Xaver und Unsinn

1.) Der Axel-Springer-Verlag setzt seine Umorientierung fort – weg von Printmedien und hin zum Hybrid-Konzern mit vielen möglichen Medien- und Handelsangeboten. (http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/124257-n24-welt-wachsen-zusammen-axel-springer-kauft-n24-media.html, Aufruf am 11.12.2013, 22.38 Uhr). Springer übernimmt die N24 Media GmbH zu 100%. und will dabei erklärtermaßen vor allem N24 und die Welt-Gruppe zusammenführen, um im deutschsprachigen Raum „das führende multimediale Nachrichtenunternehmen für Qualitätsjournalismus zu etablieren“, wie es in einer Mitteilung von Springer heißt. Das bisher relativ selbständige N24 mit seinen rund 300 Mitarbeitern soll außerdem zentraler Bewegtbildlieferant für alle Marken von Axel Springer werden. N24-Geschäfsführer Torsten Rossmann sagte: „Für den nächsten Schritt und eine nachhaltige Zukunft brauchen wir einen starken Partner, der zu N24 passt. Mit Axel Springer und seinem klaren Bekenntnis zu Journalismus und Digitalisierung haben wir ihn gefunden“. Über den Kaufpreis wurde Stillschweigen vereinbart. Die Transaktion steht unter dem Vorbehalt der kartell- und medienrechtlichen Genehmigung
2.) Dass die Weltgesellschaft neuer, revolutionär informierterer und kommunikativerer Modelle, Medien und Praxen für ihr Verkehren (im weitesten Sinne) bedarf, um nachhaltig zu überleben, sehen manche so angesichts der Widersprüche zwischen wachsender globaler Produktivität und Reichtumsanhäufung einerseits und grundsätzlichen Krisentendenzen andererseits (Kriege, Anschläge, Umweltzerstörung, Sozialabbau, Verarmung, Verdrängung, Abschottung bis hin zur tendenziellen demografischen Vergreisung etc.). Dass sogenannte soziale Netzwerke wie Facebook, Xing oder LinkedIn wenig zu aufgeklärteren, also in öffentlich-relevanter Hinsicht informierteren Verhältnissen beitragen, überrascht kaum, da sie Unternehmungen sind, die nicht zuletzt für die konzerneigene Verwertung persönlicher Daten und gemeinschaftlicher Beziehungen (virtuelle Empfehlungen und Freundschaften) geschaffen wurden. „Soziales Netzwerk“ ist hier nicht viel mehr als ein nett klingender Eigen-Name. Hätte das neue Phänomen „Global Brain“ eher das Zeug zum „sozialen Netzwerk“? Der österreichische Industrielle Wolfgang Pinegger startet mit seiner Gründung GL Brain eine Plattform, welche Vorteile von Facebook, Xing und Twitter mit sozialem Agenda-Setting zusammenbringen soll. Wichtigstes Argument der neuen Plattformer: Man könne sich auf ihr anonym und zugriffssicher vernetzen. Pinegger erklärte, er wolle brillante Köpfe zusammenbringen, um gemeinsam an den Weltaufgaben zu arbeiten. Daher trägt seine Plattform den ambitionierten Untertitel „The Missing Link“. Neben den üblichen kommunikativen Funktionen wie Chatten, Posten und Verlinken sowie dem Einstellen von Profilen können Nutzer über Global Brain einfach Petitionen erstellen sowie sich zu den beliebten „nachhaltigen“ Themen zusammenfinden. Angereichert sei Global Brain mit vielen Echzeit-Statistiken zu gesellschafts- und weltpolitischen Themen. Längerfristig möchte Pinegger daraus erklärtermaßen eine Art „soziale Suchmaschine“ generieren. Nach Edward Snowdens Enthüllungen gab die weltweite Empörung über den Zugriff Dritter auf sensible Daten auch per sozialen Netzwerken für Pinegger einen Ausschlag, Global Brain anders aufzuziehen – mit sehr weitreichenden Anonymisierungsmöglichkeiten. Vom Geschäftsmodell mit werberelevanten Datenströmen wolle er sich daher abschneiden. Längerfristig soll Global Brain neben Anzeigenerlösen über Abo-Angebote und Möglichkeiten finanziert werden, sich als Unternehmen prominent auf eigenen Seiten zu präsentieren. (vgl. http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/124383-achtstellige-investition-fuer-neues-soziales-netzwerk-global-brain-zieht-in-den-kampf-mit-facebook.html, Aufruf am 17.12.2013, 13.47 Uhr). Klingt erst einmal spannend und ist hoffentlich keine neue Version von weltweitem „Brain drain“, sondern könnte zu neuen Weisen des Teilens und Mit-Teilens auf aktuellen Höhen der technologischen Möglichkeiten beitragen.
3.) ARD-MoMa-Moderatorin Anne Gesthuysen sprach im Angesicht des nahenden Orkans „Xaver“ am 6.12., die Wetterlage wäre „dieselbe wie 1962“. Das darf als Reverenz an den einstigen bundesdeutschen Eishockeytrainer mit dem schönen Namen „Xaver Unsinn“ gelesen werden: Dieser und das Sturmtief tragen vielleicht denselben Vor-Namen (weil es von solchen Namen kaum ein unverwechselbares Individuum geben kann). Aber zwei unterscheidbare Wetterlagen (1962-2013) gleichen sich bestenfalls (sind vom gleichen Typus), oder erscheinen uns sicher am ehesten ähnlich.

Wie tickern die denn?

Von Sebastian Köhler

1.) Echtzeit-Schnipsel von Reportern – die größte deutsche Nachrichtenagentur dpa scheint mit einigen bisherigen Agentur-Tabus brechen zu wollen (:http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/124204-echtzeit-schnipsel-von-reportern-dpa-live-bricht-mit-agentur-tabus.html., Aufruf am 4.12.2013, 21.17 Uhr). Denn die Deutsche Presse-Agentur bietet ihren Kunden künftig regelmäßig Liveticker an. Text- und Fotoreporter sollen bei größeren Ereignissen parallel zu ihrer normalen Berichterstattung in Echtzeit bloggen, wie dpa-Politikchef Martin Bialecki beim Mainzer Mediendisput 2013 in Berlin sagte. Die Agentur nennt den Service „dpa live“, vor allem auf Websites von Regionalzeitungen dürfte er bald öfter zu sehen sein. In einigen Punkten kratzt die dpa mit ihrem neuen Live-Angebot an Tabus. Das Unterhaltsame, Privat-Relevante soll hier mit harten, öffentlich-relevanten Fakten vermischt werden. Die Abfolge eines Livetickers widerspricht der alten Schule der Nachrichtenagenturen: das Wichtige wird im Ticker nicht zuerst genannt, sondern immer das gerade Neueste; auch fehlt die Trennung zwischen relevanten und irrelevanten Beobachtungen weitgehend, denn ein Ticker will zuerst einmal gefüllt werden. Ein weiterer Schritt in Richtung „Gemischtwaren-Laden“?

2.) Das sprachkritische Kaleidoskop führt in dieser Woche zum Wort „Oppositionsführer“. In vielen deutschen Medien werden mittlerweile Formulierungen verwendet wie vom „Hamburger Abendblatt“: „Behörden schikanieren Oppositionsführer Vitali Klitschko“ (http://www.abendblatt.de/politik/article122478590/Behoerden-schikanieren-Oppositionsfuehrer-Vitali-Klitschko.html, Aufruf am 4.12.2013, 20.24 Uhr). Was aber bedeutet „Oppositionsführer“? In Großbritannien ist dieser Titel eine Institution, dort wie auch in Deutschland wird der Chef der größten Oppositionsfraktion so genannt. In der Ukraine gebührt solche Bezeichnung dem Fraktionschef der Partei „Vaterland“ (Julia Timoschenko), Arsenij Jazenjuk, dessen Fraktion im Kiewer Parlament über 101 Sitze verfügt. Nur auf 40 Mandate hingegen bringt es Vitali Klitschkos Partei „Udar“ (Schlag), die aktiv von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützt wird (http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/1306144/Wahlen-in-der-Ukraine_Klitschkos-schwierigster-Kampf, Aufruf am 4.12.2013). Wenn schon im Deutschen von „Führer“ oder eben „Oppositionsführer“ gesprochen werden muss, dann doch bitte nicht ganz so „opportunistisch“ – also (bildungssprachlich laut Duden) nicht in allzu bereitwilliger Anpassung an die jeweilige Lage aus Nützlichkeitserwägungen .(http://www.duden.de/rechtschreibung/Opportunismus). Denn unter demokratischem Aspekt ist die sprachliche Frage nicht uninteressant: Wird der Oppositionsführer gewählt, oder wird er ernannt – von sich selbst bzw. von (deutschen) Medien? Zumal ja, Gruß zurück ans Hamburger Abendblatt, die Familie Klitschko ebendort in der Elbmetropole lebt.