Über Sebastian Köhler

Publizistikkprofessor, TV-Producer und Online-Journalist sowie Kommunikationsberater in Berlin

Vom Journalisten zum Content-Manager?

Von Sebastian Köhler

Burda-Vorstandschef Paul-Bernhard Kallen hat sich erneut für ein „anderes Journalismusverständnis“ ausgesprochen, im aktuellen Interview mit der „Zeit“ (http://meedia.de/internet/kallen-schreiben-wird-an-bedeutung-verlieren/2013/11/27.html, Aufruf am 27.11.2013, 20.39 Uhr). Der 56-jährige Manager fordert, die Termini „Content“ und „Journalismus“ sehr viel breiter zu interpretieren als bisher. So könnten für Kunden auch Produktbeschreibungen wertvoller Content sein. Das „Kuratieren von Inhalten“, also das Betreuen von tendenziell auftragskommunikativen Beiträgen im Sinne von Planen, Beauftragen, Redigieren, werde wichtiger für Journalisten oder eben Contentmanager als das eigene Produzieren. Dass Kallen von Produktbeschreibungen spricht, kommt nicht von ungefähr. Burda ist auf dem Weg, sich vom Verlag zu einem Handelsunternehmen zu wandeln. 2012 war der Umsatz um knapp 13 Prozent auf ca. 2,5 Mrd. Euro gestiegen. Der Gewinn lag anscheinend im dreistelligen Mio-Bereich – genau teilt das Familien-Unternehmen dies nicht mit. Schon 2012 machten Handelsumsätze 35% der Erlöse aus. Bei der jüngsten Jahresbilanz prägte Kallen den Begriff der “Content- und Handelskonvergenz”. Handelsunternehmen würden immer stärker wie Medienunternehmen auftreten, also müssten sich Medienhäuser auch zu Handelsunternehmen wandeln – als Vorbild scheint Kallen hier vor allem „Amazon“ zu gelten.
„Unabhängiger Journalismus und E-Commerce dürften sich beliebig nahe kommen, solange es neben der journalistischen Auseinandersetzung mit einem Produkt die Möglichkeit gibt, aus einer großen Auswahl zu kaufen.“ Neutralität gehe dabei nicht verloren. Kallen stellte klar, dass der Konzern „heute vor allem durch seine Onlinebeteiligungen“ wachse. „Sie stehen inzwischen für rund 50 Prozent vom Umsatz.“ Einen großen Anteil daran dürfte der Haustierbedarf Zooplus haben, an dem Burda die Mehrheit hält. Der Onlineversand setzte im vergangenen Jahr knapp 340 Mio. Euro um. Die Netz-Nutzer erscheinen Kallen daher vor allem als „Consumer“, gerne mit angeschlossenem Haustier. Und denen dürften auftrags-kommunikative Content-Manager am besten entgegenkommen. Wer bräuchte dann noch wozu Journalisten? Wenn allerdings an möglichst aktueller, authentischer und autonomer Orientierung für persönliche, gemeinschaftliche und gesellschaftliche Kommunikation doch Bedarf besteht, sollte der sich (auch) andere Ressourcen suchen als bisher, andere denn vor allem als journalistische Schaufenster multi-konvergenter Universal-Konzerne.
2.) Sprachkritisch geht es heute um die „Schlagzeile des Jahres“. „Bild“ wurde dafür 2013 vom Verein Deutsche Sprache geadelt (seit 2010 gibt es den Preis, bisher ging er an „Zeit“, „taz“ und „stern“): „Yes, we scan!“ ist die Schlagzeile dieses Jahres. Ein Klassiker der Ansprechhaltung aus der Reihe „An Bekanntes anknüpfen und diesem dann eine neue und bedeutsame Seite abgewinnen“. Die Schlagzeile erschien in „Bild“ vom 10. Juni. „Besser als jeder Leitartikel fassen diese drei Worte die Enttäuschung vieler Europäer über die Überwachungsmanie der Obama-Regierung zusammen“, so der Jurysprecher und Vorsitzende des Vereins Deutsche Sprache Walter Krämer. Auch Platz zwei ging an „Bild“ – für „Wir gegen uns“, vom 24. Mai, eine Vorschau auf das Champions- League-Finale München gegen Dortmund. Allerdings scheint die Bild-Originalität von „Yes, we scan“ umstritten – René Walter, Betreiber des Weblogs „Nerdcore“, hält die Auszeichnung der „Bild“ für „unwürdig“ und wünscht sich eine Rücknahme. Laut Walter ist die Schlagzeile nicht von „Bild“ formuliert, sondern aus Online-Medien entnommen. Zuerst tauchte ihm zufolge die Formulierung in Foren bei Spiegel Online und bei Netzpolitik.org auf, weltweite Beachtung habe sie sie dann in Form seines Plakat-Remixes gefunden, den er am bereits am 8.6. (zwei Tage vor „Bild“) online gestellt habe. „Copy and win“ wäre dann eine, allerdings nicht ganz so originelle, Zwischen-Überschrift.

Hölle und Hellseherei auf Erden

Von Sebastian Köhler

1.) Den Negativ-Preis „Höllische Redaktion des Jahres“ des Verbandes „Freischreiber“ für besonders unfairen Umgang mit der wachsenden „Randbelegschaft“ erhielt 2013 der renommierte „Bonner Generalanzeiger“ (http://www.freischreiber.de/aktuelle/hollische-redaktion-2013-der-bonner-generalanzeiger/, http://meedia.de/print/huffpost-fuer-hoelle-preis-nominiert/2013/11/11.html, Aufruf am 21.11.2013, 20.12 Uhr). Der Generalanzeiger zahlt deutlich unter den gewerkschaftlich ausgehandelten Vergütungsregeln. Gegen die Dumping-Honorare klagten rückwirkend zwei langjährige freie Mitarbeiter. Das Landgericht Köln hielt die gezahlten Vergütungen in Höhe von 21 beziehungsweise 25 Cent pro Standard-Zeile für „unangemessen niedrig“ und verurteilte den Verlag zur Nachzahlung von immerhin 40.000 und 10.000 Euro. Ausgerechnet ein Haus, dessen Autoren regelmäßig mit renommierten Journalistenpreisen bedacht werden, weigert sich laut „Freischreiber“ besonders eklatant, langjährige Schreiber angemessen zu bezahlen. Nominiert war auch u.a. neben der öffentlich-rechtlichen „Deutschen Welle“ (Freie müssten ihre Urheber- und Verwertungsrechte dort sehr weitgehend abtreten) die gerade erst gestartete deutsche Ausgabe der Online-Plattform „Huffington Post“ (Focus/Burda): Vor allem die fehlenden Honorare und die Knebelverträge regen die Interessenvertreter auf. O-Ton der Freischreiber in ihrer Nominierungs-Begründung: „So ein Abendkleid von Valentino, wie es die Chefin der Huffington Post gern trägt, das kostet gut und gerne 8000 Euro. Das kann man umso besser hinblättern, wenn man sein Vermögen damit macht, dass man andere für kein Geld schuften lässt.“
2.) Sprachkritisch gesehen und gehört diesmal der erste Meldungs-Satz der Hauptausgabe der Tagesschau im „Ersten“ vom 14.11: „Sigmar Gabriel bleibt für weitere zwei Jahre SPD-Vorsitzender“. Gewiss – kürzer und einfacher geht es kaum, aber geht es vielleicht „richtiger“? Oder anders gefragt – sind bei der Tagesschau jetzt Hellseher am Werk? Der Mann kann morgen oder in einem Jahr, aus absehbaren oder auch aus noch nicht absehbaren Gründen, durchaus nicht mehr SPD-Chef sein – alles mehr als nur denkbar. Warum dann diese Übervereinfachung in einer der sonst exaktesten Nachrichten-Sendungen? Oder fragen wir (zu) einfach zurück: Bleibt ARD-aktuell für weitere zwei Jahre eine der seriösesten Redaktionen hierzulande?

Transparente Reporter ohne Grenzen?

Von Sebastian Köhler

1.) Seit Jahren wird heiß diskutiert, inwiefern Whistleblower-Plattformen wie „Wikileaks“ oder „Open Leaks“ künftig zum Journalismus beitragen. Selbst Spielfilme wie gerade „Inside Wikileaks“ entstehen in diesem Kontext. Die Wikileaks-Unterstützerin Sarah Harrrison, eine britische Journalistin, hat sich dieser Tage von Deutschland aus mit einem offenen Brief zu ihrer Sicht auf die Debatten um Edward Snowden zu Wort gemeldet (siehe
http://www.tagesschau.de/inland/harrisson-erklaerung100~_origin-81a43420-410d-497c-92a8-f1b85830a3fd.html, Aufruf am 14.11.2013, 10.51 Uhr). Ihr Kernargument scheint mir zu sein (ganz im Sinne der öffentlichen Aufgabe journalistischer Medien auch in Deutschland, was die Kritik- und Kontrollfunktion gegenüber Mächtigen und Einfluss-Reichen angeht): In Zeiten eines neuen Maßes von Geheimhaltung und Machtmissbrauch gebe es nur eine Lösung – Transparenz. „Wenn unsere Regierungen so kompromittiert sind, dass sie uns nicht die Wahrheit sagen wollen, dann müssen wir nach vorne treten und die Transparenz zu ergreifen. Wenn die Leute die eindeutigen Belege in Form von Originaldokumenten sehen, dann können sie sich wehren.“ Natürlich wirft das auch Fragen auf, zum Beispiel hinsichtlich des etwaigen Einebnens durchaus fortschrittlicher Differenzierungen zwischen Privatheiten und Öffentlichkeiten, oder hinsichtlich möglicher Verselbständigung der selbsternannten Kontrolleure und Kritiker. Aber immerhin – dass auch diese Fragen überhaupt gestellt werden (können), dürfte ein demokratisierender Schritt sein.
2.) Im Kaleidoskop dreht es sich diesmal um eher inhaltliche Sprach- oder besser Rechenkritik. In der Reuters-Meldung vom 8.10.2013, 11:51 Uhr, wurde Horst Seehofers Wiederwahl als Ministerpräsident von Bayern im Landesparlament in München vermittelt. Der Text lautete dann: „Für Seehofer votierten 100 der 180 Abgeordneten. Ihm fehlte damit eine Stimme aus dem Kreis der 101 CSU-Parlamentarier im neuen Landtag in München. Die CSU war nach Angaben eines Fraktionssprechers in voller Stärke im Plenum vertreten.“
Da solche Wahlen selbst in Bayern noch immer geheime Abstimmungen sind, erhebt sich die Frage, wie der Berichterstatter diese Zahlenverhältnisse errechnet hat? Oder doch eher hellgesehen? Was sich hätte schreiben lassen, wäre in etwa gewesen: „Damit erhielt Seehofer eine Stimme weniger, als seine Fraktion Mitglieder zählt“. Denn vielleicht haben ja beispielsweise sogar zwei Mitglieder der oppositionellen Fraktionen für Seehofer gestimmt – und damit wären es nach Adam Ries immerhin schon drei CSU-ler gewesen, die ihrem Chef die Gefolgschaft verweigert hätten. Alles selbst in Bayern sicher nicht undenkbar. Wie gesagt – so lange die Wahlen geheim sind und bleiben. Was lehrt uns dieser Fall? Geheimes Wählen kann anstrengend sein.

Guck mal, wer da was googelt …

Von Sebastian Köhler

1.) Die Internet-Gratis-Zeitung „Huffingtonpost“ als post-materielles Medium? Gratis ist eben auch ein relativer Ausdruck: Für die Nutzung wird kaum Geld fällig, allerdings für Honorare auch nicht. Das Medienportal „meedia“ meldete (http://meedia.de/internet/arianna-huffington-verdiente-21-mio-an-verkauf/2013/10/17.html, Aufruf am 24.10.2013, 14.23 Uhr), der Kommunikationskonzern AOL habe 2011 insgesamt 315 Millionen US-Dollar für die HuffPo bezahlt, wovon Gründerin Arianna Huffington ihrerzeit 21 Millionen erhalten habe, also 6,6 Prozent. Zum Vergleich: Mark Zuckerberg hält fast 30 Prozent Anteile an Facebook, Jeff Bezos knapp 20 Prozent an Amazon. Strukturell spannend ist neben der Frage der Eigentumsverhältnisse die nach Umsatz- und Gewinnentwicklung: Die HuffPo arbeitet bereits seit 2010 gewinnbringend: Der Umsatz soll von 60 Millionen (2011) auf 165 Millionen US-Dollar (2013) steigen. Im Jahr 2013 wurde ein Reingewinn von 58 Millionen Dollar erwartet. Das entspräche einer Rendite-Rate von rund 35 Prozent – profitabler geht es kaum, und das nicht zuletzt mit Journalismus, freilich „gratis“.
2.) Springer und Google werden bei der Vermarktung digitaler Werbung so eng kooperieren wie bisher noch kein deutsches Unternehmen mit dem Suchmaschinenweltmarkt-Führer (http://meedia.de/werbung/springer-und-google-kooperieren-bei-vermarktung/2013/11/04.html, Aufruf am 5.11.2013, 12.04 Uhr). Zugleich rät angesichts der neuesten Entwicklungen der Geheimdienstaffären DJV-Chef Michael Konken den Journalisten hierzulande, Giganten wie Google oder Yahoo (die anscheinend sowohl wissentlich als auch unwissentlich NSA-Partner waren/sind) im professionellen Bereich zu meiden (http://kress.de/tagesdienst/detail/beitrag/123769-djv-raet-journalisten-nach-nsa-spitzelei-finger-weg-von-google-und-yahoo.html, Aufruf 5.11.2013, 12.29 Uhr): „Es gibt durchaus andere Suchmaschinen und Anbieter von Email-Diensten, die nach bisherigem Kenntnisstand als sicher gelten“, sagte Konken. Bei vergleichbarem Leistungsspektrum dieser Dienstleister sollten Journalisten wechseln, mindestens aber Verschlüsselungstechniken anwenden. Der Netz-Experte und Journalistentrainer Peter Welchering rät auch daher für Online-Recherchen und Mail-Verkehr zu mindestens vier Fragen vorab – und dabei immer die gute alte Frage „Cui bono?“ (Zu wessen Vorteil – wem nutzt es?) im Hinterkopf habend ( http://de.slideshare.net/welchering/verifizieren, Aufruf am 5.11.2013, 12.36 Uhr): 1.) Von welchem Server wurde die Mail gesendet?, 2. Wem gehört die IP-Adresse? 3. Wo steht der Server (in welchem Land, welcher Region?), 4. Welche Internet-Knotenrechner sind benachbart?
3.) Im Kaleidoskop dreht sich diesmal ein Satz aus der Sendung von „Tagesschau24“ am 29.10.2013, 9.40 Uhr: Es ging um Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Protestierenden in Brasilien und deren Auslöser: „Die Polizisten hatten zuvor versehentlich einen Jugendlichen erschossen“. Wenn das mit dem „versehentlich“ so klar gewesen wäre, hätte es die Zusammenstöße – oder zumindest ihr Ausmaß – vielleicht gar nicht gegeben. Ist aber auch eine reine Spekulation oder eben Glaubensfrage. Wie übrigens genau die Frage, ob die Tötung nun „versehentlich“ oder anders geschah. Nachrichtenproduzenten sollten sich entweder an relativ unbestreitbare Tatsachen halten (es war ein Dienstag, und es geschah in Brasilien), oder eben andererseits auch „Versionen als Versionen kennzeichnen“, wie es Michael Haller seit langem zu Recht fordert. Stichwort Quellen-Transparenz. Und anscheinend sahen Polizei und Protestierende das mit dem „versehentlich“ durchaus kontrovers.

Gatewatcher: Gesprächswert und Gesellschaft

Von Sebastian Köhler
1.) Zur Zukunft des Journalismus sagte bei der Eröffnung der Münchener Medientage im Oktober 2013 der BR-Intendant Ulrich Wilhelm (ein früherer Regierungssprecher von Angela Merkel), es solle dabei weniger um lineare Reichweiten- oder Quotenmessungen gehen als mehr um „Relevanz und Themen, die einen Gesprächswert für die Gesellschaft“ hätten (vgl. FAZ 18.10.2013, S.43). Wilhelm ermahnte vor allem die Politiker (und leider erst danach Wirtschaftsbosse wie die von Facebook und Google sowie Geheimdienstchefs), die öffentlichen Räume zu schützen und damit nicht zuletzt das Internet als Sphäre des oszillierenden Verkehrens zwischen Privatheit und Öffentlichkeit. Zu jenem Zeitpunkt dürften weder er noch wir etwas mitbekommen haben von der mutmaßlichen Handy-Überwachung selbst der deutschen Kanzlerin durch die NSA. Aber warum sollte es der Regierungschefin besser gehen als vielen Journalistinnen oder Bürgern? Dass Journalismus wiederum gerade solche öffentlich-relevanten Probleme thematisiert und vermittelt, entspricht seiner modernen öffentlichen Aufgabe. Allerdings angesichts des vielfältigen Netzverkehrs kaum noch tradiert im Sinne vom alleinbestimmenden „Gatekeeper“, sondern mittlerweile angesichts vieler Interaktivitäten und schier unendlicher Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten eher als „Gatewatcher“ und Moderator.
2.) Nachdem die deutsche Nachrichtenagentur dapd im April 2013 endgültig ihren Betrieb eingestellt hatte, ist die heutige Rolle solcher Agenturen von neuem fraglich. Yasmin Schulten-Jaspers hat das aktuelle „Geschäft mit den Nachrichten“ untersucht (http://de.ejo-online.eu/author/yasmin-schulten-jaspers, Aufruf am 24.10.2013, 14.38 Uhr). Schätzungen zufolge stammten noch 2005 wenigstens die Hälfte aller Tageszeitungsbeiträge von Agenturen, bei TV und Radio war der Anteil sogar höher. Befragte Experten (Journalisten, Verlagsmanager, Wissenschaftler) gehen klar mehrheitlich weiterhin von einer Gatekeeper-Rolle aus, vom verlässlichen Vorsortieren. Die Materialien seien aktuell, geprüft und übernehmbar. Gekürzte Redaktionen werden tendenziell noch abhängiger von Agentur-Material, da sie mit weniger Ressourcen mehr und schneller (und möglichst auch noch besseren) Output liefern sollen. Online-Experten allerdings sehen eine schwindende Bedeutung der Agenturen wegen Tendenzen der Regionalisierung und Lokalisierung ebenso wie wegen jener des Bemühens um Exklusivität. TV-und Radio-Fachleute sehen in Nachrichtenagenturen vor allem ein Korrektiv und einen Ideengeber (Themensetzer) für die dann jeweils eigene Story. Netz-Plattformen dürften allerdings eine starke Konkurrenz für die Agenturen sein und noch mehr werden: Von global bis hyperlokal, hyperaktuell, multimedial und nicht zuletzt höchstpersönliche Quellen mit Augenzeugenanspruch.
Künftig dürften gerade auf dem umkämpften deutschen Nachrichtenagenturmarkt Kundenportale für die Abonnenten der Dienste eine wichtigere Rolle spielen: Laut Studie ist von etwa 20 Prozent Agenturbeiträgen als „work-on-demand“ auszugehen, was aber auch hieße, dass rund 80 Prozent der Themen und Beiträge „Eigeninitiative“ von dpa, Reuters, AFP, AP, sid, epd, KNA, vwd etc. blieben. Etwa die Hälfte der Befragten geht im Sinne einer „Entdifferenzierung“ (weg vom spezialisierten Journalismus) davon aus, dass Agenturen bald schon ihren Hauptumsatz abseits ihres Kerngeschäftes erzielen werden, durch Tochterunternehmen und Beteiligungen nicht zuletzt in Bereichen der Auftragskommunikation (PR-Töchter etc.). Entdifferenzierungen dürfte es auch bei den Ressorts und bei der Belegschaftsstruktur geben (Kürzung der Kernbelegschaften). Qualitätskriterien blieben Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit (ist das nicht – fast – dasselbe?), während die Schnelligkeit nicht mehr so wichtig sein dürfte. Multimedialität wird in den Agenturen wachsen, ebenso der Anteil an Ratgeber-Beiträgen im Vergleich zu den tagesaktuellen. Thematisch geht es auch daher mehr in Richtung Privat-Relevantes (Soft News und Sport), während Öffentlich-Relevantes zwar mit Blick auf Politik und Wirtschaft wichtig bleiben mag, allerdings in Form der Kulturberichterstattung eher zurückgehen dürfte.
3.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Sprechen wir vom ehemaligen Römischen Reich oder vom ehemaligen Zweiten Weltkrieg? Kaum, aber immer wieder wird gerade in Ländern deutscher Zunge von der „ehemaligen DDR“ geredet und geschrieben. Als ob es eine andere gäbe. Die Briten haben für solche Bräuche die Rede-Wendung „kicking dead horses“. Das machen Gentlemen and -women natürlich nicht. Aber Medien wie die Berliner Zeitung (15.7.2013, S.24) immer mal wieder – die dänische „Olsenbande“ (in der damaligen BRD hieß sie marktschreiend „Panzerknackerbande“) und ihre Filme waren neben ihrer Heimat laut BLZ z.B. auch in Polen und Ungarn, in der Türkei oder Libyen beliebt: „Den größten Erfolg erzielten sie aber in der ehemaligen DDR“. Da es hier um die Zeit zwischen 1968 und 1981 geht, ist der Ausdruck definitiv tautologisch. Es sei denn, man formulierte per Negation der Negation im gleichen Tenor auch über die „ehemalige Olsenbande“. Aber auch dann ließe sich „ehemalig“ nicht „wegkürzen“, sondern wäre schlicht besinnungsloser Sprachgebrauch. Der nicht einmal „ein Stück weit“ einen gewissen „Sinn machen“ würde.

Inszenierungen und Fakes im Flüchtlingsstrom?

Von Sebastian Köhler

Seit einigen Tagen sind sie Thema in vielen Metropolen-Medien: Tausende Flüchtlinge sind auch im Herbst 2013 unterwegs von Afrika über das Mittelmeer in Richtung EU-Europa. Vor allem die Nachrichtenfaktoren „Negativismus“ und „Intensität“ ließen das Elend der Flüchtlinge angesichts – nach offiziellen Angaben – Hunderter Toter vor den Küsten Lampedusas und Maltas ins Rampenlicht rücken. Aber auf den umkämpfen Märkten medialer Aufmerksamkeit reichen die Agenturberichte offenbar nicht aus – es sollen anscheinend, vor allem im Fernsehen, Geschichten erzählt werden, die in ihrer Über-Vereinfachung, Über-Personalisierung und Über-Emotionalisierung als „narrativistisch“ zu kritisieren wären (siehe dazu ausführlich mein Buch „Die Nachrichtenerzähler“ von 2009). Das dürften sie selbst sein, wenn sie „wahr“ wären. Jedoch: die Grenzen zwischen Dokumentation, Inszenierung und Fake wirken weniger dicht als die südlichen EU-Außengrenzen: Wie das verdienstvolle NDR-Format Zapp (TV und Online) berichtet (siehe http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/zapp/film_fernsehen_radio/fluechtlinge513.html, Aufruf am 17.10.2013, 15.09 Uhr), sollen drei junge Afrikaner von einer französischen Fernsehproduktionsfirma zur Flucht von Libyen nach Paris angestiftet worden sein – mit Geld und Versprechungen. Diese drei Männer aus Kamerun sollen von zwei Mitarbeitern der französischen TV-Produktionsfirma „Tony Comiti Productions“ in Libyen angesprochen worden sein, die für eine Fernsehreportage eine Flucht aus Afrika mit der Kamera begleiten wollten. Die Journalisten dürften den jungen Männern dann offenbar Geld für die Fahrt gegeben haben – für die Reise durch Libyen, dann übers Meer nach Italien und schließlich bis nach Paris. Diese spektakuläre Flucht wurde erklärtermaßen für die Investigativ-Sendung „Zone interdite“ des französischen privat-rechtlichen Senders M6 in Etappen gefilmt – als dokumentarische Fernsehreportage. Wurden die jungen Männer so geködert und zur Flucht angestiftet – als Hauptdarsteller in einer Fernsehreportage? Und wurden damit, wenn die Umstände der Flucht so oder ähnlich waren, nicht auch die Grenzen zum Fake überschritten? Faken kann pragmatisch näher bestimmt werden (im Unterschied zum für TV- oder Radio-Aufnahmen oft unumgänglichen Inszenieren – „Ist die Technik startklar, können wir beginnen?“) als Hervorrufen von Ereignissen durch mediale Akteure, welche ohne diese Akteure (zumindest so) gar nicht stattgefunden hätten.
Der französische Medienjournalist Vincent Monnier recherchierte wiederum diese „Geschichte“ (so ZAPP selbst – diesmal wären die Guten dann wohl die drei Flüchtlinge und ihr Problem nicht die Flucht, sondern die bösen, bösen TV-Produzenten) schon für den „Nouvel Observateur“ und stieß auf zahlreiche Verdachtsmomente. Die verantwortliche Produktionsfirma weist die Vorwürfe hingegen zurück, es sei „nichts bezahlt und nichts versprochen worden“. Die drei Kameruner haben nun mit einem Anwalt Klage erhoben – unter anderem wegen aktiver Beihilfe zur illegalen Einreise. Ein lehrreiches Puzzleteil zum großen Thema „Flüchtlingsstrom“.
2.) Womit wir beim sprachkritischen Kaleidoskop wären: „Flüchtlingsstrom“, das schreiben nicht nur die Boulevardmedien (wenn sie sich denn des Themas annehmen), sondern auch die als seriöser geltenden wie zum Beispiel die „Süddeutsche“ (http://www.sueddeutsche.de/politik/fluechtlingsstrom-aus-afrika-italien-will-das-mittelmeer-staerker-ueberwachen-1.1793861, Aufruf am 17.10.2013, 15.22 Uhr). Auch bei Wikipedia steht der Terminus ähnlich sachlich aufgelistet wie z.B. die Wochentagsbezeichnungen: „Als Flüchtlingsstrom (engl. „flood of refugees“) bezeichnet man Bevölkerungsgruppen, die sich auf der Flucht vor kriegerischen Konflikten, Umweltproblemen, Hunger oder Verfolgung befinden“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Fl%C3%BCchtlingsstrom, Aufruf am 17.10.2013, 15.25 Uhr). Der Onlien-Duden (http://www.duden.de/rechtschreibung/Fluechtlingsstrom, Aufruf am 17.10.2013, 15.28 Uhr) verweist neben seiner Umschreibung als „große Zahl von einherziehenden Flüchtlingen“ auf den relativ emotionalen Charakter des Wortes. Ich finde, über die Emotionalität und die Massenabfertigung hinausgehend, die Richtung der so angesprochenen Emotionen bedenklich: Ein Problem sehe ich in unangemessener Naturalisierung, ähnlich wie bei Wendungen á la „Ausbruch des Zweiten Weltkrieges“. Hier werden Naturgewalten beschworen, als ob die bei Flüchtlingsbewegungen schlicht naturgesetzlich da wären. Und gegen die man natürlich (sic!) einfach nichts machen könnte – außer (was macht man gegen Ströme oder Fluten von Wasser?), sich – noch besser – abzuschotten. Und wie weit ist es vom „Flüchtlingsstrom“ zur „Asylantenflut“? Dass diese massenhaften Menschenbewegungen nicht zuletzt soziale Katastrophen zur Ursache haben wie auch selber sind, kommt dabei kaum zur Sprache. Was ist dagegen ein so sperriges, ja unnatürliches Wort wie „Weltwirtschaftsordnung“? Albert Einstein sagte sinngemäß, Wissenschaftler (oder Journalisten, SeK) sollten alle Dinge so einfach wie möglich machen – aber nicht einfacher.
Wie ginge es journalistisch-praktisch besser als mit „Flüchtlingsstrom“? Ich würde melden oder kommentieren: „Große Gruppen von Flüchtlingen“. Ist etwas länger, aber sowohl menschlicher als auch professioneller. Und damit vielleicht sogar so einfach wie möglich.

Umschreiben und Großschreiben, Schlagen und Strafen

Von Sebastian Köhler

1.) Am 10.10.2013 sollte die deutsche Ausgabe der „Huffington Post“ starten, in Zusammenarbeit mit Focus Online. Als „Ariannas Maskottchen“ schien Ex-ZDF-Moma-Moderator Cherno Jobatey bereit zu stehen (siehe http://kress.de/mail/tagesdienst/detail/beitrag/123425-ariannas-maskottchen-cherno-jobatey-wird-huffpo-herausgeber.html, Aufruf am 9.10.2013, 20.42 Uhr). Die Autoren auch der deutschen Ausgabe der Online-Zeitung werden für ihre Beiträge kein Geld bekommen. Vielmehr wirbt die HuffPo auch in deutscher Sprache damit, dass die Blogger ihre Reichweite durch prominente Nachbarschaft (in den USA z.B. Kirk Douglas oder Barack Obama als Zugpferde, in Deutschland wohl u.a. Boris Becker oder Ursula von der Leyen) erhöhen können. Stefan Niggemeier (vgl. FAS, 6.10.2013, S.59) erkennt darin eine generelle Tendenz im journalistisch-medialen Bereich: Aufmerksamkeit (als symbolisch generalisiertes Medium im Feld der Öffentlichkeit) ersetzt die Währung/das Zahlungsmittel „Geld“. Ich denke, verwerten ließe sich dann solches neue Kapital nicht unbedingt im Journalismus, aber vielleicht – auf Basis der über die neue Aufmerksamkeit erreichten Bekanntheit – in der Auftragskommunikation (PR, Werbung, Marketing) oder in der Politik. Laut Medienkritiker Niggemeier scheint das HuffPo-Erfolgsmodell des Gratis-Journalismus nicht mehr aufzuhalten. Zwar sollen bei der deutschsprachigen Huffington-Post auch etwa 15 redaktionelle, also bezahlte Stellen entstehen. Doch der Trend solcher Plattformen – in Ergänzung zu digital-automatischen Nachrichten-Aggregatoren wie Google News – geht weg vom tradierten Journalismus (was Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner als „Anti-Geschäftsmodell“ kritisiert und wovon Niggemeier – zu Recht – meint, deshalb sei es noch nicht falsch) hin zur neuen Aufmerksamkeitsökonomie: Der designierte deutsche HuffPo-Chefredakteur Sebastian Matthes (bisher WirtschaftsWoche) sagte im DradioWissen, man wolle Experten direkt mit den Publika kurzschließen (womit journalistische Vermittlungsrollen verzichtbarer würden): Spezialisten wie Wissenschaftlern, Hobby-Köchen, Designern, Architekten oder Sportlern mache die Plattform das Angebot, „ihre Meinung, ihre Ideen“ zu veröffentlichen. Das ganze heißt dann in der Selbstvermarktung „Engagement-Plattform“. Während die Satire-Zeitschrift „Titanic“ 2003 die journalistischen Basisqualifikationen noch als „Quer-Lesen, Ab-Schreiben und Spesen-Rechnen“ gegeißelt hatte, dürfte die Branche jetzt zwei Schritte weiter sein: Niggemeier zufolge geht es beispielsweise bei Focus Online vor allem um „Abschreiben, Umschreiben, Großschreiben“. Was bliebe als nicht-zynischer Ausblick? Zukünfte dürfte Journalismus – in seinen vermittelnden Beiträgen zu sozialer Selbstgestaltung, in seiner Ambivalenz zwischen Ware und Kulturgut – nicht allein auf der Basis von Geschäftsmodellen haben. Seien es alte oder neue.
2.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Im Zusammenhang der Syrien-Krise war im September 2013 oft (und gerade nicht als Zitat) die Rede davon, dass die US-Regierung (samt einiger Verbündeter) einen „Militärschlag“ gegen die syrische Führung durchführen wolle, der als „Strafe“ gegen eben dieses Regime zu verstehen sei (z.B. http://www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-obama-schiebt-militaerschlag-auf-a-921541.html., http://www.welt.de/debatte/article119857443/Syriens-Einlenken-verschafft-den-USA-Zeitgewinn.html, Aufruf am 17.9.2013, 10.18 Uhr). Mir scheinen beide Termini ziemlich einseitig wertend zu sein. Dass die jeweiligen PR-Strategen und -Taktiker sie der Öffentlichkeit anbieten, leuchtet ein. Nicht aber, dass Journalisten, zumal in den informationsbetonten Bereichen der Medien, diese Termini übernehmen, als wären sie so sachlich wie beispielsweise die Wochentagsbezeichnungen.
1.) Ein Schlag ist eine raumzeitlich relativ eng begrenzte Aktion (übrigens findet sich bei Obama selbst auch der Ausdruck „military action“). Ein Schlag trifft in der Regel genau ein bestimmtes Ziel, es dürfte kaum Schäden im Umkreis oder ganz woanders geben. Und das sollte sich sowohl auf den Geschlagenen als auch auf den Schläger beziehen. Zivile Opfer, Opfer auf der eigenen Seite oder bei Verbündeten – keine Rede davon. Würde das aber in der Praxis so kommen? Eine pure Glaubensfrage. Warum also als Journalist nicht relativ sachlich von „Militäreinsatz“ reden (und mensch könnte ja auch „Krieg“ sagen)?
2.) Eine Strafe impliziert dreierlei: a) Es gibt eine zu bestrafende Handlung (hier ging es um den lange Zeit noch sehr mutmaßlichen Einsatz von chemischen Kampfstoffen bei Damaskus am 21.8.) und b) die Verantwortung für dieses strafbare Agieren ist unstrittig klar (und genau darum wurde und wird ja höchst kontrovers gestritten, und zwar nicht zwischen der „Staatengemeinschaft“ und irgendwelchen „Terroristen“, sondern direkt innerhalb der „internationalen Staatengemeinschaft“ – sofern Russland, China, Brasilien, Indien, Südafrika, Iran etc. auch dazugehören sollten). Last but not least ist der Bestrafer c) auch berechtigt, diese Strafe zu verhängen und zu exekutieren. Und spätestens an diesem Punkt dürfte sachlichen Betrachtern deutlich werden, dass „Strafe“ in jenem Kontext nur als Zitat verwendet werden sollte. Denn mensch muss kein Jurist sein, um den völkerrechtlichen „Sprengstoff“ von Militäreinsätzen – Schlägen oder Kriegen – ohne UN-Mandat erkennen zu können.

Die Verhältnisse von Dokumentarischem und Inszeniertem bewegen

Rezension zu Michael Schomers: Der kurze TV-Beitrag. Reihe Praktischer Journalismus, Band 87. UVK Verlagsgesellschaft Konstanz 2012. ISBN 978-3-86764-235-4

Für die wissenschftliche Rezensionsplattform „r.k:m.“ der TU Dortmund (Link: http://www.rkm-journal.de/)

Von Sebastian Köhler

Michael Schomers dürfte in mehrerer Hinsicht wissen, worüber er schreibt: Der 1949 Geborene arbeitet nach eigenen Angaben einerseits praktisch als freier Fernsehjournalist, Autor, Regisseur, sowie TV-Produzent und andererseits reflexiv als Dozent in der journalistischen Aus- und Weiterbildung. Originell erscheinen mir seine Versuche, Theorien und Umsetzungen zum kurzen TV-Beitrag im Rahmen des „dokumentarischen Fernsehens“ (128) in Deutschland zu diskutieren. Der Autor erklärt, sein Buch sei „keine theoretische und abstrakte Abhandlung über das Thema, sondern eine möglichst anschauliche Beschreibung ganz konkreter Produktionen mit vielen Beispielen aus der Praxis“ (9). Diese Einschätzung kommt meiner recht nahe – dennoch hätte dem Buch insgesamt noch mehr Reflexivität sicher nicht schlecht getan – zum Beispiel im Sinne des Diskutierens praktischer oder eben auch theoretischer (aus der Literatur bekannter) jeweiliger Alternativen.
Schomers, der beide Seiten der dualen deutschen Fernsehlandschaft kennt, sieht „die Grundfrage“ (246) darin, wieso gebührenfinanziertes Fernsehen überhaupt so stark auf „die Quote“ (Reichweite und Marktanteil also) schaue und dabei oft den Sendeauftrag „sehr vernachlässigt“. Vor diesem Hintergrund verflache, ja verkomme der Journalismus immer mehr einerseits zur oberflächlichen hyper-aktuellen Berichterstattung, andererseits zur relativ reinen und zudem seichten Unterhaltung (239f.).
Schomers sozial aufgeschlossene professionelle Grundhaltung als Journalist und Journalistik-Dozent kennzeichnet sein gesamtes Buch, er macht sie gegen Ende explizit: „Eine der wichtigsten Aufgaben für uns Journalisten ist es, hinter die Kulissen zu schauen, die Mächtigen in unserem Land zu kontrollieren und die oft zitierte Rolle als „vierte Gewalt“ wirklich auszufüllen. Eine Rolle, die leider heutzutage im Fernsehen, bis auf wenige Ausnahmen, nicht mehr gefragt ist und daher immer weiter verschwindet“ (235). Für Schomers heißt das medienpraktisch, „Anwalt sein zu können für Menschen, die keine Lobby haben“ (ebd.).
Besonders originell, weil theoretisch und praktisch sowohl kritisch als auch konstruktiv, erscheint Schomers‘ Auseinandersetzung mit den Schriften und dem redaktionellen Wirken des deutschen TV-Trainers Gregor Alexander Heussen (119ff.). Schomers versucht hiermit, auch bei Heussens Ansatz vom „Erzählsatz“ (in meinen Worten: Man kann und soll auch im aktuellen TV-journalistischen Bereich des Fernsehens möglichst Vieles als Geschichte vermitteln mit Erzählsatz in der Gegenüberstellung von Hauptfigur und Herausforderung sowie im Abarbeiten eines entsprechenden Roten Fadens aus der insbesondere verbalsprachlichen Perspektive einer bestimmten Textperson) Chancen und Risiken in den Blick zu bekommen. Schomers konzentriert sich allerdings (für mich nachvollziehbar) auf die Gefahren, die (nicht nur) er in einer tendenziellen Verabsolutierung der Vorschläge Heussens sieht: Der Autor argumentiert, dass viele Zuschauer kaum „auf diese ermüdend eintönige Weise unterhalten werden“ (121) wollten (leider schreibt er im selben Satz zweimal „gar nicht“ – das müsste gar nicht sein!). Schomers sieht bei Heussen sogar „Jünger“ (ebd.) am Werk, denen er Nutzer gegenüberstellt, „die an Sachinformation interessiert sind und nicht an einer emotional aufgepeppten Geschichte oder einer irgendwie konstruierten Herausforderung“ (ebd.). Da die filmischen Beiträge nicht zuletzt durch die Nutzer entstehen (leider schreibt Schomers hier etwas holzschnittartig: „im Kopf des Zuschauers“ (ebd., 124)), könne es keine allgemeingültige dramaturgische Regel geben, die „egal welchem Thema“ (sic!) übergestülpt werde (121). Im Sinne einer – normativ auch hier zugrundeliegenden, aber kaum einmal explizit gemachten – journalistischen, also thematischen und darstellerischen Vielfalt bleibt zu kritisieren, dass durch gewissen Totalisierungen von Heussens Erzählsatz leider „viele Möglichkeiten weg(fallen), die zu anderen dramaturgischen Lösungen führen könnten.“ (ebd.). Schomers beklagt, dass TV-journalistische Beiträge so „insgesamt wohl erheblich gleichförmiger“ (123) würden. Systematisch und pragmatisch-konstruktiv habe auch ich mich mit eben jener Problematik auseinanderzusetzen bemüht, um womöglich pathologischen Einengungen bei Themenwahl und Umsetzungen in der aktuellen TV-Berichterstattung entgegenwirken zu können (vgl. KÖHLER 2009-174ff.): Journalistische Vielfalt als wichtiges Qualitätskriterium bedeutete daher – vor dem Hintergrund der Wirksamkeit der narrativen Darstellungsart – zumindest zweierlei: Erstens als „externe Vielfalt“, angesichts von Ereignissen mit Storypotential anderes, relevantes Geschehen auch und angemessen zu vermitteln – die Welt bleibt ja nicht stehen, nur weil z.B. die Geburt eines royalen Babys ansteht. Und dies bedeutete zweitens als „interne Vielfalt“, das geschichtsträchtige Geschehen – sofern gesellschaftlich relevant – selbst vielseitig und hintergründig zu vermitteln. Also – was die „interne Vielfalt“ auf der Ebene der Sendung und Sendungen angeht – nicht nur in einer Darstellungsart und Darstellungsform, nicht nur in einer Perspektive und Position, nicht nur mit einer Hauptperson sowie der auf sie bezogenen Herausforderung samt deren Auflösung und daher verbunden nicht nur mit tendenziell einseitigen Gefühlen und Informationen. Und was die „interne Vielfalt“ bezogen auf den einzelnen narrativen
Beitrag angeht, durch objektivierende journalistische Ansätze wie Aus-Balancierung (zu) einseitig-suggestiver Bilder durch die Textperson/den Sprechertext, durch parallele Handlungsstränge (nicht nur in der Gesamtsendung, sondern, wo möglich, auch im einzelnen Beitrag) oder durch den Einbezug von pluralisierenden, einordnenden Nebenfiguren bzw. anderen alternativen Quellen in Bild und Originalton. Auch Schomers plädiert in diesem Sinne sicher für solides Handwerk, aber insbesondere für Individualität und das Ausprobieren neuer, kreativer Lösungen (125). Überzeugend finde ich daher auch Schomers‘ Einordnen der normierten Erzählsätze in vielen Bereichen des gegenwärtigen TV-Journalismus in die übergreifenden Probleme der “Skripted Reality” und die von dort ausgehenden Gefahren für das Dokumentarische im TV überhaupt (126ff.). Schomers (er und ihn) bewegt die Frage der Verhältnisse von Dokumentarischem und Inszeniertem: “Wir gestalten unseren Film, was in gewisser Weise auch bedeutet, dass wir die Wirklichkeit gestalten” (133), und zwar, so wäre zu ergänzen, sowohl die mediale Wirklichkeit als auch die außer-mediale Wirklichkeit.
Zur Frage veränderter Sehgewohnheiten als Folge der “Clip-Ästhetik” und im Angesicht oftmals paralleler Medien- oder Kanalnutzungen gerade Jüngerer (134f.) warnt Schomers, wiederum praktisch und theoretisch nachvollziehbar, auch hier vor einer neuen Verabsolutierung. Er plädiert erneut für Vielfalt statt Einfalt, für das Offenhalten und Ausprobieren auch “anderer ästhetischer Formen”.
Schomers arbeitet seit rund 30 Jahren offenbar überwiegend selbständig, und dafür beschreibt er treffend einige Ambivalenzen dieser ja oftmals nur scheinbar “freien” Tätigkeiten zwischen erheblicher Selbstausbeutung und relativ un-entfremdeter Arbeit (56ff.). Die Problemzonen zwischen schrumpfender Kernbelegschaft und ebenfalls schrumpfenden “Kuchen” (als zu verteilenden Aufträgen) für eine wachsende Randbelegschaft (Pauschalisten, Freie, Praktikanten etc.) bestimmt der Autor als “Riss”, der durch die Fernsehlandschaft gehe (vgl. 214 mit Blick auf besondere “Frechheit” seitens festangestellter Redakteure).
Wenn Journalismus im Kern das Veröffentlichen von aktuellen, authentischen und autonomen Beiträgen bedeutet, die ohne das jeweilige journalistische Wirken gar nicht öffentlich werden könnten (so ja unter anderem Karl-Nikolaus Renner oder auch Michael Haller), ist klar, dass Recherche, also die rezeptive Seite des Journalismus, mindestens ebenso wichtig ist wie die produktive. Schomers problematisiert daher sehr zu Recht, dass gerade im TV-Journalismus Recherche in der Regel nicht bezahlt wird (72), was bedeutet, dass die Erwerbstätigkeit umso lukrativer ist, je weniger recherchiert wird – zweifellos eines der größten strukturellen Probleme der Fernsehpublizistik. Ein anderes bleibt – auf neuem Niveau – das Angewiesensein auf möglichst exklusive Bewegtbilder, was durch die privat-rechtlichen Sender (Schomers sagt ganz bewusst: “kommerzielle Sender” -181-, was ja aber leider die öffentlich-rechtlichen in mancher Hinsicht mittlerweile auch sind, wie der Autor immer wieder und nachvollziehbar moniert) zu immer mehr “Scheckbuchjournalismus” führe – wer das meiste Geld habe oder biete, bekomme den Zuschlag. Relevant und klar ist Schomers Blick auf die ökonomische Macht der Sender (und der Werbetreibenden bzw. sonstigen Interessengruppen, 88f.): Sie sitzen strukturell und tendenziell am längeren Hebel und dürfen daher mit (und in) den Filmen in der Regel machen, was sie wollen (218).
Besonderen praktischen Nutzwert versprechen die Passagen über selbst erlebte komplexe Dreh-Arbeiten (14, 52, 84 u.v.a.), zur Systematik im Umgang mit dem eigenen Material (150 – auch wenn die Speichermedien weiter aktualisiert sind), zum Laufenlassen der Kamera (173), zum Sichten und dem Einbezug von Praktikanten (191) und last but not least zum Umgang mit der versteckten Kamera (231f. – mit einer treffenden Kritik an einem MDR-Format, in dem arme Menschen auf diese Weise vorgeführt werden. Dieses Motiv taucht bei Schomers auch im Aufgreifen von Bernhard Pörksens Kritik am “Sozial-Porno” der Casting-Industrie mehrfach auf und hätte noch vertieft werden können -127, vgl. PÖRKSEN 2010).
Das Buch von Michael Schomers bieten daher insgesamt inhaltlich-praktisch einen sehr guten Überblick zum Thema, warum und wie kurze TV-Beiträge produziert werden (sollten).
Neben meiner Kritik am insgesamt doch leider etwas zu geringen theoretischen Spielraum, den der Autor nutzt und eröffnet, gesellt sich die Frage, ob das Buch tatsächlich, wie im Einband verkündet, ein Korrektorat erfahren hat. Zugute halte ich dem Autor eine oft angenehm umgangssprachliche Art, welche die Zielgruppe sicher anspricht. Aber Schomers ist ja offenbar keiner von den Fernseh-Überfliegern, die meinen, Schriftsprachliches versende sich so oder so. Vielmehr scheint er selber Anhänger eines vielfältigen und zugleich möglichst angemessenen und richtigen Sprachgebrauches. Auch deshalb ärgern die zahlreichen rechtschreiblichen, grammatikalischen und auch ausdrucksbezogenen Fehler im Buch umso mehr.

Literaturverzeichnis: ,
KÖHLER 2009 – Köhler, Sebastian: Die Nachrichtenerzähler. Zu Theorie und Praxis nachhaltiger Narrativität im TV-Journalismus. Reihe Angewandte Medienforschung, Band 45. Nomos-Verlag Baden 2009.
PÖRKSEN 2010 – Pörksen, Bernhard: Die Casting-Gesellschaft: Die Sucht nach Aufmerksamkeit und das Tribunal der Medien. Halem-Verlag Köln 2010.

Garnisonkirche im Grünen Licht der Sympathie – Journalismus auf PR-Linie

OFFENER BRIEF

Sehr geehrte Damen und Herren von der Lokalredaktion Potsdam der Märkischen Allgemeinen Zeitung,,

so, wie Frau Röd nicht nur in ihrem Kommentar, sondern leider auch in ihrem nebenstehenden ausführlichen Beitrag „Grünes LIcht für Garnisonkirche“ (MAZ vom 31.7.2013,S.13) keinen Hehl daraus macht, dass sie diesem Projekt sehr zugeneigt ist, möchte ich keinen Hehl daraus machen, dass ich (wie offenbar viele Potsdamer, siehe jüngster Bürgerhaushalt) zu den Kritikern dieses Vorhabens zähle.

An dem „Aufmacher“ auf Ihrer Lokal-Seite finde ich als Journalist und Publizistikwissenschaftler mindestens zwei Aspekte sehr fragwürdig:

Der Anfang des Textes lautet: „Es ist vollbracht. Mehrere Monate hat das Warten gedauert, aber nun ist sie endlich da – die Baugenehmigung für den Turm der Garnisonkirche an der Breiten Straße.“ Könnte ein PR-Text von Fördergesellschaft oder Kirchenstiftung noch euphorischer, noch einseitiger, noch beschönigender beginnen? Leider kaum!

Ebenso wenig professionell wirkt es auf mich, dass im gesamten, langen Text etliche Personen mit Zitaten vertreten sind und als Befürworter und Förderer der Garnisonkirche zum Teil sogar mehrfach zu Wort kommen – aber leider kein einziger der vielen durchaus bekannten Kritikerinnen und Kritiker des doch zumindest sehr umstrittenenen Wiederaufbaus.

Drei Stichworte mögen als konstruktive Kritik genügen:

1.) Die gigantischen und weiter wachsenden Finanz-Skandale bei immer teureren Großprojekten wie Stuttgart 21, Elbphilharmonie und Flughafen BER sollten nicht mit dem Stolpe-Zitat „Ich habe noch kein Großprojekt erlebt, wo sich das Geld von Anfang an gestapelt hätte“ auf die leichte Schulter genommen werden dürfen. Hierbei scheint es um systematisch a-soziale Finanzarchitekturen zu gehen – Motto: Nutzen privatsieren, Kosten vergesellschaften.

2.) Dass noch immer kaum Spender-Geld vorhanden ist, mit dem doch erklärtermaßen praktisch ausschließlich gebaut werden soll, lässt den nächsten Skandal mehr als ahnen: Es werden mit öffentlichen Mitteln Fakten geschaffen (Straßenverengung zugunsten des Projektes etc.), und dann wird auch dieses Projekt zur – sicher unter großen öffentlichen Opfern zu Ende zu bringenden – „selbsterfüllenden Prophezeihung“.

3.) WENN das Geld in Stadt, Land und Bund „übrig'“ wäre, ließe sich womöglich über eine weitere Musealisierung Potsdams diskutieren. Aber es fehlt in vielen Kitas, Schulen, Sporthallen, Freizeiteinrichtungen, überhaupt im sozialen Bereich oft am Grundlegendsten gerade in der ja eigentlich so reichen und prosperierenden Landeshauptstadt. Da sollte der Lokaljournalismus seinen öffentlichen Aufgaben wie allseitige (nicht: einseitige) Information, Beitragen zur Meinungsbildung, Artikulation möglichst aller gesellschaftlich-relevanten Strömungen und natürlich Kritik und Kontrolle gerade gegenüber den Reichen und Einfluss-Reichen doch besser nachkommen.

Meine ich und verbleibe mit kollegialen Grüßen: Sebastian Köhler

Rasta-Fahndung für alle

Von Sebastian Köhler
1.) Facebook ist durch die NSA-Überwachungsdebatten nicht mehr oder weniger in der Kritik als Microsoft, Apple, Google, Yahoo und wie sie alle heißen. Das Kern-Problem bei den verharmlosend „Späh-Affäre“ genannten Phänomenen sehe ich darin, dass wir Bürgerinnen und Bürger im Modus „Überwachung 2.0“ tatsächlich von zwei Seiten „erkundet“ werden – von Geheimdiensten namens demokratisch verfasster Staaten und von den Global Playern des mittlerweile (auch) informationsgetriebenen Kapitalismus. Schwer zu sagen, was schlimmer ist. Aber Facebook scheint als ein Pionier der Branche schon mal die „Rasterfahndung für alle“ (BLZ 11.7.2013, S.25) eingeführt zu haben: Die neue Suchfunktion „Graph Search“ soll es erklärtermaßen einfacher machen, gemeinsame Interessen zu „erkunden“. Doch Kritiker monieren, dass die Detailgenauigkeit und die Eingrenzungsmöglichkeiten jenen Rasterfahndungen aus den 1970er-Jahren ziemlich nahekommen könnten. Facebook als sogenanntes „soziales Netzwerk“ (Datensammel- und Datenverkaufskonzern scheint mir sachlicher) verfügt zufälligerweise von seinen (im Mai 2013 nach eigenen Angaben) weltweit 1,11 Milliarden Mitgliedern über umfängliche und detaillierte Datensätze. Und „Graph Search“ dürfte diese verstreuten Mosaik-Steine auf neue Weise sehr zielgenau zusammensetzen können – Unternehmer mögen so erfahren, welcher Bewerber als gewerkschaftsnah gelten kann oder wie überhaupt dessen politische Einstellungen sind. Das Blog „ http://actualfacebookgraphsearches.tumblr.com/“ listet dazu beispielhaft auf, dass man (Aufruf am 17.7.2013; 22.05 Uhr) auf Facebook mittels „Graph Search“ weniger als 100 Mütter von Juden finden könne, die Schinken mögen. Dagegen gebe es mehr als 100 Tesco-Mitarbeiter, die auf Pferde stehen. Und so weiter … Facebook hat den Trend erkannt (oder erst mit-etabliert?), dass wir im Netz tendenziell danach suchen (werden), was uns Freunde empfehlen. Und wo gibt es die meisten „Freunde“ und „Freunde von Freunden“? Meinen Erkundungen zufolge bei Facebook.
2.) Im Literatur-Magazin des RBB-Inforadios hieß es am Morgen des 14.7.2013, „es ist kaum ein abenteuerlicheres Leben vorstellbar wie das von Joachim Ringelnatz“. Fragt sich – ist das selbst schon Kunst (als bei Ringelnatz), oder kann das weg?