1.) Medienpolitisch wichtig dieser Tage sicher der Entscheid aus Mainz in Sachen „Schmähkritik und Böhmermann“ (vgl. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/verfahren-gegen-jan-boehmermann-eingestellt-14465948.html; Aufruf am 5.10.2016, 12.30 Uhr): Die Ermittlungen gegen den ZDF-Moderator Jan Böhmermann wegen dessen „Schmähgedichts“ über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan wurden eingestellt. Wie die Staatsanwaltschaft Mainz mitteilte, seien „strafbare Handlungen nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachzuweisen“. Der TV-Satiriker und Grimme-Preisträger Böhmermann hatte sein Gedicht „Schmähkritik“ Ende März in seiner Sendung „Neo Magazin Royale“ vorgetragen.
Ermächtigung zur Strafverfolgung
Die Staatsanwaltschaft hatte wegen Verdachts auf Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts ermittelt. Dabei ging es zum einen um den Strafantrag Erdogans wegen Beleidigung nach Paragraph 185 des Strafgesetzbuches. Zum anderen hatte die Bundesregierung ihre – durchaus umstrittene – Ermächtigung zur Strafverfolgung wegen des Vorwurfs der Beleidigung von Vertretern ausländischer Staaten nach Paragraph 103 StGB erteilt (der nun laut Regierung ja abgeschafft werden soll). Parallel dazu soll aber noch eine Privatklage Erdogans gegen Böhmermann am 2. November in Hamburg vor Gericht kommen. Dort dürfte es darum gehten, dass der türkische Präsident anscheinend erreichen will, den gesamten Text verbieten zu lassen. Auf seinen Antrag hatte das Hamburger Landgericht bereits im Mai eine einstweilige Verfügung gegen Böhmermann erlassen. Der ZDF-Moderator darf demnach den größeren Teil seines Gedichts nicht wiederholen.
Insbesondere zeigte sich die Mainzer Staatsanwaltschaft nicht sicher, ob Böhmermann Erdogan vorsätzlich beleidigt habe. Dagegen könnte nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft sprechen, dass der Beitrag als Beispiel für eine Überschreitung der Meinungsfreiheit dienen sollte.
Sodomie und Pädophilie?
Mit seinem Gedicht über Erdogan wollte Böhmermann nach eigenen Angaben den Unterschied zwischen in Deutschland erlaubter Satire und verbotener Schmähkritik aufzeigen. Der Text handelt unter anderem von Sex mit Tieren und Kinderpornografie und transportiert außerdem Klischees über Türken.
Daniel Krause, Verteidiger Jan Böhmermanns im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Mainz, kommentierte: „Die Staatsanwaltschaft hat rechtsstaatlich entschieden und jedem politischen Druck widerstanden. Das verdient Hervorhebung und Respekt.“ Der Rechtsanwalt Christian Schertz, der den Moderator in den vom türkischen Präsidenten angestrengten Zivilverfahren vertritt, kritisierte in seiner Stellungnahme Kanzlerin Merkel: „Anders als etwa die Bundeskanzlerin, die offenbar in Unkenntnis des genauen Sachverhalts ihren Regierungssprecher die satirische Nummer von Herrn Böhmermann sogleich pauschal als ‚bewusst verletzend‘ bewerten ließ, noch dazu gegenüber einer ausländischen Regierung, hat die Staatsanwaltschaft erkannt, dass man das Gedicht nicht solitär betrachten kann, sondern es in dem Gesamtkontext seiner Einbindung beurteilen muss.“
Die Bewertung der künstlerischen Arbeit Böhmermanns durch die Bundeskanzlerin stelle „nicht nur eine Kompetenzüberschreitung und eine nicht hinzunehmende Verletzung der verfassungsmäßigen Gewaltenteilung dar, sondern kam einer öffentlichen Vorverurteilung gleich, die umso schwerer wiegt, als dass sie von der türkischen Regierung als Ermutigung aufgefasst werden konnte, straf- und zivilrechtlich gegen Herrn Böhmermann vorzugehen.“
Sehr positives Echo vielerorten
Die ZDF-Spitze, die im Frühjahr meines Erachtens noch eingeknickt war vor etwaigem politischen Druck, begrüßte nun lautstark die Einstellung der Ermittlungen. „Das ist eine gute Nachricht“, erklärte Intendant Thomas Bellut. Ähnlich äußerte sich Frank Werneke, Mitglied des ZDF-Fernsehrats und stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Verdi, und ergänzte, es sei ein Fehler der Bundesregierung gewesen, dem Ersuchen der türkischen Regierung zur Strafverfolgung Böhmermanns überhaupt nachgegeben zu haben.
Der Deutsche Journalisten-Verband zeigte sich ebenfalls erfreut. Damit sei „klar, dass in Deutschland die Satirefreiheit einen höheren Stellenwert besitzt als die Ehrpusseligkeit eines Autokraten“, sagte der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall. Die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen erklärte, der Staatsanwaltschaft müsse man danken: „Im Gegensatz zur vorverurteilenden Bundeskanzlerin Merkel verteidigt sie die Kunst- und Pressefreiheit in Deutschland gegen den türkischen Präsidenten Erdogan, einen erklärten Feind der Pressefreiheit.“ Und in der Tat – die türkische Führung hatte erst dieser Tage wieder mehrere TV-Kanäle aus dem Satellitenangebot nehmen lassen, wegen mutmaßlicher Gefährdung der nationalen Sicherheit (siehe http://www.heise.de/tp/artikel/49/49581/1.html, Aufruf am 5.10.2016, 12.37 Uhr)
2.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Im RBB-Inforadio sagte am 3.10.2016 um 13.07 Uhr der live aus Dresden zugeschaltete Reporter Karsten Wolf angesichts von lautstarken und heftigen Protesten gegen Merkel, Gauck & Co. auf dem Weg zum Einheitsfeier-Gottesdienst: „Und diese Leute grölten ihre Parolen“.
Sachlich oder meinungsbetont?
Ich denke, solche Worte könnten in einem Kommentar als meinungsbetonter Darstellungsform fallen – aber kaum in einem informationsbetonten Beitrag. Voltaire (1694-1778), einer der großen Aufklärer, soll ja geäußert haben, er teile bestimmte Meinungen ganz und gar nicht, gäbe aber sogar sein Leben dafür, dass sie geäußert werden könnten. Die Redeweise „Und diese Leute grölten ihre Parolen“ hat auch mit etwaiger journalistischer Einordnung wenig zu tun – es ist eine stark abwertende Äußerung. Natürlich hat laut Artikel 5 Grundgesetz die Meinungsfreiheit auch hierzulande ihre Grenzen, nämlich in den Bestimmungen der entsprechenden Gesetze und insbesondere in den Regeln zum Schutze der Jugend sowie der persönlichen Ehre. Aber solange sich Demonstranten im Rahmen dessen bewegen, was (vielleicht gerade noch) erlaubt zu sein scheint, sollte der Berichterstatter doch versuchen, relativ sachlich zu bleiben. Und nicht zugleich „Scharfrichter“ sein wollen.
Das heißt nun, dialektisch betrachtet, überhaupt nicht, dass die Damen und Herren Petry und Meuthen, Gauland und Höcke etc. in mittlerweile gefühlt jeder Talkshow etc. gehypt werden müssten. Wir Journalisten sollten einfach professionell-distanziert mit ihnen umgehen – das heißt prinzipiell auf Augenhöhe (wie mit allen Menschen) und nicht weiterhin ziemlich von oben herab.