„Neuzugänge“ auch bei den NSU-Ermittlungen

Blog vom 4.7. von Sebastian Köhler

1.) Da wir uns im Kurs auch gerade an Glossen zum Thema „NSU-Ermittlungen“ versuchten, hier eine Version aus einem der beiden Zentralorgane für Satire in Deutschland: Titanic-Chefredakteur Leo Fischer schreibt in seinem aktuellen Editorial (Heft 4/2012, S.3.): „Liebe Leser, es scheint, dass die Behörden nun endlich, endlich beginnen, aus den Taten der Zwickauer Zelle ihre Lehren zu ziehen: es tut sich was in Sachen Extremismusbekämpfung! So möchte beispielsweise Bundesinnenminister Hans-Penis Friedrich die Salafisten stärker ins Visier nehmen: Mittlerweile ist erwiesen, dass Mitglieder des NSU immer wieder auch die Nähe zu radikalen wie auch moderaten Muslimen suchten. Zwar nur, um sie umzubringen – doch auch bei Mord gilt der Satz: Es braucht immer zwei dazu!“ Wiederum eine geradezu idealtypische Glosse, einzig den „Penis“ hielte ich für verzichtbar – wegen: „so kurz wie möglich“.

2.) Das Thema der medial ventilierten Skandale bleibt medien- und kommunikationwissenschaftlich präsent: „Der entfesselte Skandal“ heißt im Frühjahr 2012 das Buch von Bernhard Pörksen und Hanne Detel: „Entfesselung“ soll hierbei mit Blick auf die Betroffenen einen totalen Kontrollverlust bedeuten im Unterschied zu früheren Skandalen in raum-zeitlich überschaubareren, linearen Medienwelten. Auch haben den Autoren zufolge Journalisten kein Monopol mehr auf Enthüllungen – jeder kann mit Mobilgeräten jederzeit und praktisch in Echtzeit zum Enthüller werden. Tradierte Trennungen von Sendern und Empfängern werden aufgehoben. Private Relevanz (Unterhaltsamheit, Interessantheit) wird noch dominanter im Vergleich mit öffentlicher Relevanz (gesellschaftliche Wirksamkeit und Bestimmtheit) (vgl. BLZ 9.5.2012, S.26).
Die beiden Autoren erklären (vgl. Freitag 18/2012, S.6f.), wie es zum „jüngsten Gerücht“ komme: Verschiedene Formen von Gerüchten seien wie Organismen, die unterschiedlich gut an ihre kommunikativen Umwelten angepasst sind. In Prozessen fortlaufender Optimierung setze sich schließlich die wirksamste Variante durch. Solche Informationseinheiten hat der Soziobiologe und Evolutionsforscher Richard Dawkins als „Mem“ bezeichnet: Ein solches Mem sei ein öffentlich präsentes, sich veränderndes „Konzept“, das der Selektion unterworfen ist. Um sich in der Aufmerksamkeitskonkurrenz durchzusetzen, muss das jeweilige Mem interessant, leicht verständlich und anschlussfähig sein. Ein bloßes Gerücht entfesselt sich explosionsartig zum Mem, wenn es einen bestimmten „Nachrichtenwert“ erreicht, wobei Faktoren dazu aus Nachrichten- und Narrationsforschung bekannt sind: Konflikthaltigkeit, Überschaubarkeit, Personalisierung etc. Um eine „Aura des Authentischen“, eine „Fiktion des Faktischen“ zu schaffen, werden oft Zeugen präsentiert oder Details genannt, die mit dem Sachverhalt selbst wenig zu tun haben. Will sich ein Betroffener gegen solche jüngsten Gerüchte wehren, bleibt er in einem Paradox gefangen: Er muss, wie in einer Art Gegendarstellung, zunächst die zu dementierende Behauptung wiederholen. So kehrt in der Form der bloßen Negation auch das Gerücht selbst wieder in die Öffentlichkeit zurück.

3.) Es ist mal wieder die Zeit der „Neuzugänge“, zwischen den Spielzeiten. Beim FC Bayern wurde laut Focus online (http://www.focus.de/sport/fussball/bundesliga1/xherdan-shaqiri-kein-olympia-fuer-fc-bayern-_aid_775928.html, Aufruf am 4.7.2012, 12.55 Uhr) unter anderem der Schweizer Xherdan Shaqiri vorgestellt, natürlich als „Neuzugang“. Und nicht als weißer Schimmel, was ähnlich „richtig“ gewesen wäre. Denn selbstverständlich ist der Kicker ein „Zugang“ und kein „Neuzugang“. Oder gibt es auch „Altzugänge“? Claudio Pizarro, könnte man meinen, mag beim FC Bayern als solcher gelten, nicht primär wegen seines Alters, sondern weil er ja schon früher mal beim deutschen Rekordmeister spielte und jetzt erneut den Bayern zuging. Aber deswegen ist der Peruaner weder „Neuzugang“ noch „Altzugang“, sondern einfach ein „Zugang“. Ist kürzer und richtiger als der notorisch aufgeblasene „Neuzugang“.