1.) Die TV-Sendungen über die tragischen Entwicklungen während der Love Parade stießen bei den Publika auf großes Interesse – nicht nur bei ARD/ZDF oder bei RTL, sondern auch bei Sendern wie n-tv, der am Sonntag einen Tagesmarktanteil von 2 Prozent meldete – etwa doppelt so viel wie sonst. Die ausführliche Darstellung des Geschehens scheint dabei in Deutschland hoch umstritten: Laut tagesschau.de vom 28.7.10, 15.30 Uhr, sind seit dem Wochenende beim Deutschen Presserat 140 Beschwerden eingegangen – eine relativ hohe Zahl für die Kürze der Zeit. Vielleicht auch entstanden durch die Nutzung von „Social Media“: Im Kurzmeldungsdienst Twitter war „Bild“ schnell im Fokus von Kritik. Zahlreiche der auf Twitter verkehrenden „Mikroblogger“ riefen zum Boykott auf und veröffentlichten den Link zum Beschwerdeformular des Presserates (vgl. BLZ 27.7.10, S.30). Insgesamt 137 diese Beschwerden haben sich laut „tagesschau.de“ gegen die Berichte bei „Bild“-Zeitung und „bild.de“ gerichtet. „Bild.de“ hatte vor allem in der Person von Oliver Pocher gemeinsam mit der Kette „McFit“ (deren Chef wiederum der Paraden-Veranstalter Rainer Schaller ist) ausführlich live aus Duisburg berichtet. Die Nutzer, die sich beschwerten, sehen laut Presserat vor allem Verstöße gegen Pressekodex-Ziffer 11. Dieser richtet sich unter anderem gegen eine „unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid“. Betroffen ist auch Ziffer 8 zu Persönlichkeitsrechten: „bild.de“ hatte unter anderem am Samstag Fotos von nur notdürftig mit Tüchern zugedeckten Leichen veröffentlicht. Ein Sprecher der Axel Springer AG verteidigte die Berichterstattung: „Wie alle Medien berichtet auch ‚Bild‘ – aus unserer Sicht angemessen und verhältnismäßig – über die tragischen, schockierenden Ereignisse während der Loveparade.“ Von Beschwerden beim Presserat sei ihm bislang nichts bekannt. Sollte der Presserat jedoch zu einer Stellungnahme auffordern, werde man dem natürlich nachkommen. 2.) Die investigative Internet-Plattform Wikileaks hat – erstmals in Zusammenarbeit mit weltweit anerkannten Medien wie New York Times, Guardian und Spiegel – mit ihrer Veröffentlichung von über 90.000 bisher geheimen Dokumenten am 26.7. 2010 zum Afghanistan-Krieg der Jahre 2004-2009 für neue Einsichten gesorgt. Die Plattform war 2006 von Menschenrechtsaktivisten, Journalisten und Programmierern gegründet worden. Ein Wiki ist ein Programm, mit dem viele Nutzer gemeinsam Inhalte im Netz publizieren können – das englische Wort „Leak“ heißt Leck, also undichte Stelle. Das Projekt veröffentlicht geheime Dokumente anonym auf seiner Website. Öffentlich treten dabei nur Mit-Gründer Julian Assange aus Australien sowie der Deutsche Daniel Schmitt auf. Das zugespielte Material wird jeweils von mehreren Mitwirkenden überprüft, die als Factchecker nichts voneinander wissen sollen, um Absprachen zu verhindern. Die jährlichen Kosten von 600.000 Euro werden laut Assange durch Spenden finanziert. Daniel Schmitt sagte im Interview (BLZ, 27.7.2010), er hoffe, „dass mit der Transparenz (…) sich mehr Menschen ein informiertes Urteil über die Situation bilden können und anhand dieses Urteils eine Veränderung herbeiführen.“ Letzte Äußerung ist bemerkenswert, da Schmitt andererseits sagte, man sei neutral: „Deshalb sehen wir uns nicht der einen oder anderen Seite verpflichtet.“ Zur Frage von Sanktionen z.B. durch US-Regierungsstellen sagte er: „Die Natur dessen, was wir machen, bedingt, dass es anderen Leuten nicht gefällt und dass immer Leute versuchen, das zu sanktionieren.“ 3.) Nach dem Bahnunglück in der Schweiz habe ich am 24.7. für einen Reuters-Online-Beitrag zu Bildern von der zu räumenden Eisenbahnstrecke getextet: „Die Schweizer Eisenbahn zählt zu den am besten organisierten Bahnen der Welt. Doch diesmal blieb hier leider ein Mensch auf der Strecke.“ Dazu gab es Rückmeldungen von Kollegen anderer Medien, die diese Metapher nicht ganz angemessen fanden. „Auf der Strecke“ blieben demzufolge eher Abstrakta wie eine Gesundheitsreform oder Ähnliches. Allerdings ergab die Google-Suche eines kritischen Kollegen, dass beispielsweise auch „Zeit online“ diese Redewendung auf konkrete Menschen bezieht. Ein Beispiel für die Schwierigkeit der Balance zwischen Sachlichkeit und szenischem Bezug, zumal mit Blick auf die hier verwendeten Bewegtbilder.
Archiv für den Monat Juli 2010
1.) Die Printmedien in Deutschland sind mittlerweile mehr von den Nutzern als von der Werbe-Industrie abhängig. Nach Angaben des Branchenverbandes der Zeitungsverleger BDZV lagen im Jahre 2009 erstmals die Vertriebsumsätze (Abo, Straßenverkauf) über den Anzeigen-Einnahmen (Quelle www.bdzv.de vom 15.7.2010): Die Gesamtumsätze sanken zwar um sieben Prozentpunkte auf 8,5 Milliarden Euro (so viel oder wenig wie 1993). Doch während die Werbeerlöse sogar um 16 Prozentpunkte niedriger waren als im Vorjahr, stiegen die Verkaufsumsätze um 2,3 Prozent. Allerdings nur dank Preiserhöhungen, denn die Gesamtauflage der Zeitungen in Deutschland fiel um 2,5% auf 24,6 Millionen Exemplare pro Tag — nun also gilt im Schnitt für die Einnahmequellen: Zwei Drittel von den Nutzern — ein Drittel durch die Werbung. Jahrzehntelang war es genau umgekehrt. Und dennoch bleibt die Zeitung absolut der größte Werbeträger in Deutschland, gefolgt von: Fernsehen, Zeitschriften, Online, Hörfunk und Plakat. Hoffnungen setzt die Zeitungsbranche laut Geschäftsführer Wolff auf die Tablet-PCs, da sie — im Unterschied zum normalen Online-Auftritt — den Verlagen ein Geschäftsmodell mit einem Mix aus Vertriebs-, Abo- und Werbeerlösen bieten, ähnlich wie bei Print-Zeitungen. Der Apple-Konzern gerät hier in die Kritik, weil der mit seinem iPad zu sehr das Geschäft allein bestimmen wolle.
2.) Das Bundeskartellamt in Bonn hat jüngst zwei Veränderungen erlaubt: Beim Nachrichten-TV-Sender N24 darf zur Ablösung von der ProSieben.Sat.1-Gruppe der Medienunternehmer und Ex-Spiegel-Chef Stefan Aust einsteigen. Er soll künftig 26 Prozent der Anteile halten, so viel, wie auch das N24-Management um Geschäftsführer Thorsten Rossmann. Und die Behörde hat den für September 2010 geplanten Start der Nachrichtenagentur „dapd“ erlaubt. Marktführer dpa hatte eine kartellamtliche Prüfung wegen der Übernahme des deutschen Dienstes von AP durch die deutsche Agentur ddp verlangt, weil sonst der Wettbewerb der Nachrichtenagenturen erheblich reduziert und damit auch die Angebotsvielfalt im Bereich der Presse berührt sei. Das Kartellamt sah das ganz anders und beschied die dpa, dass der Zukauf Ende 2009 kartellrechtlich nicht einmal anmeldepflichtig gewesen sei. Beides ist bemerkenswert. Erstens, dass die dpa hier für Vielfalt plädiert — anscheinend soll nur der Abstand der wichtigsten Konkurrenten zum Marktführer möglichst groß sein. Und zweitens darf schon gefragt werden, was die Vielfaltsnorm im grundlegenden Bereich der Agenturen für das Kartellamt bedeutet. Eine (weitere) Institution auf dem Weg zum zahnlosen Tiger? (Quellen BLZ und kress-report vom 19. und 21.7. )
3.) Auf Seite Eins der Potsdamer Sonntagsausgabe der PNN (Tagesspiegel-Holtzbrinck-Gruppe) lautete am 18.7.2010 einer der Teaser: „Kult-Königin: Zum 200. Mal jährt sich morgen der Todestag von Luise. Heute und in den nächsten Tagen wird ihr gedacht.“ Preußenkult geht natürlich in Potsdam (fast) immer, aber vielleicht hätten die Verfasser zuvor auch mal „dem Duden gedenken“ sollen.
1.) Wenn ich nichts weiß, weiß ich einen Experten, der (vielleicht) etwas weiß … Das Thema der diesjährigen Tagung der Journalistenvereinigung „Netzwerk Recherche“ am Wochenende in Hamburg hieß: „Zitieren statt recherchieren“. Denn, sagte Netzwerk-Vorsitzender Thomas Leif, es kämen heutzutage angesichts der Kürzungen journalistischer Ressourcen zu viele Experten zu unwidersprochen zu Wort. Leif meint, beide Seiten, Journalist und Experte, sollten nach der Wahrheit suchen, dabei „die Wirklichkeit mit allen Widersprüchen und Interessen so unabhängig und genau beschreiben wie nur möglich.“ (vgl. BLZ 10.7.10, S.37). Gut gegeben — Leif ist eben Leif, der TV-Chefreporter des SWR.
2.) ZDF-Nachrichtenmoderator Steffen Seibert wurde am 10.7. im MRD-Info-Radio zitiert mit dem Satz, er freue sich auf seine neue Aufgabe als Regierungssprecher in Berlin. Die CDU mit Bundeskanzlerin Merkel setze in ihrer Politik die richtigen Schwerpunkte. Laut BLZ (13.7.10 , S.34) sagte Seibert auch, die Regierung Angela Merkels sichere „Deutschland eine gute Zukunft“. Hatten wir das nicht all die Jahre zuvor bereits gehört, als Seibert noch die Sendungen „heute“ und „heute-journal“ moderierte? Oder bilden wir uns da etwas ein?
Interessant ist die Interpretation von Medienjournalisten wie Daniel Bouhs (FR, BLZ), der zufolge Seibert nicht zuletzt deswegen ins neue Amt als Staatssekretär wechsele, weil ihm im ZDF kaum noch Karrieresprünge vorgezeichnet gewesen wären. Aber vielleicht kann Seibert ja eines Tages sogar als Intendant und Nachfolger Markus Schächters zum ZDF zurückkehren. Genau so, wie nach einem Intermezzo als Merkels Sprecher ja bald auch Ulrich Wilhelm zum Bayerischen Rundfunk zurückkehrt, als – Intendant. Neue Kapitel also zur Norm der „Staatsferne“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, und dabei alles andere als Sommerloch-Themen.
3.) Im Gegensatz zum Gesamttrend der US-Medien stiegen 2009 im dortigen Kabel-Fernsehen die Gewinne sogar. Dabei scheint knallharte Meinung ein wichtiger Erfolgsfaktor zu sein: Der Rechtaußen-Moderator Glenn Beck vom Sender Fox News ruft seine Zuschauer auf, ihre Kirche zu verlassen, wenn der Pfarrer von „sozialer Gerechtigkeit“ redet — dies sei ein Indiz für Kommunismus oder Nazismus. Auch das eher linksliberale Gegenstück zu Fox, MSNBC, hat Erfolg, allerdings weniger. Der große Verlierer der letzten Jahre war CNN — Anfang 2010 hatte Fox bereits doppelt so viele Zuschauer wie der Pionier-Sender CNN.
Für CNN sinken seit dem Wahlkampf 2008 die Quoten, der Sender sieht sich als Opfer einer immer mehr polarisierten Medienlandschaft: Im 2. Quartal 2010 hatte CNN abendlich nur noch 569.000 Zuschauer, MSNBC 758.000 — und der Sender Fox aus dem Hause Rupert Murdoch erreichte 1,9 Millionen Zuschauer. Nun will auch CNN-Chef Jon Klein mehr polemisieren und polarisieren — im Herbst 2010 sollte deswegen Talk-Legende Larry King nach 25 Jahren den Hut und die Hosenträger nehmen – und gehen (SZ vom 27.3.10 und BLZ 13.7.10).
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4.) Chefkommentator Ingo Linsel schreibt in seinem Leitartikel in der Thüringer Allgemeinen am 10.7.: „Die Anschläge der Taliban kosteten allein im Juni 100 alliierten Soldaten das Leben“. Bleibt die Frage, ob es heißt: WEM das Leben kosten? Oder nicht doch: WEN das Leben kosten. Und damit muss es heißen …. Immerhin ist, sprachkritisch gesehen, von Anschlägen und nicht von Terroranschlägen die Rede. Wollen wir also in diesem Falle die Moschee im Dorf lassen.
1.) Die dpa hat nicht nur 2009 erstmals Verluste gemacht, sondern sie hat jetzt auch erstmals einen einheimischen und echten Herausforderer: Der neue Dienst „dapd“ als Summe von ddp und deutschem Dienst von AP will ab September 2010 die dpa verzichtbar machen, mit einem Komplettangebot „Basisdienst“ (außer Sport). Einige Zahlen zum Vergleich für 2010 – dpa: 800 Meldungen täglich, 2000 Fotos, 450 Journalisten und 50 deutsche Büros, dapd: 500 Meldungen, 2000 Fotos, 300 Journalisten und 31 Büros. Chefredakteur und Geschäftsführer ist seit April 2010 Cord Dreyer, der zuvor lange Jahre für dpa arbeitete. Er gründete für dapd auch eine eigene Recherche-Abteilung mit sechs Journalisten. Ein Hoffnungsschimmer für die dpa mag trotz des Abspringens der größten deutschen Regionalzeitung „WAZ“ (Januar 2009) sein, dass die Agentur sich seit ihrer Gründung 1949 im genossenschaftlichen Besitz vieler deutscher Verlage befindet – und wer sägt schon ganz einen Baum ab, den man selbst gepflanzt hat? (Quelle BLZ 4.7., S.33) 2.) Radio ist weiter „in“: Laut der Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse, seit 1954 ein Interessenverband von Werbe-Wirtschaft und Medien, stieg 2009/2010 die tägliche Hördauer um sechs auf 198 Minuten. Männer hören laut AGMA mit 210 Minuten deutlich länger Radio als Frauen (186 Minuten). Ältere hören absolut mehr Hörfunk – die 30- bis 59-Jährigen 228 Minuten pro Tag. Bei den Jüngeren sind es zwar nur 141, aber interessant scheint hier die Tendenz: Fünf Minuten mehr als bei der Erhebung zuvor. Der – sicherlich interessierte – AG-Vorstand Dieter Müller sieht damit das Vorurteil widerlegt, dass die höhere Internetnutzung der 10- bis 29-Jährigen deren Radio-Nutzung verringere. (Quelle BLZ 7.7.2010, S.30) 3.) Katrin Müller-Hohenstein ist nicht nur die manchmal etwas launige Gesprächspartnerin von Oliver Kahn im ZDF am Rande der Fußball-WM (die schon mal vom „inneren Reichsparteitag“ eines Miroslav Klose spricht). Ihr scheint es zu gehen wie auch manch anderem moderierenden „Kopf“ des Senders (wir erinnern uns des Falles von Moderatorin Andrea Kiewel wegen einer Schleichwerbungsaffäre im Zusammenhang der Diät-Firma „Weight Watchers“ im Dezember 2007) : Das Trennungsgebot zwischen Journalismus versus Werbung/PR (siehe Pressekodex-Ziffer 7) erscheint eher milchig als klar. Der Müller-Milch-Konzern (nomen est omen, der Name ist ein Zeichen) hatte mit seiner Molkerei-Marke Weihenstephan – bekannt auch als Werbekunde des ZDF-Morgenmagazins – einen Vertrag mit Frau Müller-Hohenstein, aus dem auch Web-Werbeauftritte der Moderatorin für die Molkerei unter dem Label „eine professionelle Journalistin“ als „Schirmherrin“ eines so genannten „Qualitätsbeirates“ der Firma resultierten. Spannend war nun die Debatte, was die ZDF-Verantwortlichen ihrer freien Mitarbeiterin Müller-Hohenstein ausdrücklich erlaubt hatten, oder eben auch nicht. Im „Spiegel“ hieß es schließlich, Ex-Chefredakteur Nikolaus Brender habe seinerzeit Frau Müller jede werbliche Tätigkeit explizit untersagt. Sein Nachfolger Peter Frey wurde vom „Medium Magazin“ zitiert, er sei „nicht glücklich“ über diese Art der Präsentation und auch des Vertrages eines „journalistischen Kopfes“ des ZDF. Und die Moderatorin? Sie bedauert laut Medienberichten das Engagement, wolle nun alle Einnahmen spenden und sagte: „Es war nie meine Absicht, zu werben“. So oder so – alles Müller, oder was? (Quellen vor allem: SZ und BLZ vom 5.-7.7., Medienseiten) 4.) Und nun noch einen halben Liter Sprachkritik. Denn was schreibt die „Süddeutsche“ (5.7., S.15) zur Affäre unter dem Kürzel tyc: „“ZDF-Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein hat sich bei Chefredakteur Peter Frey (…) entschuldigt“. Auch das noch – wenn selbst Kollegen der SZ anscheinend nicht wissen, was „entschuldigen“ bedeutet, dann ist wohl bald wirklich alles Müller – oder was?