Geht Crowd bei den Krauts?

Von Sebastian Köhler

1.) „Der Online-Journalismus ist kaputt“, sagen die Krautreporter (https://krautreporter.de/das-magazin, Aufruf am 14.5.2014, 21.36 Uhr). Aber: „Wir kriegen das wieder hin“. „Kriegen“ würde ich zwar nicht sagen, sondern „bekommen“, aber inhaltlich finde ich diese neue Projektphase der Krautreporter sehr spannend: Es solle ohne Werbung und ohne Boulevardisierung gehen. Statt dessen: „Mit gutem Journalismus: Reportagen, Recherchen, Porträts und Erklärstücken – jeden Tag! Wir wissen, von was (ich sage: „wovon“, SeK) wir reden: weil wir uns mit dem auskennen, über das (nun ja: „worüber“, SeK) wir schreiben. Mit der notwendigen Zeit, die es braucht, um eine gute Geschichte zu erzählen. Und den Fakten, die nötig sind, um zu verstehen, was auf der Welt passiert. Ganz in Ruhe.“ Inhaltlich geht das in richtige Richtungen, wie gesagt.
Ein unabhängiges Online-Magazin ohne Werbung, das täglich mehrere sorgfältig recherchierte Hintergrundbeiträge von angemessen bezahlten Journalisten veröffentlicht. Innerhalb eines Monates will „Krautreporter“ 15.000 Nutzer gewinnen, die für ein Jahr jeweils mindestens 60 Euro bezahlen, also fünf Euro im Monat. Budget insgesamt also 900.000 Euro. Wenn das klappt, soll die Seite im September live gehen (vgl. http://www.gruenderszene.de/allgemein/krautreporter, Aufruf am 14.05.2014, 21.44 Uhr). Allerdings wird das kein Selbstläufer – nach knapp zehn Tagen hatten knapp 5000 Nutzer sich als Mitglieder eingetragen (https://krautreporter.de/das-magazin, Aufruf am 21.5.2014, 21.42 Uhr).
Vorbild für das Online-Magazin Krautreporter, das aus der gleichnamigen Crowdfunding-Plattform hervorging, ist das niederländische Projekt De Correspondent. Im September 2013 schenkten 15.000 Leser De Correspondent eine Million Euro in nur acht Tagen – viele mehr als jetzt in Deutschland. Der Erfolg von De Correspondent hat Sebastian Esser, einer der Initiatoren von Krautreporter, dazu inspiriert, in Deutschland Journalisten für ein ähnliches Projekt zu suchen. Insgesamt finden sich jetzt 28 Autoren auf der Liste – viele bekannte Namen sind dabei, beispielsweise der Medienjournalist Stefan Niggemeier, Sportreporter Jens Weinreich oder der Digitaljournalist Richard Gutjahr. Chefredakteur soll Alexander von Streit werden, der auch schon das deutsche Wired-Magazin leitete. Alle Krautreporter-Autoren sollen als Pauschalisten ein festes monatliches Einkommen erhalten: 2.000 bis 2.500 Euro – erwartet wird von ihnen laut der Konkurrenz von „Zeit online“ ein Text pro Woche. Mitbegründer Sebastian Esser sagt, man setze auf Rückkopplungen – der Dialog mit den Mitgliedern und Lesern solle das neue Medium auszeichnen (http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/126202-sebastian-esser-ueber-das-magazin-krautreporter-der-dialog-mit-dem-leser-soll-uns-auszeichnen.html, Aufruf am 14.5.2014, 22.41 Uhr). Er glaube nicht, dass Pay Walls im Online-Journalismus künftig funktionieren werden (vgl. http://www.gruenderszene.de/allgemein/krautreporter, Aufruf am 14.05.2014, 21.44 Uhr).: Vielmehr zeigt sich Esser davon überzeugt, dass zahlreiche Menschen unabhängigen Journalismus freiwillig ermöglichen wollten und deswegen bereit seien, solch ein Projekt auch finanziell zu unterstützen. Sollte das Magazin zustande kommen, dürften die meisten Texte für alle Leser frei zugänglich sein. „Wir wollen eine relevante Stimme in der Debatte bekommen, deswegen wollen wir auch verlinkt werden“, erläutert Esser. Das sei nur möglich, wenn Texte nicht hinter einer Paywall sind. Zahlenden Mitgliedern will Krautreporter allerdings einige Extra-Funktionen anbieten: Nur wer Geld gibt, soll beispielsweise die Artikel kommentieren oder die Redakteure in Hintergrundgesprächen, beispielsweise über Google Hangouts, befragen können.
Esser sagt, er hoffe, dass Krautreporter den Journalimus in Deutschland auf den Kopf stellen werde: „Wir behaupten nicht, dass wir besser sind. Wir wollen es nur anders machen.“

2.) Es war ein relativ überraschendes EU-Urteil: (http://kress.de/mail/tagesdienst/detail/beitrag/126233-ueberraschendes-eu-urteil-google-muss-links-zu-sensiblen-daten-entfernen.html, Aufruf am 14.5.2014, 22.45 Uhr). Der Internetkonzern Google muss unter Umständen Links zu sensiblen Daten entfernen Die „FAZ“ sprach von einer schweren juristischen Niederlage, mit dramatischen Folgen für den Konzern: Der Europäische Gerichtshof hat am 13.5.2014 in Luxemburg entschieden (Rechtssache C-131/12), dass Google dazu verpflichtet werden kann, Verweise auf Webseiten mit mit sensiblen persönlichen Daten aus seiner Ergebnisliste zu streichen.
Ein solches Recht leite sich aus der EU-Datenschutzrichtlinie ab. Nach Ansicht des Gerichts ist der Suchmaschinenbetreiber für die Verarbeitung der Daten verantwortlich. Ein Betroffener könne sich mit der Bitte um Änderung der Suchergebnisse an Google wenden – oder sonst an die zuständigen Stellen. Geklagt hatte ein Spanier. Er wehrte sich dagegen, dass Google bei der Eingabe seines Namens noch heute einen Artikel über die Zwangsver-steigerung seines Hauses vor 15 Jahren anzeigt. Das Urteil überrascht insofern, als Generalanwalt Niilo Jääskinen noch 2013 im Rahmen eines Gutachtens zu der Ansicht gelangt war, dass dass aus der EU-Datenschutzrichtlinie kein allgemeines „Recht, vergessen zu werden“ abgeleitet werden könne.
Die Konzernspitze von Google teilte mit: „Diese Entscheidung ist nicht nur für Suchmaschinen (sic! Als ob die Gefühle hätten …., SeK) enttäuschend, sondern auch für alle, die Inhalte online publizieren“. Und weiter: „Wir sind sehr überrascht, dass das Urteil so stark von der vorherigen Einschätzung des Generalanwalts abweicht und dessen Warnungen und aufgezeigte Konsequenzen unberücksichtigt lässt..“

3.) Der TV-Sender „Tagesschau 24“ am 7.5. um 9.28 Uhr im Sportteil: Der Berichterstatter sagt im Sprechertext:“Die deutschen Handballer strahlen Optimismus und Zuversicht aus“. Ein klassischer „weißer Schimmel“, der immer dann „vorprogrammiert“ scheint, wenn mensch nicht weiß, was das Fremdwort bedeutet. Und so bleiben selbstverständlich wichtige Fragen: Strahlten die Sportler auch Lebensbejahung und Heiterkeit aus? Was ist mit Hoffnung und Zukunftsglauben? Sprachkundige wissen (oder spüren) es: All dies steckt bereits drin im „Optimismus“, der etymologisch aus dem Lateinischen und Französischen stammt.
Ähnlich tautologisch (also: doppelt-gemoppelt) der Textbaustein von Angela Merkel laut Info-Radio am 9.4.2014, 15.40 Uhr: Jetzt gehe es um „Zukunftsinvestitionen“. Normalerweise geht es ja bei Investitionen um Geschäfte in der Vergangenheit oder vielleicht auch Gegenwart. Doch das scheint wirklich innovativ, ja zukunftsweisend: Investitionen diesmal bestimmt als langfristige Anlage von Kapital. Aber Moment mal – genau das heißt ja laut Duden das Wort „Investition“ bereits, auch ohne die Verdoppelung durch das Bestimmungswort „Zukunft“. Mehr „Investitionen“ in (sprachliche) Bildung wären anscheinend auch ganz sinnvoll.

Schrei vor Miss-Ständen?

 

Von Sebastian Köhler

1.) Das „Team Wallraff“, mittlerweile mit Sendeplatz bei RTL, hat sich im April mal wieder spektakulär in den Medien gezeigt. Die 21-jährige Reporterin Caro Lobig recherchierte undercover und per versteckter Kamera – mit Unterstützung des Altmeisters des deutschen investigativen Journalismus, Günter Wallraff (71) – mehrere Wochen in der Erfurter Filiale des Logistik-Konzerns „Zalando“ (Slogan: Schrei vor Glück!). Dann wurde sie „erwischt“, verlor die Aufnahmen dieses letzten Tages, konnte aber mit dem zuvor gesicherten Material eine Reportage für RTL-Extra produzieren, die auf beträchtliche soziale Missstände wie Stress und Überwachung bei dem Online-Händler deuten lässt. „Zalando“ geht seitdem auch juristisch gegen die Filmemacher vor: Interessanterweise nicht mit Fälschungs-Vorwürfen, sondern vor allem wegen des angeblichen Verrates von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen ( http://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-dienstleister/undercover-reporterin-lobig-die-zalando-mitarbeiter-sind-skeptisch-seite-all/9826668-all.html; Aufruf am 7.5.2014, 19.37 Uhr). Mentor Günter Wallraff erklärte, es sei erstaunlich, dass Anteilseigner des Konzerns selbstherrlich meinten, sie könnten mit solch einem Prozess einschüchtern, Öffentlichkeit verhindern und Kritik unterbinden: „Das Gegenteil ist der Fall. Sie können uns keinen größeren Gefallen tun und sind rechtlich schlecht beraten. Denn hier geht es nicht um den vermeintlichen Verrat von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, wie es in ihrer Anzeige heißt, sondern um gravierendes Unrecht im Betrieb. Menschen, die hilf- und wehrlos sind, weil sie Angst vor Kündigung und Arbeitslosigkeit haben, werden drangsaliert.“ (http://www.jungewelt.de/2014/04-22/023.php?sstr=wallraff, Aufruf am 7.5.2014, 19.45 Uhr). Wichtig für alle Journalisten und an kritischer Öffentlichkeit interessierten Bürger: Das Bundesverfassungsgericht hat im Fall von Wallraffs Undercover-Recherche bei der Bild-Zeitung (1977) ein Grundsatzurteil (1984) gefällt. Die obersten Richter haben damit in diesem Springer/Wallraff-Urteil festgelegt: Im Fall von gravierenden Mißständen hat die Öffentlichkeit das Recht, informiert zu werden: Auch wenn es um sogenannte erschlichene, unter Täuschung erworbene Informationen geht. Der Pressekodex argumentiert in ethisch-moralischer Richtung entsprechend in seinem Punkt 4.1.: Umstrittene Recherche-Methoden sind im Einzelfall gerechtfertigt, wenn es um öffentich-relevante Miss-Stände geht, auf die anders nicht hinzuweisen wäre. Leider hat Zalando offenbar zumindest erreicht, dass die Langfassung der Reportage vom 14.4. im Netz frei kaum zu finden ist.

 

2.) Zum sprachkritischen „Kaleidoskop“: Der liberale „Independent“ aus London titelte am 16.4. auf Seite 4 seiner Tabloid-Ausgabe: „Nato steps up presence on Russia`s borders to reassure European allies“

 

Ein typischer Fall der Vermengung von Nachricht und Meinung: Der erste Teil der Überschrift dürfte zwischen vielen (auch kontroversen) Beteiligten und Beobachtern dieses Konfliktes als Meldung unstrittig sein – das westliche Militärbündnis verstärkt seine Kräfte an den Grenzen zu Russland. Der zweite Teil bezieht sich entweder auf eine Begründung durch den Nato-Generalsekretär („Wir machen das deshalb, weil…“) und hätte dann als Version und Zitat gekennzeichnet werden sollen. Oder es ist (auch) die Meinung der Redaktion (Die Nato macht das, weil ….), und dann hätte es ebenfalls nicht so in eine nachrichtliche Überschrift gehört, sondern in eine meinungsbetonte Darstellungsform. Bemerkenswert, weil die britische Qualitäts-Presse ja geschichtlich als Hort des Trennungs-Gebotes für den modernen Journalismus gilt, demzufolge Fakten heilig sein sollen, aber der Kommentar frei, wie C.P. Scott vom „Guardian“ 1921 klassisch formuliert hatte: „Comment is free, but facts are sacred“

 

Ätzende Häme?

Zum Beitrag von Ildiko Röd über die Debatten zur Potsdamer Garnisonkirche in der MAZ vom 25.4.2014, S.13:

 Von Sebastian Köhler

Anlass dieser Runde der Berichterstattung über das in Potsdam umstrittene Projekt eines etwaigen Wiederaufbaus der Garnisonkirche war der  Wegfall von 6,3 Millionen Spendengeldern durch den kurz zuvor erklärten Rückzug der „Stiftung Preußisches Kulturerbe“ um den Ex-Bundeswehroberstleutnant Max Klaar. So weit, so klar.

 

Warum aber schreibt die Kollegin schon in der Unterzeile: „Aufbau-Gegner reagieren mit Häme“? „Häme“ ist ein relativ stark wertendes, emotionalisierendes Wort – man denke an „hämisches Grinsen“, „hämische Schadenfreude“ etc. Der Online-Duden nennt als Beispiel „Er ertrug die Häme seiner Mitschüler nicht“, was sich kaum auf berechtigte Kritik dieser Mitschüler am mit Häme Bedachten bezieht. „Häme“ bedeutlich laut Duden Ähnliches wie „Zynismus“ und „Hohn“, also etwas, das der Beobachter schlicht nicht gutheißen kann.

 Ich rate in solchen Sätzen im Sinne der Objektivierung einfach zur Umkehrprobe: Ist es denkbar, der „anderen Seite“ (einer anderen Partei im jeweiligen Konflikt) dieselben Worte zuzusprechen? Ist es wahrscheinlich, dass die Journalistin prominenten Befürwortern des Wiederaufbaus wie z.B. Manfred Stolpe oder Wolfgang Huber „Häme“ attestieren würde (als mögliche Reaktion auf etwaige Misserfolge der Gegner, zum Beispiel, falls das Bürgerbegehren zum Rückzug der Stadt Potsdam aus dem Projekt scheitern sollte)? Wohl kaum – und allein schon deshalb wäre ich mit solchen Worten sehr vorsichtig, zumal in offenbar informationsbetonten Darstellungsformen.  

Leider scheint der Gebrauch von „Häme“ weder Zufall noch Ausrutscher zu sein. Der Linken-Kreischef Sascha Krämer hatte sich geäußert – als Wiederaufbau-Skeptiker relativ sachlich, wie ich finde (das ist natürlich meine Meinung): „Kaum Spenden, kein Geld vorhanden, und nun werden auch noch die auf Eis gelegten 6,3 Millionen Euro von Max Klar gestrichen. Das Projekt Garnisonkirche steht unter keinem guten Stern“. So weit, so klar wiederum – warum er das „geätzt“ haben soll, bleibt unklar: „Ätzen“ ist ein ebenfalls vergleichsweise meinungsbetonter Terminus aus dem Wortfeld „sagen“ – laut Online-Duden ist es salopper Sprachgebrauch in Richtung von „mit beißendem Spott äußern“.

Wiederum mache mensch die „Umkehrprobe“: Würde die Reporterin zum Beispiel Peter Leinemann oder Martin Vogel als Projekt-Angestellte etwas „ätzend“ äußern lassen? Anscheinend nicht – im Artikel äußern die Befürworter folgende Sprechakte: „verzichten“, „erklären“ oder „bedauern“. Für diese Akteure werden also relativ sachliche bzw. sogar eher positiv konnotierende Worte verwendet.   Schade, dass so der Eindruck einer gewissen Parteilichkeit entsteht.

Gut wäre es, die Kirche (journalistischer Fairness) im Dorf (der öffentlichen Debatten) zu lassen. Ob andere Kirchen, Türme oder Schlösser (wieder) sein sollen, darüber mögen am besten und ganz demokratisch all die Menschen entscheiden, die es betrifft. Dazu benötigen sie auch und gerade im Lokalen journalistische Orientierung, die sich in ihren informationsbetonten Bereichen um objektivierende Perspektivenwechsel bemühen sollte. Um es mit einem der Klassiker des bundesdeutschen Journalismus zu sagen, mit HaJo Friedrichs (1927 bis 1995):  Journalisten sollten in alle Richtungen möglichst gleiche Distanz halten, sich dabei insbesondere nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer anscheinend noch so guten.  Ätzende Häme oder hämisches Ätzen sollten da individuelle Glaubensfragen bleiben und nicht tendenziell einseitig den journalistisch-informationsbetonten Stil prägen.