„Mangelnde Instinktlosigkeit“

1.) Und wöchentlich grüßt der Fall Böhmermann: Am Dienstag hieß es bei Reuters (12:45:34 Uhr), die Staatsanwaltschaft Mainz wolle den Satiriker Jan Böhmermann im laufenden Ermittlungsverfahren wegen angeblicher Beleidigung des türkischen Staatspräsidenten anhören. Danach könne entschieden werden, ob ein hinreichender Tatverdacht bestehe, teilte die Anklagebehörde mit. Am Vormittag waren den Angaben der Behörde zufolge die Ermächtigung der Bundesregierung nach dem umstrittenen Paragrafen 103 StGB sowie das entsprechende Ersuchen der türkischen Regierung eingetroffen.
Böhmermann hatte den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in einem selbst so erklärten Schmähgedicht in Vulgärsprache beleidigt, um nach eigenen Angaben die Grenzen dessen aufzuzeigen, was in Deutschland als Satire erlaubt sei und was nicht. Dagegen hatte die türkische Regierung beim Auswärtigen Amt nach Paragraf 103 Beschwerde eingelegt. Der Paragraf stellt die Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter unter Strafe, insofern die Bundesregierung die Staatsanwaltschaft dazu ermächtigt, Ermittlungen einzuleiten. Bundeskanzlerin Angela Merkel gab dem statt mit Verweis auf die Gewaltenteilung einerseits und auf gute Beziehungen zur türkischen Führung andererseits.

Comeback im ZDF

Und was macht der Medienmensch Böhmermann derweil? (http://www.welt.de/politik/deutschland/article154724643/Boehmermann-und-Schulz-machen-bei-Spotify-weiter.html, Aufruf am 27.4.2016, 12.40 Uhr): Nach wochenlanger Pause wegen des Wirbels um sein Schmähgedicht wird er zurückkehren ins TV. Der „Neo Magazin Royale“-Moderator hatte Mitte April bekannt gegeben, dass er eine TV-Pause einlege. Nun kündigte das „Neo Magazin Royale“ auf seiner Facebook-Seite eine Ticketverlosung für die kommende Sendeaufzeichnung am 11. Mai an. Jan Böhmermann teilte die Ankündigung auf seiner eigenen Facebook-Seite. „Damit dauert die Sendepause genauso lange wie angekündigt“, sagte ein ZDF-Sprecher gegenüber der „Welt“. Ausgestrahlt werde die Sendung „Neo Magazin Royale“ dann am 12. Mai.
Die Deutschen zeigen sich größtenteils unzufrieden mit dem Umgang der Kanzlerin mit Böhmermann und dessen Schmähgedicht. 62 Prozent stellen Merkel laut „Welt“ ein schlechtes Zeugnis aus, nur 26 Prozent meinen, sie habe in diesem Zusammenhang ihre Sache gut gemacht.

Frühstücksdirektor für Wirtschaftstreffen

Bereits am 28. April sollte Böhmermann eigentlich wieder als Auftragskommunikator arbeiten. Der Bundesverband Digitale Wirtschaft hatte ihn vor Monaten für seine Preisverleihung „Deutscher Digital Award“ in Berlin gebucht. Vorerst war unklar, ob Böhmermann die Preisverleihung tatsächlich moderieren würde. Klar dagegen war, dass mit der Sonntagsshow „sanft & sorgfältig“ auf RBB-Radio-Eins Schluss ist, wie Böhmermann und Olli Schulz am Montag auf ihren Facebook-Seiten mitgeteilt hatten. Das Erfolgsformat hat jedoch noch längst nicht ausgedient: Beim Streamingdienst Spotify soll es ab Mitte Mai exklusiv weitergehen, meldete das Branchen-Magazin „HORIZONT“.

Ab zu Spotify

Ein Unternehmenssprecher von Spotify bestätigte gegenüber der „Welt“ die Meldung: „Wir können bestätigen, dass wir mit Jan Böhmermann und Olli Schulz über ein neues Podcast-Format sprechen. Weitere Informationen zum Inhalt und Konzept des Podcast können wir derzeit noch nicht kommunizieren.“

Ironie der Geschichte

Für den RBB war die Kündigung angeblich überraschend gekommen, da Böhmermann durch eine Kooperation innerhalb der ARD von NDR, HR, BR und Radio Bremen eine enorme Reichweite erreicht hatte. Auch auf den Podcast der Sendung griff eine beachtliche Hörerschaft zurück. Sogar eine Zusammenarbeit von ARD und Spotify sei überdacht worden, doch der Streamingdienstleister setzte zuletzt auf die Exklusivrechte der Show.
Radioeins-Chef Robert Skuppin bedauerte das Aus. „“Sanft & Sorgfältig“ haben wir mit den beiden Künstlern zu einem einzigartigen Radioformat entwickelt und ein immer weiter wachsendes Publikum erreicht“, sagte er in Potsdam.
Ich finde es schade, dass Böhmermann die ARD verlässt, aber beim ZDF bleibt. Das nennt man wohl Ironie der Geschichte: Immerhin war es nicht die ARD, die eines seiner Formate zensiert hatte, in einer Weise, die manche Kritiker als vorauseilenden Gehorsam gegenüber Politikern moniert hatten.

Bizarr kommentiert

2.) Sprachkritisch durchs Kaleidoskop geschaut, sehe ich im Kommentar von Torsten Gellner in der MAZ Potsdam am 20.4.2016 auf Seite zwei unter der Überschrift „Instinktlos“ (es geht um den Fall des wegen umstrittener Privatnutzung eines Dienstfahrzeuges in die Kritik geratenen und dann zwei Tage später zurückgetretenen brandenburgischen Justizministers Helmuth Markov von der Linken): “ (…) Das Bizarre an der Affäre ist die mangelnde Instinktlosigkeit des Ministers, die er damals wie heute an den Tag legt (…)“. Ähm, ja, ich glaube, ich kann ahnen, was uns der Kommentator an dieser Stelle „eigentlich“ sagen möchte. Aber aufgrund „mangelnder Schreibunfertigkeit“ textet der Kollege ziemlich instinktlos genau das Gegenteil dessen, was er wohl meint. Jaja, die Negation der Negation. Oder wie es Karl Kraus, der große Publizist aus Österreich (1874-1936) seinerzeit im Jahre 1919 polemisch sinngemäß formulierte: Für Journalisten sei leider typisch, dass sie, erstens, keinen eigenen Gedanken hätten und das, zweitens, dann auch noch nicht einmal ausdrücken könnten. Aber das ist kein Naturgesetz, oder anders gesagt: Es muss ja nicht immer so sein oder bleiben.

Automatismus im Absolutismus?

1.) Die Kanzlerin hat am 15.4. fünf Minuten live vorgetragen, dass und warum sie namens der Bundesregierung die vom türkischen Präsidenten geforderte Ermächtigung zu Ermittlungen gemäß § 103 Strafgesetzbuch (Beleidigung und Verleumdung ausländischer „Majestäten“) im Falle „Gedicht Jan Böhmermann“ erteile. Frau Merkel hatte meines Erachtens Spielräume, dieses Ansinnen abzulehnen. Zumal sie ja selber erklärte, diesen nunmehr auch aus ihrer Sicht anachronistischen Straftatbestand recht flott (2018?) abschaffen zu wollen. Gegen manches platte Merkel-Bashing (Deutschland sei leider nicht souverän etc.) gibt es wiederum auch einige eher liberale Verteidiger, die sicher nicht nur sagen wollen: „Hauptsache, Erdogan hält Deutschland die Flüchtlinge fern“.
Sascha Lobo zum Beispiel twitterte sogleich: „Ihr denkt also, dass Merkel die Gewaltenteilung hätte missachten sollen, um gegen Erdogans Missachtung der Gewaltenteilung zu protestieren?“

Absolut gewaltenteilig?

Nett gezwitscher, aber der Spruch übersieht, dass die Paragrafen 103 und 104 weiterhin ziemlich untote Exempel dafür sind, dass auch die Gewaltenteilung eine relative ist. Hier werden einige mächtige Menschen als „gleicher“ denn alle anderen betrachtet, und die Entscheidung darüber, ob diese Königs-Karte gespielt werden darf, trifft die Exekutive als Machtpartei gleich mal selbst. Ziemlich vorbürgerliche Verhältnisse. Aber es hätte eben kein Automatismus des Absolutismus an dieser Stelle sein müssen, sondern Merkel hätte Erdogan – in der Tat gewaltenteilig – darauf verweisen können, dass er doch bitte wie jeder andere, der sich beleidigt sieht, den „zivilen“ § 185 in Anspruch nehmen möge – was der türkische Präsident ja auch macht. Aber dann wäre der vermutlich gewaltig beleidigt gewesen, und das hätte womöglich zu neuen Flüchtlingsbewegungen in Richtung Deutschland geführt. Das wiederum wäre Wasser auf die Mühlen der AfD, NPD etc. gewesen – und also hat sich Merkel doch mal wieder ganz pragmatisch clever verhalten, oder? So bekämpft man Fluchtursachen, könnten wir tirillieren, wenn es nicht so traurig wäre ….

Scheinbar oder anscheinend?

2.) In einer Reportage im ARD-Morgenmagazin am 20.4.2016 um 6.42 Uhr (http://mediathek.daserste.de/Morgenmagazin/moma-Reporter-Europ%C3%A4ischer-Blitzmaratho/Das-Erste/Video?documentId=34791776&topRessort&bcastId=435054; Aufruf am 20.4., 16.08 Uhr) sagt die Reporterin Gabriele Dunkel angesichts des bevorstehenden Blitzermarathons: „Scheinbar sind Kontrollen und saftige Geldstrafen doch der beste Weg, um Raserei entgegenzuwirken.“ Anscheinend aber meinte sie „anscheinend“. Denn „scheinbar“ bedeutet, dass die Autorin es anders und besser wüsste – „anscheinend“ hingegen lässt offen, ob es so ist oder nicht. Es hat aber zumindest den Anschein, als sei es so. Und genau das dürfte hier gemeint sein, allem Anschein nach.

Hiebe für die Medienfreiheit?

1.) Stellen wir uns vor, ein deutscher Satiriker hätte den nordkoreanischen Staatschef Kim Jong-Un öffentlich-rechtlich und zugleich (aus dessen Sicht) unflätigst beschimpft und persönlich beleidigt – „Du hast ja gar keine eigenen Atomwaffen und wirst auch nie welche haben“ etc. Der Mann hätte vermutlich nicht gleich per Rakete zurückgeschossen, aber vielleicht auch eine Verbalnote mit dem Ansinnen von Strafverfolgung entsprechend Paragraf 103 und 104 des deutschen Strafgesetzbuches an die Bundesregierung geschickt.
Was wäre passiert? (Und bitte – nein, hier wird NICHT der Diktator aus Pjöngjang mit lupenreinen Demokraten und Freunden aller Menschenrechte in Ankara gleichgesetzt. Die einen zum Beispiel sind in der Nato, der andere nicht). Die Spitzen von Bundespolitik und öffentlich-rechtlichen Apparaten hätten den kleinen Mann (Achtung, Realsatire) aus Asien aber sowas von einfach wegtreten lassen. Dann hätte es in Berlin und Mainz sicher in der Tendenz geheißen, die Grundwerte des Grundgesetzes gälten nicht nur abstrakt und im Allgmeinenen, sondern immer ganz konkret und eben auch in diesem Falle – alles andere sollten ganz einfach die hiesigen Gerichte regeln.
Die Sache läge aber eventuell doch anders, falls absehbar wichtige Flüchtlingsrouten mit Nordkorea zu tun hätten, oder?
Ironisch ließe sich formulieren – 1000 Peitschenhiebe als Strafe für die Sachen, die man NICHT sagen darf, und dann wäre alles wieder gut? Ich fürchte, nein.
Und last but not least – Böhmermann und Erdogan verhalten sich genau so, wie man es von ihnen erwarten durfte. Viel spannender und diskussionswürdiger finde ich das Agieren der Damen und Herren Merkel, Bellut usw.

2.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Im RBB-Inforadio ging es am 13.4. um 9.45 Uhr in einem Bericht um die Lage im Irak. Die Journalistin sagte: „Diese Stadt wurde vom IS befreit“ und „Jene Gebiete wurden vom IS zurückerobert.“ Sie meinte damit offenbar (wenn man genau auf den Kontext achtete), dass dort der sogenannte „IS“ jetzt nicht mehr herrsche. Ihre Formulierungen allerdings sind ungewollt mehrdeutig: „IS“ kann hier sowohl strukturelles Objekt als auch Subjekt der Handlungen sein: Der IS befreit als Handlungsträger diese Stadt, erobert jene Gebiete zurück. Oder eben: Irakische Regierungskräfte befreien diese Region im Kampf gegen den IS, erobern sie vom IS zurück. Wie hätte es sich klarer sagen lassen? Zum Beispiel so: „Diese Stadt wurde durch irakische Regierungskräfte vom IS befreit“. Oder auch: „Irakische Regierungskräfte eroberten jene Gebiete vom IS zurück“. Es kann manchmal sehr sinnvoll sein, den Handlungsträger zu nennen, auch wenn das die Formulierung etwas länger macht. Denn laut dem frühen Wittgenstein sollten wir ja so klar wie möglich sagen, was wir sagen können. Der Rest wäre Schweigen.

Süperkritisch: Böhmermann und Erdogan

1.) „Schmähkritik“ – das Wort war dieser Tage in vieler Munde, nachdem Jan Böhmermann auf „ZDF neo“ ein Gedicht mit diesem Titel vorgetragen hatte. Ein kalkulierter Tabu-Bruch im Nachgang der „extra3“-Satire gegen die Politik des türkischen Präsidenten. ZDF-Obere ließen den Abschnitt aus der Mediatheksfassung hinausnehmen, manche sagen auch (was man NICHT tun sollte!) „zensieren“ – später war selbst auf YouTube kaum mehr etwas im Original zu finden (http://www.spiegel.de/kultur/tv/zdf-zensiert-boehmermann-schmaehgedicht-auf-erdogan-a-1085087.html, Aufruf am 6.4.2016, 12.48 Uhr). Die ZDF-Spitze ließ verlauten, das sei mit Böhmermann abgesprochen – der ließ das unkommentiert.

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Quelle: horizont/dpa

Als Schmähung hatte das Bundesverfassungsgericht 1990 eine herabsetzende Äußerung charakterisiert, „wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht.“ Eine solche Schmähkritik steht dann laut BVerfG nicht mehr unter dem Schutz der Meinungsfreiheit.

Allerdings scheinen die höchsten Richterinnen und Richter in Deutschland die Meinungsfreiheit weiterhin sehr hoch zu halten, wie sie 2014 deutlich machten, siehe die Pressemitteilung aus Karlsruhe zum Beschluss vom 28.07.2014 (1 BvR 482/13): „Auch überspitzte Kritik fällt grundsätzlich in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Dies hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts entschieden und die verfassungsrechtlichen Maßstäbe zur sogenannten Schmähkritik bekräftigt. Selbst eine überzogene oder ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Vielmehr muss hinzutreten, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Herabsetzung einer Person im Vordergrund steht. Nur dann kann ausnahmsweise auf eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls verzichtet werden.“ (https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2014/bvg14-086.html, Aufruf 6.4.2016, 13.42 Uhr)

Ich finde, es gibt gute Gründe für die Annahme, dass es Böhmermann und seinem Team inhaltlich um eine besondere Auseinandersetzung in der Sache „deutliche Kritik an der türkischen Führung“ ging (Minderheiten unterdrücken – Kurden treten, Christen hauen), wofür allerdings eine sehr überziehende Form bewusst gewählt wurde.

Die deutsche Regierung hingegen hatte es mal wieder nicht so süpereilig mit öffentlicher und klarer Kritik am Kurs der türkischen Machthaber. (vgl. http://www.horizont.net/medien/nachrichten/Nach-Boehmermanns-Schmaehkritik-ZDF-will-nicht-an-Neo-Magazin-Royale-ruetteln-139588, Aufruf 6.4.2016, 13.11 Uhr). Stattdessen gab es nicht zuletzt von Angela Merkel deutliche Medienschelte („bewusst verletzend“): Bei dpa las sich das laut „horizont“ so: „Merkel teilte ihre Meinung nach Angaben von Regierungssprecher Steffen Seibert am Sonntagabend telefonisch dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu mit. Sie habe auf die bereits gezogenen Konsequenzen des Senders verwiesen. Auch habe sie den hohen Wert bekräftigt, den die Bundesregierung der Presse- und Meinungsfreiheit beimesse. Die sei aber nicht schrankenlos.“. Im Bereich der Politik gab es von der Linkspartei als größter Oppositionskraft im Bundestag Kritik an Regierung und ZDF: Der medienpolitische Sprecher der Linken im Bundestag, Harald Petzold, kündigte laut „Welt“ an, eine förmliche Beschwerde beim ZDF einzulegen. „Wir werden nachfragen und gegen die Löschung des Beitrags protestieren.“

Rückführung, Abschiebung, Überstellung?

Von Sebastian Köhler

1.) Angesichts der ab 4.4. vorgesehenen Aktionen, Flüchtende aus Griechenland zwangsweise in die Türkei zu bewegen, wird in vielen wichtigen Medien hierzulande von „Rückführung illegaler Flüchtlinge“ geredet (siehe u.a. die Tagesschau unter http://www.tagesschau.de/ausland/tuerkei-fluechtlinge-protest-rueckfuehrung-101.html, Aufruf am 3.4.2016, 16.31 Uhr). Dass die PR-Stäbe der EU-Spitzen und der Bundesregierung wie auch vielleicht der griechischen Regierung so sprechen, ist klar – das klingt nach einem, wenn nicht nach dem einzigmöglichen logischen und geregelten Weg für diese Menschen. Aber wieso eigentlich zurück („dahin, wo sie herkamen und also hingehören“)? Es dürften kaum ALLE dieser Menschen über die Türkei nach Griechenland gekommen sein. „Rückführung“ erscheint mir als beschönigendes Wort in diesem Zusammenhang, zumal, wenn dann noch die fast schon Orwellsche Wendung von den „illegalen Flüchtlingen“ aus dem Bürokratendeutsch übernommen wird. Warum nicht, so neutral wie möglich, vom „Überstellen von Flüchtenden“ texten? Oder eben, auch ziemlich sachlich, vom „Abschieben“? Aber da käme dann sicher Kritik von offizieller Seite, dass dies ein wertender Terminus sei … Ach nee – wer hätte das gedacht, dass Sprache IMMER wertet. Kommt nur drauf an, in welche Richtung und in welchem Maße.

Ergänzung am 6.4.: Übrigens sprach das BBC-World-Radio z.B. am 4.4. in der Regel von „migrants are deported“, also in etwa von „Deportationen“ (Abschiebungen, Ausweisungen). Das wiederum schreiben in Deutschland eher linke Medien wie die Tageszeitung „junge Welt“.

2.) Die „Süddeutsche Zeitung“ titelte am 30.3.2016 in ihrer Hauptüberschrift auf Seite 1: „Apple trotzt dem FBI“. Eine unbezahlbar gute Zeile. Zwar nicht für die Nutzer, aber für den Konzern und für die US-Behörde. Klar: die Ermittler haben ganz offiziell und medienwirksam bei Apple angeklopft – „Könnt Ihr uns bitte, bitte ausnahmesweise mal helfen, in diesem klaren Fall des Gerätes eines sehr bösen Menschen ….“. Und der Konzern hat ganz offiziell und medienwirksam geantwortet: „Nein, niemals, der Datenschutz für unsere Nutzer ist uns das höchste aller Güter“. Mit einer ziemlich wahrscheinlichen Inszenierung solcher oder ähnlicher Art kommen beide Seiten durch in unseren Qualitätsmedien: Win-win-win, für Behörde und Konzern und Leitmedium – es verlieren bei solchem Verlautbarungsjournalismus die Nutzer, sowohl der Zeitung als auch von Datengiganten wie Apple. Und wie ginge es journalistisch professioneller? Ganz einfach: „Apple: Wir trotzen dem FBI“. Das wäre zwar immer noch PR oder sogar direkte Werbung, aber zumindest könnten wir die Quelle der frohen Botschaft erkennen. Meine ich gar nicht trotzig ….