Skandale zwischen Schland und Schloch?

Blog vom 28.6.
1.) War es ein Skandal, dass während der Live-Übertragung des Fußballspiels Deutschland gegen Niederlande die Sekunden-Story „Löw und der Balljunge“ einfach als scheinbar live in die Direktbilder hineingeschnitten wurde, obwohl sich die Szene bereits vor dem Spiel ereignet hatte? Offenbar wurde auch hier seitens der UEFA nicht von mündigen Nutzern ausgegangen, die selber zur Einordnung medialer Angebote in der Lage sind oder doch dazu befähigt werden. Sonst hätte man (wie auch zum Beispiel bei Zeitlupen von der andern Seite der Bildachse mit der Einblendung „reverse angle“) mit einer Zusatzinformation wie „Recorded“ allen Interessierten die Chance gegeben, den Kontext je nach eigenem Niveau selbst rekonstruieren zu können.

2.) Skandalöser finde ich, dass über die äußerst fragwürdigen Auftritte einiger offenbar rechtsextremer Anhänger der DFB-Elf fast nur in linken Nischen-Medien zu lesen ist (siehe z.B. http://www.taz.de/Nazis-bei-der-EM/!96011/ oder Wiglaf Droste in http://www.jungewelt.de/2012/06-13/036.php). Der europäische Fußball-Verband UEFA verhängte eine erneute Geldstrafe nach dem Spiel gegen Dänemark, diesmal 25.000 Euro wegen „ungebührlichen Verhaltens“ einiger und damit offenbar nicht nur einzelner Fans. Das solche Szenen nicht in das heile UEFA-Weltbild passen, wundert weniger als die Tatsache, dass sich nicht zumindest einzelne der vielen Extra-Kameras von ARD und ZDF im Stadion und im Umfeld gelegentlich und tiefgründiger auch diesen gesellschaftlich relevanten Themen widmen und nicht nur beispielsweise der „Wade der Nation“ des Bastian Schweinsteiger.

3.) Skandale – wohl oder übel? Der konservative Mainzer Medienforscher Hans-Mathias Kepplinger geht eher kulturpessimistisch einer empirischen Skandaltheorie nach mit seinen „Die Mechanismen der Skandalisierung (Neuauflage 2012). Verhängnisvoll sei insbesondere der Gruppendruck innerhalb der Journalistenzunft (vgl. Wolfgang Michal in Freitag 13/2012, S.13) mit deren Leitmedien Spiegel, FAZ und Bild. Eine intensive Dramatisierung des Geschehens führt laut Kepplinger per Gruppennorm zu einer schematisch-einseitigen Sichtweise des skandalisierten Missstandes. Innerhalb der Journalisten beobachtet er große Angst vor abweichender Meinung: In diesem Sinne wiesen viele Skandale totalitäre Züge auf, weil sie auf die „Gleichschaltung“ aller zielten, denn die öffentliche Abweichung einiger würde den Machtanspruch der Skandalisierer infrage stellen. Führende Journalisten gerierten sich so monopolistisch als Ankläger, Richter, Henker und Moraltheologen in einer Person. Dagegen hatte der linksliberale Soziologe Karl Otto Hondrich 2007 eine funktionalistische Phänomenologie des Skandals vorgeschlagen. Nichts sei den guten Sitten zuträglicher als ein Skandal, denn nur der ermögliche der modernen, unübersichtlichen Gesellschaft durch Aufarbeitung von Normverletzungen die Bestimmung von Grundwerten, also Reformation oder Restauration. Skandale tragen Hondrich zufolge zum Lernen, zur Selbstkontrolle und Selbstkritik bei und ermöglichten gerade in Krisen- oder Umbruchzeiten beschleunigte Normenwechsel.
Autor Wolfgang Michal verweist darauf, dass sowohl Kepplinger als auch Hondrich systemimmanent argumentieren und daher beide nicht erklären können, wieso Anfang 2012 ein Bobby-Car im Kinder-Fuhrpark des damaligen Bundespräsidenten Wulff für helle Empörung sorgte, aber die zur gleichen Zeit vor allem von der Bundesregierung für Banken bereitgestellten hundertfachen Milliarden-Steuergelder „kein moralisches Beben auslösten“, geschweige als möglicher Skandal thematisiert wurden.

4.) Im RBB-Inforadio waren am Abend des 4.5.2012 innerhalb von fünf Minuten zwei fragwürdige Sätze in einer Meldung und einem Bericht zu hören: „US-Außenministerin Clinton sagte, dass ihre Regierung weiterhin für die Menschenrechte eintreten wird.“ Kurz darauf: „Merkel erklärte, dass Deutschland zu seinen Bündnisverpflichtungen stünde.“ Einmal des Guten zu viel, einmal des Guten zu wenig. Maßhalten hieße die Kunst, um mal den Konjunktiv I zu bemühen.