Signale stehen auf „droht“

Von Sebastian Köhler

1.) Die Entwicklung der Berichterstattung zu den GDL-Streiks in den gängigen Medien ist bemerkenswert: Kaum noch ein neutrales Haar wird an dieser Spartengewerkschaft und vor allem an ihrem Vorsitzenden Claus Weselsky (übrigens CDU-Mitglied mit DDR-Herkunft, wie auch die Kanzlerin) gelassen. Dieser Zug zumindest scheint Fahrt aufzunehmen. Michael Konken, der DJV-Vorsitzende, weist dagegen zurecht darauf hin, dass es für die öffentliche Information und Meinungsbildung kaum relevant ist, wie genau Weselsky wohnt und wo exakt sich sein Klingelschild befindet. Es sei denn, man will wie bei Schiedsrichterschmäh vermitteln, wo Weselskys „Auto wohnt“ oder Ähnliches. Konken appellierte an die Medien, nicht tendenziös zu berichten. Kein Streik sei beliebt, aber Stimmungsmache für oder gegen eine Partei des Tarifkonflikts oder ihre Funktionsträger sei nicht Aufgabe der Medien. „Man muss den Streik der GDL nicht mögen, aber an dem im Grundgesetz geschützten Recht zum Arbeitskampf darf nicht gerüttelt werden.“

Wer den Tarifkonflikt bei der Deutschen Bahn AG auf das Niveau von ‚Staatsfeind Nummer eins‘ herunterziehe, verletze journalistische Regeln und spiele zudem den Gegnern der Tarifpluralität in die Hände. Was übrigens für den DJV in seinem Verhältnis zur anderen Branchengewerkschaft dju (in Verdi) auch ganz praktisch spannend werden könnte (siehe http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/128577-djv-fordert-faire-bahnstreik-medienberichte-wie-claus-weselsky-wohnt-ist-irrelevant.html, Aufruf am 5.11.2014, 18.46 Uhr).

2.) Sprachkritisch sind die Streiks ebenfalls interessant: Fast allerorten ist dabei von „Drohung“ die Rede. Ein Beispiel aus Spiegel Online (http://www.spiegel.de/wirtschaft/service/bahnstreik-kunden-droht-laengster-streik-der-geschichte-a-1000853.html; Aufruf am 5.11.2014, 18.59 Uhr): „Tarifkampf der GDL: Bahn-Kunden droht längster Streik der Geschichte“. Treten wir etwas zurück von der Bahnsteigkante und springen nicht einfach auf den fahrenden Zug auf: Wenn etwas „droht“, ist das praktisch immer etwas ganz klar Negatives – Erdbeben oder Vulkanausbrüche drohen, Ebola-Ausbreitung droht, Dortmund droht abzusteigen. Und selbst wenn Herr Weselsky wörtlich sagen würde: „Wir drohen mit Streik!“, ist noch lange nicht ausgemacht, ob dieser oder jeder andere Streik für die Gesellschaft nicht unter dem Strich, also mittel- und langfristig, zumindest auch oder sogar überwiegend positive Wirkungen hat. Weselsky also als Teil von jener Kraft, die eher das Böse will und doch (auch) Gutes schafft? Das ist wiederum eine Glaubensfrage. Aber wie ließe sich das „Drohen“ sachlicher formulieren? Zum Beispiel siehe oben: „Bahnkunden vor längstem Streik der Geschichte“ oder „Bahnkunden steht längster Streik der Geschichte bevor“. Oder generell: „GDL erwägt neue Streiks“ oder „GDL kündigt neue Streiks an“. Das kann mensch dann gut oder schlecht oder auch unentschieden finden, käme aber Objektivierung und Einordnung näher als die inflationären Freifahrtscheine für übermäßige Emotionalisierungen und Personalisierungen. In der wiederum sehr bemerkenswerten ZDF-Sendung „Die Anstalt“ hat dazu Max Uthoff am 28.10.2014 Wichtiges gesagt (http://www.youtube.com/watch?v=VeuipxhKAEA, Aufruf am 5.11.2014, 19.16 Uhr): Streik bei der Bahn – kein Problem – aber laut gängigen Medien und deren Umfrage-O-Tönen bitte nicht während der Arbeitszeit und bitte nicht während der Urlaubszeit. Sonst immer gerne. Und wir können mehr als nur ahnen – es geht hier durchaus um gesellschaftliche Weichenstellungen.

2 Gedanken zu “Signale stehen auf „droht“

  1. Hallo Sebastian,
    an sich ist ja die Betrachtung eines Problems aus Sicht der Opfer (hier die Bahnkunden) nicht verkehrt. Aber meiner Meinung nach wird es einmal Zeit, die Täter, also die Deutsche Bahn AG, unter die Lupe zu nehmen und offen zu legen, was sie so unbeweglich und uneinsichtig macht. Vielleicht würde sich die Sicht der Opfer verändern und sich der Druck auf die unbeweglichen Täter erhöhen.
    Inga