Haus ohne Hüter?

Von Sebastian Köhler
1.) Jedermann weiß, wenn er auch sonst nichts weiß, dass ein Haus Hüter braucht. Das ist gut für das Haus und gut für die Hüter. Der WAZ-Konzern aber zeigt sich in dieser Woche innovativ und scheint die erste Zeitung ohne Redaktion erfinden zu wollen – die Redaktion der Westfälischen Rundschau soll geschlossen, 120 Beschäftigte entlassen werden. Der Mitgesellschafter ddvg, also die SPD-nahe Medienholding, zeigt sich enttäuscht, und der stellvertretende Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Frank Werneke, sieht nimmersattes Gewinnstreben am zerstörerischen Werk: »Durch die Übernahme von Inhalten aus anderen Häusern wird der journalistischen Vielfalt gerade im regionalen Bereich ein weiterer schwerer Schlag versetzt«, unterstreicht Werneke. Der Konzern sei keineswegs ein Sanierungsfall, die Entscheidung diene offenbar ausschließlich dem Zweck, den nicht schlechten Renditen des Konzerns einen weiteren Schub zu verleihen: »Statt in die Zukunft des Journalismus zu investieren, in den Ausbau von Online-Angeboten, in exklusive, gut recherchierte Geschichten, wird kurzfristig gedacht und entsprechend gehandelt«, kritisiert Werneke (http://www.jungewelt.de/2013/01-16/042.php, Aufruf am 16.1.2013, 08.30 Uhr). Die Inhalte für die Rundschau mit lokalem Schwerpunkt in Dortmund sollen nun aus anderen WAZ-Titeln oder sogar von der bisherigen Konkurrenz kommen. So könnte aus dem Haus „WR“ eine durchlauferhitzende Content-Hütte werden, und dann wäre es wirklich fast schon egal, ob mit oder ohne professionelle Hüter.
2.) Online-Journalismus heißt auch digitales Erzählen (vgl. Thomas Schuler „Lücke statt Link“ in BLZ, 10.1.2013, S.25). Der bei der britischen Nachrichtenagentur Reuters für Social Media zuständige Anthony de Rosa erklärte demzufolge im September 2012 im Fachjournal Columbia Journalism Review, dass journalistische Beiträge im Netz nicht einfach versuchen sollten, Elemente aus Facebook, Twitter oder Youtube beizumischen, sondern vor allem, an entscheidenden Punkten relevante Links zu integrieren. Diese sollten Zitate belegen oder Hintergründe liefern. Thomas Schuler fordert daher für das digitale Erzählen: „bei komplizierten Sachverhalten eine Entwicklung online in Erklärstücken darzulegen“.
3.) Sogenannte Soziale Netzwerke, Social Media, als spezielle Internetplattformen sollen sich von anderen Netzbereichen durch eine besondere Art von „Sharing“, durch eine bestimmte Art des Teilens also, unterscheiden als Form von Interaktivität (vgl. MMM 7/2012, S.13ff.). Freilich bezahlt hier jeder Teilnehmer die scheinbar kostenlose Nutzung mit seinen Daten, aber es lassen sich auf solchen Wegen anders und andere Gesprächspartner finden als im tradierten Journalismus. Bei Twitter als einer Art Microblogging spielen die Hashtags (#) eine zentrale Rolle, die der Markierung von Schlüsselwörtern dienen (praktischer Tipp: Diese Wörter sollten keine Leer- oder Satzzeichen enthalten). Allerdings weist Trainerin Simone Janson darauf hin, dass Journalismus durch Social Media nicht billiger werden dürfte: Das Ressourcenproblem sollte ernstgenommen werden: „An zusätzlichen Investitionen kommt man nicht vorbei.“
4.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Gerade ist mit „Opfer-Abo“ (so laut Spiegel Jörg Kachelmann zu einer wichtigen Rolle von Frauen heutzutage) von der Darmstädter Jury das Unwort des Jahres 2012 bestimmt worden, da höre ich in den ARD-Tagesthemen am 15.1. 2013 von einem un-heimlichen Kandidaten für 2013: Autor Norbert Hahn spricht in seinem Hintergrund-Bericht zur Entwicklung der Krise in Mali ohne jede Ironie oder sonstige Distanzierung zur Lage im Norden Malis: „Ein islamistisches Regime ist entstanden, im Hinterhof Europas.“ Der Ausdruck „Hinterhof“ ist aus der USA-Außenpolitik der 1820er-Jahre bekannt, aus den Zeiten der „Monroe“-Doktrin, als die aufstrebende Weltmacht USA die alten Kolonialmächte, vor allem Spanien und Frankreich, intensiv aus ihrem (der USA) lateinamerikanischen „Hinterhof“ zu vertreiben begann, um die eigenen Interessensphären auszudehnen. Entweder ist der Tagesthemen-Ausdruck „Hinterhof“ hier als schon sehr subtile Kritik an der aktuellen Außenpolitik Frankreichs, Deutschlands und anderer mächtiger Länder gemeint – oder er vermittelt eine ziemlich alte Kolonial-Herren-Haltung.