Gatewatcher: Gesprächswert und Gesellschaft

Von Sebastian Köhler
1.) Zur Zukunft des Journalismus sagte bei der Eröffnung der Münchener Medientage im Oktober 2013 der BR-Intendant Ulrich Wilhelm (ein früherer Regierungssprecher von Angela Merkel), es solle dabei weniger um lineare Reichweiten- oder Quotenmessungen gehen als mehr um „Relevanz und Themen, die einen Gesprächswert für die Gesellschaft“ hätten (vgl. FAZ 18.10.2013, S.43). Wilhelm ermahnte vor allem die Politiker (und leider erst danach Wirtschaftsbosse wie die von Facebook und Google sowie Geheimdienstchefs), die öffentlichen Räume zu schützen und damit nicht zuletzt das Internet als Sphäre des oszillierenden Verkehrens zwischen Privatheit und Öffentlichkeit. Zu jenem Zeitpunkt dürften weder er noch wir etwas mitbekommen haben von der mutmaßlichen Handy-Überwachung selbst der deutschen Kanzlerin durch die NSA. Aber warum sollte es der Regierungschefin besser gehen als vielen Journalistinnen oder Bürgern? Dass Journalismus wiederum gerade solche öffentlich-relevanten Probleme thematisiert und vermittelt, entspricht seiner modernen öffentlichen Aufgabe. Allerdings angesichts des vielfältigen Netzverkehrs kaum noch tradiert im Sinne vom alleinbestimmenden „Gatekeeper“, sondern mittlerweile angesichts vieler Interaktivitäten und schier unendlicher Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten eher als „Gatewatcher“ und Moderator.
2.) Nachdem die deutsche Nachrichtenagentur dapd im April 2013 endgültig ihren Betrieb eingestellt hatte, ist die heutige Rolle solcher Agenturen von neuem fraglich. Yasmin Schulten-Jaspers hat das aktuelle „Geschäft mit den Nachrichten“ untersucht (http://de.ejo-online.eu/author/yasmin-schulten-jaspers, Aufruf am 24.10.2013, 14.38 Uhr). Schätzungen zufolge stammten noch 2005 wenigstens die Hälfte aller Tageszeitungsbeiträge von Agenturen, bei TV und Radio war der Anteil sogar höher. Befragte Experten (Journalisten, Verlagsmanager, Wissenschaftler) gehen klar mehrheitlich weiterhin von einer Gatekeeper-Rolle aus, vom verlässlichen Vorsortieren. Die Materialien seien aktuell, geprüft und übernehmbar. Gekürzte Redaktionen werden tendenziell noch abhängiger von Agentur-Material, da sie mit weniger Ressourcen mehr und schneller (und möglichst auch noch besseren) Output liefern sollen. Online-Experten allerdings sehen eine schwindende Bedeutung der Agenturen wegen Tendenzen der Regionalisierung und Lokalisierung ebenso wie wegen jener des Bemühens um Exklusivität. TV-und Radio-Fachleute sehen in Nachrichtenagenturen vor allem ein Korrektiv und einen Ideengeber (Themensetzer) für die dann jeweils eigene Story. Netz-Plattformen dürften allerdings eine starke Konkurrenz für die Agenturen sein und noch mehr werden: Von global bis hyperlokal, hyperaktuell, multimedial und nicht zuletzt höchstpersönliche Quellen mit Augenzeugenanspruch.
Künftig dürften gerade auf dem umkämpften deutschen Nachrichtenagenturmarkt Kundenportale für die Abonnenten der Dienste eine wichtigere Rolle spielen: Laut Studie ist von etwa 20 Prozent Agenturbeiträgen als „work-on-demand“ auszugehen, was aber auch hieße, dass rund 80 Prozent der Themen und Beiträge „Eigeninitiative“ von dpa, Reuters, AFP, AP, sid, epd, KNA, vwd etc. blieben. Etwa die Hälfte der Befragten geht im Sinne einer „Entdifferenzierung“ (weg vom spezialisierten Journalismus) davon aus, dass Agenturen bald schon ihren Hauptumsatz abseits ihres Kerngeschäftes erzielen werden, durch Tochterunternehmen und Beteiligungen nicht zuletzt in Bereichen der Auftragskommunikation (PR-Töchter etc.). Entdifferenzierungen dürfte es auch bei den Ressorts und bei der Belegschaftsstruktur geben (Kürzung der Kernbelegschaften). Qualitätskriterien blieben Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit (ist das nicht – fast – dasselbe?), während die Schnelligkeit nicht mehr so wichtig sein dürfte. Multimedialität wird in den Agenturen wachsen, ebenso der Anteil an Ratgeber-Beiträgen im Vergleich zu den tagesaktuellen. Thematisch geht es auch daher mehr in Richtung Privat-Relevantes (Soft News und Sport), während Öffentlich-Relevantes zwar mit Blick auf Politik und Wirtschaft wichtig bleiben mag, allerdings in Form der Kulturberichterstattung eher zurückgehen dürfte.
3.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Sprechen wir vom ehemaligen Römischen Reich oder vom ehemaligen Zweiten Weltkrieg? Kaum, aber immer wieder wird gerade in Ländern deutscher Zunge von der „ehemaligen DDR“ geredet und geschrieben. Als ob es eine andere gäbe. Die Briten haben für solche Bräuche die Rede-Wendung „kicking dead horses“. Das machen Gentlemen and -women natürlich nicht. Aber Medien wie die Berliner Zeitung (15.7.2013, S.24) immer mal wieder – die dänische „Olsenbande“ (in der damaligen BRD hieß sie marktschreiend „Panzerknackerbande“) und ihre Filme waren neben ihrer Heimat laut BLZ z.B. auch in Polen und Ungarn, in der Türkei oder Libyen beliebt: „Den größten Erfolg erzielten sie aber in der ehemaligen DDR“. Da es hier um die Zeit zwischen 1968 und 1981 geht, ist der Ausdruck definitiv tautologisch. Es sei denn, man formulierte per Negation der Negation im gleichen Tenor auch über die „ehemalige Olsenbande“. Aber auch dann ließe sich „ehemalig“ nicht „wegkürzen“, sondern wäre schlicht besinnungsloser Sprachgebrauch. Der nicht einmal „ein Stück weit“ einen gewissen „Sinn machen“ würde.

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