1.) Meine aktuelle Medienkritik der Woche: „100 Jahre Frauenwahlrecht“, das war auch in den ARD-Tagesthemen am 12.11.2018 (https://www.ardmediathek.de/tv/Tagesthemen/tagesthemen/Das-Erste/Video?bcastId=3914&documentId=57608738, Aufruf am 18.11.2018, 17.15 Uhr) ein wichtiges Thema, mit zwei Filmbeiträgen und einem Kommentar. In den gesamten knapp zehn Minuten zum Thema „Frauenrechte“ taucht allerdings kein einziger Halbsatz auf zum Thema „Frauen in der DDR“. Dabei geht es den „Tagesthemen“ durchaus um Themen wie Berufstätigkeit von Frauen oder auch Schwangerschaftsabbruch (was auch hier „natürlich“ stark negativ wertend „Abtreibung“ genannt wird). Aber kein Wort darüber und anscheinend auch kein Gedanke daran, dass es gerade mit Blick auf Gleichstellung der Frauen in der DDR andere und oft klar fortschrittlichere Entwicklungen gab als in der BRD. Da dürfen im TV-Beitrag drei glasklare „Westfrauen“ (Rita Süßmuth, Susanne Omran, Carina Beck) stellvertretend für drei Generationen deutscher Frauen reden. Und kein Seitenblick nach oder von „Osten“ relativiert die bundesdeutsche „Erfolgsgeschichte“.
Selbst die den Grünen nahestehende Heinrich-Böll-Stiftung, die kaum der DDR-Nostalgie verdächtig ist, schreibt in einer Studie aus dem Jahre 2016 (https://www.boell.de/de/2016/11/09/familienpolitik-ost-und-westdeutschland-und-ihre-langfristigen-auswirkungen, Aufruf am 18.11.2018, 17.30 Uhr):
„Schon kurz nach der Gründung der DDR wurde 1950 ein “Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau” erlassen,[…] das mit der Tradition des Nationalsozialismus, die Frau primär über ihre Mutterrolle zu definieren, klar brach. So schrieb §14 vor, dass:
“…die Eheschließung für die Frau keine Einschränkung oder Schmälerung ihrer Rechte zur Folge hat” und noch expliziter in §15: “Durch die Eheschließung darf die Frau nicht gehindert werden, einen Beruf auszuüben oder einer beruflichen Ausbildung und ihrer gesellschaftlichen und politischen Fortbildung nachzugehen; auch wenn hierdurch eine zeitweilige örtliche Trennung der Eheleute bedingt wird.”“
Und weiter im Text der Böll-Stiftung: „Auch die Rechte von Frauen, die uneheliche Kinder geboren hatten, wurden mit diesem Gesetz von 1950 in §17(1) gestärkt: “Die nicht eheliche Geburt ist kein Makel. Der Mutter eines nicht ehelichen Kindes stehen die vollen elterlichen Rechte zu, die nicht durch die Einsetzung eines Vormundes für das Kind geschmälert werden dürfen.” Diese Regelungen standen in direktem Gegensatz zu den zeitgleich in der BRD geltenden Gesetzen, die teilweise noch jahrzehntelang etwa Ehefrauen und Alleinerziehende diskriminierten.“ Soweit der O-Ton von der Böllstiftung.
Schwangerschaftsabbrüche waren in der DDR bereits ab 1972 ohne weitere Bedingungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche möglich – und das, obwohl ja permanenter Arbeitskräftemangel herrschte. Auch die „Pille“ gab es kostenlos für jede Frau, die so eine Schwangerschaft verhüten wollte.
Die soziale Norm der Vollzeiterwerbstätigkeit galt auch für Mütter, so dass die meisten nach Ablauf des Babyjahres wieder arbeiten gingen. Nur so war die hohe Erwerbsbeteiligung von 91 Prozent bis zum Wendejahr 1989 erreichbar – die höchste Quote weltweit, wie sich auch in der Studie der Böll-Stiftung nachlesen lässt.
Es gibt also beim Thema „Gleichstellung der Frauen“ ziemlich unterschiedliche Erfahrungen zwischen Ost- und Westdeutschen. Damit sollte man in einer offenen Gesellschaft und in pluralistischen Medien umgehen können. Doch am Beispiel dieser „Tagesthemen“ zeigt sich, dass es in öffentlich-rechtlichen Medien offenbar weiterhin ein massives (und vielleicht sogar wachsendes) Repräsentationsproblem gibt, was die Artikulation von DDR-Erfahrungen und damit von ostdeutschen Sichtweisen (denn es geht ja auch um nach 1990 Geborene) betrifft. Das scheint bedenklich, da es gleichsam Sinnbild ist für verschiedene spiegelbildliche „Filterblasen“, die sich meines Erachtens gegenseitig verstärken. Die Zustimmungsraten zur AfD im Osten und zu den Grünen im Westen korrelieren in gewisser Weise, und das scheint kein Zufall. Gesamtgesellschaftliche Kommunikation kann so kaum gelingen.
2.) Zum stilkritischen Kaleidoskop: Das Portal „Börse Online“ meldete am 13.8.2018 (https://www.boerse-online.de/nachrichten/devisen/tuerkische-lira-setzt-talfahrt-fort-1027452076, Aufruf am 18.11.2018, 18.30 Uhr): „Experten gehen davon aus, dass eine deutliche Zinserhöhung um mehrere Prozentpunkte den Lira-Verfall bremsen könnte. Mit ein Auslöser für den Lira-Verfall waren allerdings Sorgen über die Unabhängigkeit der Notenbank: Erdogan hat sich selbst wiederholt als “Gegner der Zinsen” bezeichnet und angekündigt, eine größere Kontrolle über die Geldpolitik auszuüben.“
„Mit ein Auslöser“ liest sich merkwürdig doppelt-gemoppelt: „Ein Auslöser“ reicht doch völlig! Oder würden wir beispielweise schreiben nach dem 3:0-Sieg der DFB-Männer gegen das russische Team: „Mit ein Torschütze der deutschen Mannschaft war Leroy Sané“?