Dunk den Zensoren den Rücken wieder frei

Von Sebastian Köhler

1.) Es wurde wieder einmal Zeit, auszuloten, was Satire noch darf in Deutschland. Und erneut ging es um die katholische Kirche. Carolin Kebekus braucht den Herren nicht zu dunken: Die Kölner Staatsanwaltschaft hat das Verfahren gegen die Kabarettistin wegen einer kirchenkritischen Satire eingestellt .Ein Anfangsverdacht eines strafrechtlich relevanten Handelns sei nicht festgestellt worden (siehe http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/122038-nach-100-anzeigen-wegen-kruzifix-video-staatsanwaltschaft-stellt-verfahren-gegen-kebekus-ein.html, Aufruf am 10.7.2013, 21.39 Uhr), erklärte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft laut einem Bericht des „Kölner Stadt-Anzeiger“. Gegen das Video „Dunk den Herrn“ habe es knapp 100 Anzeigen gegeben.
Die traditionalistische Piusbruderschaft hatte auf ihrer Homepage zu Anzeigen wegen Verstoßes gegen den Blasphemie-Paragrafen 166 des Strafgesetzbuchs (StGB) aufgerufen. Dieser richtet sich nur dann gegen öffentliche Blasphemie, wenn jene geeignet wäre, die öffentliche Ordnung zu gefährden.
Laut Staatsanwaltschaft überschreitet das Video aber nicht die Grenze dessen, was nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als Satire im Sinne der grundgesetzlich garantierten Kunstfreiheit noch hinzunehmen ist. Die satiremäßig überspitzte Darstellung habe zudem keinen beschimpfenden, sondern einen kirchenkritischen Inhalt.
Hintergrund:In dem Video „Dunk den Herrn!“ verkleidete sich Kebekus als Nonne und leckte unter anderem an einem Kruzifix. Das Video sollte ursprünglich in der Sendung „Kebekus“ im ARD-Digitalkanal Einsfestival gezeigt werden und wurde auch zunächst abgenickt. Kurz vor der Ausstrahlung strichen WDR-Vertreter das Video aber doch heraus, Kebekus warf der Anstalt daraufhin Zensur vor. Das Video wurde auf YouTube nicht zuletzt dank dieser unfreiwilligen WDR-Werbung vor allem von jungen Nutzern bereits 1,2 Millionen Mal angeschaut. Hier hätten die WDR-Verantwortlichen ruhig mal auf die Quote schielen sollen.
2.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Der Lokalreporter Kay Grimmer meint es in der Sonntagausgabe der Potsdamer Neuesten Nachrichten vom 7.4.2013 auf Seite 3 vermutlich gut mit dem örtlichen Männerfußballverein vom SV Babelsberg (seinerzeit noch 3.Liga) und formuliert mit dem Kopf durch die Wand doch das komplette Gegenteil: „Dabei benötigt der Kiezverein (…) endlich Ruhe, um vor allem sportlich und finanziell wieder mit dem Rücken an die Wand zu kommen.“ Das ist der Unterschied zwischen gleich tot und leidlich lebendig: Mit dem Rücken an die Wand oder mit dem Arsch an der Heizung.

Zurückgepfiffen

Von Sebastian Köhler

1.) Was ist der Unterschied zwischen Ausspähen und Bespitzeln? Ersteres machen wohl die Guten, letzteres die Bösen. Die einen sind Kundschafter (des Friedens, der Demokratie oder der Menschenrechte zum Beispiel), die anderen bestenfalls Spione. Aber was ist Edward Snowden? Ein ehemaliger US-Geheimdienstmitarbeiter (oder doch eher dortiger Freelancer, weil das preiswerter schien?), ein IT-Experte, ein Whistleblower, ein Enthüller, ein Hinweisgeber, ein Held, ein „in den USA Gesuchter“ (sic!) oder aber ein Verräter? Der mediale Mainstream-Umgang mit den Termini lässt in seinen Wechselfällen ahnen, welche mächtigen Interessen da wirken und nicht nur Präsidentenmaschinen scheinbar im luftleeren Raum zu umstrittenen Zwischenlandungen zwingen. Der Mann jedenfalls, der die Diskussionen über mutmaßlich gigantische Überwachungspraktiken zumindest anglo-amerikanischer Geheimdienste ins Rollen brachte, hatte auch in Deutschland Aufnahme beantragt. Vielleicht naiv oder zumindest rhetorisch gemeint, denn die Rechtslage für Enthüller hierzulande ist alles andere als günstig. Das Netzwerk Campact weist darauf hin, dass die Bundesregierung noch immer keine umfassende Regelung zum Schutz von Whistleblowern vorgelegt hat – obwohl sie sich laut dem Antikorruptions-Aktionsplan der G20-Staaten bis Ende 2012 dazu verpflichtet hatte (https://support.campact.de/forums/22266417-Snowden-und-Whistleblowerschutz, Aufruf am 3.7.2013, 21.33 Uhr). Und der Sprecher der Journalistengewerkschaft DJV, Hendrik Zörner, unterstreicht (explizit mit Blick auf Snowden), dass Spionage ist auch in Deutschland eine strafbare Handlung ist. Die entsprechenden Gesetze gegen Whistleblower haben laut Zörner Vorrang auch vor einer höchst interessanten und jüngst verabschiedeten Resolution des Europarates, in der es wörtlich heißt: „Informanten, die staatliche Verfehlungen im öffentlichen Interesse aufdecken, sollen vor Vergeltungsmaßnahmen geschützt werden, sofern sie in guter Absicht handeln.“ Womit wir wieder bei der einfachen und doch so schweren Frage landen, was gut und was böse ist (vgl.http://www.djv.de/?id=3431&tx_ttnews[tt_news]=1619&L=1&cHash=6816deb643653064255cc98fd79c7575, Aufruf am 3.7.2013, 21.08 Uhr). Wie anders aber als in prinzipiell offenen, öffentlich-demokratischen Kommunikationen und im entsprechenden (Probe-)Handeln wollen wir Menschen genau das, nämlich die Zwecke und Mittel sozialen Verkehrs (samt Etikettierungen wie „gut“ und „böse“) herausfinden? Es sollte niemanden geben, der ein Monopol worauf auch immer hätte.
2.) Auch mein Kaleidoskop kommt diesmal nicht an der Berichterstattung über Edward Snowden vorbei. Die seriösesten Radio-Nachrichten hierzulande werden nicht zu Unrecht im “Deutschlandfunk” (DLF) vermutet. Am 30.6. um 19 Uhr war darin aber von der “vermeintlichen Spionage-Affäre durch US-Geheimdienste” die Rede. Vielleicht gibt es ja neben den hier offenbar gemeinten auch noch vermeintliche (also nur scheinbare) Affären dieser Art, aber der Skandal, von dem wir seit den Enthüllungen Edward Snowdens etwas ahnen mögen, ist sicher kein “vermeintlicher”, sondern am ehesten – für das Nachrichtendeutsch – ein “mutmaßlicher” (weil noch nicht juristisch wasserdicht nachgewiesener). Denn auch der Duden (http://www.duden.de/rechtschreibung/vermeintlich (Aufruf am 1.7.2013, 15.05 Uhr) gibt hier als Beispiel an: “der vermeintliche Gangster entpuppte sich als harmloser Tourist”. Das wird mensch auch beim Deutschlandfunk von der NSA-Problematik dieser Tage aber nicht ernsthaft behaupten wollen. Also nur vermeintlich seriöse Nachrichten im DLF? Eher ein Beispiel für die Dialektik der Motto-Kombination von Karl und Jenny Marx: “An allem ist zu zweifeln – aber verzweifle nie!”

Neuer Wind oder windiges Geschäftsmodell?

Von Sebastian Köhler
1.) Die Ruinierung des Journalismus – im doppelten Sinne des Genitivs, also durch andere und durch ihn selbst – zeigte sich auch am Beispiel der machtvoll durchgesetzten Abschaltung des nicht-kommerziellen Rundfunks in Griechenland Mitte Juni 2013. Der Journalist und Philosoph Arnold Schölzel bestimmt dies als Verwandlung des Journalismus in eine Mischung aus Verlautbarungs- und Unterhaltungsgewerbe (siehe jW vom 14.6.,2013, S.8).
2.) Der Springer-Verlag will laut Vorstandschef Mathias Döpfner (März 2013, vgl. MMM 4/2013, S.20f.) „das führende digitale Medienunternehmern in Deutschland“ werden (wer sollte das eigentlich bisher sein?). Erstmals hatte der Konzern 2012 laut eigenem Geschäftsbericht mehr als eine Milliarde Euro Umsatz im digitalen Gewerbe erzielt und damit mehr als in jedem anderen Arbeitsbereich. Zugleich steuerten digitale Medien mehr als die Hälfte aller Werbeerlöse bei. Bild.de erwies sich 2012 als Reichweitenführer bei den Nachrichtenwebsites (273 Millionen Besuche monatlich).
Auch daher hatte Springer im Juni 2013 das Abo-Angebot „Bild Plus“ auf www.bild.de gestartet (vgl. http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/121646-trendforscher-sven-gabor-janszky-bezahl-modell-von-bildde-ist-intelligenter-dummenfang.html, Aufruf am 26.6.2013, 21.15 Uhr). Die Nutzer sollen dabei vor allem mit manchen exklusiven Inhalten und Bundesliga-Fußball gelockt werden. Der Trendforscher Sven Gábor Jánszky hält das Modell der „Bild“-Leute nicht für den großen Wurf, bezeichnet es sogar als „intelligenten Dummenfang“. Denn Bild führe ein Abo-Modell ein, bei dem die Bundesliga-Clips drei Euro kosten. Diese Clips könne man aber nur kaufen, wenn man ein normales Abo von mindestens fünf Euro hat.
Eine gewisse Pioniertat besteht darin, dass mit Bild erstmals ein Boulevard-Medium den riskanten Weg der teilweisen Verschlüsselung geht: „Freemium“ (free and premium)-Modelle verbinden kostenfreie und zahlungspflichtige Angebote (bei Bild Plus soll das Verhältnis bei ca. 70 zu 30 Prozent liegen, MMM 4/2013, S.20f.). Exklusive Inhalte wären vor allem bestimmte regionale und lokale News sowie besondere Promi-Meldungen in crossmedialer Breite und Tiefe, nicht zuletzt durch nutzergenerierte Inhalte.
Das Konzept von bild.de sei, so Janszky, also nicht neu, alle existierenden Bezahl-Modelle von Zeitungen im Internet funktionierten so. Der Leser müsse selbst dann das volle Abonnement abschließen, wenn er die Zeitung nur an zwei Tagen in der Woche lese. An den Bedürfnissen und dem Nutzungsverhalten der User gehe diese Strategie vorbei. Einen Teilerfolg hält Jánszky für den Verlag dennoch für sicher: „Zumindest der unausgesprochene Plan, die gedruckte Auflage zu stabilisieren, wird wohl funktionieren. Außerdem wird der Verlag ein zweites unausgesprochenes Ziel erreichen: Er wird erstmals die persönlichen Kontaktdaten vieler Leser der Kioskausgaben und der User des Onlineangebots erhalten, verbunden mit Informationen über Themen und Inhalte, für die sich die jeweiligen Menschen interessieren. Diese Daten sind wertvoll und nutzbar gegenüber den Werbekunden und den eigenen Onlineangeboten.“
Vermutlich seien die Zielgruppen inzwischen so differenziert, dass es den einen großen Wurf gar nicht geben könne. Jánszky empfiehlt den Verlagen, ihr bisheriges eigenes Geschäftsmodell anzugreifen, das ja fast 200 Jahre ziemlich erfolgreich war: Journalismus als Mittel zu dem Zweck zu verwenden, mit diesem Werkzeug Publika für Werbebotschaften zu schaffen. „Sie müssen dazu übergehen, online nicht mehr Werbung, sondern eigene Services und Produkte zu verkaufen.“ Springer und Burda seien Vorreiter dieser Strategie in Deutschland – beide großen Konzerne machten nur noch etwa ein Drittel ihres Geschäftes mit gedrucktem Papier.
Der Springer-Verlag verweist darauf, 2012 mit insgesamt 13.651 Beschäftigten sogar 5,9 Prozent mehr Menschen angestellt zu haben als noch 2011. Gewerkschaftsvertreter wie Frank Werneke von der dju in Verdi kritisieren, dass, obgleich die Produkte des Konzerns „hoch profitabel“ seien, sollten dennoch „Redaktionen ausgedünnt, die Rendite durch das Setzen auf windige Internetgeschäftsmodelle weiter gesteigert werden, die auf nutzergenerierten Inhalten statt auf Journalismus basieren.“
3.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: In vielen Medien war dieser Tage die Rede davon, dass Merkel und Putin deutliche Meinungsverschiedenheit mit Blick auf „Beutekunst“ hätten. In diesem Zusammenhang ausschließlich bezogen auf solche Kunstwerke, die im Ausgang des Zweiten Weltkrieges aus Deutschland in die Sowjetunion gebracht wurden. Was schwingt beim Wort „Beutekunst“ mit? Also – was ist eine Beute, was bedeutet „erbeuten“? Für die meisten sicherlich, dass auf Jagd gegangen und dort zielgerichtet etwas erlegt und dann entweder gleich verzehrt oder versteckt oder auch nach Hause mitgenommen wird. Das Wort „Beutekunst“ erscheint mir ziemlich wertend, und auch daher würde ich es, wie selbst vom (Sympathien für die heutige russische Seite ziemlich unverdächtigen) deutschen Außenministerium empfohlen, bestenfalls in Anführungszeichen verwenden (siehe http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/KulturDialog/
ZieleUndPartner/Kulturgueterrueckfuehrung_node.html, Aufruf am 24.6.2013, 12.46 Uhr).

Es geht, möglichst objektivierend ausgedrückt und in diesem Falle auch in der Diktion des Westerwelle-Ministeriums, um „deutsche kriegsbedingt verlagerte Kulturgüter („Beutekunst“)“. Klar ist „Beutekunst“ kürzer, aber „verlagerte Kulturgüter“ ist ein Ausdruck, dem beispielsweise auch die russische Seite viel eher zustimmen und ihn in seriösen Nachrichten verwenden dürfte als das meines Erachtens wenigstens gedankenlose Spielen auf einer neuen alemannischen Opfer-Klaviatur – „Unsere deutsche Kunst wurde, warum auch immer, gejagt und erjagt und erbeutet. Holt sie dort raus!“.

Sehenden Auges an der Jugend vorbei?

Von Sebastian Köhler

Gute Nacht, TV? Oder zumindest Journalismus im TV oder auch TV mit Anspruch? Was und wie sehen Jugendliche? ZDF-Ankermann Claus Kleber, der in jüngster Zeit manche nicht unbeträchtliche Panne zu verantworten hatte, äußerte sich wie viele andere Fernseh-Prominente in der vergangenen Ausgabe der „Zeit“ (vgl. http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/121381-claus-kleber-im-zeit-interview-tagesschau-hat-sich-ueberlebt.html. Aufruf am 29.5. 2013,16.30 Uhr). Der Moderator vom „heute-journal“ sagte, er sehe die Zukunft der „Tagesschau“ skeptisch: „Ich glaube, dass sich dieses Konzept gerade überlebt. Weil das, was diese Art von Nachrichten bietet, am ehesten ersetzt wird durch den schnellen Blick ins Internet“, äußerte Redaktionsleiter Kleber. Man müsse die Zeichen der Zeit erkennen – „Studenten etwa sind, während sie ihre Essays schreiben, auf Facebook aktiv und lesen „Spiegel online“ (…)“ Daher bräuchten sie abends die Tagesschau nicht mehr. Andererseits weiß auch Kleber, dass die anvisierten „jungen Leute“ viel eher Mediatheken nutzen, als sich aus Mainz raumzeitlich programmieren zu lassen. Die journalistisch zentralen Begriffe „Aufmerksamkeit“ (kleineres Spektrum an Themen, mehr privat Relevantes, Tendenz mehrere Bildschirme, Multitasking) und „Aktualität“ (Tendenz eigene Anwahl, Bezug auf das eigene Handeln) verschieben sich.
Was mir aber mit Blick auf „die Jugend“ und die öffentlich-rechtlichen Anstalten seit Jahren, ja seit Jahrzehnten nicht einleuchtet – und was mir viele öffentlich-rechtliche Kollegen im Gespräch als kritische Haltung gegenüber den eigenen Leitungsgremien bestätigen: Warum gibt es – neben dem wackeren TV-KiKa – noch immer keinen werbefreien Jugend-Fernsehkanal, und warum gibt es weder werbefreies Kinder- und Familienradio noch werbefreies Jugendradio für die 14- bis 19-Jährigen? Liegt es (auch) daran, dass Kinder, Jugendliche und Familien als gesellschaftlich doch ziemlich relevante Gruppen kaum in den Gremien der öffentlich-rechtlichen Anstalten vertreten sind? Sehenden Auges wird daher an der Jugend vorbeigesendet, um die eigenen Pfründe einerseits zu sichern und andererseits von der privaten Konkurrenz fast schon belobigt zu werden für solche Rück-Sicht-Nahme: Pro Sieben und RTL II holen die Teenager natürlich gerne vom KiKa ab.
2.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Was klingt besser – „Einheitskasse“ oder „solidarische Bürgerversicherung“? Klar, kommt drauf an, wo man selbst steht in der Gesellschaft. Im ARD-Teletext hieß es am 28.5. in einer Überschrift:
Bahr gegen Einheitskasse
Der Bundesgesundheitsminister von der FDP hatte sich – kaum überraschend und erst recht nicht angesichts ziemlich gleichlautender Forderungen von Ärztevertretern an jenem Tag auf deren Kongress – ausdrücklich dagegen ausgesprochen, künftig alle Bürger in einer grundlegenden Krankenversicherung vereint zu sehen. Daniel Bahr sagte also, er sei gegen eine solche „Einheitskasse“. Klar für Bahr, natürlich, dass er hier das böse Wort „Abkassieren“ mitklingen lässt. Aber muss deshalb die Überschrift so lauten, wie es die ARD machte? „Einheitskasse“ ist kein relativ sachlicher Terminus wie z.B. „Mittwoch“. Michael Haller, einer der wichtigen deutschen Journalistik-Experten, fordert seit langem, Versionen als Versionen zu kennzeichnen. Also hätten die Kollegen genau zwei Zeichen mehr verwenden sollen: Bahr gegen „Einheitskasse“. Und alle wären auf der sicheren Seite gewesen – fast wie bei einer „Einheitskasse“.

Verbranntes Papier und verbrannte Millionen?

Von Sebastian Köhler

1.) Zeitungen in den USA wirkten in den 150 Jahren von 1850 bis 2000 als wahre Goldesel oder eben Gelddruckmaschinen – Gewinnraten von 20 bis 30 Prozent gab es in kaum einem anderen Wirtschaftszweig (MMM 1/2013, S.38ff.). Aufgrund ökonomischen und technologischen Wandels gehen mittlerweile manche Beobachter davon aus, dass zumindest mit Blick auf viele Tageszeitungen der Anzeigen-basierte Journalismus „für immer tot“ sei (Studie der Columbia University Graduate School of Journalism von 2012). Der australische Medien-Experte Ross Dawson sagte im Jahr 2012 den Tod der Tageszeitung voraus: für die USA für 2017, für GB und Irland für 2019 und für Deutschland für das Jahr 2030. Wenn man freilich im Aufgreifen von Vorschlägen u.a. Marie-Luise Kiefers oder auch von Jürgen Habermas Journalismus und Medium analytisch trennt, also bei der Zeitung die beiden Aspekte von Journalismus als Kulturgut sowie dem Medium als Ware auseinanderhält, lässt sich offener als bisher diskutieren, ob (und wenn ja, wie) auch Printjournalismus unbelasteter von privat-wirtschaftlichen Verleger-Interessen zu organisieren wäre. Also professionell und damit auch unabhängig von mächtigen Staats- oder Konzerninteressen, zum Beispiel über allgemeine Journalismus-Abgaben zur Ressourcenbereitstellung, diese dann vermittelt durch journalistische Berufsverbände, Stiftungen, Redaktionen oder Recherche-Büros als Non-Profit-Projekte o.ä.
2.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Angesichts des Ausstiegs der Bundes-Regierung aus dem „Euro-Hawk“-Projekt hieß es in vielen deutschen Medien wie zum Beispiel im „Handelsblatt“ (siehe http://www.handelsblatt.com/video/video-news/politik/keine-zulassung-drohne-eurohawk-500-millionen-euro-verbrannt/8210124.html, Aufruf am 22.5.2013, 20.18 Uhr), da seien Hunderte Millionen Euro „verbrannt“ worden. Dabei liegt der Fall ähnlich wie bei anderen öffentlich finanzierten Großprojekten à la Flughafen BER, Stuttgarter Bahnhof oder Hamburger Elbphilharmonie – vielleicht bei etwas Reflexion hier sogar noch klarer auf der Hand: Da werden keine Unsummen „versenkt“ oder „in den Sand gesetzt“, sondern einfach umverteilt. Im Falle des abgestürzten Drohnen-Falken vor allem an die US-Waffenschmiede Northrop Grumman und an den europäischen Rüstungskonzern EADS über dessen Tochter Cassidian. Ob dann tatsächlich am Himmel eines Tages mal etwas (Un-)Sichtbares flöge oder nicht, ist aus deren Sicht womöglich gar nicht mehr so wichtig. Und daher bringt das Scheitern eines solchen Projektes ganz sicher nicht nur Nachteile oder Verlierer, um es mal etwas hirn-verbrannt zu formulieren.

Au-Tomaten auf den Augen und Maden im Speck?

Von Sebastian Köhler
Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied im Mai 2013, dass die Autocomplete-Funktion des Internet-Konzerns und klar dominierenden Suchmaschinen-Weltmarktführers Google im Einzelfall rechtswidrig sein kann. (http://kress.de/mail/tagesdienst/detail/beitrag/121255-bundesgerichtshof-hat-entschieden-googles-autocomplete-funktion-kann-rechtswidrig-sein.html, Aufruf am 15.5.2013, 11.17 Uhr). Damit wird auf neue Weise bestätigt, was zum Beispiel Marcel Machill (Uni Leipzig) seit vielen Jahren von Journalisten fordert – dass ihre Recherche online mit Google beginnen mag, aber jedenfalls nicht damit enden sollte. Insbesondere geht es hier um den dritten Systembestandteil von allgemeinen Suchmaschinen wie Google, um die sogenannten „Query Processors“, die wir uns als automatisierte Routinen-Erkenner oder Gedankenleser vorstellen können. Ein Unternehmer hatte geklagt, weil seine Aktiengesellschaft durch Googles spezielle Vervollständigen-Funktion mit den Begriffen „Scientology“ und „Betrug“ in Verbindung gebracht wurde. Weil Google die Funktion trotz Rüge nicht abschaltete, habe das Internet-Unternehmen Prüfpflichten verletzt, entschied der BGH.
Für die Zukunft hat Google laut dem Kölner Medienrechtsanwalt Christian Solmecke zwei Möglichkeiten: Entweder, die Autocomplete Funktion werde in Deutschland deaktiviert, oder aber jedem beliebigen Nutzer werde automatisch die Möglichkeit gegeben, zusätzliche Begriffsvorschläge zu entfernen. „Dies wiederum würde ganz sicher Suchmaschinen-Optimierer auf den Plan rufen, die so gezielt Suchanfragen für ihre Zwecke manipulieren würden“, vermutet der Anwalt. Auch bei Google & Co. gilt also nunmehr erneut: An allem ist zu zweifeln – aber verzweifele nie! Und natürlich: Recherche braucht Zeit und Kompetenz.
2.) Comeback der Tageszeitung? In den USA könnten Anzeichen für einen neuen Branchentrend gelesen werden (vgl. BLZ vom 14.5.2013, S.25): Die Zeitung „Times Picayune“ in New Orleans (die laut Fachblatt Columbia Journalism Review einst eine wirklich gute Redaktion hatte und zwischendurch mächtig auf Kürzungskurs getrimmt wurde) sollte ab Mai 2013 wieder täglich in Printversion erscheinen. Auch eine andere sehr traditionsreiche US-Zeitung, der „Philadelphia Inquirer“, sollte wieder häufiger gedruckt zu haben sein. Vielleicht ist es tatsächlich business as ususal, denn Warren Buffett, als Multi-Milliardär einer der reichsten Menschen auf Erden, hat dieser Tage für „seine“ erst in den vergangenen zwei Jahren erworbenen 28 Zeitungsunternehmen gerade mal wieder satte Gewinne verkündet. Buffett lässt (siehe MMM 1/2013, S.38ff.) den Fokus dabei auf Lokalberichte legen – das Blatt als Informationsmedium für den Nahbereich. Eine Zukunft hätten vor allem Zeitungen in stark von Gemeinschaftssinn geprägten Städten: Daher werde man sich auf kleine und mittlere Blätter in alteingessenen Gemeinden konzentrieren. Buffett mag auf der Metaebene für mächtige Konzentrations- und Zentralisationstendenzen des Kapitals stehen – auf der Objektebene (der Zeitungs-Titel, die ihn auch als einstigen Zeitungs-Boten zu interessieren scheinen) gilt hier wohl eher: „Small is beautful“.
3.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Im Tagesspiegel-Ableger „Potsdam am Sonntag“ hieß es am 28.4. im Aufmacher auf Seite 1 unter der Überschrift „BER-Kosten steigen weiter“: „Die Flughafengesellschaft hatte, obwohl der Planfeststellungsbeschluss anderes vorsah, einen abgespeckten Lärmschutz veranschlagt, der sich auf 139 Millionen Euro belaufen hätte“. Jaja, dieser Lärmschutz – hatte er also im Laufe der Jahre so richtig schön Speck angesetzt, war in ungesundem Maße gewachsen und letztlich so richtig fett und aufgebläht. Da kann doch ein wenig „Abspecken“ kaum schaden – zumal es ja auch die Kostenseite entlasten würde. Doch statt der Flughafengesellschaft als einem Hort gesünderen, schlankeren Lebens dankbar zu sein, fällen Richter speckige Urteile und richten sich Anwohner wie die Maden in ihrem Besitzstands-Speck ein. Zum Glück verlieren zumindest manche Zeitungsmacher nicht den Blick für das große Ganze und für total fitte Metaphern.

Geht`s noch? Um die NSU-Verstrickungen?

Von Sebastian Köhler
1.I) Es schien genau so spannend, aber viel lustiger als bei einer Fußball-Ansetzungsauslosung: Nachdem auch die Fachzeitschrift „Brigitte“ am Montag, 29.4., in München ein großes Los gezogen hatte, brach sich die Skurrilität der Live-TV-Inszenierung in lautem Lachen Bahn. 50 Medien-Plätze für die Endrunde im juristischen Spiel zum NSU-Komplex wurden vergeben, und bei 324 zugelassenen Bewerbungen war klar, dass kaum alle der sogenannten deutschen Qualitätsmedien von Fortuna ein Plätzchen würden zugewiesen bekommen.
Vorab: Wenn es rechtzeitig und ernsthaft gewollt gewesen wäre, hätte sich im schönen München – wo es ja fast alles gibt außer Steuervermeidung – gewiss ein entsprechend großer und sicherer Saal für den Prozess gegen Beate Zschäpe & Co. finden lassen. Aber dass nun, also hinterher, die „Verlierer“ wie FAZ und Zeit und Welt und Taz und Tagesspiegel etc. öffentlich erwägen, gegen das Losverfahren zu klagen, lässt schon wieder auf die nächste quotenträchtige Skandalisierung schielen: Wenn, wäre doch VOR dem Anwerfen der Lostrommel grundsätzlicher und grundgesetzlicher Einspruch sinnvoll gewesen. So präsentieren sich die prominentesten Verlierer als eher schlechte, und prominente Gewinner wie die dpa können sich als „die Guten“ darstellen: Die dpa-Gruppe erklärte, sie stelle einen ihrer Berichterstatterplätze im NSU-Prozess anderen Nachrichtenagenturen zur Verfügung. Sie werde den Platz, welcher der dpa English Services GmbH zugelost worden war, den Agenturen Agence France-Presse (AFP) und Thomson Reuters (ja, für die arbeite auch ich als Journalist) für eine gemeinsame Poolberichterstattung anbieten. Wer aber den Grundkurs „Öffentlichkeitsarbeit“ nicht komplett verschlafen hat, tut nicht bloß Gutes, sondern spricht zuvörderst deutlich darüber. So wie hier Noch-dpa-Leiter Wolfgang Büchner, der ja nun als erster Chef sowohl für Printausgabe als auch für Onlineauftritt zum „Spiegel“ wechselt (http://kress.de/mail/tagesdienst/detail/beitrag/121079-nach-losentscheid-im-nsu-prozess-dpa-bietet-anderen-nachrichtenagenturen-platz-an.html, Aufruf am 1.5. um 14.30 Uhr):
„Wir verzichten damit zwar auf die Möglichkeit, zeitlich parallel auf Deutsch und auf Englisch direkt aus dem Oberlandesgericht München berichten zu können. Wir freuen uns jedoch, wenn die dpa auf diese Weise dazu beitragen kann, dass weitere weltweit tätige Nachrichtenanbieter über diesen wichtigen Prozess aus erster Hand berichten können. Denn die Vielfalt des Nachrichtenangebotes ist auch vielen unserer Kunden wichtig – im globalen Maßstab ebenso wie auf dem deutschen Markt“.
Das klingt angesichts der gerade wieder (siehe dapd-Insolvenz) geschmälerten Vielfalt in der Nachrichten-Agenturlandschaft in Deutschland nicht schlecht. Ich sehe die Vielfalt der Berichterstattung aber viel mehr in einer anderen Richtung gefährdet: Es scheint mir immer mehr um Oberflächlichkeiten des Verhandlungsprozederes zu gehen und tendenziell (noch) weniger um strukturelle Fragen jener Art, wie es möglich gewesen sein soll, dass ein Netzwerk von mehreren anscheinend äußerst gewalttätigen Rechtsextremisten mehr als zehn Jahre in Deutschland komplett unbehelligt von allen möglichen Behörden höchst kriminell tätig war? Solche Fragen und versuchte Antworten darauf wären sicher auch spannend, aber natürlich nicht so lustig und einfach zu haben wie eine TV-Tombola.

2.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Im RBB-Inforadio sagte Martin Röwer in einem Bericht nach einer Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes mit explizit kritischem Blick auf die derzeitige politische Führung in der Ukraine am 29.4. um 14.55 Uhr: „Es ist sehr zu bezweifeln, ob Julia Timoschenko nun freigelassen wird“. Ich zweifle sehr, dass der Reporter „ob“ und „dass“ sinnvoll einsetzt, also im Sinne sprachlicher Vielfalt unterscheiden kann: Dabei sollte es gar nicht so schwer sein: 1.) Ich weiß, dass Du kommst. Oder auch: Ich weiß, dass Du nicht kommst. 2.) Ich weiß nicht, ob Du kommst. 3.) Es ist sicher, dass Timoschenko in Haft sitzt. 4.) Es ist völlig offen, ob Timoschenko jemals freigelassen wird. Und damit wäre es aus der Sicht des Journalisten eben sehr zweifelhaft (im Sinne von: deutlich weniger als 50 Prozent Wahrscheinlichkeit dafür), DASS Frau Timoschenko nun freigelassen wird. Ergo: Mit einem dass-Satz wird in der Regel eine Aussage als gegeben dargestellt. Mit einem ob-Satz soll ausgedrückt werden, dass (sic!) es im Sinne einer ca. 50/50-Offenheit fraglich/unsicher/unbekannt ist, ob (sic!) die folgende Aussage (Proposition) als gegeben oder nicht gegeben betrachtet werden soll.

Gezwitscherte Fälschungen vorprogrammiert?

Von Sebastian Köhler

1.) Die Spatzen in den Händen zwitscherten es schon lange von den Dächern nicht nur der Börsengebäude: Passwörter können geknackt werden, und Nachrichtenagenturen sind relativ schwere Tanker. Der aufsehenerregende Passwort-Klau beim Twitter-Account der Nachrichtenagentur AP soll Folgen haben. Twitter ließ verlauten, das Sicherheitsproblem schnell lösen zu wollen. Laut einem Bericht von „Wired“ basteln die Twitter-Techniker bereits an einem Zwei-Schritte-Login, die offizielle Einführung soll kurz bevorstehen.  (http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/121021-nach-dem-passwort-klau-bei-ap-twitter-plant-schnelle-einfuehrung-von-zwei-schritte-login.html, Aufruf am 24.4.2013, 21.30 Uhr)
Bislang müssen Kriminelle nur das Passwort eines Twitter-Accounts knacken. Der Profilname ist öffentlich. Im Fall von AP verschickten die unbefugten Eindringlinge eine Falschmeldung, derzufolge es im Weißen Haus Explosionen gegeben hätte und Präsident Barack Obama dabei verletzt worden wäre.
2.) Der US-Leitindex Dow Jones sackte nach Bekanntwerden der vermeintlichen Schreckens-Kurznachricht um 145 Punkte ab – während der Schock-Momente sollen knapp 136 Mrd. Dollar an Börsenwert „vernichtet“ worden sein. Das ist natürlich Mediensprech-Blödsinn und ein Fall für das sprachkritische Kaleidoskop, denn die real investierten Gelder und Gegenwerte verschwinden nicht, sondern werden „nur“ umverteilt, tendenziell zugunsten der Global Player im weltweiten Börsengeschäft. Und da wir einmal bei den Global Players sind – Branchengrößen der Medienwelt wie Apple, Google, Microsoft oder Dropbox verwenden schon seit einiger Zeit die Zwei-Schritte-Login-Lösung.
3.) Der ZDF-Reporter am Mittwochabend beim Spiel Dortmund gegen Madrid: „Ronaldo gegen drei, da ist der Ballverlust vorprogrammiert“. Tja, wenn man wüsste, was „programmieren“ bedeutet, ob nun im wörtlichen oder übertragenen Sinne, könnte man die Vorsilbe „vor“ auch einfach mal „weg-subtrahieren“.

ZEIT-LOS GÜLTIG: AUSWÄHLEN, PRÜFEN, PRÄSENTIEREN

Von Sebastian Köhler

1.) Journalistische Recherche auf Internet-Plattformen bleibt ein Dauerbrenner gerade weil die Ergebnisse nicht irgendwo fest zu brennen oder festzuhalten wären. Gavin Sheridan aus Irland von der Firma „Storyful“ (http://storyful.com) beschreibt diese „Social News Agency“ als ausgelagerte Redaktion, als „outsourced newsroom“ (vgl. MMM Heft 2/2013, S.32f.). Um rund um die Uhr einen solchen Newsroom zur Auswertung von Internet-Plattformen („Social Media“) betreiben zu können, beschäftigte Storyful Ende 2012 24 Journalisten. Zu den Kunden der Agentur zählten deren Angaben zufolge New York Times, ABC-News oder France24.
Gavin Sheridan sah zwei zentrale Aufgaben solcher Agenturen, nämlich Auswahl und Verifizierung: 1.) Das Rauschen herausfiltern aus der schieren Masse an Informationen (Ende 2012 wurden pro Minute 72 Stunden Video-Inhalte allein auf YouTube hochgeladen, bei Twitter waren es pro Minute rund 500.000 Tweets). Diese menschen- und maschinengemachte „Flut“ muss beobachtet und aus ihr begründet ausgewählt werden, wofür es auch Software und Verfahren gibt. Bei Twitter hilft schon die „Advanced Search“ als erster Schritt, die Anwendung TweetDeck erlaubt die gleichzeitige Beobachtung mehrerer Kanäle. Hashtag-Analysen ermöglichen das Erkennen von Tendenzen. 2.) Faktencheck: 2a) Wer steckt hinter einem Twitter-Pseudonym?Also Tweeter kontaktieren, diese sind Sheridan zufolge oft relativ kooperationsbereit, auch, was eigene Rechte an Fotos, Audios und Videos angeht. Zudem kann man Augenzeugen vor Ort gewinnen. Identität der Quellen überprüfen, über mehrere Kanäle hinweg. 2b) Materialanalyse – kann das Material in Raum und Zeit echt sein? GPS-Daten der Aufnahmen etc. über verschiedene Kanäle hinweg prüfen, Wikimapia als kollaboratives Karten-Material. 3.) Wichtige journalistische Aufgabe bleibt und wird im Netz: Auswählen, Prüfen, Präsentieren – Neues, Wichtiges und Richtiges finden und dabei immer in alle möglichen Richtungen neugierig UND skeptisch sein
2.) Die Wochenzeitung „Die Zeit“ meldet für ihre Printausgabe neue Rekordzahlen bei verkauften Exemplaren (519.573) und bei Abonnements (348991) http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/120856-dank-steigender-abozahlen-neuer-auflagenrekord-fuer-die-zeit.html, Aufruf am 17.4.2013, 21.24 Uhr). Der Verlagsgeschäftsführer der Zeit-Gruppe, Rainer Esser, sagte mit Blick auf die Abo-Entwicklung, „Die Zeit“ werde für immer mehr Menschen fester Bestandteil ihres Lebens. Was mag uns das lehren? Eine betriebswirtschaftlich erfolgsträchtige Tendenz im Printbereich weist weg von der täglichen Ausgabe und hin zum z.B. wöchentlichen oder vierzehntäglichen Erscheinen. Inhaltlich geht es solchem Journalismus weniger um News als um gut recherchierte und präsentierte Hintergründe oder auch (längere) explizite Meinungsangebote. Und das kann sogar gut fürs Geschäft sein.
3.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop – Die „Märkische Allgemeine“ (MAZ) Potsdam schreibt am 17.4. auf Seite Drei: „Amerika jagt die Boston-Bomber“. Circa drei Fehler in fünf Worten – das ist schon wieder fast exklusiv : Gemeint wären wohl die USA (und nicht alle Amerikas, nämlich Nord-, Mittel- und Südamerika), aber selbst die werden kaum in Gänze mit dieser Jagd beschäftigt sein. Und dass es definitiv mehrere Bomber gewesen wären – diese Meldung wäre tatsächlich ein Scoop, also eine Exklusivnachricht. Besser, auch kürzer wäre gewesen, den Artikel (also den bestimmten, nicht den ganzen) einfach wegzulassen.
4.) Mitte März schrieb ich folgenden Leser- und Kollegenbrief an die Redaktion der „Berliner Zeitung“:
Zum Artikel „Gott ist tot“ von Wolfgang Kunath, 13.3.2013, S.3 (siehe http://www.fr-online.de/politik/venezuela-gott-ist-tot,1472596,22092178.html, Aufruf am 14.3.2013, 11.21 Uhr)
„Sehr geehrte Damen und Herren von der BLZ,
auch gegenüber unseren Studierenden warne ich immer wieder vor
unangebrachten Verallgemeinerungen oder Verabsolutierungen im
journalistischen Arbeiten.
Wie schon Albert Einstein mit Blick auf die Wissenschaften gesagt
haben soll: alles sei so einfach wie möglich zu machen – aber nicht
einfacher.
Der Beitrag von Wolfgang Kunath rechtfertigt in keiner (um nicht zu
sagen: keinster) Weise die Unterzeile, der zufolge Chávez „das ganze
Land in die Armut gestürzt“ hätte.
Wenn dem so wäre, müssten unter anderem DIE (Achtung,
Übervereinfachung) Venezolaner ziemlich einfältig sein, da sie Chávez
und seiner Politik in nicht weniger als 15 relativ demokratischen und
von hoher Beteiligung geprägten Abstimmungen klar mehrheitlich ihre
Unterstützung ausgesprochen haben. Das allein sind Ergebnisse, von
denen führende politische Repräsentanten in westlichen Demokratien nur
träumen (wahrscheinlich alb-träumen) dürften – zu schweigen von den
wirtschaftlich Mächtigen hierzulande, die wir ja erst gar nicht wählen
oder abwählen können.
Also bitte nicht (noch mehr) solche schwarz-weiß-Vereinfachungen wie
in jener Unterzeile.
Sonst könnte ich „das ganze Blatt“ (Achtung, vorschnelle
Generalisierung) kaum noch lesen.“ Zitat Ende. Die Leserbriefredakteurin gab schnell Bescheid, die Nachricht sei an die Verantwortlichen weitergeleitet – leider kam danach nichts mehr. In diesem Falle stimmt der absolute Ausdruck „nichts“, aber es war sicher nicht „alles“ Feedback sinnlos, auch an der Stelle.

Potentiell möglich – Journalisten als Hilfssheriffs der Politiker?

Von Sebastian Köhler
1.) Journalisten als Hilfssheriffs der (versagenden) ersten, zweiten und dritten Gewalt im Staate? Diesen Eindruck vermittelten Äußerungen der Minister Schäuble oder Rösler, die erklärten, sie würden gerne auf die Recherche-Ergebnisse von Journalisten zum Thema „Steuervermeidung“ (Offshore-Leaks) zurückgreifen (vgl. http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/120773-offshore-daten-zu-steueroasen-ndr-und-sz-geben-unterlagen-nicht-an-behoerden.html, Aufruf am 104.2013, 18.53 Uhr). Gut, dass Norddeutscher Rundfunk und Süddeutsche Zeitung solche merkwürdigen Amtshilfeersuchen mit Verweis auf Informantenschutz und Redaktionsgeheimnis zurückgewiesen haben: Man wolle und könne die Daten nicht mit den Behörden teilen. Aber vielleicht kommen Politiker beim Studium der betreffenden öffentlich-relevanten Beiträge der Journalisten über legale, halblegale und illegale Steuervermeidung ja immerhin auf die Idee, mit erster (Parlament), zweiter (Regierung) und dritter Gewalt (Rechtsprechung) einfach im Alltag deutlich mehr zu machen, um der „Steuererosion“ (was für ein irreführend naturalisierender Ausdruck – das wird ja wohl von Menschen geplant und gemacht und gedeckt) nicht noch mehr Türen zu öffnen.
2.) Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat im Februar 2013 dem Auskunftsrecht von Journalisten gegenüber Bundesbehörden (z.B. BND) neue Grenzen gesetzt: Medienvertreter sollten künftig nur noch nicht-aufwendig zu beschaffende Informationen von Bundesbehörden verlangen dürfen. Und zwar nicht auf der Basis der Landespressegesetze (wie bisher), sondern „nur noch“ unter Berufung auf die allgemeinen Bestimmungen im Grundgesetz. Ein BILD-Reporter hatte vom BND Auskunft über die Nazi-Vergangenheit dortiger Mitarbeiter haben wollen. Journalistenverbände wie DJV und dju werteten das Urteil als Schwächung der Pressefreiheit in Deutschland (vgl. BLZ 21.2.2013, S.25).
3.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Peter Großmann, der Sport-Präsentator im ARD-Morgenmagazin, redete (10.4.2013, 6.55 Uhr) davon, „Real Madrid könnte ein möglicher Gegner von Borussia Dortmund sein“. Das hat sich nicht versendet, sondern bleibt ein weißer Schimmel oder eben doppelt gemoppelt: Real könnte ein Gegner sein, oder aber Real ist ein möglicher Gegner. Eine der beiden Formulierungen reicht völlig. In den meisten der möglichen Welten. Zumindest aber im deutschen Fernsehen 2013.