Fake News sind kein neues Phänomen. Georg Mascolo, Leiter des gemeinsamen Rechercheteams von SZ, NDR und WDR, verweist auf Desinformationskampagnen der DDR-Staatssicherheit (http://www.sueddeutsche.de/medien/journalismus-fuenf-vorschlaege-fuer-den-umgang-mit-fake-news-1.3413492, Aufruf 29.3.2017, 11.30 Uhr). Mir fallen Kampagnen von 1990 und 2003 ein, als Anlass und Legimation für US-geführte Kriege jeweils gegen den Irak. 1990 war es die „Brutkastenlüge“, es ging um angebliche Tötungen von Säuglingen aus kuwaitischen Brutkästen durch irakische Soldaten (siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Brutkastenl%C3%BCge, Aufruf 29.3.2017, 12.08 Uhr), 2003 dann die „Massenvernichtungswaffen-Lüge“ durch US-Außenminister Colin Powell (http://www.deutschlandradiokultur.de/auf-luegen-gebaut.932.de.html?dram:article_id=236068, Aufruf am 29.3.2017, 12.11 Uhr), als der vor den Vereinten Nationen behauptete, die irakische Führung könne binnen kurzer Zeit schlimmste Waffen einsetzen. Hätten das jeweils wichtige, einflussreiche Medien (besser) wissen können, ja müssen? Es ging doch um nicht weniger als direkt um Fragen von Krieg und Frieden ….
Mascolo machte im Frühjahr 2017 fünf Vorschläge, wie man mit einem alten Phänomen in neuen Zeiten von Facebook, Twitter, Snapchat & Co. umgehen könnte.
1. Desinformation und Fake News als enge Verwandte betrachten
Desinformation wie Fake News meine die gezielten Verbreitungen unzutreffender Informationen.
Sie müssten nicht nur objektiv falsch sein, der Urheber müsse dies auch wissen. Eine bewusste Lüge also. Sie könnten völlig erfunden sein oder durch Auslassungen und Verkürzungen einen bewusst falschen Eindruck erwecken.
Doch verkürzen und vereinfachen Journalisten (insofern wie alle Menschen) nicht immer? Können wir die „ganze Wahrheit“, die „vollständige Realität“ vermitteln? Viel wichtiger erscheint mir weiterhin bestmögliche Objektivierung als offener, als öffentlicher Prozess. Bestimmt durch intersubjektiv überprüfbare Außenreferenz, durch Transparenz (nicht zuletzt der eigenen Interessen und damit Beschränkungen) sowie durch Vielfalt der Themen, Quellen und Darstellungsformen (Stichwort Perspektivenwechsel). Es könnte ja sein, dass „die Anderen“ recht haben.
Mascolo zufolge ist das Mittel gegen Fake News ein Journalismus, der sich der stetigen Beschleunigung entziehe, nach höchsten handwerklichen und ethischen Standards strebe und seine Fehler gegenüber dem Publikum transparent korrigiere. Hilfreich seien auch schnelle Reaktionen von offiziellen Stellen, die Übles und Erfundenes z.B. auf Twitter sofort richtigstellten. Und eine Verpflichtung „der Betreiber“, Ehrenrühriges und Verleumderisches aus dem Netz zu entfernen.
Irrtümer, falsche Einschätzungen, Übertreibungen oder schlechter Journalismus seien noch keine Fake News. Nur wenn Journalisten trotz späteren besseren Wissens erkannte Fehler nicht korrigierten, werde aus einem Irrtum eine Lüge. Journalismus lebe von sorgfältiger Abwägung und doppelter Überprüfung, Vereinfachung ist auch laut Mascolo notwendig, dürfe aber „die Substanz“ nicht verändern (aber wie gesagt: wenn es so einfach wäre, „die Substanz“ immer schon zu kennen – zumal global und intergenerationell, also in Raum und Zeit hinaus möglichst nachhaltig). Die ungeheure Beschleunigung durch ständige Live-Berichterstattung und das Internet jedenfalls ist offenbar riskant.
2. Vorhandene Beweise öffentlich machen
Angesichts von Debatten über etwaige Hacker-Attacken sollten, meint Mascolo, vorhandene Beweise, wo immer sie existierten, öffentlich gemacht werden. „Maximale Transparenz wäre wichtig“, habe dazu etwa Wolfgang Ischinger gesagt, der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz. Die Diskussion kranke an zu vielen Behauptungen und zu wenigen Belegen. Auch Mascolo schreibt, Propaganda-Verdacht gegen die russische Führung sei keine „Smoking Gun“, also kein Beweis dafür, dass der Kreml die AfD groß machen oder Kanzlerin Merkel stürzen wolle. Mutmaßliche Hacker-Angriffe ließen sich schwer zurückverfolgen, wer dahinterstecke, werde auch mithilfe einer sogenannten „geopolitischen Cui-bono-Analyse“ zugeordnet. Wem es nutze, der sei es wohl gewesen. Das könne, aber müsse nicht zutreffend sein.
In der Tat sollte meines Erachtens diese Frage „Cui bono?“ (wieder) öfter gestellt werden. Weil sie helfen kann, Interessen zu thematisieren, und zum Beispiel naive „Gut-Böse“-Glaubensbekenntnisse relativieren mag.
3. Vorsicht, sich nicht als Handlanger einspannen zu lassen
In den USA spreche man vom Phänomen der „weaponizing leaks“, also davon, echte Informationen in eine Waffe umzuwandeln. Beliebt seien hierfür abgehörte Telefonate, ein Gespräch der US-Diplomatin Victoria Nuland („Fuck the EU“) gelte als einer der ersten Fälle. Zweifel an der Authentizität habe es nicht gegeben.
Klar scheint: Dass Informanten versuchen, Journalisten für ihre eigenen Zwecke einzuspannen, ist nicht neu. Aufgabe von Journalismus ist es, zu publizieren, was im öffentlichen Interesse liegt (und nur das) und nicht das Geschäft ihrer Quellen zu betreiben. Das ist manchmal ein schwieriger Prozess der Abwägung. Und ich ergänze: das „öffentliche Interesse“ erscheint mir als ein ähnlich vertracktes Ding wie „die Wahrheit“ oder Mascolos „die Substanz“. Ohne Leaks gibt es jedenfalls laut Mascolo keinen Journalismus, zumindest keinen guten. Geheimnisbruch gehöre dazu, Enthüllungen wie die Panama Papers trben notwendige gesellschaftliche Debatten voran. Auch würden oft die angeblich schädlichen Konsequenzen von Leaks übertrieben.
4. Es braucht Regeln für Staaten
Bei den Vereinten Nationen werde nach solchen Regeln gesucht, man nenne es dort „Tischmanieren für Staaten“. Dass der Cyberspace militärisch entdeckt, entwickelt und genutzt wurde, bevor er eine Technologie für Viele wurde, mache dies nicht einfacher. Die ersten Computer seien entwickelt worden, um Codes zu knacken. Zu den Möglichkeiten des Abhörens sei das gezielte Manipulieren und Zerstören getreten. All das wollten Geheimdienste nicht aufgeben, „sie werden sich gegen Regeln sperren. Oder nur solchen zustimmen, an die sich dann doch nicht halten.“ Aber ohne Regeln drohe enormer Schaden.
Ich denke, es müssen dafür gemeinsame Interessen gefunden werden, denen entsprechend solche Regeln und ihre Einhaltung sinnvoll wären. Darauf deutet allerdings angesichts wachsender Konfrontationen auf der Erde derzeit wenig hin. Andererseits liegen hier große Aufgaben für aufklärerischen Journalismus.
5. Journalisten sollten cool bleiben
Mascolo meint, aktive Maßnahmen der Geheimdienste müssten geheim bleiben, um erfolgreich zu sein. Werde allerdings bewiesen, „dass Russland in die US-Wahlen eingriff, könnte das Ergebnis verheerend sein. Ein empörter Kongress, eine wütende Öffentlichkeit, Trump wäre wohl gezwungen, auf Konfrontationskurs zu Moskau zu gehen.“ Anscheinend wäre das aus Sicht von Mascolo etwas Positives, denn er schreibt, Strobe Talbott, einer der besten US-amerikanischen Russlandkenner, spekuliere schon auf eine „heilsame Gegenreaktion“.
Mascolo zufolge wäre das ein weiterer Beleg dafür, dass „die Demokratie“ (in den USA oder in Deutschland?) eine Menge aushalte und sich zu wehren wisse. Die Deutschen jedenfalls wüssten das: „Kein Land war einem solchen Bombardement von Fake News und Desinformation ausgesetzt wie die alte Bundesrepublik, dafür sorgten die Stasi-Offiziere in Berlin-Lichtenberg.“ Eine gewagte Aussage: denn bisher sind ja nur die Akten der Stasi weitgehend komplett bekannt. Welche „aktiven Maßnahmen“ (siehe oben) NSA und CIA, MI5 und BND etc. damals durchführten und heute durchführen – muss das „geheim bleiben“, oder sollte nicht gerade Aufklärung darüber im öffentlichen Interesse von demokratisch verfassten Gesellschaften sein?
2.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Der RBB meldete jüngst (http://www.rbb-online.de/politik/beitrag/2017/01/staatssekretaer-andrej-holm-tritt-zurueck.html, Aufruf 16.1.2017, 17.16 Uhr):
„Andrej Holm wirft seinen Kritikern in seiner Rücktrittserklärung vor, es gehe nicht nur um seine Zeit bei der Stasi; sondern „vor allem um die Angst vor einer Wende im Bereich der Stadt- und Wohnungspolitik“. Er hätte sich nicht nur in den letzten Wochen bemüht, offen und selbstkritisch mit seiner Biografie umzugehen.“
Der Verbmodus im letzten Satz ist fragwürdig: „hätte“ ist Konjunktiv II und meint maximale Distanzierung. Hier ist aber der Konjunktiv I angebracht, „er habe sich …. bemüht“, als neutrale Wiedergabe einer Äußerung. Es sei denn, der Beitrag wäre als Kommentar oder Glosse gegen Holm gerichtet und gemeint. Was merkwürdig wäre ….