Eigentore, wie sie ihnen gefallen – zwei Stück weit daneben

1.) „Putins Propagandaplattform“, so titelt WDR-Korrespondentin Golineh Atai ihren Beitrag zur Eröffnung der Fußball-WM auf „tagesschau.de“ (http://www.tagesschau.de/ausland/wm-politik-101.html; Aufruf am 14.6.2018, 22.19 Uhr). Mir erscheint der Text, der als informationsbetont daherkommt und am ehesten wohl eine Art Feature werden sollte, als prototypisch und klar einseitig zumindest gegen die russische Führung gerichtet.

Um mit dem Unwichtigsten zu beginnen – mit dem szenischen Einstieg, der behauptet, Putin sei gar kein Fußballfan, sondern er sei Anhänger von Judo und Eishockey. Die beiden letzten Sportarten scheint er aktiv oder wenigstens demonstrativ zu betreiben – aber warum folgt daraus (und einen anderen „Beleg“ gibt es nicht), er sei kein Fußballfan? Um hier ein Leitmotiv meiner Kritik schon mal anklingen zu lassen: Inwieweit ist Kanzlerin Merkel denn „Fußballfan“? Aber wir ahnen es – wenn zwei das Gleiche (nicht) tun, ist es noch lange nicht „dasselbe“.

Die erste Quelle ist dann „Russland-Expertin“ Sabine Fischer von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), die als Wissenschaftlerin vorgestellt wird. Ihre deutliche Putin-Kritik kulminiert in der Aussage: „Russlands offizielles WM-Poster suggeriert denn auch nicht das Gefühl von internationalem Glanz, eher spielt es mit alten Bildern sowjetischer Größe.“ Das hätte man früher „Kreml-Astrologie“ vom Feinsten genannt. Wichtiger als solche Spekulation wäre im Text ein Hinweis, dass die SWP auch nach eigener Darstellung ihre Ressourcen weit überwiegend direkt aus dem Haushalt des Bundeskanzleramtes bezieht (https://www.swp-berlin.org/ueber-uns/finanzierung/.; Aufruf 14.6.2018, 22.20 Uhr). Die Organisation „Lobbypedia“ nennt die SWP eine „regierungsnahe Stiftung“ (https://lobbypedia.de/wiki/Stiftung_Wissenschaft_und_Politik; Aufruf 14.6.2018, 22.25 Uhr). Nicht unwichtig, gerade wenn es um Staatsnähe oder -ferne von Medien, Wissenschaft und Sport geht.

Russlands Regierung habe, schreibt Atai, in den vergangenen Jahren „einige alte Brücken verbrannt und Gemeinschaften auseinanderdividiert“. „Auseinanderdividieren“ ist natürlich sinnlos tautologischer sprachlicher Tiefgang, aber inhaltlich ist das in seiner Einseitigkeit noch viel gravierender: Westliche Eliten haben zumindest ihren Anteil an der Ukraine-Krise, am Syrienkonflikt oder an den Konfrontationen im Fall „Skripal“. Aber davon kein Wort.

Die zweite und letzte Expertin ist Gwendolyn Sasse, Direktorin des Zentrums für Osteuropa- und Internationale Studien. Dieses Zentrum wiederum wird (nach eigenen Angaben) komplett vom Auswärtigen Amt finanziert (https://ostexperte.de/zois-berlin/, Aufruf 14.6.2018, 22.54 Uhr). Aber auch davon kein Wort im Text – stattdessen polemisiert Frau Sasse gegen russische „Staatsmedien“. Um nicht missverstanden zu werden – das kann man thematisieren und kritisieren, aber doch bitte kaum mit Steinen werfen, wenn man selbst im Glashaus sitzt.

Dann stellt Autorin Atai „die Staatsführer der Weltgemeinschaft“ dem Russen Putin gegenüber. Sorry: Wer bitte soll das sein? Die Weltgemeinschaft? Und deren Führer? Meint sie die westlichen Eliten, die bis vor kurzem freundschaftlich verbunden schienen und deren Interessenkonflikte mittlerweile ziemlich deutlich werden? Eher nicht scheint sie Staatschefs von China oder Indien oder Südafrika etc. zu meinen. Auch das höchst fragwürdig ….

Der Artikel kommt praktisch durchgehend ohne Perspektivenwechsel und Objektierung aus. Nicht einmal klingt die Frage an, inwiefern Kanzlerin Merkel „Propaganda“ (sorry für das böse Wort) betreiben könnte, wenn immer sie, wo es opportun erscheint, seit dem wunderschönen deutschen Sommermärchen von 2006 bis heute „die Mannschaft“ besucht. Nein, Propaganda machen natürlich immer nur die Anderen.

Bedenklich, dass sich Frau Atai und Ähnlichdenkende immer mehr in ihren „Echo-Kammern“ zu verselbständigen scheinen.

Spannend aber, dass in den zugelassenen 137 Kommentaren (die Kommentarfunktion war zwischendurch immer wieder geschlossen wegen „Überlastung“) deutlich mehr als 90 Prozent der bei „tagesschau.de“ angemeldeten ARD-Nutzer den Artikel klar bis sehr klar kritisieren.

Der Kreis schließt sich am Abend, beim ARD-Deutschlandtrend (http://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend/index.html; Aufruf 14.6.2018, 23.09 Uhr) in den Tagesthemen im „Ersten“: Moderatorin Ellen Ehni hat interessante Zahlen zu präsentieren:

Eine relative Mehrheit von 45 Prozent hält laut dieser Umfrage die Entscheidung, die Fußball-WM 2018 in Russland zu verstalten, für richtig. 42 Prozent halten sie für falsch. Im Vergleich zur Lage vor vier Jahren ist das ein deutlicher Unterschied – Olympia in Sotschi hielten nur 34 Prozent für richtig und satte 57 Prozent für falsch.

Und jetzt wird es spannend: Was sagt die Moderatorin zur Erklärung? Gibt es Selbstkritik oder einen Verweis auf eine sich womöglich wandelnde Stimmung im Land in dieser Frage? Nein, alles halb so wild: „Offenbar sind die Deutschen beim Fußball nachsichtiger in solchen Fragen“.

Dagegen darf Pippi Langstrumpf als Realistin gelten: Immerhin singt sie und weiß von sich, dass sie sich die Welt so macht, wie sie ihr gefällt.

2.) Henry Kramer schrieb am 25.5. 2018 in den Potsdamer Neuesten Nachrichten:
„Dieser Skandal wird nun mit den günstigeren Kita-Gebühren ein stückweit geheilt“.
(http://www.pnn.de/potsdam/1287064/, Aufruf 27.5.2018, 14.10 Uhr)

Das ist zwei Stück weit fragwürdig: Erstens: Wenn ich diese Wendung nutze, dann laut Duden in der Form „ein Stück weit“ (https://www.duden.de/rechtschreibung/Stueck; Aufruf 27.5.2018, 14.12 Uhr). Zweitens aber finde ich den Ausdruck sinnlos doppelt moppelnd: „Ein Stück“ würde doch reichen, oder auch „ein Stückchen“ (also ein kleines Stück), im Sinne von „ein wenig“, „ein bisschen“ oder auch „etwas“. „Ein Stück weit“ wirkt auf mich wie aufgeblähte, aufgeblasene Sprache. Hier läge in der Kürze mehr Würze. Zumindest „ein stückweit“.