Kleinfabriken und Giganten

Von Sebastian Köhler
1.) Das Nutzen sogenannter sozialer Netzwerke (diese Namensgebung ist ein genialer PR-Coup, denn was gibt es Besseres als „sozial“ und „Netzwerken“) dient gerade auf Geschäfts-Plattformen wie Facebook z.B. laut dem Züricher Medienforscher Felix Stalder der Verschleierung neuer Macht- und Ausbeutungsverhältnisse. Denn verschleiert wird durch die weiterhin bestehende Augenhöhe, also Horizontalität auf Seiten der vielen Nutzer, dass gleichzeitig neue, hochgradig vertikale Machtzentren auf Eigentümer- und Managementseiten entstehen (vgl. mein Blog vom 9.5.2012). Das sieht der aufgeklärte Konservative Frank Schirrmacher, einer der FAZ-Herausgeber, ähnlich: Er kritisiert es als „Ideologie von Netzintellektuellen“, dass sich jede und jeder selbst ermächtige als „Stimme öffentlicher Meinung und individueller Partizipation“ (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/zukunft-des-journalismus-das-heilige-versprechen-11970610.html#Drucken. Aufruf am 29.11.2012, 08.26 Uhr.). Das Problem betriebswirtschaftlich beschränkter Aktualisierungen aus viel reicheren Spektra kulturell-technischer Möglichkeiten beschreibt auch Schirrmacher angesichts der „eminenten intellektuellen und kreativen Potentiale“. Die werden aber nicht annähernd in ganzer Bandbreite verwirklicht, weil angesichts der gesamtgesellschaftlichen Kapitalisierung „ökonomisch total erfolglose geistige Kleinfabriken“ einerseits und neue „industrielle Giganten“ wie Google, Facebook, Amazon oder Apple andererseits einander gegenüberstehen. Ideologisch behauptet wird ein kulturell.-technologischer Determinismus, sozial wirkt aber vor allem betriebswirtschaftliche Konzentration bis hin zu neuen Monopolisierungstendenzen. Schirrmacher: „Die Technologie ist nicht in der Lage, die partizipativen und emanzipatorischen Prozesse auszulösen, die in der Betriebsanleitung versprochen wurden“ . Wir kommen darauf zurück.

2.) Derzeit findet in Dubai der Weltgipfel der Internationalen Fernmelde-Union (ITU) mit Vertretern beinahe aller Länder der Erde statt. Auf der Tagesordnung stand eine Überarbeitung der internationalen Telekommunikationsregulierungen, die bisher im wesentlichen aus dem Jahre 1988 datierten, also rund 25 Jahre alt waren und vor allem aus der Vor-WWW-Zeit stammten. Staaten wie Russland, China und einige Schwellenländer wollten per Konferenzbeschluss zumindest einige der globalen Internet-Verwaltungsaufgaben künftig an die UNO-Sonderorganisation ITU übergeben sehen. Bislang war dafür weitestgehend die in den USA ansässige ICANN als sogenannte „Nichtregierungsorganisation“ zuständig. Der US-Delegation in Dubai nun gehörten auch Vertreter von – durch ihre eigentümliche Netznutzung enorm profitierenden – Großkonzernen wie Google und Microsoft an. Delegations-Leiter Terry Kramer sagte (siehe Tageszeitung junge Welt vom 4.12.2012, S.9), unterschiedliche Regeln für den Umgang mit dem Internet in den verschiedenen Ländern müssten mit allen Mitteln verhindert werden: Denn solche Regulierungen öffneten „die Tür für eine Zensur der Inhalte“. Dagegen äußerte der Chefstratege der ITU, Alexander Ntoko, das sei „Propaganda“: Konzerne wie Google zeigten sich nur deshalb so beunruhigt, weil es ihnen um die Bewahrung ihrer Geschäftsmodelle gehe (siehe „Freiheit für wen?“ In: Der Spiegel, Heft 49/2012, S.84ff.). Google fuhr – ähnlich wie bei seinem Kampf gegen ein Leistungsschutzrecht in Deutschland – eine Kampagne unter dem Label von offener Welt und Freiheit für alle auf verschiedenen seiner Netz-Kanäle. Dabei durfte auffallen, dass Google nicht irgendeine Weltmacht ist, sondern auch laut Spiegel über beispiellose Meinungsmacht und Kampagnenfähigkeit verfügt, die alle nationalen oder auch supranationalen Grenzen sprengen. Das öffentlichkeitswirksame Novum: Konzerne wie Google oder auch Facebook versuchen immer erfolgreicher, für ihre „ureigenen Geschäftsinteressen“ (vgl. ebd.) auch und gerade die Nutzer einzusetzen. Es geht um das „Crowdsourcing“ der konzern-eigenen Lobby-Arbeit, um „Graswurzel-Lobbying“ (ebd.). Der hier ausgerufene Kampf gegen Zensur ist vor allem einer der Verteidigung der eigenen Geschäftsfreiheit und damit einer zugunsten der eigenen „monopolartigen Markt- und Meinungsmacht“.

3.) Statt Emanzipation der vielen und ihrer Teilnahme und Teilhabe am Netzverkehr läuft Wesentliches der globalen Digitalisierung auf neue Beschränkungen und Festlegungen der Nutzer auf bloße Konsumenten-Rollen hinaus: FAZ-Herausgeber Schirrmacher sieht statt Partizipation vor allem „Belohnungssysteme“ und „Empfehlungsbuttons“ (SCHIRRMACHER 2012). Soziales Verhalten und soziale Beziehungen (in ihrer Subjektivität und Intersubjektivität) werden zur Ware und daher möglichst mehrfach und zugleich maximal als Daten verwertet. Schirrmacher: „Interessanter als die Frage, was das neue iPhone100 kann, ist die Frage, welchen weiteren Aspekt sozialen Verhaltens Apple damit vermarkten kann“.
Die Kapitalverhältnisse expandieren unter den Labels des „social networking“ in extensiver und intensiver Richtung. Man könnte daher auch eine neue, längere Welle innerhalb des fünften „Kondratjew-Zyklus“ (informationstechnologisch geprägter globaler Kapitalismus seit ca. 1990) bestimmen. Ein wichtiger Aspekt dabei scheint die vermehrte Einbeziehung von „Selbstausbeutung“ (Schirrmacher) oder eben Ausbeutung sozialen Netzwerkens bzw. Netzverkehrs, sofern Gewinn als Profit wesentlich durch die Aneignung des von anderen/durch andere geschaffenen Mehrwertes, also in der Ausbeutung fremder Arbeit entsteht und verwirklicht wird. Mit Blick auf die Öffentlichkeiten mit ihrem symbolisch-generalisierten Medium der Aufmerksamkeit lässt sich in neuer Weise von einer „Aufmerksamkeitsökonomie“ (Schirrmacher) sprechen: Die Ökonomisierung als Kapitalisierung eignet sich sowohl tradierte als auch neue Felder von Öffentlichkeit an und unterwirft sie ihren Zweck- und Maßbestimmungen. Mit Habermas könnte dies auch als Kolonialisierung neuer und weiterer lebensweltlicher Bereiche gelesen und kritisiert werden. Klar scheint, wer von einer „Atomisierung“ (Schirrmacher) öffentlicher Diskurse am meisten profitiert und noch mehr profitieren würde. Dagegen bedarf es auch laut Frank Schirrmacher Debatten über wirtschaftliche Interessen und ökonomische Modelle, und dagegen bedarf es, darüber hinaus, Debatten über Wiederbelebungen und Neubelebungen von Politik und Kultur, von Politiken und Kulturen im Lokalen, Regionalen, Nationalen und Internationalen bis zum Globalen, um angesichts möglicher Vielfalt nicht der Betriebswirtschaft allein die Welt, die Öffentlichkeiten und den Netzverkehr zu überlassen.

4.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Moderatorin Irina Grabowski sprach im RBB-Inforadio am Morgen des 25.5.2012: „Für den Fiskalpakt ist die Bundesregierung bei der Abstimmung im Bundestag auf die Stimmen der Opposition angewiesen.“. Wieso mit bestimmtem Artikel? Auch für die Annahme dieses Gesetzes wäre es in einer parlamentarischen Demokratie merkwürdig, wenn 100 Prozent der Abgeordneten zustimmen müssten. Es ist kein Geheimnis, dass in diesem Falle genau zwei Drittel der Stimmen benötigt wurden. Da stimmte also etwas nicht in der Formulierung der Journalistin ….

Qualitätsjournalismus – ein weißer Schimmel steigt auf?

Von Sebastian Köhler

1.) Betrachten wir die Verhältnisse von tradierten Medien und Netzverkehr und die Rolle des Journalismus da wie dort, finden wir im ohnehin höchst lesenswerten Universal-Nachdenkbuch „Der Implex“ von Dietmar Dath und Barbara Kirchner über sozialen Fortschritt (Suhrkamp Frankfurt/M. 2012, S.317) einen feinen Impuls: Erklärungskräftiger als Walter Benjamins Motiv, wonach in den alten Medien die neuen steckten, erscheint den Autoren – bei aller sonstigen Nähe zu Argumenten Benjamins – die These von Herbert Marshall McLuhan, der zufolge der Inhalt neuer Medien die alten seien (seinerzeit Theater im Fernsehen, Fortsetzungsroman in der Zeitung etc.). Kein Wunder daher, dass sich der Netzverkehr am tradierten Journalismus bedient und ihn in den neuen Formen und Verbreitungswegen des Internets zum Inhalt macht. Der hier freilich in der Turing-Galaxis, gemessen an den Maßstäben aus Print-Ära und Gutenberg-Galaxis, viel schwerer einzeln verwertbar erscheint denn bisher als Doppelcharakter von Ware und Kulturgut überwiegend aus privatwirtschaftlichen Verlagshäusern. So lässt sich medientheoretisch zum Beispiel der Kern der aktuellen Konflikte zwischen Konzernen wie Google und Konzernen wie Springer besser verstehen.
2.) Google rief in dieser Woche die Nutzer auf, „Dein Netz“ zu verteidigen insbesondere gegen die aufziehenden Bezahl-Ansprüche tradierter Zeitungsverlage in Deutschland unter dem gerade im Bundestag debattierten verlegernahen Label „Leistungsschutzrecht“. (http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/119052-grosse-kampagne-gegen-das-leistungsschutzrecht-google-ruft-nutzer-auf-ihr-netz-zu-verteidigen.html, Aufruf am 28.11.12, 17.30 Uhr). Nun wäre es ja schön, wenn das Netz „unser“ wäre – aber wie die Dinge liegen, ist es doch weit mehr und eher das Netz von Google als z.B. „meines“. Die beiden großen Verlegerverbände in Deutschland reagierten erwartbar: Sie verurteilen das Agieren des – bei den allgemeinen Suchmaschinen mit Abstand marktbeherrschenden – Internet-Konzerns Google als eine „Kampagne gegen das Leistungsschutzrecht“ und „üble Propaganda“ . Google arbeite mit perfiden Methoden, um Angst zu verbreiten ( http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/119061-reaktion-auf-google-kampagne-zum-lsr-bdzv-und-vdz-sprechen-von-uebler-propaganda.html, Aufruf am 28.11.12, 18.09 Uhr). Zwischen der Scylla der neuen Konzerne wie Google oder Facebook und der Charybdis der alten Verleger-Platzhirsche versucht Berufsvertreter Michael Konken zu segeln, der DJV-Vorsitzende: Wichtig sei, dass die Interessen der Journalistinnen und Journalisten als der Urheber der publizistischen Leistungen fair berücksichtigt werden.
3.) Der Vorstandsvorsitzende des Springer-Verlages, Mathias Döpfner, schreibt in der „Welt“, der Journalismus habe seine besten Zeiten noch vor sich (http://www.welt.de/debatte/article111363883/Der-Journalismus-hat-das-Beste-noch-vor-sich.html, Aufruf am 28.11.12, 18.20 Uhr): Döpfner meint dort: „Unabhängig recherchierter Journalismus hat seinen Preis und seinen Wert.“ Abgesehen von Fragen nach Gebrauchswert oder Tauschwert erhebt sich hier das Problem des „weißen Schimmels“: Denn was sollte Journalismus sonst sein, wenn nicht von vornherein und jedenfalls recherchiert, und das bitte auch möglichst unabhängig? Das sind Aspekte der journalistischen Basis-Arbeit, die anscheinend weder die Chefs von Springer noch die von Google besonders interessieren.
4.) In der 14-Uhr-Ausgabe vom Do., 22.11.2012, der „Tagesschau in 100 Sekunden“ hieß es, beide Konfliktparteien in Nahost „halten sich scheinbar an die Waffenruhe“. Mir schien, dort war ganz klar „anscheinend“ (oder „offenbar“ etc.) gemeint – „scheinbar“ hieße ja, es wäre nicht so, und der An-Schein trüge. Doch das war hier anscheinend nicht gemeint, oder? Ich schrieb eine Mail an die Redaktion von „ARD aktuell“ in Hamburg, und der Erste Chefredakteur Dr. Kai Gniffke antwortete „mit herzlichem Gruß: „Bingo, Herr Professor Köhler, anscheinend haben wir hier ungenau formuliert.“. Und wenn der Schein nicht trügt, ist es nicht sinnlos, sich auch per Rückmeldung am Journalismus zu beteiligen – Interaktivität und Austausch auf Augenhöhe hier nicht nur als trügererischer Schein.