Die Verhältnisse von Dokumentarischem und Inszeniertem bewegen

Rezension zu Michael Schomers: Der kurze TV-Beitrag. Reihe Praktischer Journalismus, Band 87. UVK Verlagsgesellschaft Konstanz 2012. ISBN 978-3-86764-235-4

Für die wissenschftliche Rezensionsplattform „r.k:m.“ der TU Dortmund (Link: http://www.rkm-journal.de/)

Von Sebastian Köhler

Michael Schomers dürfte in mehrerer Hinsicht wissen, worüber er schreibt: Der 1949 Geborene arbeitet nach eigenen Angaben einerseits praktisch als freier Fernsehjournalist, Autor, Regisseur, sowie TV-Produzent und andererseits reflexiv als Dozent in der journalistischen Aus- und Weiterbildung. Originell erscheinen mir seine Versuche, Theorien und Umsetzungen zum kurzen TV-Beitrag im Rahmen des „dokumentarischen Fernsehens“ (128) in Deutschland zu diskutieren. Der Autor erklärt, sein Buch sei „keine theoretische und abstrakte Abhandlung über das Thema, sondern eine möglichst anschauliche Beschreibung ganz konkreter Produktionen mit vielen Beispielen aus der Praxis“ (9). Diese Einschätzung kommt meiner recht nahe – dennoch hätte dem Buch insgesamt noch mehr Reflexivität sicher nicht schlecht getan – zum Beispiel im Sinne des Diskutierens praktischer oder eben auch theoretischer (aus der Literatur bekannter) jeweiliger Alternativen.
Schomers, der beide Seiten der dualen deutschen Fernsehlandschaft kennt, sieht „die Grundfrage“ (246) darin, wieso gebührenfinanziertes Fernsehen überhaupt so stark auf „die Quote“ (Reichweite und Marktanteil also) schaue und dabei oft den Sendeauftrag „sehr vernachlässigt“. Vor diesem Hintergrund verflache, ja verkomme der Journalismus immer mehr einerseits zur oberflächlichen hyper-aktuellen Berichterstattung, andererseits zur relativ reinen und zudem seichten Unterhaltung (239f.).
Schomers sozial aufgeschlossene professionelle Grundhaltung als Journalist und Journalistik-Dozent kennzeichnet sein gesamtes Buch, er macht sie gegen Ende explizit: „Eine der wichtigsten Aufgaben für uns Journalisten ist es, hinter die Kulissen zu schauen, die Mächtigen in unserem Land zu kontrollieren und die oft zitierte Rolle als „vierte Gewalt“ wirklich auszufüllen. Eine Rolle, die leider heutzutage im Fernsehen, bis auf wenige Ausnahmen, nicht mehr gefragt ist und daher immer weiter verschwindet“ (235). Für Schomers heißt das medienpraktisch, „Anwalt sein zu können für Menschen, die keine Lobby haben“ (ebd.).
Besonders originell, weil theoretisch und praktisch sowohl kritisch als auch konstruktiv, erscheint Schomers‘ Auseinandersetzung mit den Schriften und dem redaktionellen Wirken des deutschen TV-Trainers Gregor Alexander Heussen (119ff.). Schomers versucht hiermit, auch bei Heussens Ansatz vom „Erzählsatz“ (in meinen Worten: Man kann und soll auch im aktuellen TV-journalistischen Bereich des Fernsehens möglichst Vieles als Geschichte vermitteln mit Erzählsatz in der Gegenüberstellung von Hauptfigur und Herausforderung sowie im Abarbeiten eines entsprechenden Roten Fadens aus der insbesondere verbalsprachlichen Perspektive einer bestimmten Textperson) Chancen und Risiken in den Blick zu bekommen. Schomers konzentriert sich allerdings (für mich nachvollziehbar) auf die Gefahren, die (nicht nur) er in einer tendenziellen Verabsolutierung der Vorschläge Heussens sieht: Der Autor argumentiert, dass viele Zuschauer kaum „auf diese ermüdend eintönige Weise unterhalten werden“ (121) wollten (leider schreibt er im selben Satz zweimal „gar nicht“ – das müsste gar nicht sein!). Schomers sieht bei Heussen sogar „Jünger“ (ebd.) am Werk, denen er Nutzer gegenüberstellt, „die an Sachinformation interessiert sind und nicht an einer emotional aufgepeppten Geschichte oder einer irgendwie konstruierten Herausforderung“ (ebd.). Da die filmischen Beiträge nicht zuletzt durch die Nutzer entstehen (leider schreibt Schomers hier etwas holzschnittartig: „im Kopf des Zuschauers“ (ebd., 124)), könne es keine allgemeingültige dramaturgische Regel geben, die „egal welchem Thema“ (sic!) übergestülpt werde (121). Im Sinne einer – normativ auch hier zugrundeliegenden, aber kaum einmal explizit gemachten – journalistischen, also thematischen und darstellerischen Vielfalt bleibt zu kritisieren, dass durch gewissen Totalisierungen von Heussens Erzählsatz leider „viele Möglichkeiten weg(fallen), die zu anderen dramaturgischen Lösungen führen könnten.“ (ebd.). Schomers beklagt, dass TV-journalistische Beiträge so „insgesamt wohl erheblich gleichförmiger“ (123) würden. Systematisch und pragmatisch-konstruktiv habe auch ich mich mit eben jener Problematik auseinanderzusetzen bemüht, um womöglich pathologischen Einengungen bei Themenwahl und Umsetzungen in der aktuellen TV-Berichterstattung entgegenwirken zu können (vgl. KÖHLER 2009-174ff.): Journalistische Vielfalt als wichtiges Qualitätskriterium bedeutete daher – vor dem Hintergrund der Wirksamkeit der narrativen Darstellungsart – zumindest zweierlei: Erstens als „externe Vielfalt“, angesichts von Ereignissen mit Storypotential anderes, relevantes Geschehen auch und angemessen zu vermitteln – die Welt bleibt ja nicht stehen, nur weil z.B. die Geburt eines royalen Babys ansteht. Und dies bedeutete zweitens als „interne Vielfalt“, das geschichtsträchtige Geschehen – sofern gesellschaftlich relevant – selbst vielseitig und hintergründig zu vermitteln. Also – was die „interne Vielfalt“ auf der Ebene der Sendung und Sendungen angeht – nicht nur in einer Darstellungsart und Darstellungsform, nicht nur in einer Perspektive und Position, nicht nur mit einer Hauptperson sowie der auf sie bezogenen Herausforderung samt deren Auflösung und daher verbunden nicht nur mit tendenziell einseitigen Gefühlen und Informationen. Und was die „interne Vielfalt“ bezogen auf den einzelnen narrativen
Beitrag angeht, durch objektivierende journalistische Ansätze wie Aus-Balancierung (zu) einseitig-suggestiver Bilder durch die Textperson/den Sprechertext, durch parallele Handlungsstränge (nicht nur in der Gesamtsendung, sondern, wo möglich, auch im einzelnen Beitrag) oder durch den Einbezug von pluralisierenden, einordnenden Nebenfiguren bzw. anderen alternativen Quellen in Bild und Originalton. Auch Schomers plädiert in diesem Sinne sicher für solides Handwerk, aber insbesondere für Individualität und das Ausprobieren neuer, kreativer Lösungen (125). Überzeugend finde ich daher auch Schomers‘ Einordnen der normierten Erzählsätze in vielen Bereichen des gegenwärtigen TV-Journalismus in die übergreifenden Probleme der “Skripted Reality” und die von dort ausgehenden Gefahren für das Dokumentarische im TV überhaupt (126ff.). Schomers (er und ihn) bewegt die Frage der Verhältnisse von Dokumentarischem und Inszeniertem: “Wir gestalten unseren Film, was in gewisser Weise auch bedeutet, dass wir die Wirklichkeit gestalten” (133), und zwar, so wäre zu ergänzen, sowohl die mediale Wirklichkeit als auch die außer-mediale Wirklichkeit.
Zur Frage veränderter Sehgewohnheiten als Folge der “Clip-Ästhetik” und im Angesicht oftmals paralleler Medien- oder Kanalnutzungen gerade Jüngerer (134f.) warnt Schomers, wiederum praktisch und theoretisch nachvollziehbar, auch hier vor einer neuen Verabsolutierung. Er plädiert erneut für Vielfalt statt Einfalt, für das Offenhalten und Ausprobieren auch “anderer ästhetischer Formen”.
Schomers arbeitet seit rund 30 Jahren offenbar überwiegend selbständig, und dafür beschreibt er treffend einige Ambivalenzen dieser ja oftmals nur scheinbar “freien” Tätigkeiten zwischen erheblicher Selbstausbeutung und relativ un-entfremdeter Arbeit (56ff.). Die Problemzonen zwischen schrumpfender Kernbelegschaft und ebenfalls schrumpfenden “Kuchen” (als zu verteilenden Aufträgen) für eine wachsende Randbelegschaft (Pauschalisten, Freie, Praktikanten etc.) bestimmt der Autor als “Riss”, der durch die Fernsehlandschaft gehe (vgl. 214 mit Blick auf besondere “Frechheit” seitens festangestellter Redakteure).
Wenn Journalismus im Kern das Veröffentlichen von aktuellen, authentischen und autonomen Beiträgen bedeutet, die ohne das jeweilige journalistische Wirken gar nicht öffentlich werden könnten (so ja unter anderem Karl-Nikolaus Renner oder auch Michael Haller), ist klar, dass Recherche, also die rezeptive Seite des Journalismus, mindestens ebenso wichtig ist wie die produktive. Schomers problematisiert daher sehr zu Recht, dass gerade im TV-Journalismus Recherche in der Regel nicht bezahlt wird (72), was bedeutet, dass die Erwerbstätigkeit umso lukrativer ist, je weniger recherchiert wird – zweifellos eines der größten strukturellen Probleme der Fernsehpublizistik. Ein anderes bleibt – auf neuem Niveau – das Angewiesensein auf möglichst exklusive Bewegtbilder, was durch die privat-rechtlichen Sender (Schomers sagt ganz bewusst: “kommerzielle Sender” -181-, was ja aber leider die öffentlich-rechtlichen in mancher Hinsicht mittlerweile auch sind, wie der Autor immer wieder und nachvollziehbar moniert) zu immer mehr “Scheckbuchjournalismus” führe – wer das meiste Geld habe oder biete, bekomme den Zuschlag. Relevant und klar ist Schomers Blick auf die ökonomische Macht der Sender (und der Werbetreibenden bzw. sonstigen Interessengruppen, 88f.): Sie sitzen strukturell und tendenziell am längeren Hebel und dürfen daher mit (und in) den Filmen in der Regel machen, was sie wollen (218).
Besonderen praktischen Nutzwert versprechen die Passagen über selbst erlebte komplexe Dreh-Arbeiten (14, 52, 84 u.v.a.), zur Systematik im Umgang mit dem eigenen Material (150 – auch wenn die Speichermedien weiter aktualisiert sind), zum Laufenlassen der Kamera (173), zum Sichten und dem Einbezug von Praktikanten (191) und last but not least zum Umgang mit der versteckten Kamera (231f. – mit einer treffenden Kritik an einem MDR-Format, in dem arme Menschen auf diese Weise vorgeführt werden. Dieses Motiv taucht bei Schomers auch im Aufgreifen von Bernhard Pörksens Kritik am “Sozial-Porno” der Casting-Industrie mehrfach auf und hätte noch vertieft werden können -127, vgl. PÖRKSEN 2010).
Das Buch von Michael Schomers bieten daher insgesamt inhaltlich-praktisch einen sehr guten Überblick zum Thema, warum und wie kurze TV-Beiträge produziert werden (sollten).
Neben meiner Kritik am insgesamt doch leider etwas zu geringen theoretischen Spielraum, den der Autor nutzt und eröffnet, gesellt sich die Frage, ob das Buch tatsächlich, wie im Einband verkündet, ein Korrektorat erfahren hat. Zugute halte ich dem Autor eine oft angenehm umgangssprachliche Art, welche die Zielgruppe sicher anspricht. Aber Schomers ist ja offenbar keiner von den Fernseh-Überfliegern, die meinen, Schriftsprachliches versende sich so oder so. Vielmehr scheint er selber Anhänger eines vielfältigen und zugleich möglichst angemessenen und richtigen Sprachgebrauches. Auch deshalb ärgern die zahlreichen rechtschreiblichen, grammatikalischen und auch ausdrucksbezogenen Fehler im Buch umso mehr.

Literaturverzeichnis: ,
KÖHLER 2009 – Köhler, Sebastian: Die Nachrichtenerzähler. Zu Theorie und Praxis nachhaltiger Narrativität im TV-Journalismus. Reihe Angewandte Medienforschung, Band 45. Nomos-Verlag Baden 2009.
PÖRKSEN 2010 – Pörksen, Bernhard: Die Casting-Gesellschaft: Die Sucht nach Aufmerksamkeit und das Tribunal der Medien. Halem-Verlag Köln 2010.

Gelder landen sicher – Goldgrube oder Milliardengrab?

Von Sebastian Köhler

1.) Die Journalistenorganisation „Reporter ohne Grenzen“, die sich seit 1985 erklärtermaßen für Informationsfreiheit weltweit einsetzt, hat ihre aktuelle Rangliste der Pressefreiheit (also: der Freiheit journalistischer Medien wie auch Radio etc.) veröffentlicht (http://www.reporter-ohne-grenzen.de/ranglisten/rangliste-2012/, Aufruf am 30.1.2013, 11.18 Uhr). Globale Spitzenreiter bleiben Finnland, die Niederlande und Norwegen, Schlusslichter bei RoG sind weiterhin Syrien, Turkmenistan, Nordkorea und auf dem letzten Platz Eritrea. Die Medienfreiheit in Deutschland rutschte um einen Platz nach hinten nunmehr auf Rang 17. Problematisch erscheint laut der Menschenrechtsorganisation hierzulande vor allem die abnehmende Vielfalt der journalistischen Medien: Aus erklärtem Geldmangel arbeiteten immer weniger Zeitungen mit eigener Vollredaktion, mehrere Redaktionen wurden 2012 komplett geschlossen. Gleichzeitig investierten Unternehmen und PR-Agenturen steigende Summen, um ihre Inhalte zu publizieren. Zudem gelangten Journalisten oft nur schwer an Informationen von Behörden. Mit Sorge beobachtet RoG die Diskussionen um ein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung und Drohungen extremistischer Gruppen gegen kritische Redaktionen. Etwas überraschend mag sein, dass RoG – im Unterschied zu deutschen Journalisten-Berufsorganisationen – die gesetzlichen Neuregelungen von Schwarz-Gelb (zur Ergänzung von § 353 StGB) im Jahr 2012 klar positiv bewertet. Diese neuen Bestimmungen sollen Journalisten in Deutschland etwas weniger als bisher der Gefahr von Redaktionsdurchsuchungen und Beschlagnahmen aussetzen (nun nur noch bei Verdacht der Anstiftung zum Geheimnisverrat, nicht mehr aber bei bloßer Beihilfe). Allerdings werden auch in der neuen Gesetzesfassung Journalisten weiterhin nicht als professionelle Träger von Berufsgeheimnissen anerkannt, was unter anderem die dju in Verdi moniert (http://dju.verdi.de/pressemitteilungen/showNews?id=9efb322c-79cd-11e1-7f66-001ec9b05a14,, Aufruf am 30.1.2013, 11.44 Uhr).
2.) Nun gibt es auch eine ziemlich deutsche Version des „Crowdfounding“ journalistischer Arbeit, also des möglichst weit reichenden Sammelns von Spenden zur Finanzierung nach einem Aufruf, an einem relativ aufwändigen Recherche- oder Reportage-Projekt in einer bestimmten Frist mitzuwirken (vgl. „Wenn das Netz bezahlt“ von Marin Majica in BLZ, 29.1.2013, S.25): Die Plattform „Krautreporter.de“ versteht sich (natürlich) nicht als „die Rettung des Journalismus“, sondern als eine Möglichkeit seiner Weiterführung. Wichtig erscheint mir erstens, dass die Spender eher als aktive Nutzer auftreten (sollen), also nicht als passive Mäzene. Man kauft laut Krautreporter-Kopf Sebastian Esser weniger ein Produkt, als dass die Nutzer selber Teil der Produktions-Prozesse werden (können). Und zweitens führen diese Aufrufe und Interaktionen sicher zu (noch) mehr Selbstmarketing – Journalisten werden zu Marken und Marktschreiern ihrer selbst. Das lässt es spannend erscheinen, ob der Journalismus auf diesen Kraut-Wegen neue Balancen seiner Doppel-Köpfigkeit als Ware und Kulturgut findet.
3.) „El País“, vielleicht die wichtigste spanischsprachige Tageszeitung weltweit, erschien mir lange Zeit ein sehr lesenswertes, linksliberales Blatt. Die Krise hat auch bei „El País“ ziemlich das Land verwüstet – voriges Jahr hatte der Verlag erklärt, 30 Prozent der Belegschaft zu entlassen und der verbleibenden Kernbelegschaft die Gehälter pauschal um 15 Prozent zu kürzen. So falsch das sein mag, so falsch war der Foto-Scoop, den die Zeitung am 23./24. Januar landen wollte, mit der scheinbar ersten globalen Veröffentlichung eines Fotos des erkrankten Hugo Chávez, des Präsidenten Venezuelas, nach dessen erneuter Krebsoperation am 11.12.12 auf Kuba. Nicht nur die Regierung Venezuelas nannte das Vorgehen, ein Foto aus einem offenbar bereits 2008 auf YouTube hochgeladenen Video einer anderen Person als „Chávez exklusiv“ von einer Bildagentur zu kaufen und sogleich weiterzuverkaufen, „grotesk“ – Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner sprach von einer absichtlichen „Schurkerei“ (vgl. http://latina-press.com/news/144162-venezuela-el-pais-veroeffentlicht-fake-foto-von-hugo-chavez/, Aufruf am 30.1.2013, 16.07 Uhr). Die Redaktion brauchte nach Erscheinen des Bildes in Print- und Onlineausgabe ca. 40 Minuten, um dann zu erklären, es sei versäumt worden, Ort und Datum der Entstehung des Bildes zu überprüfen. „Das Geheimnis der Krankheit von Chávez“ hieß die Überschrift zum Bild, das die Auflage anscheinend um jeden Preis hochtreiben sollte (vgl. http://www.jungewelt.de/2013/01-26/014.php?sstr=el|pais,Aufruf am 30.1.2013, 16.24 Uhr). Doch das „mea culpa“ der Redaktion wurde auf geheimnisvolle Art zum Rundumschlag: Die Verantwortlichen von El País ließen mehrfach erklären, dass die restriktive Informationspolitik der Regierungen Kubas und Venezuelas zumindest mitverantwortlich gewesen sei für den Skandal (vgl. http://internacional.elpais.com/internacional/2013/01/26/actualidad/1359234203_875647.html, Aufruf am 30.1.2013, 16.37 Uhr). Klar – wenn offizielle Stellen keine Bilder bieten, muss man das selbst in die Hand nehmen. Auch Pippi Langstrumpf singt: „Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt“. Oder wie der Redaktions-Chor von El País (falls es den – noch – gibt) hinzuträllern dürfte: „Vor allem, wenn es zahlungskräftige Nachfrage danach gibt!“
4.) Wenn die Dauer-“bau“-stelle Großflughafen Berlin-Brandenburg (sprachkritisch durch unser Kaleidoskop betrachtet) eines NICHT ist, dann das vielbeschworene „Milliardengrab“ (siehe hingegen z.B. http://www.focus.de/finanzen/news/berlin-hat-kein-geld-fuer-den-flughafen-milliardengrab-ber-droht-im-november-die-insolvenz_aid_811043.html´, Aufruf am 30.1.2013, 16.45 Uhr). Die „geplanten“ Kosten des Projektes stiegen (http://de.wikipedia.org/wiki/Flughafen_Berlin_Brandenburg, Aufruf am 30.1.2013, 16.51 Uhr) von 1,7 Milliarden Euro (2004) auf jetzt mindestens 4,3 Milliarden Euro (2012). Nein, diese Gelder wurden und werden NICHT verbrannt (auch wenn der Flughafen so ähnlich heißen soll), und sie verschwanden und verschwinden auch nicht in irgendeinem schwarzen Loch. Sie werden einfach von uns Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern eingezogen und dann verteilt, neu verteilt, umverteilt. Große Konzerne (z.B. Global Player wie Siemens und Bosch) sowie mittelständische Unternehmen (unter anderem Baufirmen aus der Region) sind und bleiben im Geschäft. Anstatt nur auf die regierenden und sich abwechselnden „Pfeifen“ (so ein Unionspolitiker gegen Wowereit und Platzeck, siehe http://www.spiegel.de/politik/deutschland/streit-um-flughafengesellschaft-csu-bezeichnet-platzeck-als-pfeife-a-876685.html, Aufruf am 30.1.2013, 17.14 Uhr) an der Aufsichtsratsspitze einzuschlagen, wäre es journalistisch verdienstvoll, genau zu recherchieren und zu publizieren, wo die Gelder (nach dem Geld-Erhaltungssatz – Geld erhält sich zwar nicht genauso wie Energie, aber jemand Bestimmtes erhält es meistens) durch die – doch leicht hirn-verbrannten – Vernebelungen von „Milliardengrab“ und „schwarzem Loch“ hindurch schon gelandet (sic!) sind und noch landen werden – ich vermute, es geht auch da um ziemlich handfeste materielle Interessen.

Nur keine Neidspirale: Umsonst kann teuer werden

Von Sebastian Köhler

1.) Auf sogenannten sozialen Netzwerken wie Facebook geht es weit überwiegend „positiv“ zu, es herrscht hier laut dem deutsch-koreanischen Philosophen Byung Chul Han geradezu ein „Übermaß an Positivität“ – beispielsweise gibt es vor allem und ganz einfach zu bedienen den „Like“-Button (siehe mein Blog vom 23.3.2012). Doch dieser besondere Positivismus führt – Forschern der Berliner Humboldt-Universität um Wirtschaftsinformatikerin Hanna Krasnova zufolge – dazu, dass „Facebook“ tendenziell als Neidspirale funktioniert: Die ausgestellten guten Seiten, tollen Meldungen und schönen Fotos erzeugen im sozialen Vergleich bei vielen Befragten Frustration. Um diese zu kompensieren, stellen etliche Nutzer in Reaktion darauf ihr eigenes Leben auch oder sogar noch positiver dar, was wiederum zu Neidgefühlen bei den nächsten „Freunden“ führen dürfte – die Spirale ist im Gang. Solche Neidgefühle sollen sich durchaus negativ auf die Lebenszufriedenheit der Nutzer auswirken (vgl. http://meedia.de/internet/facebook-erzeugt-eine-neidspirale/2013/01/22.html, Aufruf am 23.1.2013, 16.14 Uhr, siehe Tageszeitung junge Welt. 22.1.2013. S.12). Deshalb scheint der Logout-Button in solchen Fällen fast noch wichtiger als der Like-Button.
2.) Die Tendenz zum „Umsonstjournalismus“ (hier gemeint vor allem in Form der unbezahlten Mehrfachverwendung journalistischer Arbeit durch Verlage oder Sender in verschiedenen Medien/Kontexten) ist laut Journalistikwissenschaftler Hektor Haarkötter (München) und Medien-Anwalt Stefan Müller-Römer (Köln) auch urheberrechtlich fragwürdig: Wenn wir von § 32 des Urhebergesetzes ausgehen, der eine angemessene Vergütung für den Urheber rechtlich verlangt, dann sollten auch die allermeisten journalistischen Beiträge als Werke in diesem Sinne gelten. Das Landgericht Hamburg hat in einem vor allem für freie Journalisten weg-weisenden Urteil befunden (vgl. MMM 7/2012, S.35, Urteil des LGH vom 22.9.2009, 312 O 411/09), dass der „Urheber tunlichst an dem wirtschaftlichen Nutzen zu beteiligen ist, der aus seinem Werk gezogen wird, und zwar bei jeder einzelnen Nutzung des Werkes“. Scheinbar umsonst kann also für die Verwerter richtig teuer werden, wenn sich die Urheber organisieren.
3.) Zum jüngsten sprachkritischen Kaleidoskop (vom 16.1.) schrieb mir der Erste Chefredakteur von ARD-aktuell, Dr. Kai Gniffke: „Vielen Dank für Ihre Mail und die Anregung in Bezug auf den „Hinterhof“. Auch wenn ich Ihre historische Herleitung nachvollziehen kann, bin ich an dieser Stelle anderer Meinung. Ich finde, dass „Hinterhof“ mittlerweile eher einen räumliche Nähe als eine Abhängigkeit bzw. Unterlegenheit ausdrückt. Insofern glaube ich, dass sich die Bedeutung tatsächlich gewandelt hat. Dennoch: Wenn eine Bezeichnung von einigen Zuschauern missverstanden wird und negativ besetzt ist, sollten wir prüfen, ob wir nicht einen anderen Terminus benutzen sollten. Ich könnte mir vorstellen, dass wir statt vom „Hinterhof“ künftig vielleicht vom „Vorhof“ sprechen“. Das finde ich einen konstruktiven Umgang mit Kritik und würde dennoch in dieser Woche die Redaktion der „Tagesthemen“ fragen, ob wir – wie es Moderator Tom Buhrow und Reporterin Tina Hassel am 20.1. taten – von Barack Obama als dem „ersten schwarzen US-Präsidenten“ sprechen sollten. Das tun sicher viele Medienvertreter, konservative wie liberale. Vielleicht mag sich ja auch die Bedeutung des metaphorischen Ausdruckes „schwarz“ in solchen Kontexten gewandelt haben – ich nenne Obama in meinen journalistischen Texten in dieser Hinsicht den ersten „afroamerikanischen“ oder „dunkelhäutigen“ US-Präsidenten. „Schwarz“ oder „farbig“ erscheint mir bestenfalls gedankenlos, eher aber versteckt rassistisch, weil man (und frau) von all dem, was bei „Schwarz-Weiß-Malerei“ mitschwingt (Schwarzfahren, blütenweiß etc.), als medienkompetenter Nutzer und Produzent nicht oberflächlich absehen sollte.

Haus ohne Hüter?

Von Sebastian Köhler
1.) Jedermann weiß, wenn er auch sonst nichts weiß, dass ein Haus Hüter braucht. Das ist gut für das Haus und gut für die Hüter. Der WAZ-Konzern aber zeigt sich in dieser Woche innovativ und scheint die erste Zeitung ohne Redaktion erfinden zu wollen – die Redaktion der Westfälischen Rundschau soll geschlossen, 120 Beschäftigte entlassen werden. Der Mitgesellschafter ddvg, also die SPD-nahe Medienholding, zeigt sich enttäuscht, und der stellvertretende Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Frank Werneke, sieht nimmersattes Gewinnstreben am zerstörerischen Werk: »Durch die Übernahme von Inhalten aus anderen Häusern wird der journalistischen Vielfalt gerade im regionalen Bereich ein weiterer schwerer Schlag versetzt«, unterstreicht Werneke. Der Konzern sei keineswegs ein Sanierungsfall, die Entscheidung diene offenbar ausschließlich dem Zweck, den nicht schlechten Renditen des Konzerns einen weiteren Schub zu verleihen: »Statt in die Zukunft des Journalismus zu investieren, in den Ausbau von Online-Angeboten, in exklusive, gut recherchierte Geschichten, wird kurzfristig gedacht und entsprechend gehandelt«, kritisiert Werneke (http://www.jungewelt.de/2013/01-16/042.php, Aufruf am 16.1.2013, 08.30 Uhr). Die Inhalte für die Rundschau mit lokalem Schwerpunkt in Dortmund sollen nun aus anderen WAZ-Titeln oder sogar von der bisherigen Konkurrenz kommen. So könnte aus dem Haus „WR“ eine durchlauferhitzende Content-Hütte werden, und dann wäre es wirklich fast schon egal, ob mit oder ohne professionelle Hüter.
2.) Online-Journalismus heißt auch digitales Erzählen (vgl. Thomas Schuler „Lücke statt Link“ in BLZ, 10.1.2013, S.25). Der bei der britischen Nachrichtenagentur Reuters für Social Media zuständige Anthony de Rosa erklärte demzufolge im September 2012 im Fachjournal Columbia Journalism Review, dass journalistische Beiträge im Netz nicht einfach versuchen sollten, Elemente aus Facebook, Twitter oder Youtube beizumischen, sondern vor allem, an entscheidenden Punkten relevante Links zu integrieren. Diese sollten Zitate belegen oder Hintergründe liefern. Thomas Schuler fordert daher für das digitale Erzählen: „bei komplizierten Sachverhalten eine Entwicklung online in Erklärstücken darzulegen“.
3.) Sogenannte Soziale Netzwerke, Social Media, als spezielle Internetplattformen sollen sich von anderen Netzbereichen durch eine besondere Art von „Sharing“, durch eine bestimmte Art des Teilens also, unterscheiden als Form von Interaktivität (vgl. MMM 7/2012, S.13ff.). Freilich bezahlt hier jeder Teilnehmer die scheinbar kostenlose Nutzung mit seinen Daten, aber es lassen sich auf solchen Wegen anders und andere Gesprächspartner finden als im tradierten Journalismus. Bei Twitter als einer Art Microblogging spielen die Hashtags (#) eine zentrale Rolle, die der Markierung von Schlüsselwörtern dienen (praktischer Tipp: Diese Wörter sollten keine Leer- oder Satzzeichen enthalten). Allerdings weist Trainerin Simone Janson darauf hin, dass Journalismus durch Social Media nicht billiger werden dürfte: Das Ressourcenproblem sollte ernstgenommen werden: „An zusätzlichen Investitionen kommt man nicht vorbei.“
4.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Gerade ist mit „Opfer-Abo“ (so laut Spiegel Jörg Kachelmann zu einer wichtigen Rolle von Frauen heutzutage) von der Darmstädter Jury das Unwort des Jahres 2012 bestimmt worden, da höre ich in den ARD-Tagesthemen am 15.1. 2013 von einem un-heimlichen Kandidaten für 2013: Autor Norbert Hahn spricht in seinem Hintergrund-Bericht zur Entwicklung der Krise in Mali ohne jede Ironie oder sonstige Distanzierung zur Lage im Norden Malis: „Ein islamistisches Regime ist entstanden, im Hinterhof Europas.“ Der Ausdruck „Hinterhof“ ist aus der USA-Außenpolitik der 1820er-Jahre bekannt, aus den Zeiten der „Monroe“-Doktrin, als die aufstrebende Weltmacht USA die alten Kolonialmächte, vor allem Spanien und Frankreich, intensiv aus ihrem (der USA) lateinamerikanischen „Hinterhof“ zu vertreiben begann, um die eigenen Interessensphären auszudehnen. Entweder ist der Tagesthemen-Ausdruck „Hinterhof“ hier als schon sehr subtile Kritik an der aktuellen Außenpolitik Frankreichs, Deutschlands und anderer mächtiger Länder gemeint – oder er vermittelt eine ziemlich alte Kolonial-Herren-Haltung.

Totgesagte leben länger – aus welchem Grund?

Von Sebastian Köhler

1.) Zu „aktuell“ können Journalisten last but not least werden, wenn sie vorbereitete Nachrufe vor der Zeit veröffentlichen. Kaum zu übertreffen der Klassiker dieses Genres, als im Jahre 2007 kein geringerer als der Bayerische Rundfunk einen Nachruf auf den seinerzeit nicht nur lebenden, sondern auch noch als Landesvater amtierenden Edmund Stoiber sendete. Kurz vor dem Jahreswechsel brachte Spiegel Online diese äußerst aufmerksamkeits-wirksame Darstellungsform wieder in Erinnerung: Nicht auf der Homepage, aber über hyperaktive Kanäle wie Twitter und RSS machte die „Nachricht“ die Runde, dass George Bush senior (US-Präsident von 1989 bis 1993) gestorben wäre (http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/119462-chefredakteur-ditz-entschuldigt-sich-spon-bringt-versehentlich-nachruf-auf-bush-senior.html, Aufruf am 9.1.2013, 11.52 Uhr). Spon-Chefredakteur Rüdiger Ditz bat um Entschuldigung, und zumindest die alte angelsächsische Journalisten-Weisheit scheint lebendiger denn je: „Get it first, but first get it right!“ Auch ihre kleine Schwester „If in doubt, leave it out!“ ist ganz klar eine Un-Tote, da wir uns fragen (lassen) müssen, inwiefern Technisierung und Ökonomisierung sich mittlerweile soweit verselbständigt haben, dass für ein Redigieren im guten alten Sinne kaum noch Zeit zu bleiben scheint – zumindest in diesem Leben.
2.) Die Meinungsforscherin Renate Köcher ist seit dem Tod von Elisabeth Noelle-Neumann 2010 alleinige Geschäftsführerin des (konservativ ausgerichteten) Instituts für Demoskopie Allensbach. Sie meint aktuell nicht nur, dass Zeitungen unterschätzt würden, sondern bietet erklärungskräftige Thesen zum Wandel von Aufmerksamkeit (als dem symbolisch-generalisierten Medium im sozialen Subsystem Öffentlichkeit): Das Internet verstärke die klare Selektion entlang nutzer-eigener Interessen. Das Interessenspektrum der nach 1982 Geborenen sei deutlich enger als das früher Geborener. Sowohl Ursache als auch Wirkung der verstärkten Internet-Nutzung (im Gegensatz z.B. zur Zeitungsnutzung ) sei, das gerade junge Nutzer in ihren Interessen „wesentlich fokussierter“ seien als andere/frühere Nutzer und sich dabei auf weniger Themen beschränkten – diesen dafür aber relativ aktiv viel Zeit und Aufmerksamkeit widmeten (vgl. BLZ 2.1.2013, S.25). Problematischer wird damit, dass privat-relevante Themen immer mehr Interesse finden, während es öffentlich-relevante Themen (Politik, Wirtschaft, Grundrechtsfragen, Wissenschaft, Umwelt) im jüngeren Mainstream immer schwerer zu haben scheinen. Das verlangt nach gesellschaftlicher Aufmerksamkeit!
3.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: In den ZDF-Morgenmagazin-Nachrichten war am 7.1. zu hören, Grund für Ausschreitungen von pro-britischen Demonstranten in Belfast sei ein Beschluss des Stadtrates, die britische Fahne nur noch an ausgewählten Tagen zu hissen. Anlass für mich, den Unterschieden zwischen Grund und Anlass kurz auf den Grund zu gehen: Dabei handelt es sich um Fragen der Kausalität, also um Annahmen über etwaige Ursache-Wirkung-Beziehungen. Das sprachliche Feld ist auch hier umstritten und in Bewegung, aber klar scheint mir, dass zum Beispiel sozioökonomische Ursache (oder Grund) des Beginns des Zweiten Weltkrieges eine neue Phase des Strebens des Nazi-Regimes nach Eroberungen und Weltmacht war. Als mehr oder weniger zufälliger (oder auch erst geschaffener) Auslöser oder Anlass hingegen diente der angebliche Überfall polnischer Freischärler auf den deutschen Sender Gleiwitz durch maskierte SS-Angehörige – als Vorwand.
Mit aktuellem Blick auf Belfast dürfte der umstrittene Flaggenbeschluss des Stadtparlamentes also viel eher ein Anlass für die Ausschreitungen sein denn ein ursächlicher Grund: Dieser wäre gewiss auch hier weit mehr in (veränderten) sozioökonomischen Verhältnissen zu suchen (allgemeine Krise in Großbritannien, Verlust einstiger Privilegien für den pro-britischen Bevölkerungsteil Nordirlands, Angst vor etwaiger Vereinigung mit Irland etc.). Anlässe finden sich leicht, Gründe schwerer.

Klartext und Klarnamen

Von Sebastian Köhler

1.)    Der bekannte Facebook-Kritiker und hauptberufliche Datenschutzbeauftragte des Landes Schleswig-Holstein, Thilo Weichert, hat ein internationales Einschreiben mit Rückschein an Facebook-Boss Mark Zuckerberg geschickt. Darin wird Facebook laut Mediendienst kress (http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/119384-wegen-verfuegungen-zur-klarnamenpflicht-facebook-wirft-weichert-steuergeld-verschwendung-vor.html, Aufruf am 19.12.2012, 10.31 Uhr) verpflichtet, „für natürliche Personen, die in Schleswig-Holstein Telemedien unter www.facebook.com nutzen möchten“, sicherzustellen, dass sie sich anstelle der Eingabe von Echtdaten unter Eingabe eines Pseudonyms registrieren können. Konten registrierter Personen, die wegen des Grundes der Nichtangabe oder der nicht vollständigen Angabe ihrer Echtdaten bei der Registrierung gesperrt seien müssten entsperrt werden. Dazu müsse Facebook die Nutzer vor der Registrierung „in einfacher, verständlicher und leicht zugänglicher Form sowie in deutscher Sprache“ über die Möglichkeiten der Registrierung unter Angabe eines Pseudonyms unterrichten. Sollte Facebook den „Anordnungen“ nicht innerhalb von zwei Wochen nachkommen, werde gegen den Konzern ein Zwangsgeld in Höhe von 20.000 Euro verhängt. Facebook verstoße gegen das deutsche Telemediengesetz, wenn es sich weigere, pseudonyme Konten zuzulassen, heißt es in einer Stellungnahme des Unabhängigen Landeszentrums Schleswig-Holstein (ULD). Dieses Regelung in § 13 Abs. 6 TMG stehe mit europäischem Recht in Einklang und diene u. a. dazu, im Internet die Grundrechte und insbesondere das Grundrecht auf Meinungsfreiheit zu wahren. Der Gesetzgeber habe damit klargestellt, dass sich Nutzer von Internetdiensten wie Facebook dort weitgehend unbeobachtet und ohne Angst vor unliebsamen Folgen bewegen können. Ein Facebook-Sprecher sagte hingegen der dpa: „Wir sind der Ansicht, dass die Verfügungen vollkommen unbegründet und eine Verschwendung deutscher Steuergelder sind.“ Facebook werde energisch dagegen vorgehen. Das Unternehmen agiere konform mit europäischen Datenschutzbestimmungen. Es liege in der Hand der Dienstleister, also von Facebook selbbst, Geschäftsbedingungen bezüglich Anonymität festzulegen. Facebook habe schon immer eine Klarnamenpolitik verfolgt, „weil wir glauben, dass die Verwendung der wahren Identität eine bestimmte Sicherheit mit sich bringt, und dass unsere Nutzer von dieser Sicherheit profitieren“, so der Sprecher. Profitieren ist natürlich ein gutes Stichwort ….
2.)    Im „Tagesspiegel“ hat sich dapd-Investor Ulrich Ende, 60, über die Fehler der Vergangenheit und die Zukunft der Nachrichtenagentur geäußert. Ende sagte, er sehe sich eher als Journalist denn als Investor. Die dapd sei in den vergangenen zwei Jahren auf eine wirtschaftlich unsinnige Weise aufgebläht worden. „Aber dass es mit der dpa quasi eine genossenschaftliche, allumfassende erste Kraft gibt und sich dahinter alle anzustellen haben, das kann doch auch nicht sein , was der deutsche Journalismus will“, sagte Ende und machte damit deutlich, dass Konkurrenz hier auch weiter das Geschäft beleben soll. (vgl. http://www.tagesspiegel.de/medien/nach-der-insolvenz-unsinnig-aufgeblaeht/7533642.html, Aufruf am 19.12.2012, 10.40 Uhr).
3.)    Auch angesichts der aktuellen Entwicklungen bei Facebook oder N24 wird die Frage wichtiger, woher der Journalismus als professionelles, als für soziale Demokratisierung besonders relevantes Berufsfeld seine ökonomischen Ressourcen beziehen soll. Und zwar als Problem der „schwierigen Finanzierung des Journalismus“, wie es die Wiener Medienökonomin Marie-Luise Kiefer formuliert. Systematisch und historisch kann demzufolge der Journalismus von den Medien und insbesondere von den tradierten Massenmedien unterschieden werden (Kiefer spricht sogar von „Trennung“). Zwar schienen beide über Jahrhunderte symbiotisch verbunden, doch hebt sich der Journalismus von den Medien als demokratisch „fundamentale Institution“ ab. Als Alternative vor allem zur privatwirtschaftlichen Finanzierung und damit Verwertung des Journalismus lässt sich für eine öffentliche Finanzierung dieser Institution plädieren. Das verlangt – nicht zuletzt im Unterschied zu den entprofesionalisierenden Tendenzen zum Beispiel des Bloggens, des Bürgerjournalismus oder des service-orientierten Vermischens von Journalismus und PR – laut Kiefer nach einer gewissen „Formalisierung“ des Journalismus in Richtung erneuerter Professionalisierung, als konzern- UND staatsferner sozialer, selbstverwalteter Organisation. Das wirft mehr Fragen auf, als es Antworten gibt – aber allein die Suche nach neuen Geschäftsmodellen (Kosten senken, Einnahmen steigern) scheint mir deutlich zu kurz gesprungen.
4.)    Und noch eine Prise oder Sur-Prise Sprachkritik im Kaleidoskop: Im ZDF-Teletext, Tafel 140, war am 12.12.2012 um 21.45 Uhr zu lesen: „(Hugo Chávez) ist bekannt für seine US-feindlichen Bemerkungen“. Da eine ähnliche Formulierung in der Art „George W. Bush ist bekannt für seine Venezuela-feindlichen Bemerkungen“ genauso wahrscheinlich hätte produziert werden können, wollen wir hier nicht mit etwaigen ZDF-feindlichen Äußerungen Öl (und schon gar nicht aus Venezuela) ins mediale Feuer gießen. Aber im Ernst: Sollten Nachrichtenredaktionen nicht besser texten: „Er ist bekannt für seine kritischen Äußerungen gegenüber der US-Regierung“? Denn weder scheint es Chávez gegen die gesamten USA (insbesondere nicht gegen die „normale“ US-Bevölkerung) zu gehen, noch wäre „feindlich“ ein relativ sachliches Attribut, sondern ein doch ziemlich stark wertendes.

Qualitätsjournalismus – ein weißer Schimmel steigt auf?

Von Sebastian Köhler

1.) Betrachten wir die Verhältnisse von tradierten Medien und Netzverkehr und die Rolle des Journalismus da wie dort, finden wir im ohnehin höchst lesenswerten Universal-Nachdenkbuch „Der Implex“ von Dietmar Dath und Barbara Kirchner über sozialen Fortschritt (Suhrkamp Frankfurt/M. 2012, S.317) einen feinen Impuls: Erklärungskräftiger als Walter Benjamins Motiv, wonach in den alten Medien die neuen steckten, erscheint den Autoren – bei aller sonstigen Nähe zu Argumenten Benjamins – die These von Herbert Marshall McLuhan, der zufolge der Inhalt neuer Medien die alten seien (seinerzeit Theater im Fernsehen, Fortsetzungsroman in der Zeitung etc.). Kein Wunder daher, dass sich der Netzverkehr am tradierten Journalismus bedient und ihn in den neuen Formen und Verbreitungswegen des Internets zum Inhalt macht. Der hier freilich in der Turing-Galaxis, gemessen an den Maßstäben aus Print-Ära und Gutenberg-Galaxis, viel schwerer einzeln verwertbar erscheint denn bisher als Doppelcharakter von Ware und Kulturgut überwiegend aus privatwirtschaftlichen Verlagshäusern. So lässt sich medientheoretisch zum Beispiel der Kern der aktuellen Konflikte zwischen Konzernen wie Google und Konzernen wie Springer besser verstehen.
2.) Google rief in dieser Woche die Nutzer auf, „Dein Netz“ zu verteidigen insbesondere gegen die aufziehenden Bezahl-Ansprüche tradierter Zeitungsverlage in Deutschland unter dem gerade im Bundestag debattierten verlegernahen Label „Leistungsschutzrecht“. (http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/119052-grosse-kampagne-gegen-das-leistungsschutzrecht-google-ruft-nutzer-auf-ihr-netz-zu-verteidigen.html, Aufruf am 28.11.12, 17.30 Uhr). Nun wäre es ja schön, wenn das Netz „unser“ wäre – aber wie die Dinge liegen, ist es doch weit mehr und eher das Netz von Google als z.B. „meines“. Die beiden großen Verlegerverbände in Deutschland reagierten erwartbar: Sie verurteilen das Agieren des – bei den allgemeinen Suchmaschinen mit Abstand marktbeherrschenden – Internet-Konzerns Google als eine „Kampagne gegen das Leistungsschutzrecht“ und „üble Propaganda“ . Google arbeite mit perfiden Methoden, um Angst zu verbreiten ( http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/119061-reaktion-auf-google-kampagne-zum-lsr-bdzv-und-vdz-sprechen-von-uebler-propaganda.html, Aufruf am 28.11.12, 18.09 Uhr). Zwischen der Scylla der neuen Konzerne wie Google oder Facebook und der Charybdis der alten Verleger-Platzhirsche versucht Berufsvertreter Michael Konken zu segeln, der DJV-Vorsitzende: Wichtig sei, dass die Interessen der Journalistinnen und Journalisten als der Urheber der publizistischen Leistungen fair berücksichtigt werden.
3.) Der Vorstandsvorsitzende des Springer-Verlages, Mathias Döpfner, schreibt in der „Welt“, der Journalismus habe seine besten Zeiten noch vor sich (http://www.welt.de/debatte/article111363883/Der-Journalismus-hat-das-Beste-noch-vor-sich.html, Aufruf am 28.11.12, 18.20 Uhr): Döpfner meint dort: „Unabhängig recherchierter Journalismus hat seinen Preis und seinen Wert.“ Abgesehen von Fragen nach Gebrauchswert oder Tauschwert erhebt sich hier das Problem des „weißen Schimmels“: Denn was sollte Journalismus sonst sein, wenn nicht von vornherein und jedenfalls recherchiert, und das bitte auch möglichst unabhängig? Das sind Aspekte der journalistischen Basis-Arbeit, die anscheinend weder die Chefs von Springer noch die von Google besonders interessieren.
4.) In der 14-Uhr-Ausgabe vom Do., 22.11.2012, der „Tagesschau in 100 Sekunden“ hieß es, beide Konfliktparteien in Nahost „halten sich scheinbar an die Waffenruhe“. Mir schien, dort war ganz klar „anscheinend“ (oder „offenbar“ etc.) gemeint – „scheinbar“ hieße ja, es wäre nicht so, und der An-Schein trüge. Doch das war hier anscheinend nicht gemeint, oder? Ich schrieb eine Mail an die Redaktion von „ARD aktuell“ in Hamburg, und der Erste Chefredakteur Dr. Kai Gniffke antwortete „mit herzlichem Gruß: „Bingo, Herr Professor Köhler, anscheinend haben wir hier ungenau formuliert.“. Und wenn der Schein nicht trügt, ist es nicht sinnlos, sich auch per Rückmeldung am Journalismus zu beteiligen – Interaktivität und Austausch auf Augenhöhe hier nicht nur als trügererischer Schein.

Marktbeherrschung oder Insolvenz?

Von Sebastian Köhler
1.) In der deutschen Tageszeitungslandschaft scheinen derzeit nicht nur einzelne Länder zu verschwinden (wie die Frankfurter Rundschau und die Financial Times Deutschland), sondern sich ganze Kontinente zu verschieben. So wollen, trotz oder wegen aller Kürzungsbestrebungen wie im Verlagshause DuMont Schauberg (Köln), acht deutsche Regionalzeitungsverlage einen Mega-Vermarkter gründen: (http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/118946-acht-regionalverlage-gruenden-medienhaus-deutschland-mega-vermarkter-soll-tageszeitungen-staerken.html, Aufruf am 21.11.12, 17.02 Uhr). Zu den sieben regionalen Tageszeitungsverlagen, die seit neun Monaten eine gemeinsame nationale Vermarktung planten, stieß der (nicht gerade typische Regionalzeitungs-) Verlag Axel Springer (mit „Hamburger Abendblatt“ und „Berliner Morgenpost“) noch hinzu zum „Medienhaus Deutschland“. Eine ganzseitige Anzeige soll bei rund 5 Millionen Gesamt-Exemplaren Auflage und damit einer Reichweite von etwa 14 Millionen Nutzern ca. 625.000 Euro kosten. Dabei sind viele der wichtigen deutschen Verlage (neben Springer also DuMont, WAZ-Gruppe, Rhein Main, Madsack, Zeitungsgruppe Stuttgart, ACN Düsseldorf und Pressedruck Augsburg), womit sich die Zustimmung durch das Bundeskartellamt nicht ganz einfach gestalten dürfte. Denn das Motto sollte ja nicht sein: „Entweder wir arbeiten quasi marktbeherrschend – oder wir melden Insolvenz an.“
2.) Doch es geht printmedial auch anders, wie der Verlag Burda beweist: Die Zeitschriftensparte soll dort im Jahr 2012 für eine Rekord-Rendite sorgen. Vorstand Philipp Welte wird vom „Handelsblatt“ zitiert, dass die Umsätze stabil blieben, während die Profitabilität steige und im Bereich von 15 bis 20 Prozent liege (vgl.http://kress.de/mail/tagesdienst/detail/beitrag/118941-zeitschriftenerloese-von-rund-650-mio-euro-burda-soll-rekordrendite-erzielen.html, Aufruf vom 21.11.12, 17.20 Uhr). Das heißt auch hier nichts anderes, als das Kosten nicht zuletzt für die Ware Arbeitskraft gesenkt worden sein dürften – anders sind solche Ergebnisse kaum zu erzielen. Laut „Handelsblatt“entfällt übrigens bei Burda insgesamt mehr als die Hälfte der Gesamterlöse auf digitale Geschäfte, bei den deutschen Verlagen des Medienkonzerns mache dieser digitale Anteil immerhin bis zu 15 Prozent aus.
3.) In der „Berliner Zeitung“ vom 8.11. steht auf der Titelseite zum Thema, dass deutsche Inflationängste unbegründet seien, dann in der Meldung: „Die Wirtschaftsweisen betonen in ihrem Jahresgutachten, dass derzeit kaum Gefahr für die Preisstabilität bestünde.“ Da sich die BLZ seit einiger Zeit leider auch bei ihren Meldungen auf Seite 1 jede Quellenangabe „spart“ (also gestrichen hat), weiß ich nicht, woher der Fehler stammt – jedenfalls bestehe beim Verbmodus meinerseits Erklärungsbedarf.

BILD als Vorreiter der Aufklärung?

Blog vom 24.10.2012 von Sebastian Köhler:
1.) Das ZDF ist dieser Tage in der Diskussion, mit zwei Beispielen zur Fragwürdigkeit von Objektivität im Journalismus. Einmal mehr von der Themensetzung her, das andere Mal wegen Problemen in der Darstellung: Der DJV-Vorsitzende Michael Konken (siehe http://kress.de/mail/tagesdienst/detail/beitrag/118546-versuchte-csu-einflussnahme-auf-zdf-bericht-djv-findet-vorgehen-skandaloes.html, Aufruf am 24.10.2012, 20:08 Uhr) kritisierte es als skandalös, dass offenbar ein CSU-Sprecher mit einem Anruf beim ZDF verhindern wollte, dass der Sender über den Parteitag der bayerischen SPD überhaupt berichtet. Über den genauen Inhalt des Anrufes gibt es widerstreitende Versionen, aber dass ein solcher stattgefunden hat, scheint unstrittig. Wichtiger, als dass Herr Ude und seine Nominierung doch Beitragsthema im ZDF waren, finde ich, wer da bei wem im Umkreis solcher Fragen prinzipiell zu meinen scheint, anrufen zu können. Das spricht im Grundsatz weder für die CSU noch für das ZDF, wenn wir die Norm der „Staatsferne“ auch nur halbwegs ernst nehmen. Mit einem anderen politischen Beitrag brachte sich das ZDF selbst in die Schlagzeilen, mit jenem im „heute journal“ über das Rede-Duell von Angela Merkel und Peer Steinbrück im Bundestag. Hier avancierte Jürgen Trittin vom Nebendarsteller zur Hauptfigur (vgl. http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/118499-trittin-jubelte-nicht-wegen-steinbrueck-zdf-hat-falsche-bilder-in-bericht-montiert.html, Aufruf am 24.10.2012, 20:17 Uhr). Nach Sequenzen aus den Reden der beiden Kontrahenten hatte es nach Recherchen des „Focus“ im ZDF-Beitrag geheißen: „Wenn Steinbrück Attacke reitet, jubelt die Opposition.“ Zu sehen war Trittin, der erst feixend die rechte Faust schwang und dann einen Knopf seines Hemdes öffnete. Tatsächlich hatte Trittin nicht auf Steinbrück reagiert, sondern auf die Rede von Rainer Brüderle von der FDP. Dieser hatte Trittin attestiert, dass der unter „feinem Zwirn“ doch „immer noch das Mao-Jäckchen“ trage. Das ZDF räumte später eine „ungenaue“ Bildauswahl ein, machte darum aber bei weitem nicht so viel Aufhebens wie um die von der UEFA im Sommer wohl auch etwas „ungenau“ manipulierten Löw-Bildchen vom scheinbaren Balljungen-Foppen live während des Spieles.
2.) BILD als Vorreiter der Aufklärung? Gerade war Verlegerin Friede Springer zur Nach-Feier ihres 70. Geburtstages offiziell zu Gast bei Bundespräsident Joachim Gauck. Und es gab 2012 erstmals den Henri-Nannen-Preis für die beste investigative Leistung im Journalismus für zwei Reporter der BILD – Martin Heidemanns und Nikolaus Harbusch. Wenn auch die Auflage sinkt, bleibt die BILD mit einer täglichen Reichweite von mehr als zwölf Millionen Print-Nutzern und mehr als sechs Millionen Online-Nutzern das massenwirksamste Medium in Deutschland. Aber was ist daran überhaupt „Zeitung“? Was ist daran Journalismus? Den Nannen-Preis in der Rubrik „Investigative Recherche“ gab es nicht für irgendeine Recherche, sondern für einen der auslösenden Artikel („Wirbel um Privatkredit“) im „Fall“ des Christian Wulff. BILD contra Wulff – da lief doch zuvor ganz Anderes? Die beiden Publizisten Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz untersuchten im Auftrag der IG-Metall-nahen „Otto-Brenner-Stiftung“ mehrfach das Phänomen Bild. In der Studie „Drucksache „Bild“ – Eine Marke und ihre Mägde“ (Frankfurt am Main 2011) bestimmen sie ausgehend von Bild-Darstellungen der Griechenland- und Eurokrise vor allem im Jahre 2010, was diese Publikation ausmacht. Laut Arlt und Storz ist BILD ein Hybrid-Medium par excellence: Als massenmediale Publikation bedient sie sich in Inhalt und Darstellung aus ganz verschiedenen „medialen Kommunikationsgattungen“ (Karl Nikolaus Renner), von der PR und Werbung bis hin zu Formen des Journalismus. BILD gilt daher als Prototyp einer massenmedialen Veröffentlichung (ARLT 2011-95f.), der möglichst viele Funktionen der Massenkommunikation erfüllt, und zwar als „das entgrenzte, das transvestive Medium“: Multimedialität in der Gestaltung, crossmediale Themensetzung und -verwendung, Erreichen von potentiell allen im Verbreitungsgebiet, Einsatz werblicher Mittel, Unterhaltsamkeit bis hin zur fiktiven Geschichte, Ausschöpfen der Identifikations- und Motivationsmöglichkeiten der PR-Kampagne, Reklamieren journalistischer Unabhängigkeit wie exemplarisch beim „Fallen-Lassen“ von Wulff, Nutzung ausgefeilten Marketings.
Von den drei Grundfunktionen jeder Kommunikation (Information, Motivation, Unterhaltung) scheint dabei die Unterhaltung jene zu sein, mit der sich Aufmerksamkeit als Maßstab (Medium, Regulativ, knappe Ressource) in der Öffentlichkeit am besten erzielen lässt und damit zugleich „das Geld der Vielen“ (ARLT 2011-57f.). BILD darf als Makler öffentlicher Aufmerksamkeit gelten, da das Blatt vermittelt zwischen der Alltagswelt der Nutzer, dem Show-Business einschließlich Sportes, Teilen des Politik- und Unternehmer-Betriebes sowie großen Bereichen der anderen Medien. Die Forscher sehen BILD als Vorreiter einer neuartigen Auflösung öffentlich-relevanter Kommunikation (Politik, Wirtschaft, Grundrechte) in Richtung Unterhaltung (ARLT 2011-81). Allerdings abstrahiert jener Ansatz zunächst von der ökonomischen Seite des Journalismus als massenmedialer Kommunikationsgattung (ARLT 2011-93f.), um die normative Unabhängigkeit des Journalismus besser extrapolieren zu können. Jedoch gibt es historisch und systematisch gute Gründe, den modernen Journalismus von vornherein durch den Doppelcharakter von Ware und Kulturgut bestimmt zu sehen (so u.a. Marie-Luise Kiefer).
3.) „Berliner Zielfahnder fassen einen Totschläger vom Alex“, so lautete die Hauptüberschrift auf Seite 1 der Märkischen Allgemeinen (MAZ) in Potsdam am 24.10.2012. In der Unterzeile ist von einem „Verdächtigen“ die Rede, und auch der Berichtsvorspann spricht von einem „möglichen Täter“. Aber diese Schlagzeile ist in der Tat schon mehr als ein Urteil – sie darf in dieser tragischen Angelegenheit selbst wiederum als Rufmord gelesen werden. Denn auch zwölf Stunden nach Redaktionsschluss redeten viele seriöse Quellen weiter von einem „Verdächtigen“ oder „Festgenommenen“, aber eben nicht von einem Täter. Im Rechtsstaat sollte auch (und gerade) bei schlimmsten Verbrechen die Unschuldsvermutung gelten, bis ein Gerichtsverfahren den/die Verdächtigen überführt hat. Und die Medien als selbsternannte vierte Gewalt dürften sich nicht auf derart platte Art als „Volkes Stimme“ (die MAZ war zu DDR-Zeiten die „Märkische Volksstimme“) verstehen, dass sie hier auf ihre eigene Weise „kurzen Prozess“ machten.

Verzögerungstaktik statt „Life is live“

1.) „Life is live“ hieß 1985 das massenwirksame Opus der Österreicher von der gleichnamigen Musik-Gruppe. Am Sonntag machte ein anderer Österreicher Schlagzeilen unter diesem Motto: Der Extremsportler Felix Baumgartner. Der Getränkekonzern Red Bull konnte sich so im Lichte mehrerer Rekorde sonnen, wofür er ca. 50 Millionen Euro investiert haben soll. Laut Marketingexperten war das Ganze ein im Sinne der Auftragskommunikation äußerst wertvoller Coup (http://www.berliner-kurier.de/panorama/marketing-coup-baumgartners-50-millionen-sprung-war—jeden-euro-wert-,7169224,20602986.html, Aufruf am 17.10.2012 um 11.21 Uhr).
Journalistisch spannend, dass der deutsche privat-rechtliche Nachrichtensender n-tv die mit großem Abstand größte Reichweite seiner 20-jährigen Geschichte meldete mit über sieben Millionen Zuschauern. Auch der YouTube-Livestream des Internetkonzerns Google annoncierte mit über acht Millionen Nutzern im globalen Live-Stream einen neuen Weltrekord.
Aber Live-Stream? Galt auf gut österreichisch tatsächlich „Life is live“? Der spektakuläre Sturz aus einer Kapsel in rund 39 Kilometer Tiefe wurde laut Medienberichten mit mehr als 35 Kameras gefilmt, darunter auch mehrere in dem Spezialanzug Baumgartners. Die Übertragung unter anderem auf die Webseite des Sponsors Redbull erfolgte allerdings mit 20 Sekunden Verzögerung – eine kaum zu erkennende Manipulation, erklärtermaßen für den Fall eines unglücklichen Ausgangs. (http://www.welt.de/newsticker/news1/article109829338/Millionen-Menschen-sahen-Rekordsprung-von-Baumgartner.html, Aufruf am 17.10.2012 um 11.09 Uhr)
Diese Verzögerungstaktik bei der Übertragung mag man gut finden oder sogar nötig – im Lichte journalistischer Transparenz bleibt die Angabe „Live“ auf den Sendebildern zumindest umstritten, wenn nicht irreführend. Denn jenseits der technischen Verzögerungen zwischen Licht- und Schallgeschwindigkeit wurde hier, wie auch bei ähnlichen Pseudo-Live-Ereignissen in der Mediengeschichte (Verzögerung bei Oscar- und Grammy-Übertragungen nach dem Super-Bowl-„Nipplegate“ Janet Jacksons 2004, Joachim Löws scheinbares Live-Foppen eines Balljungen während der EM 2012), vertuscht, dass eben nicht immer gilt: „Life is life“.

2.) In der TV-Nachrichtensendung des WDR „Aktuelle Stunde“ am 13.10. 2012 sagte Moderator Thomas Heyer, für eine Ausstellung seien in Wuppertal Bilder von Peter Paul Rubens „aufgehangen“ worden. Auch wenn wir uns an Fernseh-Äußerungen nicht allzu sehr „aufhängen“ wollen („Das versendet sich!“), hängt von der sprachlichen Vielfalt auch im Medium TV manches ab: Das Verb „hängen“ gibt es im Deutschen nicht nur in einer Version, sondern in einer zielenden und in einer nicht zielenden Variante – transitiv und intransitiv. Regelmäßig gebeugt wird „hängen“ als transitives Verb: hängen – hängte – gehängt. „Ich habe das Bild dorthin gehängt“ und entsprechend auch „Das Bild wurde (von mir) dorthin gehängt“. Unregelmäßig gebeugt wird die nicht auf ein Akkusativ-Objekt zielende, also intransitive Version: hängen – hing – gehangen. „Das Bild hing in der Ausstellung.“ und daher auch: „Es hat dort gehangen“. Die erste Form beschreibt also eher eine Handlung und eine Richtung, die zweite mehr einen Zustand und einen Ort.