Von Sebastian Köhler
1.) Journalistische Recherche auf Internet-Plattformen bleibt ein Dauerbrenner gerade weil die Ergebnisse nicht irgendwo fest zu brennen oder festzuhalten wären. Gavin Sheridan aus Irland von der Firma „Storyful“ (http://storyful.com) beschreibt diese „Social News Agency“ als ausgelagerte Redaktion, als „outsourced newsroom“ (vgl. MMM Heft 2/2013, S.32f.). Um rund um die Uhr einen solchen Newsroom zur Auswertung von Internet-Plattformen („Social Media“) betreiben zu können, beschäftigte Storyful Ende 2012 24 Journalisten. Zu den Kunden der Agentur zählten deren Angaben zufolge New York Times, ABC-News oder France24.
Gavin Sheridan sah zwei zentrale Aufgaben solcher Agenturen, nämlich Auswahl und Verifizierung: 1.) Das Rauschen herausfiltern aus der schieren Masse an Informationen (Ende 2012 wurden pro Minute 72 Stunden Video-Inhalte allein auf YouTube hochgeladen, bei Twitter waren es pro Minute rund 500.000 Tweets). Diese menschen- und maschinengemachte „Flut“ muss beobachtet und aus ihr begründet ausgewählt werden, wofür es auch Software und Verfahren gibt. Bei Twitter hilft schon die „Advanced Search“ als erster Schritt, die Anwendung TweetDeck erlaubt die gleichzeitige Beobachtung mehrerer Kanäle. Hashtag-Analysen ermöglichen das Erkennen von Tendenzen. 2.) Faktencheck: 2a) Wer steckt hinter einem Twitter-Pseudonym?Also Tweeter kontaktieren, diese sind Sheridan zufolge oft relativ kooperationsbereit, auch, was eigene Rechte an Fotos, Audios und Videos angeht. Zudem kann man Augenzeugen vor Ort gewinnen. Identität der Quellen überprüfen, über mehrere Kanäle hinweg. 2b) Materialanalyse – kann das Material in Raum und Zeit echt sein? GPS-Daten der Aufnahmen etc. über verschiedene Kanäle hinweg prüfen, Wikimapia als kollaboratives Karten-Material. 3.) Wichtige journalistische Aufgabe bleibt und wird im Netz: Auswählen, Prüfen, Präsentieren – Neues, Wichtiges und Richtiges finden und dabei immer in alle möglichen Richtungen neugierig UND skeptisch sein
2.) Die Wochenzeitung „Die Zeit“ meldet für ihre Printausgabe neue Rekordzahlen bei verkauften Exemplaren (519.573) und bei Abonnements (348991) http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/120856-dank-steigender-abozahlen-neuer-auflagenrekord-fuer-die-zeit.html, Aufruf am 17.4.2013, 21.24 Uhr). Der Verlagsgeschäftsführer der Zeit-Gruppe, Rainer Esser, sagte mit Blick auf die Abo-Entwicklung, „Die Zeit“ werde für immer mehr Menschen fester Bestandteil ihres Lebens. Was mag uns das lehren? Eine betriebswirtschaftlich erfolgsträchtige Tendenz im Printbereich weist weg von der täglichen Ausgabe und hin zum z.B. wöchentlichen oder vierzehntäglichen Erscheinen. Inhaltlich geht es solchem Journalismus weniger um News als um gut recherchierte und präsentierte Hintergründe oder auch (längere) explizite Meinungsangebote. Und das kann sogar gut fürs Geschäft sein.
3.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop – Die „Märkische Allgemeine“ (MAZ) Potsdam schreibt am 17.4. auf Seite Drei: „Amerika jagt die Boston-Bomber“. Circa drei Fehler in fünf Worten – das ist schon wieder fast exklusiv : Gemeint wären wohl die USA (und nicht alle Amerikas, nämlich Nord-, Mittel- und Südamerika), aber selbst die werden kaum in Gänze mit dieser Jagd beschäftigt sein. Und dass es definitiv mehrere Bomber gewesen wären – diese Meldung wäre tatsächlich ein Scoop, also eine Exklusivnachricht. Besser, auch kürzer wäre gewesen, den Artikel (also den bestimmten, nicht den ganzen) einfach wegzulassen.
4.) Mitte März schrieb ich folgenden Leser- und Kollegenbrief an die Redaktion der „Berliner Zeitung“:
Zum Artikel „Gott ist tot“ von Wolfgang Kunath, 13.3.2013, S.3 (siehe http://www.fr-online.de/politik/venezuela-gott-ist-tot,1472596,22092178.html, Aufruf am 14.3.2013, 11.21 Uhr)
„Sehr geehrte Damen und Herren von der BLZ,
auch gegenüber unseren Studierenden warne ich immer wieder vor
unangebrachten Verallgemeinerungen oder Verabsolutierungen im
journalistischen Arbeiten.
Wie schon Albert Einstein mit Blick auf die Wissenschaften gesagt
haben soll: alles sei so einfach wie möglich zu machen – aber nicht
einfacher.
Der Beitrag von Wolfgang Kunath rechtfertigt in keiner (um nicht zu
sagen: keinster) Weise die Unterzeile, der zufolge Chávez „das ganze
Land in die Armut gestürzt“ hätte.
Wenn dem so wäre, müssten unter anderem DIE (Achtung,
Übervereinfachung) Venezolaner ziemlich einfältig sein, da sie Chávez
und seiner Politik in nicht weniger als 15 relativ demokratischen und
von hoher Beteiligung geprägten Abstimmungen klar mehrheitlich ihre
Unterstützung ausgesprochen haben. Das allein sind Ergebnisse, von
denen führende politische Repräsentanten in westlichen Demokratien nur
träumen (wahrscheinlich alb-träumen) dürften – zu schweigen von den
wirtschaftlich Mächtigen hierzulande, die wir ja erst gar nicht wählen
oder abwählen können.
Also bitte nicht (noch mehr) solche schwarz-weiß-Vereinfachungen wie
in jener Unterzeile.
Sonst könnte ich „das ganze Blatt“ (Achtung, vorschnelle
Generalisierung) kaum noch lesen.“ Zitat Ende. Die Leserbriefredakteurin gab schnell Bescheid, die Nachricht sei an die Verantwortlichen weitergeleitet – leider kam danach nichts mehr. In diesem Falle stimmt der absolute Ausdruck „nichts“, aber es war sicher nicht „alles“ Feedback sinnlos, auch an der Stelle.