Rassenunruhen? Rassismus 2.0!

1.) Bloggerinnen und Blogger als „Fünfte Gewalt“? Der Journalist Richard Gutjahr ist einer vom Team der „Krautreporter“ und hat dort gerade einen Beitrag veröffentlicht über das Zusammenwirken von Netznutzern und Journalisten beim „Fall“ der CSU-Politikerin Christine Haderthauer (https://krautreporter.de/171–die-funfte-gewalt, Aufruft am 26.11.2014, 18.43 Uhr). Gutjahr bilanziert: „Es scheint, als hat sich etwas verändert im Machtgefüge der Republik. Etablierte Netzwerke aus Politikern auf der einen Seite und Journalisten auf der anderen Seite treffen auf eine Phalanx digitaler, gut vernetzter Bürger. Blogger, Netzaktivisten und Bürgerjournalisten als Kontrolleure der Kontrolleure – eine neue, Fünfte Gewalt im Lande?“ Kritisch bleibt hier einzuwenden, dass die großen Konzerne, die organisierten wirtschaftlichen Interessen bei diesem klassisch-bürgerlichen Modell von Gewaltenteilung seit je „außen vor“ bleiben, als „Privatsache“ (ein zuständiger FDP-Minister namens Günter Rexrodt hatte das einst auf den neo-liberalen Punkt gebracht: Wirtschaft finde in der Wirtschaft statt). Doch immerhin bewegt sich manches auf den tradiert öffentlichen Gebieten von Politik, Justiz und Medien, den Gewalten Eins bis Vier: Der von Gutjahr befragte Journalist der Süddeutschen Zeitung, Dietrich Mittler, sieht in den Amateuren weit mehr als nur reine Tippgeber: „Jeder Blogger ist für sich eine eigene kleine Zeitung“, sagt er. „Jeder, der mit einer Information als Erster auf den Markt kommt, steht mit seiner Marke für sich. Andere Medien greifen das auf, recherchieren und kommen zu neuen Ergebnissen, von denen wiederum der Blogger profitieren kann.“ Und der ebenfalls am „Fall Haderthauer“ beteiligte freie Journalist Helmut Reister (laut dem „investigativer Journalismus“ eine Tautologie ist) ergänzt: „Früher hingen wir alle überwiegend am Tropf der Nachrichtenagenturen“. Durch das Web gebe es heute unendlich viel Material. Dadurch gehe aber auch Vieles unter. Die Leute im Netz beobachten die Medien, helfen den Journalisten aber auch, diese neue Informationsflut zu bewältigen. Wenn er an die Print-vs.-Online-Diskussionen denke, die gerade beim Stern oder beim Spiegel geführt würden, das seien Prozesse, die hätten schon vor zehn Jahren stattfinden müssen. „Print oder Digital, Profis oder Amateure, wen kümmert das?“, so der 60-Jährige. Das gehöre alles zusammen, das sei eine Einheit. „Anders geht’s doch heute gar nicht mehr!“. Journalismus lässt sich mit Blick auf dieses Beispiel und seine Publikationsformen tendenziell von den etablierten Medien unterscheiden – wofür die „Krautreporter“ mit ihrem Modell der Ressourcen-Gewinnung über ihre Nutzer – bei allen Problemen und Überschneidungen mit eben jenen traditionellen Medienhäusern – kein schlechtes Beispiel zu sein scheinen.

2.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop. In der „Tagesschau“ der ARD lief am Dienstag, 25.11., von morgens bis abends der Hauptbericht über die Zusammenstöße in Ferguson mit derselben Sprachregelung: „die schwersten Rassenunruhen seit Jahrzehnten“. Es gab dazu im Netz auch auf der Tagesschau-Seite kritische Kommentare, aber am Textbaustein „Rassenunruhen“ änderte sich nichts. Der Focus sprach online von „Rasse-Unruhen“ (http://www.focus.de/panorama/welt/fotostrecke-fall-michael-brown-rasseunruhen-gewalt-protest_id_4292461.html, Aufruf 25.11., 16.30 Uhr).

Ein erster Blick in die für solche Zwecke sicher sinnvolle „Wikipedia“-Online-Enzyklopädie zeigt (http://de.wikipedia.org/wiki/Rassentheorie, Aufruf am 26.11.2014, 17.41 Uhr): Wer heutzutage und zumal als Medienrprofi noch oder wieder von „Rassenunruhen“ spricht und damit die Existenz von (zumindest zwei unterscheidbaren) menschlichen Rassen voraussetzt, muss sich Vorwürfe des Rassismus gefallen lassen.

Wortlaut Wikipedia: „In der Biologie wird die Art Homo sapiens heute weder in Rassen noch in Unterarten unterteilt. Molekularbiologische und populationsgenetische Forschungen seit den 1970er Jahren haben gezeigt, dass eine systematische Unterteilung der Menschen in Unterarten ihrer enormen Vielfalt und den fließenden Übergängen zwischen geographischen Populationen nicht gerecht wird. Zudem wurde herausgefunden, dass der größte Teil genetischer Unterschiede beim Menschen innerhalb einer geographischen Population zu finden ist. Die Einteilung des Menschen in biologische Rassen entspricht damit nicht mehr dem Stand der Wissenschaft.“

Gibt es also „Rassismus“ ohne die Existenz von Rassen? Ich denke, ja, und zwar sowohl auf wirtschaftlicher, politischer, juristischer oder auch medialer Ebene. Menschengruppen (oder genauer: Schichten und Klassen in Gesellschaften) werden für höher- oder minderwertig gehalten, und zwar sowohl in der Fremd- als auch in der Selbstwahrnehmung. Am einfachsten geht das „natürlich“ entlang äußerer Merkmale, also im Wortsinne oberflächlich. Auch wenn sich eher dunkel- oder mehr hellhäutige Menschen sogar selber als „Schwarze“ und „Weiße“ bezeichnen, rate ich im Sinne von Objektvierung und Sachlichkeit entschieden zu den etwas längeren Termini aus dem ersten Teil des Satzes. Denn wer ist schon wahrhaft „weiß“ oder „schwarz“ von der Hautfarbe her? Und einen Schritt weiter gedacht: Was und wem nützen die damit oft verbundenen Stereotypisierungen? Wie schon Einstein gesagt haben soll – man mache die Dinge so einfach wie möglich. Aber bitte nicht noch einfacher.

Im Zweifel pro Verdacht – und doppelt zusammenaddiert hält besser

1.) Zur aktuellen Viertel-Stunde: Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die journalistische Medienfreiheit bei der sogenannten Verdachtsberichterstattung gestärkt, wie unter anderem die Nachrichtenagentur Reuters meldete. Der BGH entschied am 18.11.2014 in Karlsruhe, dass das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ keine nachträgliche „Richtigstellung“ zu einem Verdachtsbericht über angebliche Verfehlungen eines früheren Spitzen-Juristen der HSH Nordbank veröffentlichen muss. Da der Verdacht inzwischen ausgeräumt sei, könne vom „Spiegel“ allerdings ein „Nachtrag“ verlangt werden, dass nach Klärung des Sachverhalts der berichtete Verdacht nicht mehr aufrechterhalten werde, urteilte das Gericht. (Az. VI ZR 76/14).

In dem „Spiegel“-Bericht aus dem Jahr 2010 ging es um den Verdacht, der Ex-Chefjustiziar der HSH Nordbank, Wolfgang Gößmann, habe bei angeblichen Abhörmaßnahmen gegen ein früheres HSH-Vorstandsmitglied mitgewirkt. Gerichtlich ist inzwischen festgestellt, dass dieser Verdacht unberechtigt war. Gößmann hatte daher eine „Richtigstellung“ vom „Spiegel“ gefordert, die das Magazin jedoch ablehnte. Vor dem Oberlandesgericht Hamburg hatte Gößmann Recht bekommen. Dieses Urteil hob der BGH nun auf und erklärte, dass die Verdachtsberichterstattung des „Spiegel“ zum Zeitpunkt der Veröffentlichung rechtmäßig gewesen sei. Der Fall wurde an das OLG Hamburg zurückverwiesen.

Ein Presseorgan könne „nicht verpflichtet werden, sich nach einer rechtmäßigen Verdachtsberichterstattung selbst ins Unrecht zu setzen“, begründete der 6. Zivilsenat des BGH seine Entscheidung. Ein Betroffener könne bei späterer Ausräumung des Verdachts „nicht die Richtigstellung der ursprünglichen Berichterstattung verlangen“. Dies ergebe die Abwägung zwischen seinem Persönlichkeitsrecht und dem Recht journalistischer Medien auf Meinungsfreiheit.

2.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Klar, es gibt Apfelschimmel. Dennoch wird in der Regel nicht von „weißen Schimmeln“ geredet, also möglichst nicht unbewusst tautologisch. Die Bundeskanzlerin scheint das ausnahmsweise nicht „alternativlos“ zu finden, denn sie äußerte in Australien in einer Rede auf dem G20-Gipfel: „Die größte Gefahr ist, dass wir uns auseinanderdividieren lassen“. Das sagte Angela Merkel angesichts unterschiedlicher Meinungen über mögliche Reaktionen westlicher Regierungen auf das Verhalten der russischen Führung in der Ukraine-Krise (vgl. http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/angela-merkel-kritisiert-putins-vorgehen-im-ukraine-konflikt-13270007.html, Aufruf am 19.11.2014, 21.48 Uhr). „Auseinanderdividieren“ ist natürlich ein super-wissenschaftlich klingendes Wort, zumal aus dem Munde der promovierten Physikerin. Aber heißt „Dividieren“ nicht schon Zer-Teilen oder Auseinanderlegen? Vielleicht soll ja aus ihrer Sicht gegenüber Putin (ja, sie dürfte weiterhin auch sehr, sehr gut Russisch sprechen) gelten: Doppelt (zusammenaddiert) hält besser.

Spitz oder Spitze?

1.) Der deutsche und digitale Ableger des „Wall Street Journal“ soll Ende 2014 geschlossen werden. Das Medium gehört über das Unternehmen Dow Jones zur „News Corporation“ des Rupert Murdoch, einem der weltweit umfassendsten Medienkonglomerate (21th Century Fox etc.). Das „WSJ“ gilt auch online in den USA als relativ erfolgreich und wurde nicht zuletzt deshalb ab Januar 2012 auch in Deutschland an den Start gebracht (vgl. http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/128651-zwei-jahre-nach-dem-start-wall-street-journal-deutschland-wird-eingestellt.html, Aufruf am 12.11.2014, 21.31 Uhr). Mit dem erklärten Ziel, gegen die Konkurrenz von Handelsblatt oder FTD zum „führenden Anbieter von internationalen Finanz- und Wirtschaftsnachrichten für deutsche Leser aus dem professionellen Umfeld“ zu werden. Der Plan ging offenbar nicht auf. 50-60 Mitarbeiter sind betroffen. Trotz oder wegen der Größe und Marktmacht des Dachkonzerns?

2.) In einem Nachrichtenagentur-Text dieser Tage findet sich die Formulierung „spitz auf Knopf“ als Umschreibung für „ganz eng“. Diese aus dem Süddeutschen stammende Redewendung muss aber laut Duden (http://www.duden.de/rechtschreibung/Spitz#Bedeutung4b, Aufruf am 12.11.2014, 21.38 Uhr) anders geschrieben werden: „auf Spitz und Knopf/Spitz auf Knopf stehen (süddeutsch: auf Messers Schneide stehen; wohl zu Spitze 1a = Degen-, Schwertspitze und Knopf in der Bedeutung »Knauf des Degens, Schwertes«)“. Zwei Substantive also, die verbunden sind – zwei Enden der Waffe eben. Redewendungen im Text – gut und schön. Aber noch besser, wenn sie richtig geschrieben sind. was oft durch die Wortgeschichte – die Etymologie – erhellt werden kann.

Signale stehen auf „droht“

Von Sebastian Köhler

1.) Die Entwicklung der Berichterstattung zu den GDL-Streiks in den gängigen Medien ist bemerkenswert: Kaum noch ein neutrales Haar wird an dieser Spartengewerkschaft und vor allem an ihrem Vorsitzenden Claus Weselsky (übrigens CDU-Mitglied mit DDR-Herkunft, wie auch die Kanzlerin) gelassen. Dieser Zug zumindest scheint Fahrt aufzunehmen. Michael Konken, der DJV-Vorsitzende, weist dagegen zurecht darauf hin, dass es für die öffentliche Information und Meinungsbildung kaum relevant ist, wie genau Weselsky wohnt und wo exakt sich sein Klingelschild befindet. Es sei denn, man will wie bei Schiedsrichterschmäh vermitteln, wo Weselskys „Auto wohnt“ oder Ähnliches. Konken appellierte an die Medien, nicht tendenziös zu berichten. Kein Streik sei beliebt, aber Stimmungsmache für oder gegen eine Partei des Tarifkonflikts oder ihre Funktionsträger sei nicht Aufgabe der Medien. „Man muss den Streik der GDL nicht mögen, aber an dem im Grundgesetz geschützten Recht zum Arbeitskampf darf nicht gerüttelt werden.“

Wer den Tarifkonflikt bei der Deutschen Bahn AG auf das Niveau von ‚Staatsfeind Nummer eins‘ herunterziehe, verletze journalistische Regeln und spiele zudem den Gegnern der Tarifpluralität in die Hände. Was übrigens für den DJV in seinem Verhältnis zur anderen Branchengewerkschaft dju (in Verdi) auch ganz praktisch spannend werden könnte (siehe http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/128577-djv-fordert-faire-bahnstreik-medienberichte-wie-claus-weselsky-wohnt-ist-irrelevant.html, Aufruf am 5.11.2014, 18.46 Uhr).

2.) Sprachkritisch sind die Streiks ebenfalls interessant: Fast allerorten ist dabei von „Drohung“ die Rede. Ein Beispiel aus Spiegel Online (http://www.spiegel.de/wirtschaft/service/bahnstreik-kunden-droht-laengster-streik-der-geschichte-a-1000853.html; Aufruf am 5.11.2014, 18.59 Uhr): „Tarifkampf der GDL: Bahn-Kunden droht längster Streik der Geschichte“. Treten wir etwas zurück von der Bahnsteigkante und springen nicht einfach auf den fahrenden Zug auf: Wenn etwas „droht“, ist das praktisch immer etwas ganz klar Negatives – Erdbeben oder Vulkanausbrüche drohen, Ebola-Ausbreitung droht, Dortmund droht abzusteigen. Und selbst wenn Herr Weselsky wörtlich sagen würde: „Wir drohen mit Streik!“, ist noch lange nicht ausgemacht, ob dieser oder jeder andere Streik für die Gesellschaft nicht unter dem Strich, also mittel- und langfristig, zumindest auch oder sogar überwiegend positive Wirkungen hat. Weselsky also als Teil von jener Kraft, die eher das Böse will und doch (auch) Gutes schafft? Das ist wiederum eine Glaubensfrage. Aber wie ließe sich das „Drohen“ sachlicher formulieren? Zum Beispiel siehe oben: „Bahnkunden vor längstem Streik der Geschichte“ oder „Bahnkunden steht längster Streik der Geschichte bevor“. Oder generell: „GDL erwägt neue Streiks“ oder „GDL kündigt neue Streiks an“. Das kann mensch dann gut oder schlecht oder auch unentschieden finden, käme aber Objektivierung und Einordnung näher als die inflationären Freifahrtscheine für übermäßige Emotionalisierungen und Personalisierungen. In der wiederum sehr bemerkenswerten ZDF-Sendung „Die Anstalt“ hat dazu Max Uthoff am 28.10.2014 Wichtiges gesagt (http://www.youtube.com/watch?v=VeuipxhKAEA, Aufruf am 5.11.2014, 19.16 Uhr): Streik bei der Bahn – kein Problem – aber laut gängigen Medien und deren Umfrage-O-Tönen bitte nicht während der Arbeitszeit und bitte nicht während der Urlaubszeit. Sonst immer gerne. Und wir können mehr als nur ahnen – es geht hier durchaus um gesellschaftliche Weichenstellungen.