Wo-Nach-Richten bei Insolvenz?

1.) Vor einigen Wochen noch ein rauschendes Sommerfest in Berlin mit viel Prominenz (z.B. aus der FDP mit den Herren Genscher sowie Rösler) und daher Aufmerksamkeit – nun Anfang Oktober die Anmeldung der Insolvenz: Die Nachrichtenagentur dapd, seit Sommer 2010 selbsternannter großer Gegenspieler zur in Deutschland marktführenden dpa, zeigt sich zahlungsunfähig. Benno Stieber hat in der „taz“ darauf hingewiesen (http://www.taz.de/Nach-Insolvenz-von-dapd/!103021/ Aufruf am 10.10.2012, 12.06 Uhr), dass dies nicht für Gesellschafter und Geschäftsführer, sondern vor allem für die Beschäftigten dramatisch sei: fast 300 von über 500 Mitarbeitern sollen zunächst und direkt betroffen sein, und mindestens ebenso hart wie die Festangestellten treffe es die Freien: Die dürften jetzt zumindest für den September ohne Honorar bleiben, das ohnehin z.B. für einen Tag Gerichtsberichterstattung anfänglich nur 77 Euro und später dann etwa 100 bis 137 Euro als eine Art Aufwandsentschädigung betragen habe. Stieber, als Vorsitzender des Berufsverbandes „Freischreiber“, sieht drei Lehren für freie Journalistinnen und Journalisten: 1.) Auf möglichst mehrere Auftraggeber setzen; 2.) nicht nur journalistisch arbeiten, sondern auch in der Auftragskommunikation – freilich bei Beachtung des Trennungsgebotes: Nicht in derselben Sache z.B. PR UND journalistische Berichterstattung betreiben; und 3.) Blogger werden zum Beispiel im viel diskutierten „Hyperlokalbereich“ und sich durch Nutzer-Spenden etc. mitfinanzieren, also Aufgaben als Journalist wahrnehmen, welche die ausgedünnten Lokalredaktionen mit ihren Tendenzen zum Durchwinken von PR-Beiträgen und zur Hofberichterstattung leider immer weniger zu leisten scheinen.
2.) Warum richten sich Menschen nach den Nachrichten? Pamela Shoemaker und Toralf Brakutt weisen darauf hin (vgl. die exzellente Diplomarbeit – Brakutt, Toralf: Nachrichtenfaktor Narrationspotenzial: Eine Analyse zur Rolle des Kommunikationsmodus Storytelling bei der TV-Nachrichtenselektion am Beispiel von NDR aktuell. Diplomarbeit am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschafen der Universität Leipzig. Eingereicht im April 2012), dass Menschen in ihrer biologischen und kulturellen Evolution mehr als andere Tiere auf Information und Kommunikation angewiesen waren und sind: Es besteht stammesgeschichtlich ein Interesse an Geschehen, das vom Normalzustand abweicht und damit Ungewohntes anzeigt sowie Gefahr (oder eben mittlerweile auch oder sogar vor allem distanzierte Entspannung) bedeuten kann. Journalisten sind hierbei nur ganz besonders menschliche Menschen: Neugierig die Umgebung beobachten, solche Abweichungen erkennen und dies dann gegen Anerkennung (Ansehen, Macht, Geld oder eben als Blogger zunehmend auch im eher ästhetischen Sinne Selbst-Bestätigung durch Selbst-Betätigung) einer Gemeinschaft oder Gesellschaft zum Da-Nach-Richten mitteilen.
3.) Und hier noch etwas aus meinem Kaleidoskop zum sprachkritischen Mit-und Weiterdenken, immer im Sinne des „Entdecken wir gemeinsam die (alten, neuen) Möglichkeiten, uns möglichst vielfältig auszudrücken!“: Am 6.5. war mittags im RBB-Inforadio in einer Reportage über die Lage in Mali der Satz zu hören: „Die Tuareg-Rebellen lehrten den regulären Streitkräften das Fürchten“. Fein, dass den beteiligten Journalisten so gutes Deutsch als Standardsprache gelernt wurde – oder sollte man das vielleicht doch anders ausdrücken (können)? Obwohl der Duden da mittlerweile auch schon die „Anything- goes“-Variante als Nebenversion anbietet, sieht Bastian Sick im Zwiebelfisch die Standardsprache mit dem doppelten Akkusativ nach „lehren“ eher im Recht: Wen was lehren? Aber umgangssprachlich oder historisch betrachtet, darf hier auch schon mal (wieder) der Dativ den (oder eben: dem) Akkusativ das Fürchten lehren.

„Witwenschüttler“ auf dem Höhepunkt?

Blog vom 23.5.2012 von Sebastian Köhler
1.) Es gibt Neues von der Front der Grenzgänger zwischen Journalismus, Öffentlichkeitsarbeit und Werbung. Denn in der „Bild“ findet sich ja ohnehin laut der Studie von Arlt und Storz „Eine Marke und ihre Mägde“ eine Mischung dieser drei medialen Kommunikations-Gattungen.
Und „Bild“ scheint auch die Drehscheibe zu sein für die Karriere(-n) des Bela Anda: Der hatte bis zum Jahre 2002 als Redakteur, Chefreporter und Ressortleiter bei dem Blatt gearbeitet. Dann berief ihn im Jahre 2002 Gerhard Schröder (der sollte ja 1999 geäußert haben, dass er zum Regieren nur Bild, Bams und Glotze brauche) nach seiner Wiederwahl zum Kanzler als Regierungssprecher, was Anda bis 2005 blieb. Später wurde Anda Leiter der Unternehmenskommunikation eines großen Finanzkonzerns, der AWD-Holding. Ab 15.Mai 2012 sollte Bela Anda wieder zur „Bild“ zurückkehren und als stellvertretender Chefredakteur ressortübergreifende Aufgaben wahrnehmen (vgl. BLZ 8.5.2012, S.26). Woran wir sehen können, dass „Bild“ sich mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft befindet – fragt sich nur, in welcher Gesellschaft?
2.) Auch in anderer Hinsicht steht „Bild“ wenn schon nicht in der Mitte, so doch im Mittelpunkt: Erstmals erhielten Mitarbeiter des Blattes den renommiertesten Journalistenpreis hierzulande in einer der Königskategorien, den Henri-Nannen-Preis für den besten investigativen Journalismus (siehe http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/116081-henri-nannen-preis-2012-hans-leyendecker-lehnt-auszeichnung-ab.html). Den Preis, aufgrund eines Jury-Patts geteilt mit einem Recherche-Team der „SZ“ für eine ganz andere Aufdeckung (wobei den dann namentlich Hans Leyendecker demonstrativ nicht annahm), gab es für Nikolaus Harbusch und Martin Heidemanns, die den Auslöser veröffentlichten, nach dem dann die Kreditaffäre um den damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff aufgedeckt wurde. Der Kern des Disputes für einen an gesellschaftlicher Demokratisierung beteiligten Journalismus liegt darin, ob es bei einem solchen Preis 1.) um die reine Recherche-Leistung gehe oder 2.) um die konkrete Wirkung der Publikation oder aber 3.) um den Gesamtkontext des Mediums. Doch wenn Jury-Mitglied Ines Pohl von der taz ihre Ablehnung gegenüber Bild als Blatt der „Witwenschüttler“ kundtut, hat sie natürlich einerseits ganz einfach Recht, aber andererseits anscheinend nicht begriffen, dass Bild eben schon immer (s.o.) zumindest eine Melange aus (Boulevard-)Journalismus, PR in eigener und fremder Sache und aus Werbung ist. Und wenn sich dort die Gesellschaft dieser Tage in ihrer Mitte trifft, dann mag sich das freilich treffen mit dem wertvollsten Journalisten-Preis hier und jetzt.
3.) Im ZDF-Teletext stand am Sonntagabend, 6.5., die Schlagzeile: “Griechenland-Wahl: Euro-Sparkurs gefährdet”.  Abgesehen von der Problematik des Wortes “Sparen” als positiv besetztes scheint mir die gebotene Neutralität hier vor allem durch ein anderes Wort gefährdet. Denn gibt eine Gefahr, der wir auch nur gleichgültig, geschweige denn sogar positiv gestimmt gegenüberstehen können? Ich fürchte (sic!): Nein. Doch die Problematik von scheinbar objektiven Sorgen und Befürchtungen grassiert: Bei Reuters hieß es am 15. 5: „In Griechenland ist am Dienstag nach Angaben des Präsidialamts auch der letzte Versuch zur Regierungsbildung gescheitert. Damit steht das hochverschuldete Euro-Land vor Neuwahlen. Es wird befürchtet, dass daraus die Gegner der Sparauflagen von EU und IWF noch stärker hervorgehen könnten. Damit wachsen die Sorgen, dass das Land auf dem direkten Weg in den Bankrott ist und die Euro-Zone verlässt.“ Fragen eines lesenden Zeilen-Arbeiters: Wer befürchtet das? Und wessen Sorgen wachsen? Nur, falls wir keine anderen Sorgen haben …

Kaltblütig oder blindwütig?

Mein Aktuelle-Stunde-Thema dieser Tage wäre „Bild“ und deren offenbar geplante 60.-Geburtstags-Ausgabe am 23. Juni dieses Jahres, die werbefinanziert bei den über 40 Millionen Haushalten in Deutschland im Briefkasten landen soll – „kostenlos“ für die Nutzer. Ich schreibe „Bild“ und nicht „Bild-Zeitung“, weil es gute Gründe gibt (wie z.B. Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz in ihrer Studie im Auftrag der IG-Metall-nahen Otto-Brenner-Stiftung darlegen, siehe http://www.bild-studie.de/, Aufruf am 18.4., 12.30 Uhr), die Drucksache aus dem Springer-Verlag für eine zu halten, die verschiedene mediale Kommunikationsmodi nutzt, darunter (gelegentlich) auch den journalistischen. „Bild“ ist mit einer verkauften Auflage von rund 2,7 Mio. Exemplaren täglich und einer Reichweite von etwa 12,5 Mio. Lesern weiterhin das „Leitmedium“ der Deutschen – weder Tagesschau noch Dieter Bohlen oder auch Bayern München am gestrigen Tage (mit einer Reichweite von immerhin 11,5 Mio. bei Sat.1) kommen da heran. Aber wir können auch anders:
Vor zehn Tagen habe ich bei der Kampagnen-Plattform „Campact“ eine Aktion unterzeichnet, die den Springer-Verlag auffordert, das Blatt nicht in den persönlichen Briefkasten zu stecken. Da waren es erst ein paar Tausend Unterzeichner, jetzt gerade (18.4., 14 Uhr) sind es bereits fast 150.000 Menschen, die eine der größten Werbe- und PR-Maßnahmen der bundesdeutschen Mediengeschichte aktiv ablehnen. Soviel wegen der Transparenz zu meinem Hintergrund in diesem Zusammenhang.
Ein Sprecher von Campact erklärte (BLZ, 17.4., S.26), die Größenordnung der Nein-Sager dürfte den Springer-Verlag bei der Zustellung vor ernsthafte logistische Probleme stellen. Das Projekt selbst geht Medienberichten zufolge auf Bild-Chefredakteur Kai Diekmanns Initiative zurück. Ein Sprecher des Konzerns sagte: „Im Erscheinungsfall würden wir selbstverständlich alle Widersprüche beachten.“ Auch dazu mögen sich alle kompetenten Mediennutzer hierzulande bitte selbst ihre Meinung bilden – das „selbst“ ist an der Stelle nicht selbstverständlich, da sich ja doch mancher einbildet, „Bild“ bilde – mehr als nur die eigenen Vorurteile ab und bilde auch mehr als vor allem ein erfolgreiches Geschäftsmodell mit ganz verschiedenen medialen Kommunikationsmodi – siehe oben.
2.) Im sehr bemerkenswerten Buch „Newspeak in the 21st Century“ (erschienen 2009 bei Pluto Press in London und New York“, siehe hier Seite 84) haben die Autoren David Edwards und David Cromwell vom seit 2001 tätigen journalismuskritischen Netzwerk „Media Lens“ (www.medialens.org) ein treffendes Zitat des Journalisten Hannen Swaffer aus dem Jahre 1928 ausgegraben, zum Nach- und Weiterdenken über das Thema Medienfreiheit in demokratisch verfassten und kapitalistisch funktionierenden Gesellschaften: „Freedom of the Press in Britain means freedom to print such of the proprietor´s prejudices as the advertisers don`t object to.“
Zur Objektivitätsproblematik finden sich a.a.O., S.239, folgende Argumente, die für Transparenz, Außenreferenz und Perspektivenwechsel als Mittel zur Objektivierung sprechen: Laut US-Historiker Howard Zinn steht hinter jedem präsentierten Fakt eine auswählende Beurteilung, gerade diesen Fakt darzustellen – was zugleich heißt, viele andere mögliche Fakten nicht darzustellen. Jede dieser Beurteilung beruht Zinn zufolge auf dem Glauben und den Werten des Journalisten oder auch des Historikers, wie sehr diese sich auch immer der „Objektivität“ verpflichtet vorgeben. Laut dem US-Psychologen Jonathan Bargh ist dieses Auswählen ganz und gar menschlich – selbst Geräusche, Gerüche oder Bilder seien keine einfachen, objektiven Wahrnehmungen: „“There´s nothing that´s neutral. We have yet to find something the mind regards with complete impartiality, without at least a mild judgement of liking or disliking“.
David Edwards und David Cromwell entwickeln im Aufgreifen von Theorien und Praxen solcher Journalisten wie John Pilger oder solcher Medienkritiker wie Noam Chomsky ihren Ansatz für einen bewusst mitfühlenden Journalismus (a.a.O., S.240ff.). Laut US-Historiker Howard Zinn kann man auf einem fahrenden Zug nicht neutral sein. Das bedeutet für Edwards und Cromwell, erstens Mitgefühl zu entwickeln gegen Ignoranz, Gier und Hass. Zweitens sollten Journalisten sich bemühen „to identify the real causes of human and animal suffering with as much honesty as we are capable“. Das heißt Edwards und Cromwell zufolge, sich drittens der Ursache für unehrlichen, destruktiven Journalismus zu entledigen – des selbst-süchtigen Vor-Urteiles. Alles Leben, alles Glück und alles Lebensglück sei von prinzipiell gleichem Wert, was der mitfühlende Journalist nicht nur glaube, sondern auch fühle. Das Problem ist den beiden Autoren zufolge nicht die stets unvermeidliche Subjektivität, zu der man vielmehr bewusst stehen solle. Das Problem liege in den systematischen und strukturellen Verzerrungen dieser Subjektivität durch die Brenngläser des selbst-süchtigen Geizes und Hasses. Daher sei mitfühlender Journalismus auch ehrlicher Journalismus: Verpflichtet der Wohlfahrt der Anderen, der Sorge um alle. Die Grundannahme dieses Paradigmas lautet im Gegensatz zum common sense des „Friss, oder werde gefressen“: Allgemeines Mitgefühl ermögliche größtmögliche Vorteile für alle.
3.) Und nun zum sprachkritischen Kaleidoskop: Im RBB-Inforadio hieß es am 13.3. nach der Tötung von 16 afghanischen Zivilisten durch US-Militär, dort habe ein „kaltblütiger Amoklauf“ stattgefunden. Laut Duden online bedeutet Amok laufen, „in einem Zustand krankhafter Verwirrung [mit einer Waffe] umherlaufen und blindwütig töten“ (Aufruf am 21.3.2012, 14.06 Uhr). Das kann dann aber kaum kaltblütig passieren. Anderererseits sollten Journalisten zumindest im informationsbetonten Bereich doch eher „kaltblütig“ als „blindwütig“ agieren.
4.) Im sprachkritischen Kaleidoskop darf auch gerne mal gelobt werden – Moderatorin Marietta Slomka versprach im „heute journal“ vom 9.4.2012: „Vieles sonst noch Wichtige zum Syrienkonflikt finden Sie auf heute.de.“ Das klingt und ist doch viel besser, als viel zu oft die unsinnige, aber marktgängige All-Aussage zu hören: „Alles Wichtige dazu finden Sie dort und dort“.

Wider das Interview als bloße Marketingstrategie: Denken und Sprechen gemeinsam

1.) Der Publizist Axel Brüggemann fordert, das Interview als journalistische Darstellungsform wiederzubeleben, es seinem etymologischen Rahmen von „Zwischenblick“ von Neuem entsprechen zu lassen (vgl. Freitag 51/52/2011, S.2). Im Interview müssten Recherche und gelingendes Miteinander im offenen Augenblick zusammenkommen. Denn es sei „öffentliches Denken im Prozess“. Interviews lebten davon, dass gleichberechtigte Personen, meist zwei, an einem Ort zur selben Zeit gemeinsam einen Text schrieben. Gute Argumente entstünden am ehesten, wenn sie am Gegenüber wachsen, infrage gestellt und gemeinsam weiter entwickelt würden, als nachvollziehbares Denken und Sprechen. Das lässt sich an Gesprächspartnern wie Voltaire und Friedrich II., Goethe und Eckermann, Marx und Engels oder auch Heidegger und Hannah Ahrendt erkennen. Das Interview sei aber in wichtigen Bereichen heutzutage verkommen: Es sinke nicht nur in vielen TV-Talkshows ab zum Plausch als Marketingstrategie, zum Win-Win-Geschäft der Gesprächspartner – die Nutzer werden kaum als Mitdenker samt Mitspracherecht verstanden, sondern als Endverbraucher, als Käufer oder Wähler. Dagegen bleibe das Interview zu rekultivieren: mit gründlicher Vorbereitung, guten Fragen, Zuhören, weiterem Infragestellen, um mit Freund und Feind gemeinsam neu denken und reden zu können.

2.) „What’s the matter with the Internet?“, fragte schon in den 90er-Jahren der US-Historiker und -Philosoph Mark Poster in sozial-kritischer Perspektive, und auch ich habe mich in Anlehnung daran in „Netze – Verkehren – Öffentlichkeiten“ (2001) damit auseinandergesetzt, inwieweit das Netz der Netze – trotz Kolonialisierungen durch markt- und machtstarke Akteure – anhand seiner kulturell-technischen Potentiale und auch bestimmter empirischer Tendenzen dazu führen kann, zumindest zweierlei zu verändern (wie es Mark Poster sagte), nämlich: „transforming both contemporary social practices and the way we see the world and ourselves“. Mittlerweile weicht in Theorie und Praxis mancher Optimismus mehr einem bestimmten Pragmatismus, so auch beim Philosophen Byung-Chul Han, in Südkorea aufgewachsen und nun Professor für Medientheorie an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe (vgl. Freitag, Nr. 1/2012, S.15). Anhand des Beispieles, dass auf „Facebook“ nur Zustimmung möglich ist („Gefällt mir“-Button), erklärt Han, die heutige Gesellschaft sei von einem „Übermaß an Positivität“ geprägt. Denn „negative Gefühle sind offenbar hinderlich für die Beschleunigung des Prozesses“. Negativität hingegen verlangsame, verhindere „die Kettenreaktion des Gleichen“. Han unterscheidet eine sich immer mehr ausbreitende „Hyperkulturalität“ ohne jeden Abstand (ohne Schwellen und Übergänge und stattdessen mit totaler Mobilität einschließlich Promiskuität) von Inter- oder Multikulturalität, denen weiterhin die Negativität kultureller Spannungen innewohne. So sieht er, ähnlich wie seinerzeit Jean Baudrillard die Wirklichkeit in einer Hyperrealität verschwinden sah, die Kulturen in einer Hyperkultur verschwinden.
Zwei Grundtendenzen beobachtet Han: eine ausgestellte Freundlichkeit (2006) und zugleich eine die gesamte Gesellschaft erfassende Müdigkeit (2010). Bezogen auf soziale Netzwerke wie Facebook sieht der Philosoph die panoptische Tendenz des Internets (alles kann gesehen werden) noch einmal verschärft: Alle Nutzer seien hier tendenziell sowohl dem panoptischen Blick (und damit nicht zuletzt machtvoller Kontrolle) ausgesetzt als auch „der kapitalistischen Verwertungsmaschinerie“. Kontrolle erfolge hier nicht wie in Disziplinargesellschaften durch Isolierung, sondern durch Vernetzung. Die Nutzer wähnten sich frei, was aber vor allem Gewalt zur Selbstausbeutung hervorbringe – Exzesse von Entgrenzung und Enthüllung bis hin zur pornografischen Nacktheit: „Der Neoliberalismus hat die Individuen zu Mikro-Unternehmern gemacht“, zwischen denen vor allem Geschäftsbeziehungen stattfänden, die einen Profit versprächen. Auch die Freundschaftsbeziehungen bei Facebook sind so im Wesentlichen nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck, vermarktet zu werden. Oder wie es Han sagt: „In ökonomischer Hinsicht ist Facebook ein Raum der Ausbeutung“. Das Paradox sieht er darin, dass sich Nutzer im Panoptikum so frei wie noch nie fühlten. Denn die „List des Systems“ bestehe darin, gerade das zum Verschwinden zu bringen, wogegen Menschen sich noch konkret empören könnten. Allerdings hat auch Han keinen gesellschaftlichen Gegenentwurf, der gemeinschaftliche und individuelle Ebenen einschlösse, sondern ihm scheint „eine Gemeinschaft“ der (echten) Freundlichkeit vorzuschweben, die des Anderen und der Anderen bedarf und zugleich ohne Verwandtschaft oder gemeinsame Zugehörigkeit, ohne „Gruppendruck“ auskommen soll.

3.) Und noch etwas aktuelle Sprachkritik aus meinem Kaleidoskop: Im ZDF-Morgenmagazin am 22.3.2012 um 7:02 Uhr lautete der Text einer Studiomeldung: „Bei Schlecker stehen 11.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel.“ Solch spielerisches Herangehen mag sich nicht jedem erschließen – für die Beschäftigten dürfte es kaum ein Spiel sein, da ein solches zumeist ohne weitergehenden „ernsten“ Zweck dem Vergnügen dienen soll und allein aus Freude an seiner Ausübung betrieben wird. „ … sind in Gefahr“ wäre auch noch nicht sehr sachlich, käme aber der Sache näher. Was wäre die beste Lösung dieses „Spieles“, da es ja nicht nur um ein Sprachspiel geht?

Alter Wein in neuen Gefäßen?

Blog vom 26.2.2012:

Zur phrasenhaften Konjunktur aktueller PR- oder Propaganda-Floskeln

Von Sebastian Köhler

Man kann die anhaltenden krisenhaften Prozesse in der politischen Ökonomie Europas als Finanzkrise oder weitergehend als Wirtschaftskrise bezeichnen. Meistens werden sie aber als Schulden- oder Staatsschuldenkrise benannt, oder eben als „Griechenkrise“, womit vor allem die Schuldfrage geklärt scheint. Immer wieder tauchen hier im deutschen Journalismus drei Redewendungen auf, die vorgeben, objektivierend zu beschreiben. Aber wir könnten auch anders:
1.) Die Griechen müssten endlich die jeweils neueste Fassung von „Sparprogramm“ um- und durchsetzen (zum Beispiel: „Parlament billigt Sparprogramm“, In: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/europas-schuldenkrise/griechenland-parlament-billigt-sparprogramm-11647542.html, Aufruf am 26.2.2012, 12.00 Uhr). „Sparen“ ist etwas intuitiv Gutes, etwas im Massenbewusstsein positiv Besetztes – Kinder bekommen es gelehrt, sie sollen es für ihr Leben lernen. Der Alltagsgebrauch legt nahe, etwas derzeit eher Nicht-Notwendiges beiseite zu legen, um sich später etwas Größeres, Wichtiges leisten zu können. Bei Wikipedia heißt es genau in diesem Sinne: „Sparen ist das Zurücklegen momentan freier Mittel zur späteren Verwendung. Häufig wird durch wiederholte Rücklage über längere Zeit ein Betrag aufsummiert, der dann für eine größere Anschaffung verwendet werden kann.“ In: http://de.wikipedia.org/wiki/Sparen, Aufruf am 26.2.2012, 12.08 Uhr). Selbst bei nur kurzer Reflexion dessen, was in Griechenland in der Sache passiert (oder passieren soll), wird klar, dass es keineswegs um diese „guten“ Aspekte des Sparens geht. Hier wird sozial umverteilt, und vom „Ersparten“ dürften die „Sparer“ kaum irgendetwas haben. Viel sachlicher ist es, statt dessen von Sozialkürzungs- oder Massensteuer-Erhöhungsprogrammen zu reden. Wenn sich manche Journalisten nicht das Denken und die Distanzierung in alle Richtungen „sparen“ würden.
2.) „Rettungsschirme“ (siehe u.a. im Focus „Euro-Rettungsschirm: Abgeordneter fordert Ende der Griechenland-Hilfen“; In: http://www.focus.de/politik/weitere-meldungen/euro-rettungsschirm-abgeordneter-fordert-ende-der-griechenland-hilfen_aid_717241.html, Aufruf am 26.2.2012, 12.52 Uhr) klingen doppelt gut: „Retten“ ist etwas Großartiges, sehr Menschliches, und „Schirme“ schützen vor vielen Gefahren – Absturz, Regen, Sonnenbrand. Aber warum heißen die Milliarden-Summen, die EU, IWF und Europäische Zentralbank auch aus unser aller Steuergeldern dafür bereitstellen, dass die Gläubiger der griechischen Staatsschulden (z.B. ausländische Banken und Versicherungen) hinreichend bedient werden, nicht einfach und sachlich zum Beispiel „Milliarden-Summen“? Sondern werden – in direkter Übernahme der Pressemitteilungssprache von EU, IWF und EZB – als „Rettungsschirme“ auch journalistisch verkauft ? Rette sich, wer kann, vor solchen schlichten „Copy-and-Paste“-Medien.
3.) Mit den „Rettungsschirmen“ landen wir auch gleich auf der nächsten Samariterbasis, bei den allgegenwärtigen „Hilfspaketen“ (siehe Welt online: „Das Griechen-Hilfspaket birgt etliche Fallstricke“; In: http://www.welt.de/wirtschaft/article13888187/Das-Griechen-Hilfspaket-birgt-etliche-Fallstricke.html, Aufruf vom 26.2.2012, 13.10 Uhr). Die erscheinen ja – sofern hier eine Steigerung möglich ist – fast noch sympathischer als die beiden erwähnten Sprechblasen. Da schwingt ganz vorne „Schenken und Gutes tun“ mit, und genau das ist auch der erste Treffer bei einer Google-Suche nach „Hilfspaket“ (Aufruf am 26.2.2012, 13.23 Uhr: http://www.google.de/#hl=de&sclient=psy-ab&q=hilfspaket&pbx=1&oq=hilfspaket&aq=f&aqi=g4&aql=&gs_sm=3&gs_upl=1012l4756l0l5404l10l7l0l3l3l2l1149l3654l0.2.1.1.0.1.0.2l10l0&bav=on.2,or.r_gc.r_pw.r_qf.,cf.osb&fp=35a09eb17a7bb46f&biw=1467&bih=696). „Helfen“ ist mindestens so fein wie „Sparen“ und „Retten“, und „Pakete“ haben im Deutschen, u.a. als Care-Pakete oder West-Pakete, eine ziemlich tadellose umgangssprachliche Wortgeschichte. Doch warum wird auch hier kaum bloß von Milliardensummen oder auch nüchtern von Stabilisierungsmaßnahmen geredet? Soll bei solchen zusammengesetzten Termini „doppelt gut“ besser halten, weil die entsprechenden „marktkonformen“ (Angela Merkel im September 2011; vgl. http://www.nachdenkseiten.de/?p=10611, Aufruf vom 26.2.2012, 13.47 Uhr) Politiken sowohl der Mehrheit der Griechen als auch nicht gerade kleinen Schichten in Deutschland und anderswo sonst noch schwerer zu vermitteln wären? Ohne die Hilfe von derart bedeutungsschweren, aber eben einseitig belasteten Sprach-Paketen?

Hinschmeißen oder Klebenbleiben?

Blog vom 25.1.2012:

1.) Es gibt nicht nur schlechte Nachrichten von den Nachrichtenagenturen: Die Agenturgruppe dapd, hervorgegangen aus ddp und dem deutschen Dienst von AP, hat 2011 nach eigenen Angaben (vgl. http://kress.de/mail/tagesdienst/detail/beitrag/114287-gute-vorsaetze-fuer-2012-dapd-will-50-mio-euro-umsatz-machen.html; Aufruf am 25.1.2012, 21.50 Uhr) ihren Umsatz gegenüber dem Vorjahr um fast ein Drittel auf 31,7 Mio Euro gesteigert (2010: 24,1 Mio). Die Gesellschaft sei zudem seit 2008 profitabel und vollkommen schuldenfrei, erklärte dapd weiter. Für 2012 plane der Vorstand einen Umsatz von 50 Mio Euro. Laut dapd stieg der Umsatz aller Geschäftsbereiche. Die Gewinne seien parallel mit der Gesamtentwicklung gestiegen, heißt es ohne detailliertere Angaben in einer dapd-Mitteilung. Die Gesellschafter wollten sämtliche Gewinne reinvestieren.  Die Zahl der Mitarbeiter wuchs demzufolge von 2009 bis Ende 2011 von 269 auf 515. Die dapd-Gesellschafter Peter Löw und Martin Vorderwülbecke wollen die Agentur durch Zukäufe und neue Dienste noch mehr als bisher schon zu einer dpa-Alternative machen. Wichtigster Schritt bei ihrer Expansion in Deutschland war die Übernahme des hiesigen AP-Dienstes im Dezember 2009. Im April 2011 startete dapd auch einen Sportdienst. Es scheint also Bewegung und in mancher Hinsicht immer noch Luft nach oben im so eng umkämpften deutschen Markt der Nachrichtenagenturen – kaum ein anderer Markt auf der Erde weist solch eine dichte an renommierten Konkurrenten auf: AP, Reuters, AFP, dpa, dapd, sid, epd, KNA, vwd etc.
2.) In der Süddeutschen Zeitung stand auf Seite 1 am 21.1. die Überschrift: „Ethikkommission für Atommüll“. Eine zumindest missverständliche Äußerung, denn diese Ethikkommission gibt es noch gar nicht – sie soll erst eingerichtet werden. Ob sie dann für oder gegen Atommüll ist, sollte offen sein – zumindest wäre jedenfalls sie eine zum (Thema) Atommüll.
3.) Im ZDF-Morgenmagazin moderierte am 23.1. Wulf Schmiese einen Beitrag zum Thema „Wulff“ an mit den Worten: „Schmeißt er hin, oder hält er durch?“. Er hätte natürlich genauso schlecht sagen können: „Tritt er zurück, oder klebt er weiter an seinem Stuhl?“. Hat Schmiese aber nicht – warum wohl?

Journalismus-to-go: Wer oder was muss gehen?

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> Blog vom 11.1. „Journalismus-to-go“: Wer oder was muss gehen?
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> 1.
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> Die Wendung „Journalismus-to-go“ fand ich dieser Tage beim Schriftsteller und Satiriker Wiglaf Droste (http://www.herrenzimmer.de/2012/01/09/geiselhaft/., Aufruf 11.1.2012, 14.45 Uhr). Droste fiel auf, dass bei „Spiegel online“ davon die Rede war, Bundespräsident Christian Wulff habe sowohl „sein Land“ als auch „die Öffentlichkeit“ in „Geiselhaft“ genommen durch sein Lavieren in der Kredit- und Medienaffäre. Der Befund des Kritikers dagegen: die Kollegen seien „schwatzhaft“, wenn sie so von „Geiselhaft“ reden – gleichsam durch den Wulff gedreht: „Ist es nicht immer wieder erstaunlich, mit welchem Weihrauch im Ton Journalisten das Ausfüllenkönnen von Bewirtungsquittungen schon für Schreiben ausgeben?“ Neben der journalistikwissenschaftlichen Bestimmung von „Journalismus-to-go“ als durch raum-zeitliche Entkoppelungen per Internet und Mobilkommunikation geprägtem (siehe bei den Kollegen Neuberger oder Kretzschmar u.a. unter http://www.zeppelin-university.de/deutsch/lehrstuehle/Bilandzic/Publikationen_vorZU_Kretzschmar_eb.pdf, Aufruf 11.1.2012, 14.55 Uhr) kann ich dem Terminus hier mindestens drei neue Seiten abgewinnen: Solcher Journalismus wird wie der entsprechende Café schnell produziert und soll leicht konsumierbar sein. Er kann dazu beitragen, Leute hoch- oder runterzujazzen, auch zum Gehen oder eben Rücktritt zu zwingen. Und er mag bei kritischen Nutzern wie Droste bewirken, dass die sich abwenden – einfach weggehen. Ganz schön viel herauszulesen aus solchem Kaffee-Satz.
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> Was „Bild“ angeht (von der kluge Köpfe wie Wolfgang Storz und Hans-Jürgen Arlt mit guten empirischen und theoretischen Gründen schreiben – siehe http://www.otto-brenner-shop.de/publikationen/obs-arbeitshefte/shop/drucksache-bild-eine-marke-und-ihre-maegde-ah-67.html, Aufruf 11.1.2012, 21.04 Uhr -, dass es dort gar nicht um Journalismus gehe, sondern mittlerweile praktisch ausschließlich um Kampagnen von Öffentlichkeitsarbeit, Werbung und Marketing), ist es schon verblüffend, wie wenig der oberste Gralshüter der Pressefreiheit hierzulande, Kai Diekmann, gefragt wird, warum er das Thema „Anruf des bösen Wulff“ nicht zeitnah Mitte Dezember selbst und unzensiert publik machte. Die Medienjournalistin Ulrike Simon schreibt (BLZ 11.1.2012, S.26): „Nun steht Bild als Blatt da (…), mit dem sich andere Medien solidarisieren. Dieser Wert ist höher zu schätzen als jede Werbung, jede Auflagensteigerung, jedes Plus bei Online-Visits und jeder Aufstieg auf Platz irgendwelcher Rankings über die meistzitierten Medien. Wer Kai Diekmann kennt, weiß, wie spitzbübisch er sich darüber freuen kann.“ Und die Werbung könnte Christian Wulff hinterher rufen – „BILD dir ein, du wärest Bundespräsident“.
> 3.
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> Facebook dreht weiter auf und damit dem einstigen Marktführer „VZ“ hierzulande weiter das Wasser ab: Die US-basierte Kommunikationsplattform des Mark Zuckerberg (http://kress.de/mail/tagesdienst/detail/beitrag/114064-featured-stories-facebook-platziert-werbung-im-newsfeed.html, Aufruf 11.1.2012, 21.19 Uhr) führt Werbung im Newsfeed, dem Hauptnachrichtenstrom der Nutzer, ein. Die Werbemeldungen sollen „Featured Stories“ heißen und nicht wie geplant „Sponsored Stories“, womit vermutlich noch mehr Nähe zum Journalismus simuliert werden soll. Anders als bei traditioneller Werbung dürfte der Inhalt der „Featured Stories“ nicht einfach aus einer vom werbenden Unternehmen formulierten Botschaft bestehen, sondern aus „Interaktionen“ von „Freunden“ mit dem jeweiligen Unternehmen. Solche „Featured Stories“ können Unternehmen, Organisationen oder Personen buchen. Laut Facebook sollen die meisten Nutzer nur eine Werbemeldung pro Tag in ihrem Newsfeed sehen. Ganz abschalten lässt sich laut Mediendienst „kress“ die Werbung nicht, jedoch können Nutzer einzelne Beiträge ausblenden. Man muss es eben mögen oder „liken“, dass der reine Adressen- und Datenverkauf anscheinend nicht ausreicht als Geschäftsmodell.
> 4.
>
> Und noch eine sprachkritische Fußnote zu „Dancing with Wulffs“, im Text von Reuters am 10.1.: „Die Diskussion über Bundespräsident Christian Wulff hat dem Staatsoberhaupt einer Umfrage zufolge in den vergangenen Tagen in der Bevölkerung Zustimmung gekostet“. Da schien mir ein schwerwiegender Fehler enthalten – wir diskutierten in der Redaktion anhand von Duden, Bertelsmann und Spellcheck. Ich erinnerte mich dann schließlich des Hamlet-Satzes von William Shakespeare (oder seinem Ghost-Writer): „Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als Eure Schulweisheit sich träumen lässt“. Denn was vor einigen Jahren noch klar falsch gewesen sein mag, ist heute zumindest auch richtig. Das dürfte auch Christian Wulff oder Kai Diekmann trösten, sofern sie „Trost-to-go“ nötig haben.
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Zu unbedarft oder zu vertraut?

Blog vom 3.1.2012 von Sebastian Köhler, HMKW Berlin
Zu unbedarft oder zu vertraut?
1.) Dass die Debatten um die Affären von Bundespräsident Christian Wulff nun auch ausdrücklich pressefreiheitliche Streitpunkte erhalten, überrascht nicht. Überraschen mag, dass die mutmaßlichen Droh- und Verhinderungs- und Abwehr-Kommunikationen zwischen Wulff und den hohen sowie höchsten Vertretern des Hauses Springer erst jetzt, Wochen später und damit nach der vermeintlichen Feiertagspause, durchzusickern beginnen. Wenn der Bundespräsident sich mit Vokabeln wie „Krieg“ oder „endgültiger Bruch“ auf der Mailbox des Bild-Chefredakteurs Kai Diekmann verewigt haben sollte, dann könnte das als Ausdruck entweder von großer Unbedarftheit oder aber von großer Vertrautheit verstanden werden. Natürlich haben Journalistenvertreter wie DJV-Chef Michael Konken sowie seine Kollegen von dju und Presserat Recht, wenn sie darauf bestehen, dass sich Prominente kritische Recherchen und entsprechende Berichterstattung gefallen lassen müssen (vgl. http://www.djv.de/Diskussion.2995+M5e832764aac.0.html, sowie http://www.berliner-zeitung.de/politik/wulff-droht-journalisten-kriegserklaerung-auf-dem-anrufbeantworter,10808018,11381202.html, Aufruf vom 3.1.2012, 18.49 Uhr). Zumal, wenn sie sich wie Christian Wulff seit langem insbesondere von den Boulevardmedien geradezu inszenieren lassen – sofern es eben passt. Also Business as usual? Man verträgt sich, man schlägt sich, und man verträgt sich wieder? Es ist eine lose-lose-Situation: Man muss kein Fan von Wulff sein, um nicht zu wollen, dass Konzerne wie Springer Politiker praktisch im Alleingang hochschreiben oder fallenlassen. Kaum zu sagen, was für das Kriseln der Demokratie hierzulande schwerer wiegt – einfach nur unbedarftes Verhalten führender Repräsentanten, oder – andersherum interpretiert – eine so große Beeinflussung und Abhängigkeit zwischen den Elite-Vertretern in Wirtschaft, Medien und Politik, dass von buchstäblich vertraulicher Nähe auszugehen wäre? Eine Zensur freilich findet nicht statt, von keiner Seite.
2.) Das deutsche Fernsehjahr 2011 sieht RTL noch klarer als bisher vorn – der Marktführer im TV-Geschäft erreichte diesmal laut der Nürnberger GfK-Fernsehforschung einen Marktanteil von 14,1 Prozent (2010: 13,6). Das Erste der ARD und das ZDF hingegen schnitten so schlecht ab wie noch nie: Die ARD bei 12,4 Prozent (2010: 13,2), das ZDF bei 12,1 (2010: 12,7) – es war ein Jahr ohne ganz großen Sport, dafür aber mit viel politischer Brisanz. Fraglich, ob die relativ schwachen „Quoten“ vor diesem Hintergrund mehr gegen die Öffentlichen-Rechtlichen sprechen oder aber gegen die TV-Nutzer. Die dritten Programme der ARD kommen zusammen auf 12,5 Prozent (2010: 13,0), also auf den virtuellen zweiten Platz. Weiter Fünfter ist Sat.1 mit konstanten 10,1 Prozent. ProSieben verlor leicht auf 6,2 % (2010: 6,3), Vox bleibt bei 5,6 Prozent. Dann folgen Kabel eins mit 4,0 % (3,9), RTL II mit 3,6 (3,8) und Super-RTL mit weiterhin 2,2 Prozent. Bei den Nachrichtenkanälen sah es so aus: Der öffentlich-rechtliche Kanal Phoenix lag mit 1,1 Prozent Marktanteil knapp vor N24 und n-tv, beide bei 1,0 Prozent. Die Dauer der täglichen TV-Nutzung insgesamt stieg um eine Minute – auf nunmehr 224 Minuten (vgl. BLZ vom 2.1.2011, S.26).
3.) Bezugsfehler passieren schneller, als man gelegentlich seinen Pressesprecher entlassen kann: Im Interview bei N24 am Vormittag am 20.12. wurde der Publizist Manfred Bissinger, bis zum Jahre 2010 tätig für den Verlag Hoffmann und Campe, gefragt zur seinerzeitigen, ca. 42.000 Euro schweren Werbekampagne des Finanzunternehmers Carsten Maschmeyer zugunsten des damaligen Buches von Christian Wulff „Besser die Wahrheit“ (vgl. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/besser-die-wahrheit-die-rechnungen-fuer-wulffs-buch-liess-maschmeyer-aendern-11573427.html, Aufruf am 3.1.2012, 18.27 Uhr). Bissinger sagte auf N24 ziemlich wörtlich: „Unser Verlag hat damals auch ein Buch über Gerhard Schröder veröffentlicht – am dem hat ja Herr Maschmeyer auch die Rechte.“ Das klärt – als womöglich Freudscher Versprecher – natürlich Manches: Carsten Maschmeyer hätte also die Rechte an Gerhard Schröder, und Frau Unternehmersgattin Edith Geerkens hätte demzufolge die Rechte an … ? Einmal dürfen Sie raten – ganz unbedarft!