Über Sebastian Köhler

Publizistikkprofessor, TV-Producer und Online-Journalist sowie Kommunikationsberater in Berlin

Fake news – faked elections?

1.) Facebook hat sicher seine Aktie am Wahlsieg Donald Trumps. Aber meines Erachtens nicht auf so simple Weise, wie das manche Debatten über die Rolle von „fake news“ im Wahlkampf nahelegen (vgl. https://www.welt.de/wirtschaft/article159516474/Facebook-Mitarbeiter-stellen-Mark-Zuckerberg-bloss.html, Aufruf am 16.11.2016, 16.41 Uhr). Mark Zuckerberg hatte Vorwürfe aus dieser Richtung am Wochenende als „crazy“ zurückgewiesen, unter anderem mit dem Satz: „Voters make decisions based on their lived experience“. Das ist bemerkenswert, da Zuckerberg natürlich weiß, dass Medien wie Facebook wichtiger Teil von „lived experience“ sind. Was wir von Politik und Gesellschaft aktuell wissen, stammt weit überwiegend aus Medien, längst tendenziell aus dem Netz, nicht zuletzt aus sogenannten „Sozialen Netzwerken“ (ich sage lieber: Plattformen von Internetkonzeren) wie Facebook.

Scheinwelten

„Papst hat Donald Trump getroffen und eine Wahlempfehlung für ihn ausgesprochen.“ Oder: „FBI-Agent, der gegen Clinton ermittelt hat, wurde ermordet aufgefunden.“ Schlagzeilen wie diese scheinen aus Parallelwelten zu stammen. Sie stehen über komplett erfundenen Nachrichtenmeldungen, die von Pseudo-Nachrichtenseiten mit Namen wie „Denver Guardian“ oder „Libertywritersnews“ im US-Wahlkampf veröffentlicht wurden. Facebook steht nun in der Kritik, nicht genug gegen die Verbreitung gefälschter Nachrichten auf der Plattform unternommen – im Gegenteil: Viele solcher Seiten, die laut „Guardian“ als Gelddruckmaschinen oft aus Osteuropa stammen, sind überhaupt erst dank Facebook entstanden. Denn sie wurden bisher durch Facebooks „Audience Network“ an den Werbe-Einnahmen beteiligt, die der Groß-Konzern mit der Schaltung von Anzeigen neben solchen Beiträgen verdiente. Das kann man „Synergien“ nennen.

Nun aber werde man Nachrichten-Herausgeber regelmäßig prüfen. Wenige Stunden zuvor hatte auch Google angekündigt, solche fragwürdigen Seiten nicht mehr länger über die Vermittlung von Anzeigenplatz zu finanzieren. Die Konzerne dürften diese Entscheidung nicht nur aus politischen Gründen treffen. Bereits zuvor hatten diverse Werbekunden verkündet, künftig keine Werbung mehr in Medien schalten zu wollen, die extreme politische Positionen propagierten.

99 Luftballons

Laut Zuckerberg sind aber 99 Prozent der Nachrichten im Netzwerk „korrekt“. Woher weiß er das? Und wenn es so ist – warum geht er dann nicht gegen das „falsche eine Prozent“ vor?

Ich vermute, es ist Mark Zuckerberg (und den Chefetagen von Google, Apple, Amazon, Microsoft etc.) ziemlich egal, wer „unter ihm“ US-Präsident ist. Den globalen Technologiekonzernen dürfte es (leider) relativ gleichgültig sein, was „Medien- und Meinungsvielfalt“ bedeutet. Wenn von den wichtigen US-Zeitungen keine einzige die Wahlempfehlung „Trump“ aussprach, lag es nahe, dass sich dessen potentielle Wähler eben vermehrt auf Internet-Plattformen wie Facebook trafen. „Blase“ traf auf „Blase“. Und aus Sicht des Kapitals betrachtet, liegen zwischen Clinton und Trump keine Welten. Sie gab sich eher neoliberal und global orientiert, er zeigte sich bisher mehr national & kapital ausgerichtet. Doch wenn schon kurz nach der Wahl Trumps der Dow Jones-Aktienindex in New York auf ein Allzeithoch kletterte, verdeutlicht das: Noch pragmatischer als der Familien-Wirtschaftsboss und Neo-Politiker Trump sind einmal mehr – die großen Konzerne.

Alle Menschen, alle Menschen?

2.) Zur Stilkritik: „Die Menschen haben gehofft, dass Clinton gewinnt“, sagt Sonja Peteranderl, freie Auslandskorrespondentin unter anderem bei „Zeit“ und „Spiegel“, sogar noch in der Manöver-Selbstkritik mancher etablierter Medienvertreter im RBB-Radio-Medienmagazin (Radio Eins und Inforadio) am 13.11.
Nein, DIE Menschen (also alle) in dieser Absolutheit haben das offenbar nicht gehofft. Wir könnten ja sagen, „viele Menschen“. Das wäre zwar rein sprachlich und daher logisch kaum zu widerlegen, aber noch immer anscheinend weit weg von der Lebensrealität nicht weniger Menschen dort. Am besten wäre hier sicher „einige“ oder „manche“ oder „nicht wenige“.

Trump ist Trumpf?

1.) Viele etablierte Medien hier wie dort tun sich schwer mit dem Sieg von Donald Trump bei der US-Präsidentschaftswahl. Einerseits verständlich, andererseits auch Teil des Problemes, warum er überhaupt gewinnen konnte (und zwar dank des US-Wahlsystemes mit seinem besonderen Mehrheitswahlrecht sogar recht klar – wenn auch nicht mit Blick auf die absolute Stimmenanzahl). Die Wahlbeteiligung war relativ hoch, aber wir sollten nicht vergessen: Diesmal reichten gerade mal rund 60 Millionen Stimmen, um bei immerhin mehr als 200 Millionen eigentlich Wahlberechtigten zu siegen. Das ist schon eine spezielle Art von Demokratie. (Übrigens bleibt es eine spannende Frage, wie Bernard „Bernie“ Sanders gegen Trump abgeschnitten hätte – aber dagegen war ja anscheinend die elitäre Machtmaschine der demokratischen Partei strikt.)

Auf neuem Rekordniveau liegen anscheinend öffentliche und veröffentlichte Meinung weit auseinander. Das Bubble-Problem haben nicht nur „Protestwähler“ (oder „Brexit“-Befürworter oder hierzulande auch „Reichsbürger“ etc.), sondern offenbar mindestens ebenso große Medien und wichtige Umfrageinstitute.

Einige Reaktionen: Sandra Schwarte übersetzt am Morgen nach der Wahl im RBB-Inforadio einen O-Ton von Trump mit den Worten: „Wir werden die Kampagne fortsetzen, die wir losgetreten haben.“ „Losgetreten“? Solche Wortwahl ist mit Blick auf die Clinton-Kampagne kaum vorstellbar. Jeff Jarvis, Blogger-Pionier, Journalistik-Prof. und Clinton-Unterstützer, twittert: „My profession failed to inform the public about the fascist they are electing.“ „Faschist“ halte ich (auch wenn heute Jahrestag der „Reichskristallnacht“ ist) für wenig erklärungskräftig. Noch stehen nicht Hunderte Milliardäre UND Millionen Deklassierte hinter ihm und seiner Bewegung – was ja damals die Nazis in Deutschland so stark machte. Viele Trump-Kritiker (zu denen ich zähle) monieren verständlicherweise „Blödheit“ beim abgehängten älteren weißen Mann („white trash“). Aber diese Blödheit fällt erstens nicht vom Himmel, und zweitens wird es dann zur gefährlichen, ja explosiven Mischung, wenn „Blödheit von unten“ und Sozialabbau von oben zusammenkommen.
Im „Guardian“ lese ich nach Trumps Sieg: „Never has the world needed fearless independent media more – help us hold the new president to account, sort fact from fiction, amplify underrepresented voices, and understand the forces behind this divisive election“. Die beiden letzten Punkte finde ich besonders wichtig, weil sie auf lange bestehende Strukturprobleme im Journalismus hinweisen. Er ist oft zu einseitig, und er ist oft zu oberflächlich. Das sollte sich ändern. Hierzulande möglichst, bevor die AfD stärkste Partei wird. Sozial- und Umweltabbau von oben sowie Blödheit von unten sind keine Naturgesetze. Sondern sie nutzen bestimmten Interessen und damit den einen (eher wenigen) Menschen mehr und den meisten Menschen (global und intergenerationell) bestimmt weniger.

2.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Im Lehrbuch „Radio-Journalismus“ der Autoren La Roche und Buchholz wird vom Interviewer (S. 168) gefordert: „Knapp aber abwechslungsreich fragen“. Und Frank Plasbergs Talk im Ersten heißt ja schon lange „Hart aber fair“. Aber, aber: Ein Komma sollte stehen vor entgegensetzenden Konjunktionen (Bindewörtern) wie aber, sondern, allein, doch, jedoch, vielmehr. Diese Wörter machen in jener Funktion eine Gegenüberstellung deutlich, deshalb muss davor ein Komma stehen. Mancher sieht das anders, aber es ist so!

Fragen über Fragen

1.) Die Entgrenzungen zwischen Journalismus, PR und direkter Parteipolitik scheinen neue Tiefpunkte zu erreichen: „Kannte Hillary Clinton vor dem TV-Duell mit ihrem parteiinternen Kontrahenten Bernie Sanders etwa die Fragen?“, fragt zum Beispiel „WeltN24“ und fragt leider nicht, inwieweit strukturelle Probleme zu diesem an sich eher lächerlichen Phänomen führten. (https://www.welt.de/politik/ausland/article159180804/Kannte-Hillary-Clinton-vor-TV-Duellen-die-Fragen.html, Aufruf am 1.11.2016, 20.05 Uhr). Als ob ein Politikprofi wie Clinton darauf angewiesen wäre … Aber anscheinend sollte gar nichts schiefgehen.

Ich hätte da mal eine Frage für Sie ….

Die Politikanalystin und damalige CNN-Mitarbeiterin Donna Brazile soll daher Clintons Wahlkampfteam Fragen vorab zugespielt haben. Brazile ließ ihren Job bei CNN später für ihre Wahlkampfarbeit im Clinton-Team ruhen. Nun teilte CNN immerhin die Trennung von Brazile mit.

Die Plattform „Wikileaks“ hatte am Montag vertrauliche E-Mails von Parteistrategen veröffentlicht. Nach Bekanntwerden der neuen gehackten E-Mails trennte sich der Sender CNN umgehend von der prominenten Politikanalystin, die aber zugleich amtierende Parteichefin der „Demokraten“ ist (auch ihre Vorgängerin hatte wegen Vorwürfen der Parteilichkeit zugunsten Clintons zurücktreten müssen.)

Sanders außen vor

In dem Fall geht es um E-Mails, welche die damalige CNN-Mitarbeiterin Brazile an Clintons Wahlkampfchef John Podesta und andere Kampagnenmanager geschrieben hat. Sie nehmen Bezug auf eine bevorstehende TV-Debatte, die von CNN ausgerichtet wurde und wobei sich Clinton und ihr damaliger parteiinterner linker Gegner Bernhard „Bernie“ Sanders gegenüberstanden. Die Mails lassen den Schluss zu, dass Brazile der Kandidatin einen Vorteil gegenüber Sanders verschaffen wollte.

Brazile ist eines der bekanntesten Gesichter aus dem Parteiapparat der US-Demokraten. Seit Juli ist sie kommissarische Parteivorsitzende – seitdem hatte Brazile ihren Vertrag mit CNN ruhen lassen und war nicht mehr als Analystin aufgetreten.

Und wenn es Russen waren?

Die neuen Enthüllungen von Wikileaks sind Teil einer ganzen Serie, die auf interne Mails aus dem gehackten E-Mail-Konto von John Podesta beruhen. US-Geheimdienste ließen verlautbaren, man vermute, dass russische Hacker hinter den Veröffentlichungen stehen. Clinton sagte nicht, dass die Vorwürfe nicht stimmten. Sie sagte nur, sie sehe darin einen Versuch, den Wahlkampf zu ihren Lasten zu beeinflussen.

Ich bleibe dabei – es ist NICHT professionell, in derselben Sache Journalismus UND Auftragskommunikation zu betreiben. Allerdings könnte man auch sagen, das Beispiel belege, dass „der Fisch vom Kopfe her“ stinke. Dass also nicht verwirrte Lokalreporter das Hauptproblem sind, die zum Beispiel auch noch die Autohaus-Eröffnung moderieren, über die sie zugleich „berichten“. Konvergenzen mögen ein wichtiger Trend sein – aber es sollte im Sinne gesellschaftlicher Modernisierung nicht alles (wieder) „eine Soße“ werden.

We are family?

2.) „Die internationale Gemeinschaft hat Afghanistan für die kommenden vier Jahre Finanzhilfen in Höhe von 15,2 Milliarden Dollar zugesagt. Das teilte EU-Entwicklungskommissar Neven Mimica am Mittwoch zum Abschluss des zweitägigen Treffens in Brüssel mit.“ (http://www.spiegel.de/politik/ausland/afghanistan-erhaelt-weiter-15-milliarden-dollar-aufbauhilfe-a-1115358.html, Aufruf am 05.10.2016, 18:36 Uhr). Wer aber ist das, die „internationale Gemeinschaft“? Laut SPON versucht „die internationale Gemeinschaft seit 14 Jahren, die Situation in Afghanistan zu verbessern“.
Bei jener Brüsseler Konferenz waren „Vertreter von mehr als 70 Staaten und 20 internationalen Organisationen zusammengekommen“. Beispielsweise aus Deutschland, den USA und Großbritannien, nicht aber aus Russland und China. Und in der Tat scheint das meist der Fall, wenn hierzulande in wichtigen Medien von „internationaler Gemeinschaft“ oder auch „Staatengemeinschaft“ die Rede ist – gemeint sind wichtige westliche Länder, oft auch die EU- oder auch Nato-Mitglieder oder sonstige „Verbündete“. Da sich aber nicht klar bestimmen lässt, wer warum zu diesem Klub gehört, denke ich, Journalisten sollten hier anders texten („führende Vertreter wichtiger westlicher Länder“ zum Beispiel). Denn jener scheinbar so gemeinschaftliche Sprachgebrauch schließt aus, ohne dass Kriterien dafür transparent oder zumindest explizit würden.

Wer leistet (sich) hier was?

1.) Angela Merkel sprach „Google“ und „Facebook“ nicht direkt an während ihrer Rede zur Eröffnung der Medientage in München (http://www.handelsblatt.com/unternehmen/it-medien/medientage-in-muenchen-merkel-fordert-mehr-transparenz-von-internetplattformen/14739656.html., Aufruf am 26.10.2016 um 13.39 Uhr). Aber sie sagte immerhin, dass die großen Plattformen sich mit ihren Algorithmen zunehmend „zum Nadelöhr für die Vielfalt der Anbieter“ entwickelten. Dies könne erhebliche wirtschaftliche Folgen für andere Medien haben und deren Existenz bedrohen. Und in der Tat: Google und Facebook, die beiden großen Internet-Konzerne, werden seit Jahren immer wieder aufgefordert, sich nicht zuletzt an der Finanzierung von Journalismus nachhhaltig zu beteiligen.

Capitalism reloaded

Die aktuelle Einschätzung des EU-Kommissars für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft, Günther H. Oettinger (ebenfalls von der CDU), scheint klar (vgl. http://www.inforadio.de/programm/schema/sendungen/medienmagazin/201610/68277.html; Aufruf am 26.10.2016): Vor allem Google generiert Milliarden mit Inhalten europäischer Verlage. Vielen Nutzern scheint das „kostenlose“ Angebot an Snippets (Nachrichtenschnippseln) von automatisierten Aggregatoren wie eben „Google News“ zu reichen. Ein europäisches Leistungsschutzrecht soll nun laut Oettinger den Verlagen endlich garantieren, ihr angemessenes Stück vom Kuchen zu bekommen. Der Kommissar: „Kapitalismus von heute heißt: Werbestrategien von Onlineplattformen“. (Und er bedeutet, denke ich, sicher auch die darüber hinausgehende Sammlung und den Verkauf von Daten). Doch Verlage profitieren insofern bereits von Google, da viele Nutzer über die Suchergebnisse den Weg zu Inhalten auf den Verlagsplattformen (und der dortigen Werbung oder eben den Bezahlschranken) finden.
Besonders intensiv wird zur Zeit mal wieder über ein europäisches Leistungschutzrecht diskutiert, das vor allem gegenüber Google finanzielle Ansprüche geltend machen könnte, da die Suchmaschine schließlich mit Verlagsinhalten Milliarden Werbeerlöse erzielt. Das hierzulande bisher bestehende Leistungsschutzrecht funktioniert kaum. Verlage geben Google Gratislizenzen, um in den Suchmaschinenergebnissen zu bleiben. Weltweit sollen die Medienkonzerne andererseits momentan etwa 10 Milliarden Euro pro Jahr durch Google-Werbung zusätzlich in die Kassen bekommen.

Globalisierung als Problem

Ich denke, dass auch ein solches Recht als soziale Errungenschaft am ehesten international oder global durchzusetzen wäre, um weltweite Wegtauch-Bewegungen (wie bei der tradierten „Steuervermeidung“) vom „scheuen Reh“ (dem Kapital) zu verhindern. Globale Konzerne müssten meines Erachtens durch globale Politik, Kultur und Recht reguliert werden, wenn das überhaupt gelingen soll. Last but not least: Wer erbringt die Leistungen? Vor allem wir Journalisten. Wir sind die „Arbeitgeber“, die Konzerne und Leitungsebenen doch eher „Arbeitsplatzgeber“, falls wir in dieser Medienwelt von Selbständigkeit und Scheinselbständigkeit noch von „Arbeitsplätzen“ reden wollen. Diese Leistungen der Journalisten sollten Oettinger, Merkel & Co. besser schützen, zum Beispiel mit Blick auf die Mehrfach- und Endlosverwertungen unserer Leistungen oder auch hinsichtlich prekärer (werdender) Arbeitswelten. Statt dessen spricht die Kanzlerin in München darüber, dass feste Arbeitsverhältnisse für die nötige Flexibilität in der Branche doch eher hinderlich seien. Tolle Leistung!

Anti-europäisch oder EU-skeptisch?

2.) Sprachkritisch fiel mir in den Tagesthemen vom 13.10. im Beitrag zum Tod von Literaturnobelpreisträger Dario Fo folgender Satz von Korrespondent Richard C. Schneider auf: „In den letzten Jahren schloss er sich der anti-europäischen Fünf-Sterne-Bewegung an“. Das finde ich doppelt überzogen: Fo & Co. hatten die EU gemeint und insbesondere deren Politik sowie Spitzenpersonal. Und „anti-“ scheint mir auch zu schwarz-weiß gemalt und würde als schlichte und schlechte Gegenthese dem Dialektiker Fo kaum gerecht. Warum nicht einfach „EU-kritisch“ oder „EU-skeptisch“ texten? Weil es zu komplex klänge? Wäre schade und dann doch leider wieder ziemlich von oben herab geschrieben. In dem Falle nicht nur auf Fo und seine Mitstreiter hinabgeschaut.

Keineswegs wortlos

1.) Medienkritisch spannend: Texte und Texten bleiben wichtig. Angesichts der hohen Wertschätzung für Video-Beiträge sind die Ergebnisse des Meinungs- und Medienforschungsinstitutes Pew Research (Washington D.C) bemerkenswert, über welche gerade das ebenfalls renommierte Nieman Journalism Lab an der Harvard University berichtet (http://www.niemanlab.org/2016/10/younger-adults-prefer-to-get-their-news-in-text-not-video-according-to-new-data-from-pew-research/Aufruf am 12.10.2016, 13.15 Uhr). Junge Erwachsene (18 bis 29 Jahre alt) scheinen demzufolge weiter (oder wieder) Worte gegenüber Bewegtbild als Nachrichtenmedium nicht nur zu schätzen, sondern sogar zu bevorzugen:

pew_2016

Nur 38 Prozent der jungen Erwachsenen geben an, Videonachrichten zu bevorzugen. 42 Prozent hingegen sagen, sie präferierten Text (meist „natürlich“ online). Immerhin (die restlichen) 19 Prozent ziehen das Hören vor (Radio, Podcast, Audio). Bei der Gesamtbevölkerung hingegen liegt News-Video (TV, Plattformen) mit 46 Prozent vorne, aber eben auch nur mit relativer Mehrheit gegenüber Lesen und Hören. Insgesamt meines Erachtens ein neues Plädoyer für (mehr) Vielfalt bei Produktion und Nutzung von Nachrichten sowie in der professionellen (Aus-)Bildung dafür.

Terrorzugriff in LE?

2.) Sprachkritisch aktuell: Am 10.10. hieß bei n-tv im Ticker-Text (Inserteinblendung) mit Blick auf Meldungen über die Festnahme eines syrischen Verdächtigen: „Terrorzugriff in Leipzig“.

Zwei Fragen – die erste ist einfach zu beantworten: Wenn, dann meinte man sicherlich „Antiterrorzugriff in Leipzig“.

Die zweite ist komplexer: Inwiefern muss hier ständig schon von „Terror“ geredet werden? Das Wort (und sein Wortfeld) ist sehr emotionalisierend und wertend. CNN zum Beispiel schrieb von „explosive suspect“, was im Deutschen mit „Sprengstoff-Verdächtiger“ auch noch nicht sehr lang ist und den Stand der Dinge meines Erachtens besser trifft als „Terror-Verdächtiger“ oder gar „Terrorist“. Wenn Quellen aus deutscher Politik oder Polizei oder Geheimdiensten das hingegen so sagen – o.k., dann sollten wir Journalisten das aber mit Quellenangabe zitieren, wie vor 15 Jahren den vom damaligen US-Präsidenten George W. Bush erklärten „War on Terror“, also seinen „Antiterrorkrieg“.

Schmäh-Kritik und Einheits-Gegröle?

1.) Medienpolitisch wichtig dieser Tage sicher der Entscheid aus Mainz in Sachen „Schmähkritik und Böhmermann“ (vgl. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/verfahren-gegen-jan-boehmermann-eingestellt-14465948.html; Aufruf am 5.10.2016, 12.30 Uhr): Die Ermittlungen gegen den ZDF-Moderator Jan Böhmermann wegen dessen „Schmähgedichts“ über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan wurden eingestellt. Wie die Staatsanwaltschaft Mainz mitteilte, seien „strafbare Handlungen nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachzuweisen“. Der TV-Satiriker und Grimme-Preisträger Böhmermann hatte sein Gedicht „Schmähkritik“ Ende März in seiner Sendung „Neo Magazin Royale“ vorgetragen.

Ermächtigung zur Strafverfolgung

Die Staatsanwaltschaft hatte wegen Verdachts auf Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts ermittelt. Dabei ging es zum einen um den Strafantrag Erdogans wegen Beleidigung nach Paragraph 185 des Strafgesetzbuches. Zum anderen hatte die Bundesregierung ihre – durchaus umstrittene – Ermächtigung zur Strafverfolgung wegen des Vorwurfs der Beleidigung von Vertretern ausländischer Staaten nach Paragraph 103 StGB erteilt (der nun laut Regierung ja abgeschafft werden soll). Parallel dazu soll aber noch eine Privatklage Erdogans gegen Böhmermann am 2. November in Hamburg vor Gericht kommen. Dort dürfte es darum gehten, dass der türkische Präsident anscheinend erreichen will, den gesamten Text verbieten zu lassen. Auf seinen Antrag hatte das Hamburger Landgericht bereits im Mai eine einstweilige Verfügung gegen Böhmermann erlassen. Der ZDF-Moderator darf demnach den größeren Teil seines Gedichts nicht wiederholen.

Insbesondere zeigte sich die Mainzer Staatsanwaltschaft nicht sicher, ob Böhmermann Erdogan vorsätzlich beleidigt habe. Dagegen könnte nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft sprechen, dass der Beitrag als Beispiel für eine Überschreitung der Meinungsfreiheit dienen sollte.

Sodomie und Pädophilie?

Mit seinem Gedicht über Erdogan wollte Böhmermann nach eigenen Angaben den Unterschied zwischen in Deutschland erlaubter Satire und verbotener Schmähkritik aufzeigen. Der Text handelt unter anderem von Sex mit Tieren und Kinderpornografie und transportiert außerdem Klischees über Türken.

Daniel Krause, Verteidiger Jan Böhmermanns im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Mainz, kommentierte: „Die Staatsanwaltschaft hat rechtsstaatlich entschieden und jedem politischen Druck widerstanden. Das verdient Hervorhebung und Respekt.“ Der Rechtsanwalt Christian Schertz, der den Moderator in den vom türkischen Präsidenten angestrengten Zivilverfahren vertritt, kritisierte in seiner Stellungnahme Kanzlerin Merkel: „Anders als etwa die Bundeskanzlerin, die offenbar in Unkenntnis des genauen Sachverhalts ihren Regierungssprecher die satirische Nummer von Herrn Böhmermann sogleich pauschal als ‚bewusst verletzend‘ bewerten ließ, noch dazu gegenüber einer ausländischen Regierung, hat die Staatsanwaltschaft erkannt, dass man das Gedicht nicht solitär betrachten kann, sondern es in dem Gesamtkontext seiner Einbindung beurteilen muss.“

Die Bewertung der künstlerischen Arbeit Böhmermanns durch die Bundeskanzlerin stelle „nicht nur eine Kompetenzüberschreitung und eine nicht hinzunehmende Verletzung der verfassungsmäßigen Gewaltenteilung dar, sondern kam einer öffentlichen Vorverurteilung gleich, die umso schwerer wiegt, als dass sie von der türkischen Regierung als Ermutigung aufgefasst werden konnte, straf- und zivilrechtlich gegen Herrn Böhmermann vorzugehen.“

Sehr positives Echo vielerorten

Die ZDF-Spitze, die im Frühjahr meines Erachtens noch eingeknickt war vor etwaigem politischen Druck, begrüßte nun lautstark die Einstellung der Ermittlungen. „Das ist eine gute Nachricht“, erklärte Intendant Thomas Bellut. Ähnlich äußerte sich Frank Werneke, Mitglied des ZDF-Fernsehrats und stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Verdi, und ergänzte, es sei ein Fehler der Bundesregierung gewesen, dem Ersuchen der türkischen Regierung zur Strafverfolgung Böhmermanns überhaupt nachgegeben zu haben.

Der Deutsche Journalisten-Verband zeigte sich ebenfalls erfreut. Damit sei „klar, dass in Deutschland die Satirefreiheit einen höheren Stellenwert besitzt als die Ehrpusseligkeit eines Autokraten“, sagte der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall. Die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen erklärte, der Staatsanwaltschaft müsse man danken: „Im Gegensatz zur vorverurteilenden Bundeskanzlerin Merkel verteidigt sie die Kunst- und Pressefreiheit in Deutschland gegen den türkischen Präsidenten Erdogan, einen erklärten Feind der Pressefreiheit.“ Und in der Tat – die türkische Führung hatte erst dieser Tage wieder mehrere TV-Kanäle aus dem Satellitenangebot nehmen lassen, wegen mutmaßlicher Gefährdung der nationalen Sicherheit (siehe http://www.heise.de/tp/artikel/49/49581/1.html, Aufruf am 5.10.2016, 12.37 Uhr)

2.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Im RBB-Inforadio sagte am 3.10.2016 um 13.07 Uhr der live aus Dresden zugeschaltete Reporter Karsten Wolf angesichts von lautstarken und heftigen Protesten gegen Merkel, Gauck & Co. auf dem Weg zum Einheitsfeier-Gottesdienst: „Und diese Leute grölten ihre Parolen“.

Sachlich oder meinungsbetont?

Ich denke, solche Worte könnten in einem Kommentar als meinungsbetonter Darstellungsform fallen – aber kaum in einem informationsbetonten Beitrag. Voltaire (1694-1778), einer der großen Aufklärer, soll ja geäußert haben, er teile bestimmte Meinungen ganz und gar nicht, gäbe aber sogar sein Leben dafür, dass sie geäußert werden könnten. Die Redeweise „Und diese Leute grölten ihre Parolen“ hat auch mit etwaiger journalistischer Einordnung wenig zu tun – es ist eine stark abwertende Äußerung. Natürlich hat laut Artikel 5 Grundgesetz die Meinungsfreiheit auch hierzulande ihre Grenzen, nämlich in den Bestimmungen der entsprechenden Gesetze und insbesondere in den Regeln zum Schutze der Jugend sowie der persönlichen Ehre. Aber solange sich Demonstranten im Rahmen dessen bewegen, was (vielleicht gerade noch) erlaubt zu sein scheint, sollte der Berichterstatter doch versuchen, relativ sachlich zu bleiben. Und nicht zugleich „Scharfrichter“ sein wollen.
Das heißt nun, dialektisch betrachtet, überhaupt nicht, dass die Damen und Herren Petry und Meuthen, Gauland und Höcke etc. in mittlerweile gefühlt jeder Talkshow etc. gehypt werden müssten. Wir Journalisten sollten einfach professionell-distanziert mit ihnen umgehen – das heißt prinzipiell auf Augenhöhe (wie mit allen Menschen) und nicht weiterhin ziemlich von oben herab.

Drohender Austritt, drohendes Scheitern?

1.) Der Potsdamer Marik Roeder alias „Dark Viktory“ hat für sein Internet-Newsformat „BrainFed“ im Animationsstil den Publikumspreis des Grimme Online Award 2016 erhalten. Die Jury erklärte, der Mann und seine Redaktion lieferten damit für Jugendliche sehr gut aufbereitete Hintergrundinformationen zu politischen und gesellschaftlichen Ereignissen (vgl.http://www.pnn.de/potsdam/1090046/; Aufruf am 7.7.2016, 10.30 Uhr). Roeder hat auf YouTube derzeit seit seinem Aktivwerden 2009 genau 607.458 Abonnenten und 70.673.022 Aufrufe. Mit den etwa zweiwöchentlich erscheinenden Beiträgen zu „BrainFed“ von rund drei Minuten Länge erreicht er jeweils etwa 100.000 Aufrufe.
Frage aber: Ist das Journalismus? Also möglichst unabhängig von Interessen Dritter (Wirtschaft, Politik etc.)?

„BrainFed“ wird, wie auch im Abspann zu sehen ist, von der Bundeszentrale für politische Bildung unterstützt. Diese ist eine nachgeordnete Behörde des Bundesinnenministeriums. Okay, warum nicht, oder?

Ein Beispiel, das mir schnell auffiel: Im „BrainFed“-Beitrag vom 21.6. ging es um das damals gerade bevorstehende Referendum der Briten zur EU (https://www.youtube.com/watch?v=QiS0WHq7cPQ&list=PLWHmptl7dh-U1-mQNP07yCBfQ4GUQHYui&index=2, Aufruf am 7.7.2016, 10.45 Uhr).

Briten_alt

Briten_jung

Und wie das Leben so spielt: die mutmaßlichen „Brexit“-Unterstützer werden als alte, eher dumme Griesgrame dargestellt, die EU-Unterstützer hingegen als nette, ziemlich schlaue Nachwuchskräfte. Hätte Thomas de Maiziere nicht besser sagen können, geschweige denn filmisch so gut herübergebracht. Also – Journalismus oder Auftragskommunikation?

2.) Und jetzt droht hier die nächste Sprachkritik – schlimm:
„Ceta-Handelsabkommen droht zu scheitern“, titeln dieser Tage viele Medien, zum Beispiel der Weser-Kurier (http://www.weser-kurier.de/startseite_artikel,-Ceta-Handelsabkommen-droht-zu-scheitern-_arid,1412873.html, Aufruf am 7.7.2016, 10.55 Uhr). Nein, ich denke, das „droht“ nicht. Zumindest sollte es das nicht tun, in einer informationsbetonten, also objektivierenden Schlagzeile. Das Scheitern könnte bevorstehen oder wahrscheinlicher werden oder eben passieren – aber „drohen“ kaum. Es sei denn, man bewertet dieses etwaige Scheitern sehr negativ, wie einen drohenden Tsunami oder eine drohende Unwetterfront. „Drohen“ können per Definition nur ganz klar schlechte Ereignisse oder Entwicklungen. Deswegen sind solche Nachrichten-Überschriften ziemlich sicher eines: bewusste oder unbewusste Kommentare aus den Medienhäusern.

Kopf oder Zahlen

Eine Umfrage des Digitalverbandes Bitkom soll laut FAZ zeigen (vgl. http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/bitkom-umfrage-mehr-zahlungsbereitschaft-fuer-online-journalismus-14302489.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2; Aufruf am 27.6. 2016 um 13.38 Uhr): Immer mehr Menschen scheinen bereit, für Online-Journalismus zu zahlen. Auch die Onlinerecherche werde sich weiterentwickeln.

Die Zahlungsbereitschaft für journalistische Inhalte im Internet steigt laut BITKOM und FAZ (die natürlich beide auch Interesse an solchen Nachrichten haben). 36 Prozent der Internetnutzer haben laut Umfrage im vergangenen Jahr für Nachrichten oder andere journalistische Inhalte im Internet Geld ausgegeben. Zum Vergleich: Ein Jahr zuvor, 2015, waren es erst 31 Prozent. Das habe eine repräsentative Umfrage unter gut 1000 Internetnutzern ab 14 Jahren im Auftrag des Digitalverbands Bitkom ergeben. In der spezielleren Gruppe jener Internetnutzer, die Online-Nachrichten lesen, liegt der Anteil derjenigen, die für diese Geld ausgegeben haben, „sogar“ bei 48 Prozent (Vorjahr: 40 Prozent).

Dabei zahlten 22 Prozent der Internetnutzer eine monatliche Pauschale – und ein Fünftel habe im jüngsten Jahr für einzelne Artikel oder Ausgaben Geld ausgegeben (das wären dann aber in der Summe nicht nur die oben erwähnten 36 Prozent, sondern schon 42 – und da sind noch keine Quartals- oder Jahresabos erwähnt – hmmmh …vielleicht erklärbar über Mehrfachnennungen – bleibt aber nebulös).

„Ein gutes journalistisches Angebot lassen sich die Nutzer auch im Internet etwas kosten“, wird der Bitkom-Vizepräsident Achim Berg zur Vorstellung der Studienergebnisse in einer entsprechenden Mitteilung des Verbandes zitiert: „Medienunternehmen brauchen zusätzliche Erlösquellen, um die digitale Transformation vorantreiben zu können.“

Wer nicht bereit ist, für Nachrichten und ähnliche Inhalte zu bezahlen, führt vor allem die große Menge kostenloser Angebote als Grund seiner mangelnden Ausgabebereitschaft an (73 Prozent). Nur einem Drittel (32 Prozent) seien die Digitalangebote zu teuer – wobei meines Erachtens das zweite ja oft vom ersten ziemlich direkt abhängt. Nur noch 9 Prozent der Befragten hielten das Bezahlen im Internet 2016 für zu kompliziert. Im Rahmen einer Bitkom-Befragung im Jahr 2013 waren es noch 32 Prozent, seitdem ist dieser Wert kontinuierlich gesunken.

Trotz steigender Zahlungsbereitschaft haben sich Abrechnungsmodelle für journalistische Inhalte im Internet in den Verlagen aber noch nicht in der Breite durchgesetzt. Das zeigt laut FAZ eine weitere, ebenfalls repräsentative Umfrage, in diesem Fall unter den Geschäftsführern und Vorstandsmitgliedern von 148 Medienunternehmen: 41 Prozent der Anbieter journalistischer Inhalte geben an, dass sie Abrechnungsmodelle für journalistischen Content haben. 31 Prozent setzen auf das sogenannte „Freemium“-Modell, bei dem nur als besonders hochwertig eingestufte Inhalte bezahlt werden müssen. 15 Prozent haben eine Bezahlschranke („Paywall“) für alle Inhalte eingeführt. Und 7 Prozent nutzen ein Kontingentmodell, bei dem die kostenlose Nutzung mengen- oder zeitmäßig beschränkt ist.

Auf der anderen Seite sagen die restlichen 59 Prozent, dass sie sämtliche Inhalte kostenlos anbieten. 46 Prozent der Entscheider erwarteten, dass Crowdfunding immer wichtiger werde. Im Rahmen solcher Projekte wird auf Internetplattformen für journalistische Projekte Geld eingesammelt. Mit 77 Prozent erwarteten aber die weitaus meisten Unternehmen ein steigendes Gewicht digitaler Werbung als Erlösquelle.

„Online-Medien, Video-Streaming-Dienste und Internet-Radio werden in den nächsten Jahren weiter an Bedeutung gewinnen“, sagte Berg. Auf den Trend zur mobilen Nachrichtennutzung haben die Anbieter journalistischer Inhalte ebenfalls reagiert. 92 Prozent der befragten Medienunternehmen haben eine mobile Website, bei der sich die Inhalte an unterschiedliche Bildschirmgrößen anpassen. Zwei Drittel (67 Prozent) haben eine oder mehrere Smartphone-Apps im Angebot und gut die Hälfte (55 Prozent) eine Tablet-App. Ein Viertel (25 Prozent) bietet ein digitales E-Paper an, bei dem in der Regel die Zeitung als PDF-Datei zur Verfügung gestellt wird.

Die befragten Medienmanager rechnen der FAZ zufolge damit, dass sich das Berufsbild des Journalisten in den kommenden Jahren wandeln wird. So gehen 40 Prozent davon aus, dass in zehn Jahren journalistische Texte automatisch von Algorithmen erstellt werden. Schon heute kommt der sogenannte Roboter-Journalismus in einigen Redaktionen bei der Erstellung einfacher Standardtexte wie Börsenberichten, Verkehrsmeldungen oder Wettervorhersagen zum Einsatz. „Intelligente Software kann Journalisten von eintönigen Routinetätigkeiten entlasten, ihn aber nicht ersetzen“, betonte Berg. „Fundierte Analysen, investigative Recherchen oder meinungsstarke Kommentare werden auch in Zukunft Markenzeichen von Qualitätsjournalismus sein.“

Digitale Systeme eröffnen Journalisten schon heute bei der Recherche zusätzliche Möglichkeiten. Für die Zukunft gehen laut FAZ 51 Prozent der befragten Medienmanager davon aus, dass Daten-Journalisten mit Hilfe spezieller Software unbekannte Zusammenhänge aufdecken werden.

2.) Komma, komma her! Laut diesem Artikel in der FAZ (siehe http://www.xing-news.com/reader/news/articles/322442?link_position=digest&newsletter_id=14060&xng_share_origin=email, Aufruf am 23.6.2016, 11.26 Uhr) steigt also die Zahlungsbereitschaft für Online-Journalismus. Aber auch für solchen? „Eine Umfrage des Digitalverbandes Bitkom zeigt: Immer mehr Menschen sind bereit für Online-Journalismus zu zahlen.“ Der erweiterte Infinitiv mit zu darf auch online mit einem Komma vom Rest des Satzes getrennt werden – sonst kann man leicht auf den Gedanken kommen wegen der auch hier grassierenden Unübersichtlichkeit die FAZ gar nicht mehr zu benötigen.

Der Kritik Herr werden?

1.) ZDF-Intendant Dr. Thomas Bellut hat auf meine Eingabe vom Mai nun im Juni schriftlich geantwortet. Ich hatte kritisiert, dass in der Politbaromometerumfrage von drei wichtigen US-Kandidaten für die kommende Präsidentschaft Bernard „Bernie“ Sanders schlicht nicht berücksichtigt wurde. Ich monierte, dass der Sender damit meines Erachtens mal wieder eine klassische „Über-Vereinfachung“ praktiziert hatte – nach dem Motto: „Den Sanders kennt hierzulande ohnehin kaum jemand – und wir wollen unser Publikum ja nicht überfordern ….“

Ein Duell handelt wie ein Mensch ….

Bellut schreibt, er habe mit Bedauern zur Kenntnis genommen, dass ich mit „unserer Berichterstattung nicht zufrieden war“. Das trifft es leider nicht, denn das ZDF hat ja an der Stelle nicht „Bericht erstattet“, sondern mit seiner Fragestellung (durch Politbarometer-Redaktion und Forschungsgruppe Wahlen e.V.) Wirklichkeit ganz konkret selbst erschaffen – „die Deutschen sind sich hier weitgehend einig – 90 Prozent würden Hillary Clinton wählen“. Bellut argumentiert, „dass sich die US-Amerikaner am 8.11.2016 mit sehr großer Wahrscheinlichkeit“ zwischen Clinton und Trump „entscheiden werden müssen“. Das habe ich nie bezweifelt – das Problem aber liegt hier: Der Intendant meint, „somit rückt auch in Deutschland das Duell Trump/Clinton immer mehr in den medialen und öffentlichen Fokus“. Nein, dieses Duell selbst ist kein Akteur, der gleichsam naturgesetzlich diesen Weg ginge. Es sind nicht zuletzt wir Medienmacher, die mediale Realität schaffen – natürlich nicht willkürlich, aber ganz gewiss immer mit Spielräumen. Die ZDF-Mitarbeiter rückten an jener Stelle im Mai ihre einfachste Version des Wahlkampfzwischenstandes in den Fokus. Und blendeten den ziemlich überraschend ziemlich erfolgreichen Sanders leider komplett aus.

Lieber kritische Nutzer als gar keine!

Thomas Bellut bedankt sich aber immerhin höflich „für die kritische Begleitung unserer Sendungen“. Er schreibt abschließend, er freue sich, wenn ich dem Sender „auch weiterhin als interessierter und durchaus kritischer Zuschauer erhalten“ bleibe. Viel mehr darf man bei der aktuellen Verfasstheit der hiesigen öffentlich-rechtlichen Sender vermutlich nicht erwarten als offizielle Reaktion der Leitung auf sachliche Kritik. Ich hoffe und gehe davon aus, dass intern solche Anstöße durchaus differenzierter diskutiert werden. Wichtig wäre es sicher – nicht zuletzt im eigenen Interesse des ZDF.

Junge Leute wenden sich von TV-Nachrichten ab

Denn dass das deutsche Fernsehen im Bereich Nachrichten – laut aktueller Zusammenfassung des Hans-Bredow-Institutes an der Uni Hamburg mit Blick auf den Reuters Institute Digital News Survey 2016 (siehe http://www.xing-news.com/reader/news/articles/322441?link_position=digest&newsletter_id=14060&xng_share_origin=email; Aufruf am 23.6.2016 um 21.30 Uhr) – gerade bei jungen Leuten deutlich verliert, verwundert auch daher kaum. Übrigens ganz im Gegensatz zum bald 75-jährigen Politiker Sanders, der als alter weißer Mann ganz gegen vermeintliche Trends gerade bei jungen und klugen Leuten enorm punktet, nicht nur in den USA.
Die Nachrichtennutzung in der Gruppe der 18- bis 24-Jährigen Deutschen ist laut Bredow-Institut/Reuters im Vergleich zum Vorjahr mit deutlichem Abstand bei keinem Medium so stark zurückgegangen wie beim Fernsehen (-18 Prozentpunkte). Dagegen hielten sich Radio (-7 Prozentpunkte), Printmedien (-8 Prozentpunkte) und Internet (-4 Prozentpunkte) vergleichsweise stabil. Vielleicht sollte auch die ZDF-Leitung kritische Nutzer, die eben nicht nur passive „Zuschauer“ sind, doch mehr auf Augenhöhe ernstnehmen – und sich weniger von einem gewissen Sendungsbewusstsein leiten lassen. Welches (nicht nur mir zumindest) leider immer noch und immer wieder ziemlich elitär und arrogant erscheint.

Herr, gib uns Sprachfertigkeiten!

b) Sprachkritisch durch das Kaleidoskop betrachtet: Am 15.6.2016 um 9.25 Uhr sagte die RBB-Inforadio-Reporterin: „Die Mitarbeiter der Behörde hier konnten dem Ansturm nicht Herr werden.“

Auch das „Herr werden“ ist laut Bastian Sick (http://www.spiegel.de/kultur/zwiebelfisch/zwiebelfisch-wir-gedenken-dem-genitiv-a-344543.html, Aufruf am 15.6.2016, 16.25 Uhr) eine verbale Konstruktion, in der der Genitiv (noch) herrscht, aber immer häufiger vom Dativ bedrängt wird. Als die Stadt Bern drastische Maßnahmen zur Bekämpfung einer Krähenplage beschloss, schrieb eine Hamburger Boulevardzeitung: „Um dem lauten Gekrächze und all dem Dreck Herr zu werden, setzt die Stadt nun rote Laserstrahlen gegen die schwarzen Vögel ein.“ Nicht erst seitdem zerbrechen sich Genitiv-Freunde den Kopf darüber, wie man des Problems hinter dem Herrwerden noch Herr werden kann.

Zwei Seiten der Medaille „Gewalt“

1.) Fußball als Fest? Journalismus oder aber Auftragskommunikation? Während der Übertragung des EM-Spieles England gegen Russland gab es keine Gewaltszenen aus Marseille zu sehen – das Weltsignal der UEFA schloss das aus (vgl. http://www.sueddeutsche.de/sport/fussball-em-die-uefa-sendet-nur-was-der-uefa-gefaellt-1.3030154; Aufruf am 15.6.2016, 17.32 Uhr). Der ZDF-Reporter Oliver Schmidt wurde daher zum Radio-Journalisten und schilderte die Ausschreitungen auf den Rängen. Und was lehrt uns das? Jeder Medienrealität ist skeptisch zu begegnen, da sie bestenfalls objektivierend ist. Darstellungen zwischen „Gewaltverherrlichung“ und „Gewaltverleugnung“ sollten möglich sein, wenn die Realität gewalthaltig erscheint. Was mich zum nächsten Punkt führt.

Streiks versus Fußball?

Die gegenwärtigen massenhaften, ja massiven Proteste und Streiks in Frankreich (die übrigens weitgehend und millionenfach relativ friedlich abzulaufen scheinen) gegen die seitens der sozialdemokratischen Präsidentschaft und Regierung angeschobenen Veränderungen des Arbeitsrechtes finden in großen deutschen Medien kaum statt. Wenn, dann leider zusammengeschnurrt auf (man ahnt es schon) „Gewalt“ (vgl. http://www.nachdenkseiten.de/?p=33756; Aufruf am 15.6.2016, 17.51 Uhr). Und diese Sichtweise von „Gewaltverherrlichung“ erscheint mir zumindest ähnlich problematisch wie die „Gewaltverleugnung“ seitens der UEFA. Denn dort bei den Streiks geht es um Wirtschaft und Politik, also um in hohem Maße öffentlich-Relevantes. Während Fußball als „wichtigste Nebensache der Welt“ doch privat-relevant sein sollte. Was nicht unwichtig ist.

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2.) Am 13.6.2016 sagte die RBB-Inforadiomoderatorin während eines Interviews mit einem Galleristen: „Neo Rauch ist sicher der best verkaufteste Künstler hierzulande“.
Hoffentlich war das der einzigste Fehler im Text. Der doppelte Superlativ als die optimalste Lösung. Eine besondere Fallgrube dabei ist Bastian Sick zufolge (http://www.spiegel.de/kultur/zwiebelfisch/zwiebelfisch-brutalstmoeglichst-gesteigerter-superlativissimus-a-262334.html, Aufruf am 15.6.2016, 16.40 Uhr) das aus zwei Teilen, nämlich aus Adjektiv und Partizip, gebildete Attribut. Wie herrlich einfach werden da aus „weit reichenden“ Vollmachten erst weitreichendere Vollmachten und schließlich weitreichendste Vollmachten. Die korrekte Steigerung von „weit reichend“ lautet indes „weiter reichend“, „weitest reichend“. Unlängst sei, schreibt Sick, in der „Tagesschau“ zu hören gewesen, der Ärmelkanal wäre eine der „vielbefahrensten“ Seestraßen der Welt, statt „meist befahrenen“.
In Kenntnis dieser Fehlerquelle haben die Schöpfer der viel gescholtenen Rechtschreibreform Sick gemäß beschlossen, dass solche Attribute nicht mehr zusammengeschrieben werden. So wurde „weitreichend“ zu „weit reichend“, „schwerverständlich“ zu „schwer verständlich“ und „gutaussehend“ zu „gut aussehend“. Damit man nicht mehr so leicht in Versuchung gerät, den falschen Teil zu steigern. Die Regel lautet: „Ist der erste Bestandteil ein Adjektiv, das gesteigert oder erweitert werden kann, dann schreibt man getrennt.“
Dies wird manche aber nicht davon abhalten, weiterhin von höchstqualifiziertesten Bewerbern, meistbesuchtesten Messen und bestangezogensten Filmstars zu sprechen. So bejubelte ein Plattenkritiker in der „Süddeutschen Zeitung“ das neue Album eines Rap-Sängers als „eines der schnellstverkauftesten der Popgeschichte“. Oder eben bestverkauftest.