Zu unbedarft oder zu vertraut?

Blog vom 3.1.2012 von Sebastian Köhler, HMKW Berlin
Zu unbedarft oder zu vertraut?
1.) Dass die Debatten um die Affären von Bundespräsident Christian Wulff nun auch ausdrücklich pressefreiheitliche Streitpunkte erhalten, überrascht nicht. Überraschen mag, dass die mutmaßlichen Droh- und Verhinderungs- und Abwehr-Kommunikationen zwischen Wulff und den hohen sowie höchsten Vertretern des Hauses Springer erst jetzt, Wochen später und damit nach der vermeintlichen Feiertagspause, durchzusickern beginnen. Wenn der Bundespräsident sich mit Vokabeln wie „Krieg“ oder „endgültiger Bruch“ auf der Mailbox des Bild-Chefredakteurs Kai Diekmann verewigt haben sollte, dann könnte das als Ausdruck entweder von großer Unbedarftheit oder aber von großer Vertrautheit verstanden werden. Natürlich haben Journalistenvertreter wie DJV-Chef Michael Konken sowie seine Kollegen von dju und Presserat Recht, wenn sie darauf bestehen, dass sich Prominente kritische Recherchen und entsprechende Berichterstattung gefallen lassen müssen (vgl. http://www.djv.de/Diskussion.2995+M5e832764aac.0.html, sowie http://www.berliner-zeitung.de/politik/wulff-droht-journalisten-kriegserklaerung-auf-dem-anrufbeantworter,10808018,11381202.html, Aufruf vom 3.1.2012, 18.49 Uhr). Zumal, wenn sie sich wie Christian Wulff seit langem insbesondere von den Boulevardmedien geradezu inszenieren lassen – sofern es eben passt. Also Business as usual? Man verträgt sich, man schlägt sich, und man verträgt sich wieder? Es ist eine lose-lose-Situation: Man muss kein Fan von Wulff sein, um nicht zu wollen, dass Konzerne wie Springer Politiker praktisch im Alleingang hochschreiben oder fallenlassen. Kaum zu sagen, was für das Kriseln der Demokratie hierzulande schwerer wiegt – einfach nur unbedarftes Verhalten führender Repräsentanten, oder – andersherum interpretiert – eine so große Beeinflussung und Abhängigkeit zwischen den Elite-Vertretern in Wirtschaft, Medien und Politik, dass von buchstäblich vertraulicher Nähe auszugehen wäre? Eine Zensur freilich findet nicht statt, von keiner Seite.
2.) Das deutsche Fernsehjahr 2011 sieht RTL noch klarer als bisher vorn – der Marktführer im TV-Geschäft erreichte diesmal laut der Nürnberger GfK-Fernsehforschung einen Marktanteil von 14,1 Prozent (2010: 13,6). Das Erste der ARD und das ZDF hingegen schnitten so schlecht ab wie noch nie: Die ARD bei 12,4 Prozent (2010: 13,2), das ZDF bei 12,1 (2010: 12,7) – es war ein Jahr ohne ganz großen Sport, dafür aber mit viel politischer Brisanz. Fraglich, ob die relativ schwachen „Quoten“ vor diesem Hintergrund mehr gegen die Öffentlichen-Rechtlichen sprechen oder aber gegen die TV-Nutzer. Die dritten Programme der ARD kommen zusammen auf 12,5 Prozent (2010: 13,0), also auf den virtuellen zweiten Platz. Weiter Fünfter ist Sat.1 mit konstanten 10,1 Prozent. ProSieben verlor leicht auf 6,2 % (2010: 6,3), Vox bleibt bei 5,6 Prozent. Dann folgen Kabel eins mit 4,0 % (3,9), RTL II mit 3,6 (3,8) und Super-RTL mit weiterhin 2,2 Prozent. Bei den Nachrichtenkanälen sah es so aus: Der öffentlich-rechtliche Kanal Phoenix lag mit 1,1 Prozent Marktanteil knapp vor N24 und n-tv, beide bei 1,0 Prozent. Die Dauer der täglichen TV-Nutzung insgesamt stieg um eine Minute – auf nunmehr 224 Minuten (vgl. BLZ vom 2.1.2011, S.26).
3.) Bezugsfehler passieren schneller, als man gelegentlich seinen Pressesprecher entlassen kann: Im Interview bei N24 am Vormittag am 20.12. wurde der Publizist Manfred Bissinger, bis zum Jahre 2010 tätig für den Verlag Hoffmann und Campe, gefragt zur seinerzeitigen, ca. 42.000 Euro schweren Werbekampagne des Finanzunternehmers Carsten Maschmeyer zugunsten des damaligen Buches von Christian Wulff „Besser die Wahrheit“ (vgl. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/besser-die-wahrheit-die-rechnungen-fuer-wulffs-buch-liess-maschmeyer-aendern-11573427.html, Aufruf am 3.1.2012, 18.27 Uhr). Bissinger sagte auf N24 ziemlich wörtlich: „Unser Verlag hat damals auch ein Buch über Gerhard Schröder veröffentlicht – am dem hat ja Herr Maschmeyer auch die Rechte.“ Das klärt – als womöglich Freudscher Versprecher – natürlich Manches: Carsten Maschmeyer hätte also die Rechte an Gerhard Schröder, und Frau Unternehmersgattin Edith Geerkens hätte demzufolge die Rechte an … ? Einmal dürfen Sie raten – ganz unbedarft!