Blog vom 24.10.2012 von Sebastian Köhler:
1.) Das ZDF ist dieser Tage in der Diskussion, mit zwei Beispielen zur Fragwürdigkeit von Objektivität im Journalismus. Einmal mehr von der Themensetzung her, das andere Mal wegen Problemen in der Darstellung: Der DJV-Vorsitzende Michael Konken (siehe http://kress.de/mail/tagesdienst/detail/beitrag/118546-versuchte-csu-einflussnahme-auf-zdf-bericht-djv-findet-vorgehen-skandaloes.html, Aufruf am 24.10.2012, 20:08 Uhr) kritisierte es als skandalös, dass offenbar ein CSU-Sprecher mit einem Anruf beim ZDF verhindern wollte, dass der Sender über den Parteitag der bayerischen SPD überhaupt berichtet. Über den genauen Inhalt des Anrufes gibt es widerstreitende Versionen, aber dass ein solcher stattgefunden hat, scheint unstrittig. Wichtiger, als dass Herr Ude und seine Nominierung doch Beitragsthema im ZDF waren, finde ich, wer da bei wem im Umkreis solcher Fragen prinzipiell zu meinen scheint, anrufen zu können. Das spricht im Grundsatz weder für die CSU noch für das ZDF, wenn wir die Norm der „Staatsferne“ auch nur halbwegs ernst nehmen. Mit einem anderen politischen Beitrag brachte sich das ZDF selbst in die Schlagzeilen, mit jenem im „heute journal“ über das Rede-Duell von Angela Merkel und Peer Steinbrück im Bundestag. Hier avancierte Jürgen Trittin vom Nebendarsteller zur Hauptfigur (vgl. http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/118499-trittin-jubelte-nicht-wegen-steinbrueck-zdf-hat-falsche-bilder-in-bericht-montiert.html, Aufruf am 24.10.2012, 20:17 Uhr). Nach Sequenzen aus den Reden der beiden Kontrahenten hatte es nach Recherchen des „Focus“ im ZDF-Beitrag geheißen: „Wenn Steinbrück Attacke reitet, jubelt die Opposition.“ Zu sehen war Trittin, der erst feixend die rechte Faust schwang und dann einen Knopf seines Hemdes öffnete. Tatsächlich hatte Trittin nicht auf Steinbrück reagiert, sondern auf die Rede von Rainer Brüderle von der FDP. Dieser hatte Trittin attestiert, dass der unter „feinem Zwirn“ doch „immer noch das Mao-Jäckchen“ trage. Das ZDF räumte später eine „ungenaue“ Bildauswahl ein, machte darum aber bei weitem nicht so viel Aufhebens wie um die von der UEFA im Sommer wohl auch etwas „ungenau“ manipulierten Löw-Bildchen vom scheinbaren Balljungen-Foppen live während des Spieles.
2.) BILD als Vorreiter der Aufklärung? Gerade war Verlegerin Friede Springer zur Nach-Feier ihres 70. Geburtstages offiziell zu Gast bei Bundespräsident Joachim Gauck. Und es gab 2012 erstmals den Henri-Nannen-Preis für die beste investigative Leistung im Journalismus für zwei Reporter der BILD – Martin Heidemanns und Nikolaus Harbusch. Wenn auch die Auflage sinkt, bleibt die BILD mit einer täglichen Reichweite von mehr als zwölf Millionen Print-Nutzern und mehr als sechs Millionen Online-Nutzern das massenwirksamste Medium in Deutschland. Aber was ist daran überhaupt „Zeitung“? Was ist daran Journalismus? Den Nannen-Preis in der Rubrik „Investigative Recherche“ gab es nicht für irgendeine Recherche, sondern für einen der auslösenden Artikel („Wirbel um Privatkredit“) im „Fall“ des Christian Wulff. BILD contra Wulff – da lief doch zuvor ganz Anderes? Die beiden Publizisten Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz untersuchten im Auftrag der IG-Metall-nahen „Otto-Brenner-Stiftung“ mehrfach das Phänomen Bild. In der Studie „Drucksache „Bild“ – Eine Marke und ihre Mägde“ (Frankfurt am Main 2011) bestimmen sie ausgehend von Bild-Darstellungen der Griechenland- und Eurokrise vor allem im Jahre 2010, was diese Publikation ausmacht. Laut Arlt und Storz ist BILD ein Hybrid-Medium par excellence: Als massenmediale Publikation bedient sie sich in Inhalt und Darstellung aus ganz verschiedenen „medialen Kommunikationsgattungen“ (Karl Nikolaus Renner), von der PR und Werbung bis hin zu Formen des Journalismus. BILD gilt daher als Prototyp einer massenmedialen Veröffentlichung (ARLT 2011-95f.), der möglichst viele Funktionen der Massenkommunikation erfüllt, und zwar als „das entgrenzte, das transvestive Medium“: Multimedialität in der Gestaltung, crossmediale Themensetzung und -verwendung, Erreichen von potentiell allen im Verbreitungsgebiet, Einsatz werblicher Mittel, Unterhaltsamkeit bis hin zur fiktiven Geschichte, Ausschöpfen der Identifikations- und Motivationsmöglichkeiten der PR-Kampagne, Reklamieren journalistischer Unabhängigkeit wie exemplarisch beim „Fallen-Lassen“ von Wulff, Nutzung ausgefeilten Marketings.
Von den drei Grundfunktionen jeder Kommunikation (Information, Motivation, Unterhaltung) scheint dabei die Unterhaltung jene zu sein, mit der sich Aufmerksamkeit als Maßstab (Medium, Regulativ, knappe Ressource) in der Öffentlichkeit am besten erzielen lässt und damit zugleich „das Geld der Vielen“ (ARLT 2011-57f.). BILD darf als Makler öffentlicher Aufmerksamkeit gelten, da das Blatt vermittelt zwischen der Alltagswelt der Nutzer, dem Show-Business einschließlich Sportes, Teilen des Politik- und Unternehmer-Betriebes sowie großen Bereichen der anderen Medien. Die Forscher sehen BILD als Vorreiter einer neuartigen Auflösung öffentlich-relevanter Kommunikation (Politik, Wirtschaft, Grundrechte) in Richtung Unterhaltung (ARLT 2011-81). Allerdings abstrahiert jener Ansatz zunächst von der ökonomischen Seite des Journalismus als massenmedialer Kommunikationsgattung (ARLT 2011-93f.), um die normative Unabhängigkeit des Journalismus besser extrapolieren zu können. Jedoch gibt es historisch und systematisch gute Gründe, den modernen Journalismus von vornherein durch den Doppelcharakter von Ware und Kulturgut bestimmt zu sehen (so u.a. Marie-Luise Kiefer).
3.) „Berliner Zielfahnder fassen einen Totschläger vom Alex“, so lautete die Hauptüberschrift auf Seite 1 der Märkischen Allgemeinen (MAZ) in Potsdam am 24.10.2012. In der Unterzeile ist von einem „Verdächtigen“ die Rede, und auch der Berichtsvorspann spricht von einem „möglichen Täter“. Aber diese Schlagzeile ist in der Tat schon mehr als ein Urteil – sie darf in dieser tragischen Angelegenheit selbst wiederum als Rufmord gelesen werden. Denn auch zwölf Stunden nach Redaktionsschluss redeten viele seriöse Quellen weiter von einem „Verdächtigen“ oder „Festgenommenen“, aber eben nicht von einem Täter. Im Rechtsstaat sollte auch (und gerade) bei schlimmsten Verbrechen die Unschuldsvermutung gelten, bis ein Gerichtsverfahren den/die Verdächtigen überführt hat. Und die Medien als selbsternannte vierte Gewalt dürften sich nicht auf derart platte Art als „Volkes Stimme“ (die MAZ war zu DDR-Zeiten die „Märkische Volksstimme“) verstehen, dass sie hier auf ihre eigene Weise „kurzen Prozess“ machten.
Archiv für den Monat Oktober 2012
Verzögerungstaktik statt „Life is live“
1.) „Life is live“ hieß 1985 das massenwirksame Opus der Österreicher von der gleichnamigen Musik-Gruppe. Am Sonntag machte ein anderer Österreicher Schlagzeilen unter diesem Motto: Der Extremsportler Felix Baumgartner. Der Getränkekonzern Red Bull konnte sich so im Lichte mehrerer Rekorde sonnen, wofür er ca. 50 Millionen Euro investiert haben soll. Laut Marketingexperten war das Ganze ein im Sinne der Auftragskommunikation äußerst wertvoller Coup (http://www.berliner-kurier.de/panorama/marketing-coup-baumgartners-50-millionen-sprung-war—jeden-euro-wert-,7169224,20602986.html, Aufruf am 17.10.2012 um 11.21 Uhr).
Journalistisch spannend, dass der deutsche privat-rechtliche Nachrichtensender n-tv die mit großem Abstand größte Reichweite seiner 20-jährigen Geschichte meldete mit über sieben Millionen Zuschauern. Auch der YouTube-Livestream des Internetkonzerns Google annoncierte mit über acht Millionen Nutzern im globalen Live-Stream einen neuen Weltrekord.
Aber Live-Stream? Galt auf gut österreichisch tatsächlich „Life is live“? Der spektakuläre Sturz aus einer Kapsel in rund 39 Kilometer Tiefe wurde laut Medienberichten mit mehr als 35 Kameras gefilmt, darunter auch mehrere in dem Spezialanzug Baumgartners. Die Übertragung unter anderem auf die Webseite des Sponsors Redbull erfolgte allerdings mit 20 Sekunden Verzögerung – eine kaum zu erkennende Manipulation, erklärtermaßen für den Fall eines unglücklichen Ausgangs. (http://www.welt.de/newsticker/news1/article109829338/Millionen-Menschen-sahen-Rekordsprung-von-Baumgartner.html, Aufruf am 17.10.2012 um 11.09 Uhr)
Diese Verzögerungstaktik bei der Übertragung mag man gut finden oder sogar nötig – im Lichte journalistischer Transparenz bleibt die Angabe „Live“ auf den Sendebildern zumindest umstritten, wenn nicht irreführend. Denn jenseits der technischen Verzögerungen zwischen Licht- und Schallgeschwindigkeit wurde hier, wie auch bei ähnlichen Pseudo-Live-Ereignissen in der Mediengeschichte (Verzögerung bei Oscar- und Grammy-Übertragungen nach dem Super-Bowl-„Nipplegate“ Janet Jacksons 2004, Joachim Löws scheinbares Live-Foppen eines Balljungen während der EM 2012), vertuscht, dass eben nicht immer gilt: „Life is life“.
2.) In der TV-Nachrichtensendung des WDR „Aktuelle Stunde“ am 13.10. 2012 sagte Moderator Thomas Heyer, für eine Ausstellung seien in Wuppertal Bilder von Peter Paul Rubens „aufgehangen“ worden. Auch wenn wir uns an Fernseh-Äußerungen nicht allzu sehr „aufhängen“ wollen („Das versendet sich!“), hängt von der sprachlichen Vielfalt auch im Medium TV manches ab: Das Verb „hängen“ gibt es im Deutschen nicht nur in einer Version, sondern in einer zielenden und in einer nicht zielenden Variante – transitiv und intransitiv. Regelmäßig gebeugt wird „hängen“ als transitives Verb: hängen – hängte – gehängt. „Ich habe das Bild dorthin gehängt“ und entsprechend auch „Das Bild wurde (von mir) dorthin gehängt“. Unregelmäßig gebeugt wird die nicht auf ein Akkusativ-Objekt zielende, also intransitive Version: hängen – hing – gehangen. „Das Bild hing in der Ausstellung.“ und daher auch: „Es hat dort gehangen“. Die erste Form beschreibt also eher eine Handlung und eine Richtung, die zweite mehr einen Zustand und einen Ort.
Wo-Nach-Richten bei Insolvenz?
1.) Vor einigen Wochen noch ein rauschendes Sommerfest in Berlin mit viel Prominenz (z.B. aus der FDP mit den Herren Genscher sowie Rösler) und daher Aufmerksamkeit – nun Anfang Oktober die Anmeldung der Insolvenz: Die Nachrichtenagentur dapd, seit Sommer 2010 selbsternannter großer Gegenspieler zur in Deutschland marktführenden dpa, zeigt sich zahlungsunfähig. Benno Stieber hat in der „taz“ darauf hingewiesen (http://www.taz.de/Nach-Insolvenz-von-dapd/!103021/ Aufruf am 10.10.2012, 12.06 Uhr), dass dies nicht für Gesellschafter und Geschäftsführer, sondern vor allem für die Beschäftigten dramatisch sei: fast 300 von über 500 Mitarbeitern sollen zunächst und direkt betroffen sein, und mindestens ebenso hart wie die Festangestellten treffe es die Freien: Die dürften jetzt zumindest für den September ohne Honorar bleiben, das ohnehin z.B. für einen Tag Gerichtsberichterstattung anfänglich nur 77 Euro und später dann etwa 100 bis 137 Euro als eine Art Aufwandsentschädigung betragen habe. Stieber, als Vorsitzender des Berufsverbandes „Freischreiber“, sieht drei Lehren für freie Journalistinnen und Journalisten: 1.) Auf möglichst mehrere Auftraggeber setzen; 2.) nicht nur journalistisch arbeiten, sondern auch in der Auftragskommunikation – freilich bei Beachtung des Trennungsgebotes: Nicht in derselben Sache z.B. PR UND journalistische Berichterstattung betreiben; und 3.) Blogger werden zum Beispiel im viel diskutierten „Hyperlokalbereich“ und sich durch Nutzer-Spenden etc. mitfinanzieren, also Aufgaben als Journalist wahrnehmen, welche die ausgedünnten Lokalredaktionen mit ihren Tendenzen zum Durchwinken von PR-Beiträgen und zur Hofberichterstattung leider immer weniger zu leisten scheinen.
2.) Warum richten sich Menschen nach den Nachrichten? Pamela Shoemaker und Toralf Brakutt weisen darauf hin (vgl. die exzellente Diplomarbeit – Brakutt, Toralf: Nachrichtenfaktor Narrationspotenzial: Eine Analyse zur Rolle des Kommunikationsmodus Storytelling bei der TV-Nachrichtenselektion am Beispiel von NDR aktuell. Diplomarbeit am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschafen der Universität Leipzig. Eingereicht im April 2012), dass Menschen in ihrer biologischen und kulturellen Evolution mehr als andere Tiere auf Information und Kommunikation angewiesen waren und sind: Es besteht stammesgeschichtlich ein Interesse an Geschehen, das vom Normalzustand abweicht und damit Ungewohntes anzeigt sowie Gefahr (oder eben mittlerweile auch oder sogar vor allem distanzierte Entspannung) bedeuten kann. Journalisten sind hierbei nur ganz besonders menschliche Menschen: Neugierig die Umgebung beobachten, solche Abweichungen erkennen und dies dann gegen Anerkennung (Ansehen, Macht, Geld oder eben als Blogger zunehmend auch im eher ästhetischen Sinne Selbst-Bestätigung durch Selbst-Betätigung) einer Gemeinschaft oder Gesellschaft zum Da-Nach-Richten mitteilen.
3.) Und hier noch etwas aus meinem Kaleidoskop zum sprachkritischen Mit-und Weiterdenken, immer im Sinne des „Entdecken wir gemeinsam die (alten, neuen) Möglichkeiten, uns möglichst vielfältig auszudrücken!“: Am 6.5. war mittags im RBB-Inforadio in einer Reportage über die Lage in Mali der Satz zu hören: „Die Tuareg-Rebellen lehrten den regulären Streitkräften das Fürchten“. Fein, dass den beteiligten Journalisten so gutes Deutsch als Standardsprache gelernt wurde – oder sollte man das vielleicht doch anders ausdrücken (können)? Obwohl der Duden da mittlerweile auch schon die „Anything- goes“-Variante als Nebenversion anbietet, sieht Bastian Sick im Zwiebelfisch die Standardsprache mit dem doppelten Akkusativ nach „lehren“ eher im Recht: Wen was lehren? Aber umgangssprachlich oder historisch betrachtet, darf hier auch schon mal (wieder) der Dativ den (oder eben: dem) Akkusativ das Fürchten lehren.