Dass die Autokonzerne aus Deutschland 2019/2020 massiv von „Förderung der Elektromobilität“ texten, verwundert nicht. Es mag auch logisch erscheinen, dass insbesondere Bundesverkehrminister Andreas Scheuer (CSU) sehr oft diese Formulierung benutzt, wenn es ziemlich direkt um Subventionen für E-Autos aus deutschen Landen geht. Aber warum müssen so viele Redaktionen das nachplappern oder abschreiben? „Elektromobilität“ gibt es schon lange, sie heißt zum Beispiel „Eisenbahn“ oder „U-Bahn“ oder auch „Tram“ und bräuchte als Bestandteil öffentlicher Infrastruktur viel mehr Förderung, um nicht nur viel zu oft schlecht und teuer daherzukommen.
Archiv des Autors: Sebastian Köhler
Bolivien auf dem rechten Weg?
Geht so Nachrichtenjournalismus? SPON zur Lage in Bogotá: „Regierung will Lage nicht weiter eskalieren lassen (….) Die Stadtverwaltung will mit der Ausgangssperre weitere Krawalle verhindern (https://spiegel.de/politik/ausland/krawalle-in-kolumbien-ausgangssperre-in-bogota-tote-und-verletzte-bei-anschlag-a-1297916.html, 23.11., 21.58). Copy-Paste PR-Material ohne Quellenangabe? Die Sätze wirken sehr einseitig und positiv, und das angesichts einer nicht zuletzt durch Militäreinwirkung an die Macht gekommenen, rechtsgerichtet-selbsternannten Übergangsregierung.
#Tagessschau.de wiederum hatte am 12.11.2019 zu #Bolivien getextet: „Das Militär will die Ordnung wiederherstellen“. Dann ist ja alles gut – wahrscheinlich stand es so oder ähnlich in einer Presseerklärung der Militärführung. Journalisten aber sollten (besser) schreiben: „Das Militär erklärte, man wolle ….“ Und am 14.11. hieß es im ARD-Teletext: „Bolivien hat (sic!) Interimspräsidentin“. Kein Wort davon, dass die stramm-rechte Senatorin Anez sich selbst ernannt hatte – unter tätiger Hilfe des Militärs.
Heils Welt – Heile Welt?
Wenn Minister Heil etwas durchaus Umstrittenes „Klarstellung“ nennt, erhebt das Redaktionsnetzwerk Deutschland, hier die „MAZ“ auf Seite 4 am 28.11.2019, dies ohne Quellenangabe in den Rang einer unbestreitbaren Tatsache.
Bloßes Sprachrohr der Mächtigen? Journalisten sollten z.B schreiben: „Eine Reaktion kam prompt…. “ Und eben nicht wie vielleicht die Pressestelle des Heil-Ministeriums: „Die (sic!) Klarstellung kam prompt“. Es gibt eine relativ einfache Umkehrprobe, ob ein Text eher journalistisch oder mehr auftragskommunikativ ist: Hätte es die Pressestelle genau so (oder doch ganz ähnlich) formuliert? Dann hat der Text, zumal ohne rechtzeitige Quellenangabe, wahrscheinlich wenig mit Journalismus zu tun.
Wer solche Partner hat, braucht keine Feinde
Laut ARD-Teletext-Tafel 104 (Aufruf 22.10.2019, 7.30 Uhr) hat Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer mit Blick auf eine von ihr vorgeschlagene internationale Sicherheitszone in Nordost-Syrien „Gespräche (angekündigt) mit den NATO-Partnern sowie mit Russland und der Türkei“. Hallo, ARD und AKK: Die Türkei ist seit 1952 (und damit drei Jahre länger als die BRD) „NATO-Partner“ (also: Mitglied), und zwar nicht irgendein Mitglied, sondern das mit der zweitstärksten Armee. Ist das etwa jemandem peinlich oder in Vergessenheit geraten? Angesichts dieser aktuell ja besonders wunderbaren „Wertgemeinschaft“?
Hilfe!
Im Konflikt in und um Venezuela geht es seit Wochen um „Hilfslieferungen“ oder „humanitäre Hilfe“, in vielen wichtigen deutschen Medien oft auch in Verbindung mit Attributen wie „dringend benötigt (https://www.tagesspiegel.de/politik/staatskrise-in-venezuela-guaid-fordert-von-militaer-freies-geleit-fuer-hilfslieferungen/23949712.html, Aufruf 10.3.2019, 17.47 Uhr). Warum werden – ohne Quellenangabe oder andere Einordnung – solche klar wertenden Wörter in der Berichterstattung über diesen Konflikt verwendet? Und zwar in der Tendenz einseitig? In vielen Medien war wenig zu erfahren über von der russischen Führung oder von der chinesischen Führung so genannte „Hilfslieferungen“ aus deren Ländern nach Venezuela, die es in vergangenen Wochen offenbar immer wieder gab. Nein, im medialen Mainstream hierzulande geht es bei solchen geplanten Aktionen um „Hilfslieferungen“ der US-Organisation USAID, die über Kolumbien unter Führung des Oppositionspolitikers Juan Guaidó nach Venezuela gebracht werden sollten.
Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz oder die Malteser wiesen in diesem Zusammenhang mehrfach darauf hin (https://amerika21.de/2019/02/222065/sadc-rotes-kreuz-venezuela; Aufruf 10.3.2019, 19.02 Uhr), dass man sich nicht an der Verteilung der Güter aus den USA beteilige, da dieses Projekt ein Programm einer Regierung sei und damit eben gerade keine bedingungslose humanitäre Hilfe. Man wolle sich nicht politisch instrumentalisieren lassen.
Die venezolanische Regierung um den umstrittenen Präsidenten Nicolas Maduro verurteilte das Programm immer wieder als, wie es auf dieser Seite des Machtkampfes heißt, Teil von Destabilisierungsbemühungen der US-Regierung und ihrer Verbündeten, als Provokation oder auch als etwaigen Kriegsauslöser.
Warum sagen nicht (viel mehr) deutsche Journalisten zu diesen Gütern wie Lebensmitteln und Medizin: „von der US-Regierung so genannte Hilfslieferungen“? Entsprechend der klassischen journalistischen Regel, vor allem in informationsbetonten Beiträgen „Versionen als Versionen“ (Michael Haller) zu kennzeichnen? Warum übernehmen viele Medien auch hier einfach den PR-Ausdruck („dringend benötigte Hilfslieferungen“) einer mächtigen Partei in diesem Konflikt, ohne die Quelle dieser Redewendung anzugeben? Und machen sich damit unter dem Strich zu Sprachrohren einer Seite dieser Auseinandersetzung?
Kein Einzelfall in der Berichterstattung über diesen Konflikt: Nach massiven Stromausfällen seit 7. März hieß es in vielen deutschsprachigen Medien, wiederum in informationsbetonten Beiträgen (also nicht in Kommentaren, sondern in Nachrichten u.ä.): “ Die Regierung machte einen vermeintlichen Cyberangriff der USA auf das wichtigste Elektrizitätswerk für die Stromausfälle verantwortlich.“ (https://www.tagesanzeiger.ch/ausland/amerika/ich-bin-es-leid-im-elend-zu-leben/story/18972701, Aufruf 10.3.2019, 19.20 Uhr). Kennt man in den Redaktionen nicht die Unterschiede zwischen „angeblich“, „mutmaßlich“ und „vermeintlich“? „Vermeintlich“ ist ganz klar ein Kommentar und besagt: Es verhält sich „in Wahrheit“ ganz anders. (vgl. https://fjhmr.wordpress.com/2014/08/25/haufig-falsch-verwendet-angeblich-vermeintlich-vermutlich/, Aufruf 10.3.2019, 19.34 Uhr). „Angeblich“ sollte sich auf explizite Angaben beziehen, die jemand gemacht hat, „mutmaßlich“ auf Überlegungen, die angestellt wurden – in beiden Fällen bleibt relativ offen, ob die berichtete Version den Tatsachen entspricht.
Die Liste der Einseitigkeiten lässt sich fortsetzen: „Venezuelas Interimspräsident erhöht den Druck auf Staatschef Maduro“, heißt es nicht nur in der FAZ ( https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/guaido-schwoert-venezolaner-auf-massenprotest-gegen-maduro-ein-16070682.html, Aufruf 10.3.2019, 19.46 Uhr). Der eine, Juan Guaidó, scheint praktisch bereits „Präsident“ (jedenfalls schon nicht mehr „selbsternannt“), der andere gilt gerade noch als „Staatschef“.
Und um hier aller schlechten Dinge vier sein zu lassen: Unstrittig scheint, dass Guaidó bisher durch Regierungen von rund 50 Ländern anerkannt ist (vgl. https://www.deutschlandfunk.de/venezuela-vereinte-nationen-fordern-dialog.1939.de.html?drn:news_id=983221, Aufruf 10.3.2019). Das heißt ja aber zugleich, dass ihn Regierungen von knapp 150 Ländern gerade NICHT anerkannt haben – also die weit überwiegende Mehrheit der in den Vereinten Nationen vertretenen Länder. Warum liest man diesen wichtigen Kontext kaum? „Fake News“ sind laut Georg Mascolo auch solche Beiträge, die „durch Auslassungen und Verkürzungen einen bewusst falschen Eindruck erwecken“ (https://www.sueddeutsche.de/medien/journalismus-fuenf-vorschlaege-fuer-den-umgang-mit-fake-news-1.3413492, Aufruf 10.3.2019, 19.50 Uhr).
Mein Hauptkritik-Punkt hier ist allerdings nicht, inwieweit es sich bei solchen Beiträgen um „Fake News“ handele (obwohl auch das nicht un-interessant ist), sondern, dass der Diskurs ingesamt vom Narrativ bestimmt wirkt, es laufe alles auf einen „Regime Change“ hinaus (natürlich in Richtung Freedom and Democracy). Eine Variante eines erstaunlich geschlossenen, geradezu teleologischen Geschichtsbildes, demzufolge die Entwicklung einem feststehenden Fahrplan oder Gesetz folge, als gleichsam „self fulfilling prophecy“. Doch das Leben dürfte auch hier widerspruchsvoller sein als gewisse „Gut-Böse-Schemata“.
Fake-Reportagen aus der Mitte des Stromes
„An einem späten Januarabend, der Himmel über Joplin, Missouri, ist ohne Mond, verlässt eine kleine zierliche Frau ihr Haus, um einen Mann, den sie nicht kennt, sterben zu sehen. Sie verriegelt die Tür, dreht den Schlüssel dreimal um, dann geht sie eine menschenleere Straße entlang, zum Busbahnhof. Sie besorgt sich ein Greyhound-Ticket für 141 Dollar nach Huntsville, Texas, und zurück. Sie hat nur eine Handtasche und einen leichten Rucksack mit einer Bibel, einer Zahnbürste und ein paar Keksen als Proviant dabei. Gayle Gladdis, 59, eine Frau mit schulterlangem Haar und Perlenohrringen, plant, nicht länger als 48 Stunden unterwegs zu sein, um das Böse aus der Welt zu schaffen.“
Ein typischer Einstieg in einen Spiegeltext, der wohl eine Reportage sein soll. Wie so oft mittels „szenischer Rekonstruktion“. Erschienen im Spiegel am 3.3.2018 und so richtig bekannt geworden dann ab dem 19.12.2018 (Quelle: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/der-fall-claas-relotius-wie-das-spiegel-sicherungssystem-an-grenzen-stiess-a-1244593.html, Aufruf 19.12.2018, 20.33 Uhr).
Denn der Text stammt von Claas Relotius und soll die US-Amerikanerin Gayle Gladdis beschreiben, die durch die USA reist, um dabei zuzusehen, wie Menschen durch Giftspritzen von Staats wegen hingerichtet werden. Die Spiegelführung schreibt dazu: „Gayle Gladdis, so sagt es zumindest Relotius, gibt es. Aber Relotius hat sie nur einmal getroffen, für 20 Minuten vor dem Gericht, in dem die Hinrichtung stattfindet. Er war nie bei ihr zu Hause, die Einstiegsszene an der Haustür hat er erfunden, wohl auch ihre Biografie.“
So weit, so schlecht. Aber ist es nicht fragwürdig, den sich jetzt abzeichnenden Skandal um mutmaßlich viele gefälschte Reportagen und andere Beiträge im Spiegel auf etwaige Persönlichkeitsdefizite des bisherigen Star-Reporters Relotius zu reduzieren? Wäre das nicht billiges Sündenbock-Bashing?
Der designierte Print-Chefredakteur Ullrich Fichtner wird zitiert (Quelle: https://meedia.de/2018/12/19/der-eine-getuerkte-text-zuviel-spiegel-trennt-sich-von-reporterpreis-traeger-claas-relotius-wegen-betrugsverdacht/ Aufruf 19.12.2018, 21.45 Uhr) und macht wohl nolens volens einige der Strukturprobleme deutlich, die auch (und vielleicht gerade) ein so etabliertes Medium wie den „Spiegel“ zu betreffen scheinen:
„Als Redakteur, als Ressortleiter, der solche Texte frisch (frisch? Sind wir hier an der „Frischetheke“? SeK) bekommt, spürt man (also er, SeK) zuerst nicht Zweifeln nach (zweifellos eine effiziente Einstellung, SeK), sondern freut sich über die gute Ware (in der Tat: Es geht um Warenproduktion wie im ganz ordinären Kapitalismus. Offenbar möglichst billig und schnell – und dennoch gut erscheinend, SeK). Es geht um eine Beurteilung nach handwerklichen Kriterien (welche immer das auch sein mögen, SeK), um Dramaturgie (Drama sells, SeK), um stimmige Sprachbilder (das lesen wir jetzt immer wieder: Diese Text seien so elegant, geradezu suggestiv gut geschrieben, das spreche einfach für sich, SeK), es geht nicht um die Frage: Stimmt das alles überhaupt? (Klar, Fake News machen ja immer die anderen – also die Bösen da draußen, SeK). Und dieser Relotius liefert immer wieder hervorragende Geschichten (märchenhaft glaubwürdig sozusagen, SeK), die wenig Arbeit (das erhöht Umsatz und Gewinn, SeK) und viel Freude (Entertainment wollen die Leute haben! SeK) machen.“
Ich finde, dieser Text vom künftigen Text-Chef des „Spiegel“ kann deutlich machen, dass in gewisser Weise „der Fisch vom Kopf stinkt“. Also von den Strukturen her. Hauptsache, die Fassade stimmt. Dahinter verbirgt sich meines Erachtens eine explosive Mischung von Selbstüberschätzung und struktureller Überforderung. Auch beim „Spiegel“ bräuchte es mehr und bessere Ressourcen, aber auch mehr Selbstkritik, um dem tendenziellen Durchwinken von nicht-journalistischen Beiträgen (seien es Fake-Reportagen, seien es PR-lastige Texte) zumindest entgegenwirken zu können. Solange Strukturprobleme wichtiger Medien aber auf kranke oder auch böse Einzeltäter (Michael Born, Tom Kummer, Jason Blair, Claas Relotius) abgewälzt werden, wird die Show weitergehen – aber eher als Koloss auf tönernen Füßen. Besserer Journalismus ginge anders!
l2.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Der bereits erwähnte Ullrich Fichtner, künftiger Text-Chef des „Spiegel“, wird nochmals zitiert (https://meedia.de/2018/12/19/der-eine-getuerkte-text-zuviel-spiegel-trennt-sich-von-reporterpreis-traeger-claas-relotius-wegen-betrugsverdacht/, Aufruf 19.12.2018, 22.09 Uhr):
„An “Jaegers Grenze” wird Relotius scheitern. Es ist der eine getürkte Text zuviel, weil er diesmal einen Co-Autoren hat, der seinen “Quatsch” nicht mitmacht, der Alarm schlägt und bald Fakten gegen die Fiktionen sammelt.“
Genau – solche Texte sind wahlweise „gelinkte“ oder eben „getürkte“. Das Böse ist immer und überall, aber es kommt von der anderen Seite oder eben von ganz weit draußen. Mag es ein erkenntnispraktischer „blinder Fleck“ sein – Rassismus ist das natürlich nicht, sondern der ganz normale deutsche Sprachgebrauch, hier in der Spiegel-Chefetage. Wäre ja auch wenig unterhaltsam, schlicht vom „gefälschten Text“ zu schreiben. „Frisches“ (s.o.) Texten á la Fichtner scheint anders zu gehen.
Sie ahnen nicht einmal, was sie nicht wissen
Zwölf Tage nach meiner Kritik an den ARD-„Tagesthemen“ zum Thema „100 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland“ antwortete der Publikumsservice von ARD-Aktuell. Die KollegInnen aus Hamburg schreiben (versuchend, meine Kritik zusammenzufassen): „Ihrer Meinung nach (fehlt) der Blick auf die DDR-Geschichte.“
Nein, „der Blick“ hatte ich nicht geschrieben, weil es „DEN“ Blick kaum geben kann. Es fehlte überhaupt EIN Blick auf die oder aus der DDR-Geschichte, obwohl es ja um so wichtige Themen wie Schwangerschaftsabbruch und Erwerbstätigkeit von Frauen ging, die in DDR und BRD doch ziemlich verschieden erfahren wurden.
Dann meint man, mich mit politischen Allgemeinplätzen belehren zu müssen, um die es erstens sowohl in den TV-Beiträgen als auch in meiner Kritik gar nicht ging und die ich zweitens längst (und immernoch) weiß: „So waren die politischen Führungsfunktionen in der DDR fast ausschließlich von Männern besetzt. Der Frauenanteil im Zentralkomitee der SED lag unter 15 Prozent, im Politbüro waren so gut wie keine Frauen vertreten und im Ministerrat war es zuletzt nur Margot Honecker.“ Wer hätte das gedacht?
Jetzt aber wird es interessanter, weil es um gewisse Unterschiede zwischen Frauen in BRD und DDR geht (was im Beitrag, wie gesagt, mit keinem Wort vorkam): „Was sich unterschieden hat, war das vom Sozialismus propagierte Frauenbild von der in der Bundesrepublik vorherrschenden Rollenverteilung.“
Das lässt tief blicken. Es standen sich also gegenüber „Sozialismus“ und „Bundesrepublik“. Und „Propaganda“ machen natürlich immer die anderen – geschenkt. Aber inwieweit es neben der Propaganda in der DDR eine von jener in der BRD verschiedene und in mancher Hinsicht deutlich fortschrittlichere Rollenverteilung gab (die Beispiele in den TV-Beiträgen waren ja gerade Schwangerschaftsabbruch oder Erwerbsbeteiligung) – das gerät beim hier offenbar vorherrschenden „Framing“ (den impliziten Wahrnehmungs- und Interpretationsrahmen) gar nicht erst in den Blick, geschweige denn in den Diskurs. Man könnte sagen – sie wissen es nicht nur nicht, sie können anscheinend auch gar nicht ahnen, dass sie es nicht wissen.
Immerhin scheint man sich in der eigenen Filterblase nicht komplett abschotten zu wollen: „Gleichwohl gab es – und da haben Sie Recht- Unterschiede zwischen der DDR und der Bundesrepublik. Im Rückblick betrachtet wäre es sicher wünschenswert gewesen, wir hätten diesen Aspekt im Beitrag über die drei Frauengenerationen unterbringen können. Wir halten aber dennoch den Gesamtblock zu „100 Jahre Frauenwahlrecht“ für journalistisch absolut vertretbar. Es ging, wie bereits gesagt, vor allem um die Frage der politischen Gleichberechtigung.“
Was für ein seltsam enges und selektives Verständnis des Politischen! Aber „absolut vertretbar“ – das bringt die relativ ausgeprägte Unfähigkeit zu Perspektiv-Wechsel und Selbstkritik fast schon „absolut“ auf den Punkt.
Was lässt sich daher von solchen leer wirkenden Floskeln halten? „Haben Sie vielen Dank für Ihre kritischen Anmerkungen. Grundsätzlich ist es richtig, dass wir uns bei der Planung und Gestaltung unserer Sendungen immer wieder vor Augen führen müssen, dass die Menschen in Deutschland mehr als vier Jahrzehnte in verschiedenen Ländern und Gesellschaften gelebt haben.“ Die Botschaft hör`ich wohl, allein mir fehlt der Glaube angesichts der Zeilen zuvor.
Aber trotz aller Ernüchterung über die anscheinend weiterhin stark ausgeprägte Kritik-Resistenz bei ARD-aktuell (zumindest bei Kritik von „links“) werde ich dem Publikumsservice natürlich gerne eine Bitte erfüllen: Als „kritischer Begleiter (ihrer) Nachrichtenangebote erhalten“ bleiben.
Bild der Frau? Kein west-östlicher Divan
1.) Meine aktuelle Medienkritik der Woche: „100 Jahre Frauenwahlrecht“, das war auch in den ARD-Tagesthemen am 12.11.2018 (https://www.ardmediathek.de/tv/Tagesthemen/tagesthemen/Das-Erste/Video?bcastId=3914&documentId=57608738, Aufruf am 18.11.2018, 17.15 Uhr) ein wichtiges Thema, mit zwei Filmbeiträgen und einem Kommentar. In den gesamten knapp zehn Minuten zum Thema „Frauenrechte“ taucht allerdings kein einziger Halbsatz auf zum Thema „Frauen in der DDR“. Dabei geht es den „Tagesthemen“ durchaus um Themen wie Berufstätigkeit von Frauen oder auch Schwangerschaftsabbruch (was auch hier „natürlich“ stark negativ wertend „Abtreibung“ genannt wird). Aber kein Wort darüber und anscheinend auch kein Gedanke daran, dass es gerade mit Blick auf Gleichstellung der Frauen in der DDR andere und oft klar fortschrittlichere Entwicklungen gab als in der BRD. Da dürfen im TV-Beitrag drei glasklare „Westfrauen“ (Rita Süßmuth, Susanne Omran, Carina Beck) stellvertretend für drei Generationen deutscher Frauen reden. Und kein Seitenblick nach oder von „Osten“ relativiert die bundesdeutsche „Erfolgsgeschichte“.
Selbst die den Grünen nahestehende Heinrich-Böll-Stiftung, die kaum der DDR-Nostalgie verdächtig ist, schreibt in einer Studie aus dem Jahre 2016 (https://www.boell.de/de/2016/11/09/familienpolitik-ost-und-westdeutschland-und-ihre-langfristigen-auswirkungen, Aufruf am 18.11.2018, 17.30 Uhr):
„Schon kurz nach der Gründung der DDR wurde 1950 ein “Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau” erlassen,[…] das mit der Tradition des Nationalsozialismus, die Frau primär über ihre Mutterrolle zu definieren, klar brach. So schrieb §14 vor, dass:
“…die Eheschließung für die Frau keine Einschränkung oder Schmälerung ihrer Rechte zur Folge hat” und noch expliziter in §15: “Durch die Eheschließung darf die Frau nicht gehindert werden, einen Beruf auszuüben oder einer beruflichen Ausbildung und ihrer gesellschaftlichen und politischen Fortbildung nachzugehen; auch wenn hierdurch eine zeitweilige örtliche Trennung der Eheleute bedingt wird.”“
Und weiter im Text der Böll-Stiftung: „Auch die Rechte von Frauen, die uneheliche Kinder geboren hatten, wurden mit diesem Gesetz von 1950 in §17(1) gestärkt: “Die nicht eheliche Geburt ist kein Makel. Der Mutter eines nicht ehelichen Kindes stehen die vollen elterlichen Rechte zu, die nicht durch die Einsetzung eines Vormundes für das Kind geschmälert werden dürfen.” Diese Regelungen standen in direktem Gegensatz zu den zeitgleich in der BRD geltenden Gesetzen, die teilweise noch jahrzehntelang etwa Ehefrauen und Alleinerziehende diskriminierten.“ Soweit der O-Ton von der Böllstiftung.
Schwangerschaftsabbrüche waren in der DDR bereits ab 1972 ohne weitere Bedingungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche möglich – und das, obwohl ja permanenter Arbeitskräftemangel herrschte. Auch die „Pille“ gab es kostenlos für jede Frau, die so eine Schwangerschaft verhüten wollte.
Die soziale Norm der Vollzeiterwerbstätigkeit galt auch für Mütter, so dass die meisten nach Ablauf des Babyjahres wieder arbeiten gingen. Nur so war die hohe Erwerbsbeteiligung von 91 Prozent bis zum Wendejahr 1989 erreichbar – die höchste Quote weltweit, wie sich auch in der Studie der Böll-Stiftung nachlesen lässt.
Es gibt also beim Thema „Gleichstellung der Frauen“ ziemlich unterschiedliche Erfahrungen zwischen Ost- und Westdeutschen. Damit sollte man in einer offenen Gesellschaft und in pluralistischen Medien umgehen können. Doch am Beispiel dieser „Tagesthemen“ zeigt sich, dass es in öffentlich-rechtlichen Medien offenbar weiterhin ein massives (und vielleicht sogar wachsendes) Repräsentationsproblem gibt, was die Artikulation von DDR-Erfahrungen und damit von ostdeutschen Sichtweisen (denn es geht ja auch um nach 1990 Geborene) betrifft. Das scheint bedenklich, da es gleichsam Sinnbild ist für verschiedene spiegelbildliche „Filterblasen“, die sich meines Erachtens gegenseitig verstärken. Die Zustimmungsraten zur AfD im Osten und zu den Grünen im Westen korrelieren in gewisser Weise, und das scheint kein Zufall. Gesamtgesellschaftliche Kommunikation kann so kaum gelingen.
2.) Zum stilkritischen Kaleidoskop: Das Portal „Börse Online“ meldete am 13.8.2018 (https://www.boerse-online.de/nachrichten/devisen/tuerkische-lira-setzt-talfahrt-fort-1027452076, Aufruf am 18.11.2018, 18.30 Uhr): „Experten gehen davon aus, dass eine deutliche Zinserhöhung um mehrere Prozentpunkte den Lira-Verfall bremsen könnte. Mit ein Auslöser für den Lira-Verfall waren allerdings Sorgen über die Unabhängigkeit der Notenbank: Erdogan hat sich selbst wiederholt als “Gegner der Zinsen” bezeichnet und angekündigt, eine größere Kontrolle über die Geldpolitik auszuüben.“
„Mit ein Auslöser“ liest sich merkwürdig doppelt-gemoppelt: „Ein Auslöser“ reicht doch völlig! Oder würden wir beispielweise schreiben nach dem 3:0-Sieg der DFB-Männer gegen das russische Team: „Mit ein Torschütze der deutschen Mannschaft war Leroy Sané“?
Den vollen Namen, das ganze Bild?
1.) Aktuelle Medienkritik: Im RBB-Inforadio wurde der Ex-Krankenpfleger am Dienstag, 30.10., weiterhin „Niels H.“ genannt, viele andere Medien sprechen dagegen seit langem von „Niels Högel“, der NDR hatte beide Varianten am Start, wenn es um den „größten Mordprozess der deutschen Nachkriegsgeschichte“ geht. (https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/oldenburg_ostfriesland/Der-mordende-Krankenpfleger-alles-zum-Prozess,hoegel170.html (Aufruf am 30.10.2018, 21.42 Uhr). Details über Verdächtige oder Angeklagte journalistisch zu erwähnen, bedeutet immer eine Abwägung zwischen Medienfreiheit, öffentlichem Interesse und Persönlichkeitsrecht (https://blog.zeit.de/nsu-prozess-blog/2013/09/05/beate-zschaepe-medien-namen-abkuerzen/ Aufruf 301.10.2018, 21.44 Uhr). Denn Entscheidungen der Staatsgewalten sollen einerseits öffentlich nachvollziehbar sein. Deshalb sind ja zu Gerichtsverhandlungen grundsätzlich Besucher zugelassen (Ausnahmen gibt es, etwa im Jugendstrafrecht). Nun ist die Öffentlichkeit eines Gerichtssaals sehr begrenzt, die Rechte der Angeklagten oder Verurteilten bleiben in dem engen Rahmen gewahrt. Erst durch journalistische und andere Medien erlangt ein Prozess jene Breitenwirkung, die den Schutz Betroffener erfordert. Deshalb haben sich Journalisten und Verleger eigene Regeln gegeben: Im Pressekodex heißt es (https://www.presserat.de/pressekodex/pressekodex/#panel-ziffer_8__schutz_der_persoenlichkeit_, Aufruf 30.10.2018, 13.52 Uhr), dass Verdächtige oder Täter nicht identifizierbar dargestellt werden sollen, um den Betroffenen eine spätere Resozialisierung so leicht wie möglich zu machen. In Richtlinie 8.1 des Pressekodex heißt es zur „Kriminalberichterstattung“, die Presse veröffentliche dabei Namen, Fotos und andere Angaben, durch die Verdächtige oder Täter identifizierbar werden könnten, nur dann, wenn das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit im Einzelfall die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiege. Für ein überwiegendes öffentliches Interesse spreche in der Regel, wenn zum Beispiel eine außergewöhnlich schwere oder in ihrer Art und Dimension besondere Straftat vorliege. Davon kann im Fall des Ex-Krankenpflegers sicher ausgegangen werden. Bestimmte Umstände also können es rechtfertigen, den vollen Namen von Angeklagten zu nennen und Bilder zu zeigen.
Medien wie Bild und n-tv zeigen auch wiedererkennbare Gesichts-Bilder des Ex-Krankenpflegers, was fragwürdig bleibt, da das Gericht in diesem Falle darauf bestand, den Angeklagten unkenntlich erscheinen zu lassen. Viele Medien gehen offenbar davon aus, dass Niels H. mindestens zur sogenannten relativen Person der Zeitgeschichte wurde. Das öffentliche Interesse überwiegt bei solchen Personen das Schutzbedürfnis der Betroffenen und auch deren Recht am eigenen Bild.
2.) zu meinem sprachkritischen Kaleidoskop: Im RBB-Inforadio hieß es in den Nachrichten am 27.10.2018 um 11.20 Uhr: „Der Außenminister Saudi-Arabiens sagte, der Prozess fände in Saudi-Arabien statt“. Das ist eine – sicher unfreiwillige – Vermischung von Information und Kommentar. In den Nachrichten sollte es heißen: „Der Minister sagte, der Prozess FINDE in Saudi-Arabien statt.“ Der Konjunktiv II mag hingegen in meinungsbetonten Darstellungsformen genutzt werden, um Distanz zum Gesagten zu vermitteln: Ich weiß es anders, ich glaube es nicht, ich mache mich darüber lustig: „Der Minster versprach hoch und heilig, der Prozess fände natürlich und streng rechtsstaatlich in Saudi-Arabien statt“. Ais ob das so schwer wäre! Pardon: ist!
Rechts, rechtsextrem, faschistisch?
1.) Zum Beispiel in der einst linksliberalen spanischen Tageszeitung „El Pais“ kann ich dieser Tage immer wieder lesen (Printausgabe vom 20.10.2018, Seite 13), dass in Brasilien eine Stichwahl zwischen einem linken und einem rechten Präsidentschafts-Kandidaten stattfände. Dass der mindestens rechtsextreme (und mittlerweile auch wirtschaftsliberale) Bolsonaro noch als „rechts“ und der bestenfalls sanft sozialdemokratische Haddad schon als „links“ gelten soll, zeigt, wieweit sich auch hier nicht zuletzt der mediale Rahmen stramm nach rechts verschoben hat. Dazu passt mit Blick auf Spaniens wichtigste Zeitung, dass der Ex-Präsident von Brasilien (1995-2003), Fernando Henrique Cardoso, hier eine ganze Seite Essay füllen darf mit dem Tenor, Bolsonaro sei doch gar nicht so schlimm, ohne dass zur Einordnung irgendwo darauf verwiesen würde, dass Cardoso ja selbst als einer der Vorreiter jener mittlerweile fast schon typischen Allianzen zwischen wirtschaftlichem Neoliberalismus und politischem Autoritarismus kritisiert wird.
2.) Im wie gesagt sehr lesenswerten Buch des Philosophen Guillaume Pauli „Die lange Nacht der Metamorphose“, in dem es um Mutationen in Richtung einer Gentrifizierung von Kultur geht, heißt es auf Seite 181: „Nach der Machtergreifung der Nazis arbeitet (Carl Einstein) am Manuskript weiter (….)“. Das wundert mich, gerade aus der Feder eines so klugen Kritikers nicht nur des Turbokapitalismus, sondern überhaupt des Kapitalismus: Ging es 1932/1933 nicht vielmehr um eine „Machtübergabe“ seitens wichtiger Teile der herrschenden Eliten in Politik, Wirtschaft, Militär etc. an die Nazis? Die Macht lag doch nicht auf der Straße an jenem 30.1.1933 und wurde dort ergriffen, sondern sie wurde relativ regulär übergeben an die aufstrebenden deutschen Faschisten, namentlich an den neuen Reichskanzler Adolf Hitler (dessen Stern bei halbwegs demokratischen Wahlen ja schon seinen Zenit überschritten zu haben schien). Das erscheint mir sprachlich wichtig, weil sonst meines Erachtens im Vergleich zum zivilisatorischen Bruch (der es auch war und ja noch viel schlimmer wurde) wichtige Kontinuitäten zwischen Weimarer Verhältnissen und Nazi-Deutschland systematisch unterbelichtet blieben. Zum Beispiel BMW und Audi, Krupp und Thyssen, Deutsche Bank und Dresdner Bank, Bertelsmann und Oetker, Bayer, BASF und IG Farben, Degussa und nicht zuletzt Hugo Boss sowie viele andere Konzerne haben vor und nach „1933“ sehr gute und dann noch bessere Geschäfte machen können (https://www.huffingtonpost.de/2014/06/08/hitler-unternehmen-nazi-vergangenheit_n_5432205.html, Aufruf am 25.10.2018, 22.30 Uhr). Oder wie es John Heartfield im Oktober 1932 auf seinen Punkt brachte zum Sinn des Hitlergrußes: „Millionen stehen hinter mir“ (https://www.ksta.de/wirtschaftelite-das-todesspiel-13769014, Aufruf am 25.10.2018, 22.35 Uhr). Insofern verharmlost der Terminus „Machtergreifung“ die Verantwortung wichtiger Teile der liberal-kapitalistischen Verhältnisse für die „Machtübernahme“ durch die Nazis.