Eine redaktionelle Gesellschaft?

1.) Wohin entwickeln sich Redaktionen? Oder anders gefragt: Kann „Redaktion“ auf neue Weise sogar zu einem gesellschaflichen Prinzip werden? Der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen hat im Februar 2018 in der „Zeit“ einen Gastbeitrag veröffentlicht, mit der Überschrift „Alle müssen Journalisten sein“ (http://www.zeit.de/2018/08/umgang-medien-fake-news-propaganda-journalismus/komplettansicht, Aufruf am 21.4.2018, 22.30 Uhr).
Entgegen mancher Modelle von Journalismus aus den vergangenen Jahren als gleichsam schon „post-redaktionellem“ (Redaktionen würden tendenziell als „zu teuer“ abgelöst von Bloggern, Vloggern oder VJs als Einzelkämpfern) schlägt Pörksen eine „Utopie der redaktionellen Gesellschaft“ vor. Es gehe ihm darum, publizistische Verantwortung neu zu denken und also „die Verantwortungszone“ auszuweiten.

Neue Allgemeinbildung

Damit soll eine redaktionelle Gesellschaft das längst medienmächtig gewordene Publikum ähnlich einbeziehen wie den etablierten Journalismus oder auch die Plattformbetreiber. Pörksen schlägt folgende Definition vor: „In einer redaktionellen Gesellschaft sind die Normen und Prinzipien eines ideal gedachten Journalismus zum Bestandteil der Allgemeinbildung geworden.“. Der Ansatz von Pörksen ist ein explizit normativer, wogegen wenig einzuwenden wäre. Aber er ist insgesamt meines Erachtens zu sehr „ethisch-moralisch“, ja idealistisch orientiert und fragt zu wenig nach (auch ziemlich handfesten) Interessen, Konflikten und Krisen in Gesellschaften wie unserer, die er als „liberale Demokratien“ bestimmt, womit er zum Beispiel von Kapitalismus und verschärfter Konkurrenz nicht redet. Pörksen schreibt, solche Werte und Prinzipien für eine redaktionelle Gesellschaft müssten nicht neu erfunden werden – „sie liegen in Form der handwerklichen Regeln und Maximen des journalistischen Arbeitens bereits vor.“ Gebraucht werde das Ideal der redaktionellen Gesellschaft schon deswegen, weil es als „Katalysator von Diskurs und Debatte“ tauge.

Runter vom Sockel

Und wenn auch das „Handwerkszeug“ laut Pörksen bereits vorhanden ist – eines sieht er ganz ähnlich wie ich: Mit Blick auf ihre Publika müssten sich Journalisten von ihren bisherigen elitären Höhen in Bewegung setzen – „sie müssten sich von der Rolle des Predigers, des Pädagogen und des autoritär auftretenden Wahrheitsverkünders verabschieden“. Pörksen versucht, sein Ideal eines transparent und dialogisch orientierten Journalismus anhand von zwei Imperativen zu formulieren: Erstens gebe man seinem Publikum „jede nur denkbare Möglichkeit, die Qualität der von dir vermittelten Informationen einzuschätzen!“. Und zweitens begreife man die eigene Kommunikation nie als Endpunkt, sondern immer als „Anfang und Anstoß von Dialog und Diskurs“. Insgesamt sieht Pörksen seine Vorschläge als Versuche, ein Modell von Journalismus zu aktualisieren, das auf Bildung und nicht auf Bevormundung setze.

Filmtitel genauer betrachtet

2.) Der Tatort vom NDR „Alles was Sie sagen“ (https://www.daserste.de/unterhaltung/krimi/tatort/videos/alles-was-sie-sagen-video-102.htmlist, Aufruf 25.4.2018, 16.40 Uhr) ist meines Erachtens in vieler Hinsicht ein ziemlich guter Film.

Aber auch bei einem Film sollte gelten: „Alles, was Sie schreiben, sollte möglichst richtig (geschrieben) sein!“ Warum verzichteten die Filmemacher auf das Komma? „Alles, was Sie sagen, kann gegen Sie verwendet werden“. Ein eingeschobener Attributsatz, der uns jenes „Alles“ näher erklärt. Ohne Einschub (und damit ohne jene zwei Kommas oder auch Kommata) würde es heißen: „Alles kann gegen Sie verwendet werden“. Ob mensch der Meinung war, so etwas „versendete“ sich? Oder aber es wäre zu kompliziert für die Zielgruppe?
Alles was ich weiß ist dass Kommata auch Kommas genannt helfen können geschriebene Sprache besser zu erfassen ja zu verstehen wenn nicht sogar zu begreifen.

Neues aus der Giftküche

Als gleichsam szenischer Einstieg in diesen Beitrag eine „Geschichte“ von einem aktuellen Fall von „Fake News“, in einer insgesamt über Wochen dauernden, dramatischen Medien-Story. Und zwar von einem sehr etablierten Medium der westlichen Welt, von der französischen Nachrichtenagentur AFP. Am 12.4.2018 meldete man dort im deutschen Dienst Folgendes ( https://www.nachdenkseiten.de/?p=43460, Aufruf am 12.4.2018, 21.55 Uhr): „OPCW bestätigt russische Herkunft des Giftes im Fall Skripal“

Wichtige deutsche Online-Medien wie Spiegel, Welt und SZ übernahmen diese Falschmeldung zunächst anscheinend mehr oder weniger per „copy and paste“. Doch von „russischer Herkunft“ des Giftes im Fall Skripal war in der an jenem Tag veröffentlichten Mitteilung der Organisation an keiner Stelle die Rede. Im Laufe des Tages änderten die erwähnten Medien ihre Texte, bei AFP war die Falschmeldung allerdings noch zehn Stunden später im Netz für jedermann zu finden (https://www.afp.com/de/nachrichten/59/opcw-bestaetigt-russische-herkunft-des-giftes-im-fall-skripal-doc-13y68j1, Aufruf am 12.4.2018, 22.19 Uhr). Thomas Borgböhmer vom deutschen Branchendienst „meedia“ schrieb (http://meedia.de/2018/04/13/fall-skripal-und-die-russen-wie-sich-qualitaetsmedien-ein-wettrennen-um-die-schnellste-falsche-eilmeldung-lieferten/?utm_campaign=NEWSLETTER_MITTAG&utm_source=newsletter&utm_medium=email, Aufruf am 15.4.2018, 19.48 Uhr), es habe sich „keineswegs“ um „bewusst verbreitete Desinformation“ gehandelt. Vielmehr hätten in diesem Fall „wohl gängige redaktionelle Arbeitsweisen gegriffen“. Denn es gelte: „Nachrichtenagenturen wie die dpa, Reuters und die AFP sind vertrauenswürdige Quellen, deren Material bedenkenlos verwendet werden kann. Dass die dort arbeitenden Journalisten Fehler machen, schließt das freilich nicht aus. Im vorliegenden Fall war der Ausgangspunkt der Eilmeldungen und Überschriften ein von der Nachrichtenagentur AFP verbreiteter Artikel (…)“.
Das finde ich fragwürdig: Denn ob etwas Falsches „bewusst“ oder „aus Versehen“ publiziert wird, erschließt sich nicht ohne Weiteres. Es scheint mir in vielen Fällen leider als Glaubensfrage gehandhabt zu werden – wir glauben, AFP-Kollegen machten aus Versehen Fehler, und wir glauben, Kollegen zum Beispiel von RT oder anderen Medien machten bewusst „Fake News“. Aber vielleicht „glauben“ diese ja (auch), was sie publizieren. Auf der Reflexionsebene daher interessant: Man kann diese AFP-Falschmeldung durchaus als fast schon klassische „Fake News“ im Sinne zum Beispiel der Definition von Alexander Sängerlaub interpretieren (https://www.stiftung-nv.de/sites/default/files/fakenews.pdf, Aufruf am 3.1.2018, 17.02 Uhr). Das häufig benutzte Unterscheidungskriterium für „Fake News“, diese seien nicht nur falsch, sondern bewusst falsch und zudem ebenfalls bewusst zur Propaganda eingesetzt, halte ich allerdings zumindest für problematisch. Wer wollte wie in die Köpfe der Journalisten hineinschauen? Wissen sie es besser oder zumindest anders? Lügen sie also? Was auch diese Menschen glauben oder „wirklich glauben“, sollte ihre Privatsache sein und Theologen oder Psychologen vorbehalten bleiben. Doch die AFP-Meldung kann (auch) interpretiert werden als gezielte Verbreitung von falschen oder irreführenden Informationen, um jemandem zu schaden (in dem Fall der russischen Führung, woran die französische Führung – die der AFP relativ direkt einen wichtigen Teil von deren Ressourcen liefert – offenbar in jenen Tagen ein nicht unbeträchtliches Interesse gehabt haben dürfte mit Blick auf mutmaßliche russische Verantwortung für den etwaigen Einsatz chemischer Giftstoffe in Salisbury und in Syrien).
Tritt man medienkritisch noch einen Schritt weiter zurück, zeigen sich Verbindungen zwischen Falschmeldungen (oder eben auch „Fake News“) und dem Storytelling: Die Geschehnisse um den Nervengiftanschlag auf den Ex-Doppelagenten Sergej Skripal und seine Tochter am 4.März 2018 wurden in vielen westlichen Medien als „Story“ vermittelt, als die Geschichte zweier Menschen, Vater und Tochter, die sich plötzlich mit einer großen Gefahr konfrontiert sahen. Der „böse“ Gegenspieler der beiden recht deutlich positiv besetzen Hauptfiguren wurde in vielen dieser Medien relativ schnell ausgemacht, „Russland“ (Siehe unter anderem https://www.bild.de/politik/ausland/skripal-sergej/der-kreml-luegt-55374022.bild.html, Aufruf am 12.4.2018, 22.25 Uhr). Und damit die Geschichte auch klar ankommt bei der Zielgruppe, wurden manche klassischen Handwerksregeln anscheinend kaum noch beachtet: Die SZ meldete wie viele andere wichtige Medien am 12.4.2018: „Julia Skripal will keinen Kontakt zur russischen Botschaft“. Das passte ins Bild, das mochte man sehr gut verstehen.

Kleiner Schönheitsfehler: Das konnte man hier nicht direkt von Frau Skripal wissen. Quelle dieser Meldungen war eine Verlautbarung von Scotland Yard, einer britischen Behörde. Und gerade bei kontroversen Themen sollte gelten, was u.a. Michael Haller immer wieder betont: Versionen als Versionen kennzeichnen! Die Quelle angeben, damit Mindestanforderungen an Transparenz erfüllt werden. Man hätte also zum Beispiel von vornherein (und nicht erst im Kleingedruckten) schreiben sollen: „Laut Scotland Yard will Julia Skripal keinen Kontakt zur russischen Botschaft“. Solch eine Meldung könnten mündige Nutzerinnen und Nutzer dann eigenständig kritisch einordnen. Insgesamt lässt sich anhand einer medialen Story wie jener über den Anschlag auf Julia und Sergej Skripal sowie dessen Folgen diskutieren, was mein Konzept von „Narrativismus“ kritisch zu beschreiben versucht (siehe in meinem Buch „Die Nachrichtenerzähler“ von 2009).

Die Facebook-Vertikale

Facebooks Aktien machten nach dem ersten Teil der Anhörung Mark Zuckerbergs vor dem US-Kongress einen Sprung nach oben, um fast fünf Prozentpunkte (https://www.derstandard.de/story/2000077710170/facebook-aktie-steigt-um-4-5-prozent-nach-anhoerung-vorkongress, Aufruf 11.4.2018, 16.23 Uhr). Das ist bemerkenswert, weil der Internetkonzern sehr wahrscheinlich davon ausgehen kann, trotz (oder wegen) der aktuellen Debatten um seine Geschäftsmodelle noch gewinnträchtiger zu werden (https://www.morgenpost.de/wirtschaft/article213967649/Zuckerberg-Dank-mehr-Sicherheit-wird-Facebook-noch-profitabler.html, Aufruf 11.4.2018, 16.25 Uhr). Und Mark Zuckerberg scheint den Spieß bereits wieder umzudrehen: Etwas mehr „Regulierung“ als bisher dürfe schon sein, aber keinesfalls eine „Überregulierung“ – es solle aus seiner Sicht halt die „right regulation“ sein (https://www.theguardian.com/technology/live/2018/apr/10/mark-zuckerberg-testimony-live-congress-facebook-cambridge-analytica, Aufruf 11.4.2018, 16.35 Uhr).

Wieso droht Facebook etwas?

Dass selbst kritische Medien wie „heise.de“ schreiben, Facebook „droht“ eine strengere Regulierung (https://www.heise.de/newsticker/meldung/Facebook-Datenskandal-Zuckerberg-zeigt-sich-vor-Anhoerung-im-US-Kongress-demuetig-4014048.html; Aufruf 11-4-2018, 16.40 Uhr), scheint mir ein bedrohliches Zeichen für das Niveau öffentlicher Debatten: Was kann für die Gesellschaft (the many, not the few) bedrohlich, also schlecht daran sein, wenn Mediengiganten wie der Konzern Facebook reguliert werden? Selbst für Facebook mag das auf lange Sicht erfolgversprechender sein als eine sozial tatsächlich bedrohliche Monopolstellung.

Horizontal und vertikal

Felix Stalder, ein Schweizer Medien- und Kommunikationswissenschaftler, hatte bereits 2012 sehr treffend und hellsichtig argumentiert mit Blick auf selbsternannte „Social Networks“ wie gerade Facebook (https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/vor-und-nach-facebook, Aufruf 11.4.2018, 16.47 Uhr): „Durch die Horizontalität auf der Nutzerseite der Infrastruktur wird verschleiert, dass gleichzeitig neue, hochgradig vertikale Machtzentren entstehen – an denen nicht nur der Wert der gemeinsam produzierten Arbeit abgeschöpft werden kann, sondern auch neue Kontrollpunkte angeführt werden. An diesen Punkten fällt Wissen um die Zusammensetzung der Gesellschaft in Echtzeit an. Herrschaftswissen, mit dem man mehr oder weniger unbemerkt in gesellschaftliche Prozesse eingegreifen kann, sei das mit kommerziellen oder politischen Motiven. Die Spannungen zwischen den Dynamiken der horizontalen Vernetzung und der vertikalen Kontrolle werden immer deutlicher.“

Öffentliche Plattformen!

Man konnte es längst wissen. Es bräuchte auch daher für die öffentlichen Aufgaben journalistischer Medien im für soziale und ökologische Demokratisierung Alternativen im Sinne öffentlicher, nicht-kommerzieller Plattformen, wie das zum Beispiel Christian Fuchs, Medienprofessor an der Westminister University London, nachvollziehbar fordert (https://books.google.de/books?id=ABYnDwAAQBAJ&pg=PA70&lpg=PA70&dq=christian+fuchs+%C3%B6ffentliche+Plattformen&source=bl&ots=oBXoUv5Ebu&sig=kA4VUM84HPR9-hwETP0I70pRvzU&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwimw4eRvbLaAhVCyKQKHbBiARgQ6AEIajAO#v=onepage&q=christian%20fuchs%20%C3%B6ffentliche%20Plattformen&f=false, Aufruf 11.4.2018, 16.50 Uhr).

Das Einfache, das schwer zu machen ist

2.) Ein anscheinend leider zunehmendes Problem auch in der journalistischen Sprache ist die fehlende Kongruenz, also die fehlende Übereinstimmung entsprechender Wörter in Aspekten wie Person, Zahl, Geschlecht und Zeit.

Hier ein Fall aus der „Süddeutschen Zeitung“, die ja als Qualitätsmedium gilt. „Es war nicht die kubanische Hinwendung zum Kommunismus, der die Nachbarn entzweite.“ (http://www.sueddeutsche.de/politik/kuba-und-die-usa-woher-die-feindschaft-zwischen-kuba-und-den-usa-kommt-1.2917128, Aufruf 11.4.2018, 17.10 Uhr). Knapp daneben ist auch vorbei. Das Bezugswort des Attribut-Satzes ist hier ganz klar „die Hinwendung“ und eben nicht „der Kommunismus“. Also sollte es heißen: …., die die Nachbarn entzweite“ oder eleganter: „…, welche die Nachbarn entzweite“. Wie schrieb schon Bertolt Brecht (allerdings über den Kommunismus und nicht über die Kongruenz): Das sei „das Einfache, das schwer zu machen ist“.