Massen- oder Jugendprogramm seienden Fernsehkanal „Eins Extra“, aber auch auf den Internetseiten von Jugend-Radiowellen wie “Fritz“, über soziale Netzwerke und auf mobilen Endgeräten. Das ZDF sieht sich in einer nächsten Phase seiner Internet-Offensive und weitet mit „heute journal plus“ sein Nachrichtenangebot besonders für Hybrid-Fernseher (TV und Internet in einem Gerät) aus. Schauen wir mal! (vgl. BLZ 7.12.2011, S.30)
  4. Ein Blick durch das sprachkritische Kaleidoskop sagt uns heute, dass laut Berliner Zeitung (25.11., S.16) Occupy-Anhänger einen großen Hörsaal der Berliner Humboldt-Universität besetzt hätten: „An die Fenster haben sie Banner gehangen, darauf steht: „Kein Sex mit Bologna“.“ Das mag sexy formuliert sein. Aber hat die Autorin des Beitrages hier nicht ihr journalistisches Fähnlein zu sehr in den sprachlichen Wind – gehangen?