1.) Die Auseinandersetzung zwischen ARD und ZDF auf der einen Seite und acht großen deutschen Print-Verlagen auf der anderen Seite geht in die nächste Runde – es dreht sich weiter um die Rechtmäßigkeit der Tagesschau-App für viele Smartphones und Tablet-PCs. Diese ist bisher dank der Gebührenfinanzierung der öffentlich-rechtlichen Anstalten ohne weitere Kosten von jedem herunterzuladen. Das stört die Print-Verleger angesichts ihrer extra kostenpflichtigen Angebote – sie argumentieren, die App sei „presseähnlich“, da sie in beträchtlichem Umfange auch Texte enthalte und nicht nur Videos. Das verstoße gegen gesetzliche Vorgaben. Deshalb läuft vor dem Landgericht Köln ein Verfahren zwischen beiden Parteien. Die Chance einer außergerichtlichen Einigung haben ARD und ZDF nun platzen lassen, anscheinend, weil sie sich in Apps wie jener aktuellen der Tagesschau nicht auf fast reine Bewegtbild-Kommunikation beschränken lassen wollen (vgl. BLZ 2.5.2012, Seite 30). Der Hintergrund scheint mir spannend: Solche Apps sind für ARD und ZDF einer der ganz wenigen erfolgversprechenden Wege, an jüngere Leute (also unter 60 Jahre, oder noch besser, unter 40 Jahren) heranzukommen. Dass sie dennoch auch auf einen gewissen Textanteil setzen angesichts der Anziehungskräfte von Video-Material, finde ich im Sinne der Vielfalt und weiter Spektra der gesellschaftlichen Kommunikation sinnvoll und dennoch gewagt – junge Menschen schauen wohl viel lieber, als sie lesen. Für ARD und ZDF wäre es daher sicher sowohl gegenüber der Jugend im Lande als auch gegenüber den Verlegern viel einfacher, weitgehend auf Texte in den Apps zu verzichten. Dass die Öffentlich-Rechtlichen nicht diese Wege des geringsten Widerstandes gehen, mag mancher als Dinosaurierverhalten belächeln – ich tue das nicht. Lächerlich finde ich eher die Argumente von Verleger-Vertretern wie Helmut Heinen oder Franz Sommerfeld, die zahlungspflichtige Apps als „Signal für Qualitätsjournalismus“ verstanden wissen wollen. Nach dem Motto – nur, wofür man (extra) zahlt, das schätzt man wert und das ist dann auch gut. Vielleicht könnten ja von den seit einigen Jahren zumindest von den ganz großen Verlagen immer wieder offiziell vermeldeten Rekordumsätzen oder -gewinnen einige Gelder (mehr als bisher) in den „Qualitätsjournalismus“ gesteckt werden – damit auch dieser weiße Schimmel endlich beerdigt werden könnte. Denn gäbe es einen Journalismus ohne Qualität und Qualitäten? Da tun sich auch ohne Smartphones und Internet ganz alte Abgründe auf, oder eben „App-Gründe“.
2.) Marktbeherrschung und Leistungsschutzrecht – Marcel Weiß geht davon aus (vgl. Freitag, 12/2012, S.11), dass die großen Medienkonzerne versuchten, die digitale Konkurrenz unter Kontrolle zu bekommen. Am Beispiel der sehr wirksamen Zusammenarbeit auf der Internetplattform „Guttenplag“ lässt sich Weiß zufolge erkennen, dass diese kollaborativen Akteure kaum Besitz- oder Verwertungsansprüche für die Ergebnisse ihrer Kooperationen stellten, sondern einfach auf das Zusammenspiel und Zusammenwirken aus seien – wie auch die Netzwerke der Linux-Entwickler etc. Hier geht es, so Yochai Benkler („The Wealth of Networks), um „commons based peerproduction“, also um gemeinschaftsbasierte Zusammenarbeit von sich ähnelnden Individuen und Gruppen. Patent- oder Besitzrechte stören dabei – wenn diese ausgedehnt werden, gewinnen vor allem die großen Konzerne, deren Geschäfte nicht zuletzt auf der Anhäufung von Rechten beruhen.
Bestimmte Ergebnise solcher gemeinschaftlichen Plattformen wie „Guttenplag“ werden von etablierten Medienunternehmen gerne und „kostenlos“ genutzt, aber natürlich auch von neuen wie Google News, jeweils, um selber Umsatz und Gewinn zu machen. Spannend erscheint nun das Verhältnis zwischen alten und neuen Medienunternehmen: Google News und ähnliche Plattformen aggregieren Medieninhalte zu einer neuen Art von „Presseschau“, freilich schneller und weiträumiger als jene: Die Unternehmen werten Inhalte vieler anderer Angebote aus (sowohl kommerzieller als auch nicht-kommerzieller), verbinden Inhalte verschiedener Anbieter zum gleichen Thema, ordnen ein und gewichten. Weiß sieht dies als Schaffung von relativ neutralen Überblicken, die zugleich den Webauftritten der tradierten Konzerne durch die Funktionalitätt als „Trafficlieferant“ Nutzer und Clicks bringe. Doch für dieses Geben und Nehmen wollten im Frühjahr 2012 tradierte Medien-Konzerne wie in Deutschland vor allem Springer per Leistungsschutzrecht (noch mehr) Geld – Springer hatte gerade erst für das Geschäftsjahr 2011 Rekordgewinne gemeldet. Weiß sieht dadurch tendenziell die Vielfalt der neuen Akteure im Journalismus gefährdet – Google kann diese Forderungen so oder so aushalten, aber mittlere und kleinere Akteure würden verschwinden. Den Verlagen wie Springer gehe es darum, Neuerungen, die nicht aus ihren Häusern kommen, „im Keim zu ersticken“. Viele Formen der Informationsaufbereitung und -verbreitung, welche die „Presse“ tangierten, würden durch ein solches Leistungsschutzrecht zumindest erheblich erschwert – ohne dass bei den Journalisten selbst viel ankäme von etwaigen Schutzgeldern.
3.) In der Zeitung „Potsdam am Sonntag“ hieß es am 25.3.2012 auf Seite 1 unter der Überschrift „Zehntausend gegen Fluglärm“ mit Bezug auf dapd: „Der Landtag in Potsdam hatte eine entsprechende Volksinitiative abgelehnt, laut Schubert werde inzwischen ein Volksbegehren vorbereitet.“ Immerhin ist im Text die Quelle angegeben, aber der Satz stimmt zitationstechnisch dennoch nicht. Wie ginge es besser?
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Kaltblütig oder blindwütig?
Mein Aktuelle-Stunde-Thema dieser Tage wäre „Bild“ und deren offenbar geplante 60.-Geburtstags-Ausgabe am 23. Juni dieses Jahres, die werbefinanziert bei den über 40 Millionen Haushalten in Deutschland im Briefkasten landen soll – „kostenlos“ für die Nutzer. Ich schreibe „Bild“ und nicht „Bild-Zeitung“, weil es gute Gründe gibt (wie z.B. Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz in ihrer Studie im Auftrag der IG-Metall-nahen Otto-Brenner-Stiftung darlegen, siehe http://www.bild-studie.de/, Aufruf am 18.4., 12.30 Uhr), die Drucksache aus dem Springer-Verlag für eine zu halten, die verschiedene mediale Kommunikationsmodi nutzt, darunter (gelegentlich) auch den journalistischen. „Bild“ ist mit einer verkauften Auflage von rund 2,7 Mio. Exemplaren täglich und einer Reichweite von etwa 12,5 Mio. Lesern weiterhin das „Leitmedium“ der Deutschen – weder Tagesschau noch Dieter Bohlen oder auch Bayern München am gestrigen Tage (mit einer Reichweite von immerhin 11,5 Mio. bei Sat.1) kommen da heran. Aber wir können auch anders:
Vor zehn Tagen habe ich bei der Kampagnen-Plattform „Campact“ eine Aktion unterzeichnet, die den Springer-Verlag auffordert, das Blatt nicht in den persönlichen Briefkasten zu stecken. Da waren es erst ein paar Tausend Unterzeichner, jetzt gerade (18.4., 14 Uhr) sind es bereits fast 150.000 Menschen, die eine der größten Werbe- und PR-Maßnahmen der bundesdeutschen Mediengeschichte aktiv ablehnen. Soviel wegen der Transparenz zu meinem Hintergrund in diesem Zusammenhang.
Ein Sprecher von Campact erklärte (BLZ, 17.4., S.26), die Größenordnung der Nein-Sager dürfte den Springer-Verlag bei der Zustellung vor ernsthafte logistische Probleme stellen. Das Projekt selbst geht Medienberichten zufolge auf Bild-Chefredakteur Kai Diekmanns Initiative zurück. Ein Sprecher des Konzerns sagte: „Im Erscheinungsfall würden wir selbstverständlich alle Widersprüche beachten.“ Auch dazu mögen sich alle kompetenten Mediennutzer hierzulande bitte selbst ihre Meinung bilden – das „selbst“ ist an der Stelle nicht selbstverständlich, da sich ja doch mancher einbildet, „Bild“ bilde – mehr als nur die eigenen Vorurteile ab und bilde auch mehr als vor allem ein erfolgreiches Geschäftsmodell mit ganz verschiedenen medialen Kommunikationsmodi – siehe oben.
2.) Im sehr bemerkenswerten Buch „Newspeak in the 21st Century“ (erschienen 2009 bei Pluto Press in London und New York“, siehe hier Seite 84) haben die Autoren David Edwards und David Cromwell vom seit 2001 tätigen journalismuskritischen Netzwerk „Media Lens“ (www.medialens.org) ein treffendes Zitat des Journalisten Hannen Swaffer aus dem Jahre 1928 ausgegraben, zum Nach- und Weiterdenken über das Thema Medienfreiheit in demokratisch verfassten und kapitalistisch funktionierenden Gesellschaften: „Freedom of the Press in Britain means freedom to print such of the proprietor´s prejudices as the advertisers don`t object to.“
Zur Objektivitätsproblematik finden sich a.a.O., S.239, folgende Argumente, die für Transparenz, Außenreferenz und Perspektivenwechsel als Mittel zur Objektivierung sprechen: Laut US-Historiker Howard Zinn steht hinter jedem präsentierten Fakt eine auswählende Beurteilung, gerade diesen Fakt darzustellen – was zugleich heißt, viele andere mögliche Fakten nicht darzustellen. Jede dieser Beurteilung beruht Zinn zufolge auf dem Glauben und den Werten des Journalisten oder auch des Historikers, wie sehr diese sich auch immer der „Objektivität“ verpflichtet vorgeben. Laut dem US-Psychologen Jonathan Bargh ist dieses Auswählen ganz und gar menschlich – selbst Geräusche, Gerüche oder Bilder seien keine einfachen, objektiven Wahrnehmungen: „“There´s nothing that´s neutral. We have yet to find something the mind regards with complete impartiality, without at least a mild judgement of liking or disliking“.
David Edwards und David Cromwell entwickeln im Aufgreifen von Theorien und Praxen solcher Journalisten wie John Pilger oder solcher Medienkritiker wie Noam Chomsky ihren Ansatz für einen bewusst mitfühlenden Journalismus (a.a.O., S.240ff.). Laut US-Historiker Howard Zinn kann man auf einem fahrenden Zug nicht neutral sein. Das bedeutet für Edwards und Cromwell, erstens Mitgefühl zu entwickeln gegen Ignoranz, Gier und Hass. Zweitens sollten Journalisten sich bemühen „to identify the real causes of human and animal suffering with as much honesty as we are capable“. Das heißt Edwards und Cromwell zufolge, sich drittens der Ursache für unehrlichen, destruktiven Journalismus zu entledigen – des selbst-süchtigen Vor-Urteiles. Alles Leben, alles Glück und alles Lebensglück sei von prinzipiell gleichem Wert, was der mitfühlende Journalist nicht nur glaube, sondern auch fühle. Das Problem ist den beiden Autoren zufolge nicht die stets unvermeidliche Subjektivität, zu der man vielmehr bewusst stehen solle. Das Problem liege in den systematischen und strukturellen Verzerrungen dieser Subjektivität durch die Brenngläser des selbst-süchtigen Geizes und Hasses. Daher sei mitfühlender Journalismus auch ehrlicher Journalismus: Verpflichtet der Wohlfahrt der Anderen, der Sorge um alle. Die Grundannahme dieses Paradigmas lautet im Gegensatz zum common sense des „Friss, oder werde gefressen“: Allgemeines Mitgefühl ermögliche größtmögliche Vorteile für alle.
3.) Und nun zum sprachkritischen Kaleidoskop: Im RBB-Inforadio hieß es am 13.3. nach der Tötung von 16 afghanischen Zivilisten durch US-Militär, dort habe ein „kaltblütiger Amoklauf“ stattgefunden. Laut Duden online bedeutet Amok laufen, „in einem Zustand krankhafter Verwirrung [mit einer Waffe] umherlaufen und blindwütig töten“ (Aufruf am 21.3.2012, 14.06 Uhr). Das kann dann aber kaum kaltblütig passieren. Anderererseits sollten Journalisten zumindest im informationsbetonten Bereich doch eher „kaltblütig“ als „blindwütig“ agieren.
4.) Im sprachkritischen Kaleidoskop darf auch gerne mal gelobt werden – Moderatorin Marietta Slomka versprach im „heute journal“ vom 9.4.2012: „Vieles sonst noch Wichtige zum Syrienkonflikt finden Sie auf heute.de.“ Das klingt und ist doch viel besser, als viel zu oft die unsinnige, aber marktgängige All-Aussage zu hören: „Alles Wichtige dazu finden Sie dort und dort“.
Wider das Interview als bloße Marketingstrategie: Denken und Sprechen gemeinsam
1.) Der Publizist Axel Brüggemann fordert, das Interview als journalistische Darstellungsform wiederzubeleben, es seinem etymologischen Rahmen von „Zwischenblick“ von Neuem entsprechen zu lassen (vgl. Freitag 51/52/2011, S.2). Im Interview müssten Recherche und gelingendes Miteinander im offenen Augenblick zusammenkommen. Denn es sei „öffentliches Denken im Prozess“. Interviews lebten davon, dass gleichberechtigte Personen, meist zwei, an einem Ort zur selben Zeit gemeinsam einen Text schrieben. Gute Argumente entstünden am ehesten, wenn sie am Gegenüber wachsen, infrage gestellt und gemeinsam weiter entwickelt würden, als nachvollziehbares Denken und Sprechen. Das lässt sich an Gesprächspartnern wie Voltaire und Friedrich II., Goethe und Eckermann, Marx und Engels oder auch Heidegger und Hannah Ahrendt erkennen. Das Interview sei aber in wichtigen Bereichen heutzutage verkommen: Es sinke nicht nur in vielen TV-Talkshows ab zum Plausch als Marketingstrategie, zum Win-Win-Geschäft der Gesprächspartner – die Nutzer werden kaum als Mitdenker samt Mitspracherecht verstanden, sondern als Endverbraucher, als Käufer oder Wähler. Dagegen bleibe das Interview zu rekultivieren: mit gründlicher Vorbereitung, guten Fragen, Zuhören, weiterem Infragestellen, um mit Freund und Feind gemeinsam neu denken und reden zu können.
2.) „What’s the matter with the Internet?“, fragte schon in den 90er-Jahren der US-Historiker und -Philosoph Mark Poster in sozial-kritischer Perspektive, und auch ich habe mich in Anlehnung daran in „Netze – Verkehren – Öffentlichkeiten“ (2001) damit auseinandergesetzt, inwieweit das Netz der Netze – trotz Kolonialisierungen durch markt- und machtstarke Akteure – anhand seiner kulturell-technischen Potentiale und auch bestimmter empirischer Tendenzen dazu führen kann, zumindest zweierlei zu verändern (wie es Mark Poster sagte), nämlich: „transforming both contemporary social practices and the way we see the world and ourselves“. Mittlerweile weicht in Theorie und Praxis mancher Optimismus mehr einem bestimmten Pragmatismus, so auch beim Philosophen Byung-Chul Han, in Südkorea aufgewachsen und nun Professor für Medientheorie an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe (vgl. Freitag, Nr. 1/2012, S.15). Anhand des Beispieles, dass auf „Facebook“ nur Zustimmung möglich ist („Gefällt mir“-Button), erklärt Han, die heutige Gesellschaft sei von einem „Übermaß an Positivität“ geprägt. Denn „negative Gefühle sind offenbar hinderlich für die Beschleunigung des Prozesses“. Negativität hingegen verlangsame, verhindere „die Kettenreaktion des Gleichen“. Han unterscheidet eine sich immer mehr ausbreitende „Hyperkulturalität“ ohne jeden Abstand (ohne Schwellen und Übergänge und stattdessen mit totaler Mobilität einschließlich Promiskuität) von Inter- oder Multikulturalität, denen weiterhin die Negativität kultureller Spannungen innewohne. So sieht er, ähnlich wie seinerzeit Jean Baudrillard die Wirklichkeit in einer Hyperrealität verschwinden sah, die Kulturen in einer Hyperkultur verschwinden.
Zwei Grundtendenzen beobachtet Han: eine ausgestellte Freundlichkeit (2006) und zugleich eine die gesamte Gesellschaft erfassende Müdigkeit (2010). Bezogen auf soziale Netzwerke wie Facebook sieht der Philosoph die panoptische Tendenz des Internets (alles kann gesehen werden) noch einmal verschärft: Alle Nutzer seien hier tendenziell sowohl dem panoptischen Blick (und damit nicht zuletzt machtvoller Kontrolle) ausgesetzt als auch „der kapitalistischen Verwertungsmaschinerie“. Kontrolle erfolge hier nicht wie in Disziplinargesellschaften durch Isolierung, sondern durch Vernetzung. Die Nutzer wähnten sich frei, was aber vor allem Gewalt zur Selbstausbeutung hervorbringe – Exzesse von Entgrenzung und Enthüllung bis hin zur pornografischen Nacktheit: „Der Neoliberalismus hat die Individuen zu Mikro-Unternehmern gemacht“, zwischen denen vor allem Geschäftsbeziehungen stattfänden, die einen Profit versprächen. Auch die Freundschaftsbeziehungen bei Facebook sind so im Wesentlichen nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck, vermarktet zu werden. Oder wie es Han sagt: „In ökonomischer Hinsicht ist Facebook ein Raum der Ausbeutung“. Das Paradox sieht er darin, dass sich Nutzer im Panoptikum so frei wie noch nie fühlten. Denn die „List des Systems“ bestehe darin, gerade das zum Verschwinden zu bringen, wogegen Menschen sich noch konkret empören könnten. Allerdings hat auch Han keinen gesellschaftlichen Gegenentwurf, der gemeinschaftliche und individuelle Ebenen einschlösse, sondern ihm scheint „eine Gemeinschaft“ der (echten) Freundlichkeit vorzuschweben, die des Anderen und der Anderen bedarf und zugleich ohne Verwandtschaft oder gemeinsame Zugehörigkeit, ohne „Gruppendruck“ auskommen soll.
3.) Und noch etwas aktuelle Sprachkritik aus meinem Kaleidoskop: Im ZDF-Morgenmagazin am 22.3.2012 um 7:02 Uhr lautete der Text einer Studiomeldung: „Bei Schlecker stehen 11.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel.“ Solch spielerisches Herangehen mag sich nicht jedem erschließen – für die Beschäftigten dürfte es kaum ein Spiel sein, da ein solches zumeist ohne weitergehenden „ernsten“ Zweck dem Vergnügen dienen soll und allein aus Freude an seiner Ausübung betrieben wird. „ … sind in Gefahr“ wäre auch noch nicht sehr sachlich, käme aber der Sache näher. Was wäre die beste Lösung dieses „Spieles“, da es ja nicht nur um ein Sprachspiel geht?
Alter Wein in neuen Gefäßen?
Blog vom 26.2.2012:
Zur phrasenhaften Konjunktur aktueller PR- oder Propaganda-Floskeln
Von Sebastian Köhler
Man kann die anhaltenden krisenhaften Prozesse in der politischen Ökonomie Europas als Finanzkrise oder weitergehend als Wirtschaftskrise bezeichnen. Meistens werden sie aber als Schulden- oder Staatsschuldenkrise benannt, oder eben als „Griechenkrise“, womit vor allem die Schuldfrage geklärt scheint. Immer wieder tauchen hier im deutschen Journalismus drei Redewendungen auf, die vorgeben, objektivierend zu beschreiben. Aber wir könnten auch anders:
1.) Die Griechen müssten endlich die jeweils neueste Fassung von „Sparprogramm“ um- und durchsetzen (zum Beispiel: „Parlament billigt Sparprogramm“, In: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/europas-schuldenkrise/griechenland-parlament-billigt-sparprogramm-11647542.html, Aufruf am 26.2.2012, 12.00 Uhr). „Sparen“ ist etwas intuitiv Gutes, etwas im Massenbewusstsein positiv Besetztes – Kinder bekommen es gelehrt, sie sollen es für ihr Leben lernen. Der Alltagsgebrauch legt nahe, etwas derzeit eher Nicht-Notwendiges beiseite zu legen, um sich später etwas Größeres, Wichtiges leisten zu können. Bei Wikipedia heißt es genau in diesem Sinne: „Sparen ist das Zurücklegen momentan freier Mittel zur späteren Verwendung. Häufig wird durch wiederholte Rücklage über längere Zeit ein Betrag aufsummiert, der dann für eine größere Anschaffung verwendet werden kann.“ In: http://de.wikipedia.org/wiki/Sparen, Aufruf am 26.2.2012, 12.08 Uhr). Selbst bei nur kurzer Reflexion dessen, was in Griechenland in der Sache passiert (oder passieren soll), wird klar, dass es keineswegs um diese „guten“ Aspekte des Sparens geht. Hier wird sozial umverteilt, und vom „Ersparten“ dürften die „Sparer“ kaum irgendetwas haben. Viel sachlicher ist es, statt dessen von Sozialkürzungs- oder Massensteuer-Erhöhungsprogrammen zu reden. Wenn sich manche Journalisten nicht das Denken und die Distanzierung in alle Richtungen „sparen“ würden.
2.) „Rettungsschirme“ (siehe u.a. im Focus „Euro-Rettungsschirm: Abgeordneter fordert Ende der Griechenland-Hilfen“; In: http://www.focus.de/politik/weitere-meldungen/euro-rettungsschirm-abgeordneter-fordert-ende-der-griechenland-hilfen_aid_717241.html, Aufruf am 26.2.2012, 12.52 Uhr) klingen doppelt gut: „Retten“ ist etwas Großartiges, sehr Menschliches, und „Schirme“ schützen vor vielen Gefahren – Absturz, Regen, Sonnenbrand. Aber warum heißen die Milliarden-Summen, die EU, IWF und Europäische Zentralbank auch aus unser aller Steuergeldern dafür bereitstellen, dass die Gläubiger der griechischen Staatsschulden (z.B. ausländische Banken und Versicherungen) hinreichend bedient werden, nicht einfach und sachlich zum Beispiel „Milliarden-Summen“? Sondern werden – in direkter Übernahme der Pressemitteilungssprache von EU, IWF und EZB – als „Rettungsschirme“ auch journalistisch verkauft ? Rette sich, wer kann, vor solchen schlichten „Copy-and-Paste“-Medien.
3.) Mit den „Rettungsschirmen“ landen wir auch gleich auf der nächsten Samariterbasis, bei den allgegenwärtigen „Hilfspaketen“ (siehe Welt online: „Das Griechen-Hilfspaket birgt etliche Fallstricke“; In: http://www.welt.de/wirtschaft/article13888187/Das-Griechen-Hilfspaket-birgt-etliche-Fallstricke.html, Aufruf vom 26.2.2012, 13.10 Uhr). Die erscheinen ja – sofern hier eine Steigerung möglich ist – fast noch sympathischer als die beiden erwähnten Sprechblasen. Da schwingt ganz vorne „Schenken und Gutes tun“ mit, und genau das ist auch der erste Treffer bei einer Google-Suche nach „Hilfspaket“ (Aufruf am 26.2.2012, 13.23 Uhr: http://www.google.de/#hl=de&sclient=psy-ab&q=hilfspaket&pbx=1&oq=hilfspaket&aq=f&aqi=g4&aql=&gs_sm=3&gs_upl=1012l4756l0l5404l10l7l0l3l3l2l1149l3654l0.2.1.1.0.1.0.2l10l0&bav=on.2,or.r_gc.r_pw.r_qf.,cf.osb&fp=35a09eb17a7bb46f&biw=1467&bih=696). „Helfen“ ist mindestens so fein wie „Sparen“ und „Retten“, und „Pakete“ haben im Deutschen, u.a. als Care-Pakete oder West-Pakete, eine ziemlich tadellose umgangssprachliche Wortgeschichte. Doch warum wird auch hier kaum bloß von Milliardensummen oder auch nüchtern von Stabilisierungsmaßnahmen geredet? Soll bei solchen zusammengesetzten Termini „doppelt gut“ besser halten, weil die entsprechenden „marktkonformen“ (Angela Merkel im September 2011; vgl. http://www.nachdenkseiten.de/?p=10611, Aufruf vom 26.2.2012, 13.47 Uhr) Politiken sowohl der Mehrheit der Griechen als auch nicht gerade kleinen Schichten in Deutschland und anderswo sonst noch schwerer zu vermitteln wären? Ohne die Hilfe von derart bedeutungsschweren, aber eben einseitig belasteten Sprach-Paketen?
Hinschmeißen oder Klebenbleiben?
Blog vom 25.1.2012:
1.) Es gibt nicht nur schlechte Nachrichten von den Nachrichtenagenturen: Die Agenturgruppe dapd, hervorgegangen aus ddp und dem deutschen Dienst von AP, hat 2011 nach eigenen Angaben (vgl. http://kress.de/mail/tagesdienst/detail/beitrag/114287-gute-vorsaetze-fuer-2012-dapd-will-50-mio-euro-umsatz-machen.html; Aufruf am 25.1.2012, 21.50 Uhr) ihren Umsatz gegenüber dem Vorjahr um fast ein Drittel auf 31,7 Mio Euro gesteigert (2010: 24,1 Mio). Die Gesellschaft sei zudem seit 2008 profitabel und vollkommen schuldenfrei, erklärte dapd weiter. Für 2012 plane der Vorstand einen Umsatz von 50 Mio Euro. Laut dapd stieg der Umsatz aller Geschäftsbereiche. Die Gewinne seien parallel mit der Gesamtentwicklung gestiegen, heißt es ohne detailliertere Angaben in einer dapd-Mitteilung. Die Gesellschafter wollten sämtliche Gewinne reinvestieren. Die Zahl der Mitarbeiter wuchs demzufolge von 2009 bis Ende 2011 von 269 auf 515. Die dapd-Gesellschafter Peter Löw und Martin Vorderwülbecke wollen die Agentur durch Zukäufe und neue Dienste noch mehr als bisher schon zu einer dpa-Alternative machen. Wichtigster Schritt bei ihrer Expansion in Deutschland war die Übernahme des hiesigen AP-Dienstes im Dezember 2009. Im April 2011 startete dapd auch einen Sportdienst. Es scheint also Bewegung und in mancher Hinsicht immer noch Luft nach oben im so eng umkämpften deutschen Markt der Nachrichtenagenturen – kaum ein anderer Markt auf der Erde weist solch eine dichte an renommierten Konkurrenten auf: AP, Reuters, AFP, dpa, dapd, sid, epd, KNA, vwd etc.
2.) In der Süddeutschen Zeitung stand auf Seite 1 am 21.1. die Überschrift: „Ethikkommission für Atommüll“. Eine zumindest missverständliche Äußerung, denn diese Ethikkommission gibt es noch gar nicht – sie soll erst eingerichtet werden. Ob sie dann für oder gegen Atommüll ist, sollte offen sein – zumindest wäre jedenfalls sie eine zum (Thema) Atommüll.
3.) Im ZDF-Morgenmagazin moderierte am 23.1. Wulf Schmiese einen Beitrag zum Thema „Wulff“ an mit den Worten: „Schmeißt er hin, oder hält er durch?“. Er hätte natürlich genauso schlecht sagen können: „Tritt er zurück, oder klebt er weiter an seinem Stuhl?“. Hat Schmiese aber nicht – warum wohl?
Gibt es ein Leben nach dem Vorleben?
Blog vom 18.1.2012: Gibt es ein Leben nach dem Vorleben?
1.) Man muss, wie gesagt, Christian Wulff und seine Affären nicht verteidigen, um Kai Diekmann und das Haus Springer weiterhin kritisch zu fragen, warum dort der umstrittene Anruf des Bundespräsidenten vom 12.12. nicht „zeitnah“ veröffentlicht wurde. Und inwiefern sich der Verlag insgesamt nun zu Recht als Hüter von Pressefreiheit und Aufklärung feiern lässt. Die Tageszeitung „taz“‘ hakte bei Diekmann nach (http://www.taz.de/Diekmann-an-taz/!85638/, Aufruf vom 17.1.2012, 18.10 Uhr), es gab einige neckische Scheingefechte zwischen beiden Seiten, aber der spannenden Frage nach dem Zustand der „inneren Pressefreiheit“, also der Autonomie der Redakteure und der Redaktion im jeweiligen Hause, kam man kaum näher auf die Spur.
Namhafte Journalisten wie Hans-Ulrich Jörges vom „Stern“ oder Steffen Klusmann von der „FTD“ kritisieren mittlerweile vor allem die mediale Kritik an Wulff. Wenn allerdings Jörges auf dem Deutschen Medienkongress in Frankfurt am Main tatsächlich gesagt hat (laut epd und z.B. BLZ vom 18.1.2012, S.30): „Die Gerüchte über ein angebliches Vorleben von Bettina Wulff sind in den Medien auf eine rufmörderische Art und Weise thematisiert worden“, dann sollten wir in aller Ruhe festhalten, dass Bettina Wulff ganz sicher ein „Vorleben“ vor dem jetzigen an der Seite von Christian Wulff hatte. Die Frage bleibt, ob das schlicht beider Privatsache ist (was ja als die faire und journalistisch-professionelle Sichtweise erscheint), oder ob dieser Aspekt nicht doch auch öffentlich-relevante Facetten aufweisen könnte, Stichwort Unabhängigkeit oder eben etwaige Erpressbarkeit. Da sollten nicht nur Bild und taz im Interesse selbstkritischer gesellschaftlicher Kommunikation dranbleiben und nicht dem nächsten Schiff, das durchs Dorf gekentert wird, fast alle Ressourcen hinterherwerfen.
2.) Es tut sich was im deutschen Fernsehen, aber eher hinter den Kulissen. ARD und ZDF kämpfen sichtlich um jüngere Nutzer (also jünger als ca. 60 Jahre, wie wir neulich bei einer Exkursion zum ZDF in Berlin auch aus erster Hand bestätigt bekamen). Sie versuchen vor allem über ihre digitalen Ableger wie EinsFestival und ZDFneo, sogar noch jüngere Leute als 59-Jährige zu erreichen. Denn die Hauptprogramme bleiben traditionsbewusst – aus Furcht, anderenfalls Stammseher zu vergraulen. Und nun fällt ihnen ein anderes Urgestein anscheinend in den Rücken – Kurt Beck, seit Ewigkeiten Landesvater in Mainz und ca. ebenso lange schon Chef der Rundfunkkommission der Länder, hat im Fachmedium „Promedia“ erklärt, dass die öffentlich-Rechtlichen gerade solche neuen Programme doch aus Kostengründen streichen könnten (http://www.goldmedia.com/blog/2011/12/beck-schlagt-einstellung-von-vier-der-sechs-digitalkanale-von-ard-und-zdf-vor-ministerprasident-kurt-beck-im-gesprach-mit-der-promedia/#more-4508, Aufruf am 18.1.2012, 14.08 Uhr, vgl. BLZ vom 17.1.2012, S.26). Dabei liegt im Abschalten des analogen Satellitensignals in Deutschland ab April eine Chance gerade für die neueren Digitalkanäle, Reichweite und vielleicht auch Marktanteile auszubauen, also „Quote“ zu machen (was ja für die öffentlich-Rechtlichen anscheinend immer wichtiger wird). Klar, dass gerade RTL und ProSieben gegen solche Experimente von ARD und ZDF sind. Denn deren bisherige Alterspyramide ist ja für diese privat-Rechtlichen geradezu der Goldesel oder eben die Goldelse. Dass diese Versuchsballons der Verjüngung zwischen „Festival“ und „Neo“ nicht in den Himmel fliegen, dürfte auch daher klar sein – nicht zuletzt, weil die Rundfunkgebühren bis 2016 laut der zuständigen Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der (öffentlich-rechtlichen) Rundfunkanstalten nicht steigen, sondern maximal bei den bisherigen 17,98 Euro für Radio und TV bleiben sollen (vgl. .http://wissen.dradio.de/nachrichten.59.de.html?drn:news_id=62315, Aufruf 18.1.2012, 15.53 Uhr) Allerdings, soviel „neo“ bleibt uns auf alle Fälle erhalten, nicht mehr als gerätebezogene Gebühr, sondern neuerdings als Haushaltsabgabe.
3.) In den Zeilen zuvor taucht relativ häufig das Wort „anscheinend“ auf – und das ist nur scheinbar ein Zufall. Sondern ein Fall für unser sprachkritisches Kaleidoskop – ein Evergreen gerade in TV und Radio: Im ZDF-heute-journal hieß es zum tödlichen Waffengebrauch in einem Gericht in Bayern am 11.1.: „Wie kann es sein, dass der Angeklagte scheinbar ohne Kontrolle eine Waffen mit in das Gericht nehmen konnte?“ Scheinbar besteht also kein Unterschied zwischen „scheinbar“ und „anscheinend“. Aber eben nur scheinbar.
Journalismus-to-go: Wer oder was muss gehen?
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> Blog vom 11.1. „Journalismus-to-go“: Wer oder was muss gehen?
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> Die Wendung „Journalismus-to-go“ fand ich dieser Tage beim Schriftsteller und Satiriker Wiglaf Droste (http://www.herrenzimmer.de/2012/01/09/geiselhaft/., Aufruf 11.1.2012, 14.45 Uhr). Droste fiel auf, dass bei „Spiegel online“ davon die Rede war, Bundespräsident Christian Wulff habe sowohl „sein Land“ als auch „die Öffentlichkeit“ in „Geiselhaft“ genommen durch sein Lavieren in der Kredit- und Medienaffäre. Der Befund des Kritikers dagegen: die Kollegen seien „schwatzhaft“, wenn sie so von „Geiselhaft“ reden – gleichsam durch den Wulff gedreht: „Ist es nicht immer wieder erstaunlich, mit welchem Weihrauch im Ton Journalisten das Ausfüllenkönnen von Bewirtungsquittungen schon für Schreiben ausgeben?“ Neben der journalistikwissenschaftlichen Bestimmung von „Journalismus-to-go“ als durch raum-zeitliche Entkoppelungen per Internet und Mobilkommunikation geprägtem (siehe bei den Kollegen Neuberger oder Kretzschmar u.a. unter http://www.zeppelin-university.de/deutsch/lehrstuehle/Bilandzic/Publikationen_vorZU_Kretzschmar_eb.pdf, Aufruf 11.1.2012, 14.55 Uhr) kann ich dem Terminus hier mindestens drei neue Seiten abgewinnen: Solcher Journalismus wird wie der entsprechende Café schnell produziert und soll leicht konsumierbar sein. Er kann dazu beitragen, Leute hoch- oder runterzujazzen, auch zum Gehen oder eben Rücktritt zu zwingen. Und er mag bei kritischen Nutzern wie Droste bewirken, dass die sich abwenden – einfach weggehen. Ganz schön viel herauszulesen aus solchem Kaffee-Satz.
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> Was „Bild“ angeht (von der kluge Köpfe wie Wolfgang Storz und Hans-Jürgen Arlt mit guten empirischen und theoretischen Gründen schreiben – siehe http://www.otto-brenner-shop.de/publikationen/obs-arbeitshefte/shop/drucksache-bild-eine-marke-und-ihre-maegde-ah-67.html, Aufruf 11.1.2012, 21.04 Uhr -, dass es dort gar nicht um Journalismus gehe, sondern mittlerweile praktisch ausschließlich um Kampagnen von Öffentlichkeitsarbeit, Werbung und Marketing), ist es schon verblüffend, wie wenig der oberste Gralshüter der Pressefreiheit hierzulande, Kai Diekmann, gefragt wird, warum er das Thema „Anruf des bösen Wulff“ nicht zeitnah Mitte Dezember selbst und unzensiert publik machte. Die Medienjournalistin Ulrike Simon schreibt (BLZ 11.1.2012, S.26): „Nun steht Bild als Blatt da (…), mit dem sich andere Medien solidarisieren. Dieser Wert ist höher zu schätzen als jede Werbung, jede Auflagensteigerung, jedes Plus bei Online-Visits und jeder Aufstieg auf Platz irgendwelcher Rankings über die meistzitierten Medien. Wer Kai Diekmann kennt, weiß, wie spitzbübisch er sich darüber freuen kann.“ Und die Werbung könnte Christian Wulff hinterher rufen – „BILD dir ein, du wärest Bundespräsident“.
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> Facebook dreht weiter auf und damit dem einstigen Marktführer „VZ“ hierzulande weiter das Wasser ab: Die US-basierte Kommunikationsplattform des Mark Zuckerberg (http://kress.de/mail/tagesdienst/detail/beitrag/114064-featured-stories-facebook-platziert-werbung-im-newsfeed.html, Aufruf 11.1.2012, 21.19 Uhr) führt Werbung im Newsfeed, dem Hauptnachrichtenstrom der Nutzer, ein. Die Werbemeldungen sollen „Featured Stories“ heißen und nicht wie geplant „Sponsored Stories“, womit vermutlich noch mehr Nähe zum Journalismus simuliert werden soll. Anders als bei traditioneller Werbung dürfte der Inhalt der „Featured Stories“ nicht einfach aus einer vom werbenden Unternehmen formulierten Botschaft bestehen, sondern aus „Interaktionen“ von „Freunden“ mit dem jeweiligen Unternehmen. Solche „Featured Stories“ können Unternehmen, Organisationen oder Personen buchen. Laut Facebook sollen die meisten Nutzer nur eine Werbemeldung pro Tag in ihrem Newsfeed sehen. Ganz abschalten lässt sich laut Mediendienst „kress“ die Werbung nicht, jedoch können Nutzer einzelne Beiträge ausblenden. Man muss es eben mögen oder „liken“, dass der reine Adressen- und Datenverkauf anscheinend nicht ausreicht als Geschäftsmodell.
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> Und noch eine sprachkritische Fußnote zu „Dancing with Wulffs“, im Text von Reuters am 10.1.: „Die Diskussion über Bundespräsident Christian Wulff hat dem Staatsoberhaupt einer Umfrage zufolge in den vergangenen Tagen in der Bevölkerung Zustimmung gekostet“. Da schien mir ein schwerwiegender Fehler enthalten – wir diskutierten in der Redaktion anhand von Duden, Bertelsmann und Spellcheck. Ich erinnerte mich dann schließlich des Hamlet-Satzes von William Shakespeare (oder seinem Ghost-Writer): „Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als Eure Schulweisheit sich träumen lässt“. Denn was vor einigen Jahren noch klar falsch gewesen sein mag, ist heute zumindest auch richtig. Das dürfte auch Christian Wulff oder Kai Diekmann trösten, sofern sie „Trost-to-go“ nötig haben.
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Zu unbedarft oder zu vertraut?
Blog vom 3.1.2012 von Sebastian Köhler, HMKW Berlin
Zu unbedarft oder zu vertraut?
1.) Dass die Debatten um die Affären von Bundespräsident Christian Wulff nun auch ausdrücklich pressefreiheitliche Streitpunkte erhalten, überrascht nicht. Überraschen mag, dass die mutmaßlichen Droh- und Verhinderungs- und Abwehr-Kommunikationen zwischen Wulff und den hohen sowie höchsten Vertretern des Hauses Springer erst jetzt, Wochen später und damit nach der vermeintlichen Feiertagspause, durchzusickern beginnen. Wenn der Bundespräsident sich mit Vokabeln wie „Krieg“ oder „endgültiger Bruch“ auf der Mailbox des Bild-Chefredakteurs Kai Diekmann verewigt haben sollte, dann könnte das als Ausdruck entweder von großer Unbedarftheit oder aber von großer Vertrautheit verstanden werden. Natürlich haben Journalistenvertreter wie DJV-Chef Michael Konken sowie seine Kollegen von dju und Presserat Recht, wenn sie darauf bestehen, dass sich Prominente kritische Recherchen und entsprechende Berichterstattung gefallen lassen müssen (vgl. http://www.djv.de/Diskussion.2995+M5e832764aac.0.html, sowie http://www.berliner-zeitung.de/politik/wulff-droht-journalisten-kriegserklaerung-auf-dem-anrufbeantworter,10808018,11381202.html, Aufruf vom 3.1.2012, 18.49 Uhr). Zumal, wenn sie sich wie Christian Wulff seit langem insbesondere von den Boulevardmedien geradezu inszenieren lassen – sofern es eben passt. Also Business as usual? Man verträgt sich, man schlägt sich, und man verträgt sich wieder? Es ist eine lose-lose-Situation: Man muss kein Fan von Wulff sein, um nicht zu wollen, dass Konzerne wie Springer Politiker praktisch im Alleingang hochschreiben oder fallenlassen. Kaum zu sagen, was für das Kriseln der Demokratie hierzulande schwerer wiegt – einfach nur unbedarftes Verhalten führender Repräsentanten, oder – andersherum interpretiert – eine so große Beeinflussung und Abhängigkeit zwischen den Elite-Vertretern in Wirtschaft, Medien und Politik, dass von buchstäblich vertraulicher Nähe auszugehen wäre? Eine Zensur freilich findet nicht statt, von keiner Seite.
2.) Das deutsche Fernsehjahr 2011 sieht RTL noch klarer als bisher vorn – der Marktführer im TV-Geschäft erreichte diesmal laut der Nürnberger GfK-Fernsehforschung einen Marktanteil von 14,1 Prozent (2010: 13,6). Das Erste der ARD und das ZDF hingegen schnitten so schlecht ab wie noch nie: Die ARD bei 12,4 Prozent (2010: 13,2), das ZDF bei 12,1 (2010: 12,7) – es war ein Jahr ohne ganz großen Sport, dafür aber mit viel politischer Brisanz. Fraglich, ob die relativ schwachen „Quoten“ vor diesem Hintergrund mehr gegen die Öffentlichen-Rechtlichen sprechen oder aber gegen die TV-Nutzer. Die dritten Programme der ARD kommen zusammen auf 12,5 Prozent (2010: 13,0), also auf den virtuellen zweiten Platz. Weiter Fünfter ist Sat.1 mit konstanten 10,1 Prozent. ProSieben verlor leicht auf 6,2 % (2010: 6,3), Vox bleibt bei 5,6 Prozent. Dann folgen Kabel eins mit 4,0 % (3,9), RTL II mit 3,6 (3,8) und Super-RTL mit weiterhin 2,2 Prozent. Bei den Nachrichtenkanälen sah es so aus: Der öffentlich-rechtliche Kanal Phoenix lag mit 1,1 Prozent Marktanteil knapp vor N24 und n-tv, beide bei 1,0 Prozent. Die Dauer der täglichen TV-Nutzung insgesamt stieg um eine Minute – auf nunmehr 224 Minuten (vgl. BLZ vom 2.1.2011, S.26).
3.) Bezugsfehler passieren schneller, als man gelegentlich seinen Pressesprecher entlassen kann: Im Interview bei N24 am Vormittag am 20.12. wurde der Publizist Manfred Bissinger, bis zum Jahre 2010 tätig für den Verlag Hoffmann und Campe, gefragt zur seinerzeitigen, ca. 42.000 Euro schweren Werbekampagne des Finanzunternehmers Carsten Maschmeyer zugunsten des damaligen Buches von Christian Wulff „Besser die Wahrheit“ (vgl. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/besser-die-wahrheit-die-rechnungen-fuer-wulffs-buch-liess-maschmeyer-aendern-11573427.html, Aufruf am 3.1.2012, 18.27 Uhr). Bissinger sagte auf N24 ziemlich wörtlich: „Unser Verlag hat damals auch ein Buch über Gerhard Schröder veröffentlicht – am dem hat ja Herr Maschmeyer auch die Rechte.“ Das klärt – als womöglich Freudscher Versprecher – natürlich Manches: Carsten Maschmeyer hätte also die Rechte an Gerhard Schröder, und Frau Unternehmersgattin Edith Geerkens hätte demzufolge die Rechte an … ? Einmal dürfen Sie raten – ganz unbedarft!
Zwischen Himmel und Hölle – gibt es eine „fieseste Redaktion Deutschlands“?
- Es gibt weiterhin kein Pressefreiheitsgesetz in Deutschland, denn die parlamentarischen Beratungen in dieser Richtung sind laut Deutschem Presserat leider wieder ins Stocken geraten. Es geht dabei laut dem Sprecher des Presserates, Bernd Hilder (der jüngst deutlich mit seiner umstrittenen, weil offenbar parteipolitisch betriebenen Kandidatur als MDR-Intendant gescheitert war und nun weiter Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung LVZ und zudem eben ehrenamtlich Presseratsstimme ist), vor allem um den Schutz von Journalisten vor strafrechtlicher Verfolgung bei Vorwürfen des Geheimnisverrates. Und zwar in den beiden Varianten der aktiven Anstiftung dazu oder auch der bloßen Weitergabe von passiv erhaltenen Hinweisen aus Insider-Kreisen. Nicht nur dem Presserat zufolge ist es dringend notwendig, dass der Gesetzgeber das Cicero-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom Februar 2007 aufgreift. Damals hatten die Karlsruher Richterinnen und Richter eine staatsanwaltschaftliche Durchsuchung der Redaktionsräume der Monatszeitschrift „Cicero“ in Potsdam als ungerechtfertigten Eingriff in die Pressefreiheit verurteilt. Hintergrund waren Ermittlungen der Justiz seit 2005 wegen der Cicero-Veröffentlichung eines vertraulichen Berichtes des Bundeskriminalamtes (BKA) zur Überwachung eines mutmaßlichen islamistischen Anschlagtäters.
- Es gibt weiterhin auch keine „fieseste Redaktion Deutschlands“, zumindest nicht offiziell. Denn der Berufsverband „Freischreiber“ hat die Wahl dazu gestoppt (vgl. BLZ vom 17.10.2011, S.26). Dabei haben freie Journalisten natürlich nicht nur bei den 70 vorgeschlagenen Redaktionen mit Problemen wie Themenklau, verschlechterndes Redigieren oder Niedrighonoraren zu kämpfen. Besonders schlecht scheint die Lage dabei im Umfeld der drei Redaktionen „Für Sie“, „Spiegel Online“ und „Neon“ zu sein, wie die entsprechenden Vorschläge von der Freischreiber-Basis an den Verband deutlich machten (gelobt wurden übrigens am meisten „Enorm“, „brand eins“ und „P.M.“). Alle Nominierungen sind laut „Freischreiber“ nicht durch Einzelstimmen zustande gekommen. Protest gegen die Ausschreibung des „Hölle“-Preises gab es nicht zuletzt von Neon-Chefredakteur Michael Ebert: Die Vorgehensweise sei unseriös und grenze bald an Rufmord. Auch deswegen wohl haben die Freischreiber ihren Wettbewerb um den Negativ-Preis abgebrochen. Man sei etwas zu mutig gewesen, habe aber eine wichtige, ja notwendige Debatte im deutschen Print- und Onlinejournalismus angestoßen. Ziel bleibt laut Freischreiber-Vorsitzendem Kai Schächtele ein Katalog von Kriterien für eine faire Zusammenarbeit zwischen Redaktionen und Freien. Und 2012 wolle man sich dann doch zwischen „Himmel“ und „Hölle“ bewegen, so, wie die meisten freien Journalisten ja auch.
- Und schließlich mein „Kaleidoskop“, worin ich sprachliche Erscheinungen im aktuellen Journalismus versuche, in einem anderen Licht zu betrachten:
- Im ARD-Morgenmagazin, in der dortigen Ausgabe der Tagesschau am 14.10., gab es eine NiF, eine Nachricht (oder News) im Film, zum Jahrestag der Rettung chilenischer Bergleute aus der Grube von San José. Der Sprechertext verlautete, Menschen hätten sich „an der heute geschlossenen Grube versammelt“. War das Bergwerk am Tag davor und am Tag danach denn geöffnet? Wie hätte es besser lauten können?
- Im RBB-Inforadio wiederum war am Samstag die Rede davon, die Proteste von „Occupy Wall Street“-Empörten in New York hätten nun auch auf das Viertel am Times Square „übergegriffen“. Wer oder was greift über? Probleme, Konflikte, Krankheiten, ein brutaler Familienvater …. ? Ist das Verb „übergreifen“ bzw. das Substantiv „Übergriff“ so objektivierend wie möglich? Auch hier bleibt die Frage – wie hätten die Kollegen es angemessener formulieren können?
Hühnchen-Rupfen mit Mark Zuckerberg
- Traurige Nachrichten für Trauerredner – der Bundestag hat den Zugang zur Künstlersozialkasse (KSK) eingeschränkt, in der sich auch selbständige Journalisten in Sachen Rente, Gesundheit und Pflege paritätisch versichern können. 2006 noch hatte das Bundessozialgericht diese Berufsgruppe der Trauerredner auch zu der Gruppe von Künstlern und Publizisten gezählt, die mündliche oder schriftliche Beiträge an eine wie auch immer begrenzte Öffentlichkeit richten und sich daher in der KSK relativ sinnvoll versichern können sollen. Die KSK versichert derzeit (vgl. Berliner Zeitung, 8.12.2011, S.30) etwa 170.000 Menschen, vom Zauberer bis zum Show-Eiskunstläufer. In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl der Versicherten vervierfacht. Nicht zuletzt deshalb, weil Journalisten kaum noch fest angestellt werden, sondern viele von ihnen mehr oder weniger selbständige Erwerbsformen finden (müssen). Ihrerzeit hatte die Bundesregierung aus SPD und FDP diese Kasse auf den Weg gebracht (Gesetz von 1981). Vielleicht auch, um die Multiplikatoren und Meinungsführer in den Reihen der selbständigen Medien-Profis sozial etwas besser abzusichern. Praktisch für viele der Publizisten und Künstler ist, dass sie ähnlich wie Angestellte die Hälfte ihrer Beiträge bezahlen – die andere Hälfte kommt derzeit zu 30 Prozent von den Verbänden der Verwerter und Auftraggeber, zu 20 Prozent aus einem Bundeszuschuss – dieser lag 2010 bei etwa 150 Millionen Euro. Und wer darf zum Leidwesen der Trauerredner künftig (ab 2012) laut Bundestag und dem veränderten Künstlersozialgesetz als Publizist gelten? Nun, „wer als Schriftsteller, Journalist oder in ähnlicher (bisher: anderer) Weise publizistisch tätig ist oder Publizistik lehrt“. Traurig, aber wahrscheinlich: der Redner schreibt nach seinem Auftritt noch schnell einen Essay in seinem Blog – dann wäre er wohl schon wieder „Publizist“. Schade, dass die sozialen Ressourcen immer mehr unter Druck geraten – oder eben gesetzt werden.
- Das gibt den Datenschutz-Affen natürlich wieder billigen Zucker: Ziemlich private Bilder von Facebook-Chef Mark Zuckerberg waren dieser Tage ziemlich öffentlich zu sehen (www.focus.de, Aufruf am 8.12.11, 15.15 Uhr). Der Firmengründer mit einem Huhn in der Hand und ähnlich persönliche Dinge. Die Bilder waren vom Meister selbst als privat markiert – aber anscheinend gab es eine kleine Lücke im sonst ja doch perfekten Datenschutz bei Facebook: Nutzer hatten erklärt, wenn man Bilder melde, die Nacktheit oder Pornografie enthielten, liste Facebook weitere, gerne auch private Bilder des Verdächtigen auf, um den Sachverhalt zu überprüfen. Ein Sprecher der Firma sagte, es handle sich um einen Fehler bei einem Update. Es könne sich aber nur um einen kurzen Pannen-Zeitraum gedreht haben. Doch selbst in den USA gibt es offenbar Kulturpessimisten, die mittlerweile Facebook kritischer sehen und darauf drängten, dass sich das markt-führende soziale Netzwerk nach langem Rechtsstreit mit der US-Handelskommission FTC (Federal Trade Commission) darauf verpflichtete, die Privatsphäre der Nutzer besser zu schützen. Noch besser?
- ARD und ZDF wollen anscheinend, dass man nicht erst mit den dritten (Zähnen oder Programmen) besser sieht und daher näher an die jüngeren Nutzer heran: Radio Bremen soll für Jugendliche eine Tages-Webschau produzieren (kress.de, Aufruf am 8.12.2011, 15.27 Uhr). Ausgestrahlt werden dürfte die Sendung ab Frühjahr 2012 zunächst für sechs Monate im nicht gerade ein Massen- oder Jugendprogramm seienden Fernsehkanal „Eins Extra“, aber auch auf den Internetseiten von Jugend-Radiowellen wie “Fritz“, über soziale Netzwerke und auf mobilen Endgeräten. Das ZDF sieht sich in einer nächsten Phase seiner Internet-Offensive und weitet mit „heute journal plus“ sein Nachrichtenangebot besonders für Hybrid-Fernseher (TV und Internet in einem Gerät) aus. Schauen wir mal! (vgl. BLZ 7.12.2011, S.30)
- Ein Blick durch das sprachkritische Kaleidoskop sagt uns heute, dass laut Berliner Zeitung (25.11., S.16) Occupy-Anhänger einen großen Hörsaal der Berliner Humboldt-Universität besetzt hätten: „An die Fenster haben sie Banner gehangen, darauf steht: „Kein Sex mit Bologna“.“ Das mag sexy formuliert sein. Aber hat die Autorin des Beitrages hier nicht ihr journalistisches Fähnlein zu sehr in den sprachlichen Wind – gehangen?