Neuer Wind oder windiges Geschäftsmodell?

Von Sebastian Köhler
1.) Die Ruinierung des Journalismus – im doppelten Sinne des Genitivs, also durch andere und durch ihn selbst – zeigte sich auch am Beispiel der machtvoll durchgesetzten Abschaltung des nicht-kommerziellen Rundfunks in Griechenland Mitte Juni 2013. Der Journalist und Philosoph Arnold Schölzel bestimmt dies als Verwandlung des Journalismus in eine Mischung aus Verlautbarungs- und Unterhaltungsgewerbe (siehe jW vom 14.6.,2013, S.8).
2.) Der Springer-Verlag will laut Vorstandschef Mathias Döpfner (März 2013, vgl. MMM 4/2013, S.20f.) „das führende digitale Medienunternehmern in Deutschland“ werden (wer sollte das eigentlich bisher sein?). Erstmals hatte der Konzern 2012 laut eigenem Geschäftsbericht mehr als eine Milliarde Euro Umsatz im digitalen Gewerbe erzielt und damit mehr als in jedem anderen Arbeitsbereich. Zugleich steuerten digitale Medien mehr als die Hälfte aller Werbeerlöse bei. Bild.de erwies sich 2012 als Reichweitenführer bei den Nachrichtenwebsites (273 Millionen Besuche monatlich).
Auch daher hatte Springer im Juni 2013 das Abo-Angebot „Bild Plus“ auf www.bild.de gestartet (vgl. http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/121646-trendforscher-sven-gabor-janszky-bezahl-modell-von-bildde-ist-intelligenter-dummenfang.html, Aufruf am 26.6.2013, 21.15 Uhr). Die Nutzer sollen dabei vor allem mit manchen exklusiven Inhalten und Bundesliga-Fußball gelockt werden. Der Trendforscher Sven Gábor Jánszky hält das Modell der „Bild“-Leute nicht für den großen Wurf, bezeichnet es sogar als „intelligenten Dummenfang“. Denn Bild führe ein Abo-Modell ein, bei dem die Bundesliga-Clips drei Euro kosten. Diese Clips könne man aber nur kaufen, wenn man ein normales Abo von mindestens fünf Euro hat.
Eine gewisse Pioniertat besteht darin, dass mit Bild erstmals ein Boulevard-Medium den riskanten Weg der teilweisen Verschlüsselung geht: „Freemium“ (free and premium)-Modelle verbinden kostenfreie und zahlungspflichtige Angebote (bei Bild Plus soll das Verhältnis bei ca. 70 zu 30 Prozent liegen, MMM 4/2013, S.20f.). Exklusive Inhalte wären vor allem bestimmte regionale und lokale News sowie besondere Promi-Meldungen in crossmedialer Breite und Tiefe, nicht zuletzt durch nutzergenerierte Inhalte.
Das Konzept von bild.de sei, so Janszky, also nicht neu, alle existierenden Bezahl-Modelle von Zeitungen im Internet funktionierten so. Der Leser müsse selbst dann das volle Abonnement abschließen, wenn er die Zeitung nur an zwei Tagen in der Woche lese. An den Bedürfnissen und dem Nutzungsverhalten der User gehe diese Strategie vorbei. Einen Teilerfolg hält Jánszky für den Verlag dennoch für sicher: „Zumindest der unausgesprochene Plan, die gedruckte Auflage zu stabilisieren, wird wohl funktionieren. Außerdem wird der Verlag ein zweites unausgesprochenes Ziel erreichen: Er wird erstmals die persönlichen Kontaktdaten vieler Leser der Kioskausgaben und der User des Onlineangebots erhalten, verbunden mit Informationen über Themen und Inhalte, für die sich die jeweiligen Menschen interessieren. Diese Daten sind wertvoll und nutzbar gegenüber den Werbekunden und den eigenen Onlineangeboten.“
Vermutlich seien die Zielgruppen inzwischen so differenziert, dass es den einen großen Wurf gar nicht geben könne. Jánszky empfiehlt den Verlagen, ihr bisheriges eigenes Geschäftsmodell anzugreifen, das ja fast 200 Jahre ziemlich erfolgreich war: Journalismus als Mittel zu dem Zweck zu verwenden, mit diesem Werkzeug Publika für Werbebotschaften zu schaffen. „Sie müssen dazu übergehen, online nicht mehr Werbung, sondern eigene Services und Produkte zu verkaufen.“ Springer und Burda seien Vorreiter dieser Strategie in Deutschland – beide großen Konzerne machten nur noch etwa ein Drittel ihres Geschäftes mit gedrucktem Papier.
Der Springer-Verlag verweist darauf, 2012 mit insgesamt 13.651 Beschäftigten sogar 5,9 Prozent mehr Menschen angestellt zu haben als noch 2011. Gewerkschaftsvertreter wie Frank Werneke von der dju in Verdi kritisieren, dass, obgleich die Produkte des Konzerns „hoch profitabel“ seien, sollten dennoch „Redaktionen ausgedünnt, die Rendite durch das Setzen auf windige Internetgeschäftsmodelle weiter gesteigert werden, die auf nutzergenerierten Inhalten statt auf Journalismus basieren.“
3.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: In vielen Medien war dieser Tage die Rede davon, dass Merkel und Putin deutliche Meinungsverschiedenheit mit Blick auf „Beutekunst“ hätten. In diesem Zusammenhang ausschließlich bezogen auf solche Kunstwerke, die im Ausgang des Zweiten Weltkrieges aus Deutschland in die Sowjetunion gebracht wurden. Was schwingt beim Wort „Beutekunst“ mit? Also – was ist eine Beute, was bedeutet „erbeuten“? Für die meisten sicherlich, dass auf Jagd gegangen und dort zielgerichtet etwas erlegt und dann entweder gleich verzehrt oder versteckt oder auch nach Hause mitgenommen wird. Das Wort „Beutekunst“ erscheint mir ziemlich wertend, und auch daher würde ich es, wie selbst vom (Sympathien für die heutige russische Seite ziemlich unverdächtigen) deutschen Außenministerium empfohlen, bestenfalls in Anführungszeichen verwenden (siehe http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/KulturDialog/
ZieleUndPartner/Kulturgueterrueckfuehrung_node.html, Aufruf am 24.6.2013, 12.46 Uhr).

Es geht, möglichst objektivierend ausgedrückt und in diesem Falle auch in der Diktion des Westerwelle-Ministeriums, um „deutsche kriegsbedingt verlagerte Kulturgüter („Beutekunst“)“. Klar ist „Beutekunst“ kürzer, aber „verlagerte Kulturgüter“ ist ein Ausdruck, dem beispielsweise auch die russische Seite viel eher zustimmen und ihn in seriösen Nachrichten verwenden dürfte als das meines Erachtens wenigstens gedankenlose Spielen auf einer neuen alemannischen Opfer-Klaviatur – „Unsere deutsche Kunst wurde, warum auch immer, gejagt und erjagt und erbeutet. Holt sie dort raus!“.