Schnipsel oder Brosamen für den Journalismus – ein Problem der „westlichen“ Welt?

Von Sebastian Köhler

1.) Zwei wichtige neue Phänomene im Bereich Online-Journalismus:

A) Viele deutsche Verlage sind beim Leistungsschutzrecht gegenüber „Google“ eingeknickt (siehe http://www.golem.de/news/gratiseinwilligung-fuer-google-verlage-knicken-beim-leistungsschutzrecht-ein-1410-110035.html, Aufruf am 29.10.2014, 21.05 Uhr): Die meisten in der VG Media (klar: dieser Gesellschaft geht es um Verwertung) organisierten Verlage wollen keine verkürzte Darstellung ihrer Links bei Google hinnehmen, sondern dort weiterhin ohne Vergütung durch „Google“ mit Snippets (kurzen Text-Schnipseln als Teasern) und Vorschaubildern zu sehen sein. Im Streit mit zahlreichen deutschen Verlagen um das Leistungsschutzrecht hat Google sich damit vorerst durchgesetzt. Die Verleger „sehen sich angesichts der überwältigenden Marktmacht von Google zu diesem außergewöhnlichen Schritt gezwungen“, hieß es in einer Erklärung. Unklar blieb zunächst, welche der 230 vertretenen Websites die Einwilligung abgegeben haben. Die VG Media vertritt auch die großen deutschen Medien-Verlage wAxel Springer, Burda, Funke, Madsack und M. DuMont Schauberg. Der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt, hatte ohnehin den Verlegern wenig Hoffnungen auf Lizenzzahlungen gemacht. „Es lässt sich nur schwer aus dem Leistungsschutzgesetz ableiten, dass Google die Verlagsinhalte mehr zu nutzen hat und dafür Geld zahlen muss“, sagte der Behördenchef auf einer Veranstaltung der Medientage München. Mundt räumte jedoch auch ein, dass angesichts starker Player in der Digitalökonomie die grundsätzliche Frage gestellt werden dürfe, ob die Instrumente der Kartellwächter ausreichend seien und „ob wir schnell genug sind“. Eine spannende Frage bleibt damit, wo (neue) finanzielle Ressourcen für Journalismus herkommen sollen, wenn sich „Player“ wie Google davon kraft ihrer fast schon monopolistischen Stärke praktisch komplett „freihalten“ können und dürfen.

B) Der Axel-Springer-Konzern (siehe http://www.wsj.de/nachrichten/SB10700330261767394000404580240290858238662, Aufruf am 29.10.2014, 20.50 Uhr) will – ebenso wie die „New York Times“ – das Geschäft mit Bezahl-Inhalten im Internet ausbauen. Die beiden Unternehmen investieren gemeinsam 3 Millionen Euro in das niederländische Nachrichten-Start-up Blendle, das sich selbst als “iTunes für Journalismus” bezeichnet. Die Online-Plattform Blendle, die erst vor sechs Monaten an den Start gegangen ist, bietet Nutzern die Möglichkeit, digitale Inhalte auf Artikel-Basis zu erwerben. Blendle kooperiert mit den meisten großen Zeitungs- und Magazinverlagen in den Niederlanden und Belgien. Zuletzt hat das Unternehmen einen Deal mit dem Herausgeber des Wirtschaftsmagazins The Economist unterzeichnet. Artikel kosten im Schnitt 0,20 Euro, wovon der Herausgeber 70 Prozent behält. 30 Prozent gehen also an die Plattform. “Als Herausgeber wollen wir unsere Leser überzeugen, für guten Journalismus zu bezahlen, auch im digitalen Zeitalter”, sagte Springer-Chef Matthias Döpfner. Blendle habe das Potenzial, junge Internetnutzer anzuziehen. Zwei Kritikpunkte bleiben a) etwaiges Insiderwissen der neuen Mit-Eigentümer über die Verkaufszahlen der journalistischen Konkurrenz und b) womögliche Vorzugsbehandlung der Inhalte der neuen Mit-Eigentümer auf der Plattform. Der Doppelcharakter als Inhalteanbieter und Mit-Vertreiber dürfte sich auf neuer Stufenleiter als widersprüchlich erweisen.

2.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Im Text eines Reuters-Berichtes am 28.10.2014 hieß es einleitend: „Australien hat angesichts der Ebola-Epidemie seine Sicherheitsvorkehrungen weiter verschärft. Als erstes westliches Land will die Regierung in Canberra vorübergehend keine Visa für Reisende aus den drei vom Ausbruch der Seuche betroffenen westafrikanischen Ländern mehr ausstellen.“ Australien als „westliches Land“? Klar, wir können verstehen, was gemeint sein dürfte – aber da steht eben nicht „der westlichen Welt“ oder „der westlichen Wertegemeinschaft“, sondern da steht der zunächst geografische Terminus „westlich“. Nun gibt es sowohl von Berlin aus noch überhaupt geopolitisch gesehen kaum Gebiete, die relativ und absolut weiter süd-östlich lägen als Australien. Ich denke, es geht, historisch vom britischen Empire herkommend, heutzutage unter dem kulturellen Begriff „westlich“ im wesentlichen um den Kreis der 34 OECD-Staaten (also u.a. USA, Kanada, GB, Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien, Japan, Israel, Schweiz, aber eben auch Australien und Neuseeland, Südkorea, Chile und Mexiko). Länder also, die politisch demokratisch verfasst sind und die wirtschaftlich durch kapitalistische Marktwirtschaft geprägt sind. Es geht NICHT um große Länder wie China, Russland, Brasilien, Indien, Südafrika (BRICS-Staaten) und erst recht nicht um eher kleinere Länder wie Iran, Venezuela, Bolivien, Ekuador, Syrien, Kuba oder gar Nordkorea. Was also könnten wir mit Blick auf Australien sagen? Zum Beispiel statt „westlich“: als erstes der entwickelten Industrieländer. Das ist zwar mit Blick gerade auf die BRICS-Staaten grenzwertig, aber meines Erachtens trennschärfer und erklärungskräftiger als die „westlich“ auf den Kopf gestellte Geografie.

Mit oder mit ohne Hunger auf den alten Hut „Jugendkanal“?

Von Sebastian Köhler

1.) Es ist schwer zu begreifen, dass es in Deutschland zum Beispiel weder ein öffentlich-rechtliches „Familienradio“ gibt noch eine entsprechende multimediale Plattform (ich sage bewusst nicht: „Sender“) für Jugendliche. In Berlin bietet seit August 2013 die Plattform „joiz“ vom Ostbahnhof aus TV-ähnliche, betont interaktive Offerten, als Social-TV-„Sender“, und ab Ende Oktober 2014 soll von Adlershof aus „doppio TV“ als Online-TV-Channel zu Themen wie Lifestyle, Luxus und Reisen zu erleben sein.

Wieder wollten am 16.10. 2014 die Regierungschefs der Bundesländer über den von ARD und ZDF seit Jahren (gefühlt: Jahrzehnten) diskutierten „Jugendkanal“ beraten (http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/128272-swr-intendant-appelliert-an-regierungschefs-junge-brauchen-mehr-als-trash-tv-und-katzenfilmchen.html, Aufruf am 15.10.2014, 21.10 Uhr). SWR-Intendant Peter Boudgoust richtete kurz vor der Entscheidung in einem dpa-Gespräch einen Appell an die Ministerpräsidenten: „Sollen junge Menschen nur die Wahl haben zwischen Brutalo-Videos und Katzenfilmchen auf YouTube und Billig-Trash bei privaten Fernsehsendern? Soll so die mediale Sozialisation zukünftiger Generationen aussehen? Sicher nicht, das kann die Politik nicht wollen.“

Die Regierungschefs der Länder hatten ihre Entscheidung im März vertagt, weil es aus den unionsgeführten Ländern Bayern, Hessen und Sachsen noch Widerstände gab. Zuletzt hatte Sachsen seine Bedenken erneuert. „Ein überzeugendes Konzept liegt aus unserer Sicht noch nicht vor. Auch sind Fragen zum Finanzierungskonzept nach wie offen“, hatte der sächsische Medienminister Johannes Beermann (CDU) laut Medienberichten gesagt.

Boudgoust widersprach dem Minister: „Die Finanzierung für das Jugendangebot steht, bis auf den letzten Cent wird alles aus dem Bestand gestemmt“, unterstrich er gegenüber dpa. Die ARD will 30 Millionen Euro übernehmen, das ZDF 15 Millionen Euro. Auch das fertige Konzept liege längst auf dem Tisch. Die Öffentlich-Rechtlichen wollten mit dem Jugendangebot etwas Neues schaffen, das es so noch nicht gebe: „Ein umfassendes Angebot speziell für Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 14 und 29 Jahren, abrufbar auf Smartphone, Tablet und PC und im klassischen Fernsehen, eng verzahnt mit den jungen Radiowellen.“ Es reiche einfach nicht mehr aus, das Hauptprogramm hie und da mit jugendlichen Einsprengseln zu spicken, erklärte Boudgoust. Es sei eine Illusion zu glauben, junge Menschen suchten nach geeigneten Sendungen. „Hier gilt allein das Motto: Wenn das Programm mich nicht findet, kann es nicht interessant für mich sein.“

2.) Sprachkritisch fiel mir folgende Überschrift in der Märkischen Allgemeinen, Lokalseite 15 vom 27.9., auf: „Nie mehr ohne Hunger“. Im Artikel ging es um Frühstück für alle Oberschüler, spendiert von einer Stiftung. Die Überschrift würde aber ziemlich exakt das Gegenteil bedeuten – „Immer mit Hunger“, sofern die Negation der Negation oft die Position bedeutet. Also – warum eine relativ einfache Überschrift wie „Satte Spende gegen Hunger“ oder eben „Nie mehr hungrig“ (bzw. „Nie mehr mit Hunger in der Schule“) oder Ähnliches anbieten, wenn es so schön (falsch und) kompliziert geht.

Was geht (ab) im Jahre 2024?

Von Sebastian Köhler

1.) Wie dürfte sich in Deutschland in zehn Jahren die Mediennutzung gestalten? Was geht in diesen Hinsichten (ab) 2024? Der WDR hat in Köln 18 Frauen und 18 Männer tiefenpsychologisch befragen lassen, allerdings als „Verbraucher“ und leider nicht als Nutzerinnen und Nutzer (http://www.wdr-mediagroup.com/download/spezialmodule/dokumente/Studie_Mediennutzung2024_Broschuere.pdf – Aufruf 8.10.2014, 14.44 Uhr).

In hohem Maße angelehnt an die Nutzungsgewohnheiten des Internets werden sich laut der Studie als Metatrend auch bei TV und Radio Anforderungen und Erwartungen in Richtung einer gesteigerten, individuellen (und gemeinschaftlichen, SeK) Kontrolle von unten entwickeln. Leider bleibt dabei, bei solch einer horizontalen Sichtweise, tendenziell außen vor, sowohl bei Forschern als auch bei Nutzern, wie wir „von oben“, also vertikal (durch Konzerne, Geheimdienste etc.) kontrolliert werden können.

Laut Studie geht es vor allem darum, die neue internetgestützte Vielfalt individuell in den Griff zu bekommen und die online-typischen Einwirkungsmöglichkeiten für sich nutzbar zu machen. Dosieren möchte man Ausmaß und Geschwindigkeit der Erneuerung der Mediennutzung, das Ausmaß der Vielfalt, Vernetzung und Komplexität sowie den Grad der Bindung an ein Format.

Über die reine, eher passive Nutzung hinaus betreffe der gesteigerte Kontrollanspruch zum anderen aber auch die Content-Seite der Medien. Inhalte und Angebote, die Kontrollverheißungen beleben, wie bspw. das Gesundheits-Monitoring über das Smartphone oder die Smartwatch, dürften wichtiger werden.

Aufgrund des Dosierungswunsches ist den Forschern zufolge insgesamt mit einer verlangsamten Veränderung der Mediennutzung zu rechnen. Die Nutzer ‚hingen‘ an vertrauten Gewohnheiten, und es bestehe insgesamt wenig Leidensdruck, diese aufzugeben oder in Entwicklung zu bringen.
Je mehr die Vernetzung über das Internet fortschreite, desto mehr würden auch Sehnsüchte nach Offline-Momenten entstehen. Im Sinne von Retro-Wellen werde daher stellenweise bewusst an traditionellen Formen der Mediennutzung festgehalten: Röhrenfernseher, Vinylschallplatte, Teletext, Küchenradio, Nokia 3410 etc. Die Suche nach der ‚richtigen‘ Balance zwischen Online und Offline werde die Menschen in Zukunft noch stärker beschäftigen.

Wenn Medien psychologisch die Funktion einer Gefühlsapotheke erfüllten, die auf die individuelle Gestimmtheit und die persönlichen Bedürfnisse der jeweiligen Rezeptionsverfassungen eingehe, dann werde in Zukunft eine noch fokussiertere ‚Individualtherapie‘ erwartet.

Kuratierte oder besser: zu kuratierende und zu moderierende Vielfalt bietet auch neue Plätze für Journalismus: Den Mediennutzern sei bereits heute mehr oder weniger bewusst, dass die Personalisierung der Medieninhalte in eine selbstzentrierte Isolation zu münden drohe. Ohne jede (redaktionelle) Brechung ‚im eigenen Saft‘ zu schmoren, sei für die Nutzer keine attraktive Vorstellung. Insbesondere im Info-Segment (Nachrichten, Reportagen etc.) suche man nach Absicherungen durch vertrauenswürdige Autoritäten, deren Bewertung und Content-Selektion man sich anvertrauen möchte. Der Ausbreitung des User-Generated-Content sei von daher eine Grenze gesetzt. Journalistische Moderation dürfte von neuem gefragt werden. Redaktionen konkurrierten dann mit Rankings von Suchmaschinen, mit Channels von Popstars, mit internationalen Streaming-Anbietern oder auch mit den ‚Empfehlern‘ in privaten Communitys.

2.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Angesichts des Todes von Siegfried Lenz am Dienstag stand die Frage wieder im Raum bzw. im Newsroom: „Gestorben“ oder „verstorben“? Die „Tagesschau“ entschied sich für „gestorben“, ich mich für „verstorben“. Meister Sick (http://www.spiegel.de/kultur/zwiebelfisch/zwiebelfisch-abc-verstorben-gestorben-a-344430.html, Aufruf am 6.10.2014, 13.30 Uhr) lässt beides gelten. „Verstorben“ als gehobenere Variante, ein Hund könnte demzufolge kaum als „verstorben“ gelten, eher als „toter Hund“. Weitere Unterscheidungen: Als Attribut oder als Substantiv nehme mensch z.B. „der verstorbene Großvater“ oder eben „der Verstorbene“. Und wenn es um die Todesursache geht – der Missionar ist an Ebola „gestorben“.