Wider das Interview als bloße Marketingstrategie: Denken und Sprechen gemeinsam

1.) Der Publizist Axel Brüggemann fordert, das Interview als journalistische Darstellungsform wiederzubeleben, es seinem etymologischen Rahmen von „Zwischenblick“ von Neuem entsprechen zu lassen (vgl. Freitag 51/52/2011, S.2). Im Interview müssten Recherche und gelingendes Miteinander im offenen Augenblick zusammenkommen. Denn es sei „öffentliches Denken im Prozess“. Interviews lebten davon, dass gleichberechtigte Personen, meist zwei, an einem Ort zur selben Zeit gemeinsam einen Text schrieben. Gute Argumente entstünden am ehesten, wenn sie am Gegenüber wachsen, infrage gestellt und gemeinsam weiter entwickelt würden, als nachvollziehbares Denken und Sprechen. Das lässt sich an Gesprächspartnern wie Voltaire und Friedrich II., Goethe und Eckermann, Marx und Engels oder auch Heidegger und Hannah Ahrendt erkennen. Das Interview sei aber in wichtigen Bereichen heutzutage verkommen: Es sinke nicht nur in vielen TV-Talkshows ab zum Plausch als Marketingstrategie, zum Win-Win-Geschäft der Gesprächspartner – die Nutzer werden kaum als Mitdenker samt Mitspracherecht verstanden, sondern als Endverbraucher, als Käufer oder Wähler. Dagegen bleibe das Interview zu rekultivieren: mit gründlicher Vorbereitung, guten Fragen, Zuhören, weiterem Infragestellen, um mit Freund und Feind gemeinsam neu denken und reden zu können.

2.) „What’s the matter with the Internet?“, fragte schon in den 90er-Jahren der US-Historiker und -Philosoph Mark Poster in sozial-kritischer Perspektive, und auch ich habe mich in Anlehnung daran in „Netze – Verkehren – Öffentlichkeiten“ (2001) damit auseinandergesetzt, inwieweit das Netz der Netze – trotz Kolonialisierungen durch markt- und machtstarke Akteure – anhand seiner kulturell-technischen Potentiale und auch bestimmter empirischer Tendenzen dazu führen kann, zumindest zweierlei zu verändern (wie es Mark Poster sagte), nämlich: „transforming both contemporary social practices and the way we see the world and ourselves“. Mittlerweile weicht in Theorie und Praxis mancher Optimismus mehr einem bestimmten Pragmatismus, so auch beim Philosophen Byung-Chul Han, in Südkorea aufgewachsen und nun Professor für Medientheorie an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe (vgl. Freitag, Nr. 1/2012, S.15). Anhand des Beispieles, dass auf „Facebook“ nur Zustimmung möglich ist („Gefällt mir“-Button), erklärt Han, die heutige Gesellschaft sei von einem „Übermaß an Positivität“ geprägt. Denn „negative Gefühle sind offenbar hinderlich für die Beschleunigung des Prozesses“. Negativität hingegen verlangsame, verhindere „die Kettenreaktion des Gleichen“. Han unterscheidet eine sich immer mehr ausbreitende „Hyperkulturalität“ ohne jeden Abstand (ohne Schwellen und Übergänge und stattdessen mit totaler Mobilität einschließlich Promiskuität) von Inter- oder Multikulturalität, denen weiterhin die Negativität kultureller Spannungen innewohne. So sieht er, ähnlich wie seinerzeit Jean Baudrillard die Wirklichkeit in einer Hyperrealität verschwinden sah, die Kulturen in einer Hyperkultur verschwinden.
Zwei Grundtendenzen beobachtet Han: eine ausgestellte Freundlichkeit (2006) und zugleich eine die gesamte Gesellschaft erfassende Müdigkeit (2010). Bezogen auf soziale Netzwerke wie Facebook sieht der Philosoph die panoptische Tendenz des Internets (alles kann gesehen werden) noch einmal verschärft: Alle Nutzer seien hier tendenziell sowohl dem panoptischen Blick (und damit nicht zuletzt machtvoller Kontrolle) ausgesetzt als auch „der kapitalistischen Verwertungsmaschinerie“. Kontrolle erfolge hier nicht wie in Disziplinargesellschaften durch Isolierung, sondern durch Vernetzung. Die Nutzer wähnten sich frei, was aber vor allem Gewalt zur Selbstausbeutung hervorbringe – Exzesse von Entgrenzung und Enthüllung bis hin zur pornografischen Nacktheit: „Der Neoliberalismus hat die Individuen zu Mikro-Unternehmern gemacht“, zwischen denen vor allem Geschäftsbeziehungen stattfänden, die einen Profit versprächen. Auch die Freundschaftsbeziehungen bei Facebook sind so im Wesentlichen nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck, vermarktet zu werden. Oder wie es Han sagt: „In ökonomischer Hinsicht ist Facebook ein Raum der Ausbeutung“. Das Paradox sieht er darin, dass sich Nutzer im Panoptikum so frei wie noch nie fühlten. Denn die „List des Systems“ bestehe darin, gerade das zum Verschwinden zu bringen, wogegen Menschen sich noch konkret empören könnten. Allerdings hat auch Han keinen gesellschaftlichen Gegenentwurf, der gemeinschaftliche und individuelle Ebenen einschlösse, sondern ihm scheint „eine Gemeinschaft“ der (echten) Freundlichkeit vorzuschweben, die des Anderen und der Anderen bedarf und zugleich ohne Verwandtschaft oder gemeinsame Zugehörigkeit, ohne „Gruppendruck“ auskommen soll.

3.) Und noch etwas aktuelle Sprachkritik aus meinem Kaleidoskop: Im ZDF-Morgenmagazin am 22.3.2012 um 7:02 Uhr lautete der Text einer Studiomeldung: „Bei Schlecker stehen 11.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel.“ Solch spielerisches Herangehen mag sich nicht jedem erschließen – für die Beschäftigten dürfte es kaum ein Spiel sein, da ein solches zumeist ohne weitergehenden „ernsten“ Zweck dem Vergnügen dienen soll und allein aus Freude an seiner Ausübung betrieben wird. „ … sind in Gefahr“ wäre auch noch nicht sehr sachlich, käme aber der Sache näher. Was wäre die beste Lösung dieses „Spieles“, da es ja nicht nur um ein Sprachspiel geht?

Alter Wein in neuen Gefäßen?

Blog vom 26.2.2012:

Zur phrasenhaften Konjunktur aktueller PR- oder Propaganda-Floskeln

Von Sebastian Köhler

Man kann die anhaltenden krisenhaften Prozesse in der politischen Ökonomie Europas als Finanzkrise oder weitergehend als Wirtschaftskrise bezeichnen. Meistens werden sie aber als Schulden- oder Staatsschuldenkrise benannt, oder eben als „Griechenkrise“, womit vor allem die Schuldfrage geklärt scheint. Immer wieder tauchen hier im deutschen Journalismus drei Redewendungen auf, die vorgeben, objektivierend zu beschreiben. Aber wir könnten auch anders:
1.) Die Griechen müssten endlich die jeweils neueste Fassung von „Sparprogramm“ um- und durchsetzen (zum Beispiel: „Parlament billigt Sparprogramm“, In: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/europas-schuldenkrise/griechenland-parlament-billigt-sparprogramm-11647542.html, Aufruf am 26.2.2012, 12.00 Uhr). „Sparen“ ist etwas intuitiv Gutes, etwas im Massenbewusstsein positiv Besetztes – Kinder bekommen es gelehrt, sie sollen es für ihr Leben lernen. Der Alltagsgebrauch legt nahe, etwas derzeit eher Nicht-Notwendiges beiseite zu legen, um sich später etwas Größeres, Wichtiges leisten zu können. Bei Wikipedia heißt es genau in diesem Sinne: „Sparen ist das Zurücklegen momentan freier Mittel zur späteren Verwendung. Häufig wird durch wiederholte Rücklage über längere Zeit ein Betrag aufsummiert, der dann für eine größere Anschaffung verwendet werden kann.“ In: http://de.wikipedia.org/wiki/Sparen, Aufruf am 26.2.2012, 12.08 Uhr). Selbst bei nur kurzer Reflexion dessen, was in Griechenland in der Sache passiert (oder passieren soll), wird klar, dass es keineswegs um diese „guten“ Aspekte des Sparens geht. Hier wird sozial umverteilt, und vom „Ersparten“ dürften die „Sparer“ kaum irgendetwas haben. Viel sachlicher ist es, statt dessen von Sozialkürzungs- oder Massensteuer-Erhöhungsprogrammen zu reden. Wenn sich manche Journalisten nicht das Denken und die Distanzierung in alle Richtungen „sparen“ würden.
2.) „Rettungsschirme“ (siehe u.a. im Focus „Euro-Rettungsschirm: Abgeordneter fordert Ende der Griechenland-Hilfen“; In: http://www.focus.de/politik/weitere-meldungen/euro-rettungsschirm-abgeordneter-fordert-ende-der-griechenland-hilfen_aid_717241.html, Aufruf am 26.2.2012, 12.52 Uhr) klingen doppelt gut: „Retten“ ist etwas Großartiges, sehr Menschliches, und „Schirme“ schützen vor vielen Gefahren – Absturz, Regen, Sonnenbrand. Aber warum heißen die Milliarden-Summen, die EU, IWF und Europäische Zentralbank auch aus unser aller Steuergeldern dafür bereitstellen, dass die Gläubiger der griechischen Staatsschulden (z.B. ausländische Banken und Versicherungen) hinreichend bedient werden, nicht einfach und sachlich zum Beispiel „Milliarden-Summen“? Sondern werden – in direkter Übernahme der Pressemitteilungssprache von EU, IWF und EZB – als „Rettungsschirme“ auch journalistisch verkauft ? Rette sich, wer kann, vor solchen schlichten „Copy-and-Paste“-Medien.
3.) Mit den „Rettungsschirmen“ landen wir auch gleich auf der nächsten Samariterbasis, bei den allgegenwärtigen „Hilfspaketen“ (siehe Welt online: „Das Griechen-Hilfspaket birgt etliche Fallstricke“; In: http://www.welt.de/wirtschaft/article13888187/Das-Griechen-Hilfspaket-birgt-etliche-Fallstricke.html, Aufruf vom 26.2.2012, 13.10 Uhr). Die erscheinen ja – sofern hier eine Steigerung möglich ist – fast noch sympathischer als die beiden erwähnten Sprechblasen. Da schwingt ganz vorne „Schenken und Gutes tun“ mit, und genau das ist auch der erste Treffer bei einer Google-Suche nach „Hilfspaket“ (Aufruf am 26.2.2012, 13.23 Uhr: http://www.google.de/#hl=de&sclient=psy-ab&q=hilfspaket&pbx=1&oq=hilfspaket&aq=f&aqi=g4&aql=&gs_sm=3&gs_upl=1012l4756l0l5404l10l7l0l3l3l2l1149l3654l0.2.1.1.0.1.0.2l10l0&bav=on.2,or.r_gc.r_pw.r_qf.,cf.osb&fp=35a09eb17a7bb46f&biw=1467&bih=696). „Helfen“ ist mindestens so fein wie „Sparen“ und „Retten“, und „Pakete“ haben im Deutschen, u.a. als Care-Pakete oder West-Pakete, eine ziemlich tadellose umgangssprachliche Wortgeschichte. Doch warum wird auch hier kaum bloß von Milliardensummen oder auch nüchtern von Stabilisierungsmaßnahmen geredet? Soll bei solchen zusammengesetzten Termini „doppelt gut“ besser halten, weil die entsprechenden „marktkonformen“ (Angela Merkel im September 2011; vgl. http://www.nachdenkseiten.de/?p=10611, Aufruf vom 26.2.2012, 13.47 Uhr) Politiken sowohl der Mehrheit der Griechen als auch nicht gerade kleinen Schichten in Deutschland und anderswo sonst noch schwerer zu vermitteln wären? Ohne die Hilfe von derart bedeutungsschweren, aber eben einseitig belasteten Sprach-Paketen?

Gibt es ein Leben nach dem Vorleben?

Blog vom 18.1.2012: Gibt es ein Leben nach dem Vorleben?
1.) Man muss, wie gesagt, Christian Wulff und seine Affären nicht verteidigen, um Kai Diekmann und das Haus Springer weiterhin kritisch zu fragen, warum dort der umstrittene Anruf des Bundespräsidenten vom 12.12. nicht „zeitnah“ veröffentlicht wurde. Und inwiefern sich der Verlag insgesamt nun zu Recht als Hüter von Pressefreiheit und Aufklärung feiern lässt. Die Tageszeitung „taz“‘ hakte bei Diekmann nach (http://www.taz.de/Diekmann-an-taz/!85638/, Aufruf vom 17.1.2012, 18.10 Uhr), es gab einige neckische Scheingefechte zwischen beiden Seiten, aber der spannenden Frage nach dem Zustand der „inneren Pressefreiheit“, also der Autonomie der Redakteure und der Redaktion im jeweiligen Hause, kam man kaum näher auf die Spur.
Namhafte Journalisten wie Hans-Ulrich Jörges vom „Stern“ oder Steffen Klusmann von der „FTD“ kritisieren mittlerweile vor allem die mediale Kritik an Wulff. Wenn allerdings Jörges auf dem Deutschen Medienkongress in Frankfurt am Main tatsächlich gesagt hat (laut epd und z.B. BLZ vom 18.1.2012, S.30): „Die Gerüchte über ein angebliches Vorleben von Bettina Wulff sind in den Medien auf eine rufmörderische Art und Weise thematisiert worden“, dann sollten wir in aller Ruhe festhalten, dass Bettina Wulff ganz sicher ein „Vorleben“ vor dem jetzigen an der Seite von Christian Wulff hatte. Die Frage bleibt, ob das schlicht beider Privatsache ist (was ja als die faire und journalistisch-professionelle Sichtweise erscheint), oder ob dieser Aspekt nicht doch auch öffentlich-relevante Facetten aufweisen könnte, Stichwort Unabhängigkeit oder eben etwaige Erpressbarkeit. Da sollten nicht nur Bild und taz im Interesse selbstkritischer gesellschaftlicher Kommunikation dranbleiben und nicht dem nächsten Schiff, das durchs Dorf gekentert wird, fast alle Ressourcen hinterherwerfen.
2.) Es tut sich was im deutschen Fernsehen, aber eher hinter den Kulissen. ARD und ZDF kämpfen sichtlich um jüngere Nutzer (also jünger als ca. 60 Jahre, wie wir neulich bei einer Exkursion zum ZDF in Berlin auch aus erster Hand bestätigt bekamen). Sie versuchen vor allem über ihre digitalen Ableger wie EinsFestival und ZDFneo, sogar noch jüngere Leute als 59-Jährige zu erreichen. Denn die Hauptprogramme bleiben traditionsbewusst – aus Furcht, anderenfalls Stammseher zu vergraulen. Und nun fällt ihnen ein anderes Urgestein anscheinend in den Rücken – Kurt Beck, seit Ewigkeiten Landesvater in Mainz und ca. ebenso lange schon Chef der Rundfunkkommission der Länder, hat im Fachmedium „Promedia“ erklärt, dass die öffentlich-Rechtlichen gerade solche neuen Programme doch aus Kostengründen streichen könnten (http://www.goldmedia.com/blog/2011/12/beck-schlagt-einstellung-von-vier-der-sechs-digitalkanale-von-ard-und-zdf-vor-ministerprasident-kurt-beck-im-gesprach-mit-der-promedia/#more-4508, Aufruf am 18.1.2012, 14.08 Uhr, vgl. BLZ vom 17.1.2012, S.26). Dabei liegt im Abschalten des analogen Satellitensignals in Deutschland ab April eine Chance gerade für die neueren Digitalkanäle, Reichweite und vielleicht auch Marktanteile auszubauen, also „Quote“ zu machen (was ja für die öffentlich-Rechtlichen anscheinend immer wichtiger wird). Klar, dass gerade RTL und ProSieben gegen solche Experimente von ARD und ZDF sind. Denn deren bisherige Alterspyramide ist ja für diese privat-Rechtlichen geradezu der Goldesel oder eben die Goldelse. Dass diese Versuchsballons der Verjüngung zwischen „Festival“ und „Neo“ nicht in den Himmel fliegen, dürfte auch daher klar sein – nicht zuletzt, weil die Rundfunkgebühren bis 2016 laut der zuständigen Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der (öffentlich-rechtlichen) Rundfunkanstalten nicht steigen, sondern maximal bei den bisherigen 17,98 Euro für Radio und TV bleiben sollen (vgl. .http://wissen.dradio.de/nachrichten.59.de.html?drn:news_id=62315, Aufruf 18.1.2012, 15.53 Uhr) Allerdings, soviel „neo“ bleibt uns auf alle Fälle erhalten, nicht mehr als gerätebezogene Gebühr, sondern neuerdings als Haushaltsabgabe.
3.) In den Zeilen zuvor taucht relativ häufig das Wort „anscheinend“ auf – und das ist nur scheinbar ein Zufall. Sondern ein Fall für unser sprachkritisches Kaleidoskop – ein Evergreen gerade in TV und Radio: Im ZDF-heute-journal hieß es zum tödlichen Waffengebrauch in einem Gericht in Bayern am 11.1.: „Wie kann es sein, dass der Angeklagte scheinbar ohne Kontrolle eine Waffen mit in das Gericht nehmen konnte?“ Scheinbar besteht also kein Unterschied zwischen „scheinbar“ und „anscheinend“. Aber eben nur scheinbar.

Journalismus-to-go: Wer oder was muss gehen?

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> Blog vom 11.1. „Journalismus-to-go“: Wer oder was muss gehen?
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> Die Wendung „Journalismus-to-go“ fand ich dieser Tage beim Schriftsteller und Satiriker Wiglaf Droste (http://www.herrenzimmer.de/2012/01/09/geiselhaft/., Aufruf 11.1.2012, 14.45 Uhr). Droste fiel auf, dass bei „Spiegel online“ davon die Rede war, Bundespräsident Christian Wulff habe sowohl „sein Land“ als auch „die Öffentlichkeit“ in „Geiselhaft“ genommen durch sein Lavieren in der Kredit- und Medienaffäre. Der Befund des Kritikers dagegen: die Kollegen seien „schwatzhaft“, wenn sie so von „Geiselhaft“ reden – gleichsam durch den Wulff gedreht: „Ist es nicht immer wieder erstaunlich, mit welchem Weihrauch im Ton Journalisten das Ausfüllenkönnen von Bewirtungsquittungen schon für Schreiben ausgeben?“ Neben der journalistikwissenschaftlichen Bestimmung von „Journalismus-to-go“ als durch raum-zeitliche Entkoppelungen per Internet und Mobilkommunikation geprägtem (siehe bei den Kollegen Neuberger oder Kretzschmar u.a. unter http://www.zeppelin-university.de/deutsch/lehrstuehle/Bilandzic/Publikationen_vorZU_Kretzschmar_eb.pdf, Aufruf 11.1.2012, 14.55 Uhr) kann ich dem Terminus hier mindestens drei neue Seiten abgewinnen: Solcher Journalismus wird wie der entsprechende Café schnell produziert und soll leicht konsumierbar sein. Er kann dazu beitragen, Leute hoch- oder runterzujazzen, auch zum Gehen oder eben Rücktritt zu zwingen. Und er mag bei kritischen Nutzern wie Droste bewirken, dass die sich abwenden – einfach weggehen. Ganz schön viel herauszulesen aus solchem Kaffee-Satz.
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> Was „Bild“ angeht (von der kluge Köpfe wie Wolfgang Storz und Hans-Jürgen Arlt mit guten empirischen und theoretischen Gründen schreiben – siehe http://www.otto-brenner-shop.de/publikationen/obs-arbeitshefte/shop/drucksache-bild-eine-marke-und-ihre-maegde-ah-67.html, Aufruf 11.1.2012, 21.04 Uhr -, dass es dort gar nicht um Journalismus gehe, sondern mittlerweile praktisch ausschließlich um Kampagnen von Öffentlichkeitsarbeit, Werbung und Marketing), ist es schon verblüffend, wie wenig der oberste Gralshüter der Pressefreiheit hierzulande, Kai Diekmann, gefragt wird, warum er das Thema „Anruf des bösen Wulff“ nicht zeitnah Mitte Dezember selbst und unzensiert publik machte. Die Medienjournalistin Ulrike Simon schreibt (BLZ 11.1.2012, S.26): „Nun steht Bild als Blatt da (…), mit dem sich andere Medien solidarisieren. Dieser Wert ist höher zu schätzen als jede Werbung, jede Auflagensteigerung, jedes Plus bei Online-Visits und jeder Aufstieg auf Platz irgendwelcher Rankings über die meistzitierten Medien. Wer Kai Diekmann kennt, weiß, wie spitzbübisch er sich darüber freuen kann.“ Und die Werbung könnte Christian Wulff hinterher rufen – „BILD dir ein, du wärest Bundespräsident“.
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> Facebook dreht weiter auf und damit dem einstigen Marktführer „VZ“ hierzulande weiter das Wasser ab: Die US-basierte Kommunikationsplattform des Mark Zuckerberg (http://kress.de/mail/tagesdienst/detail/beitrag/114064-featured-stories-facebook-platziert-werbung-im-newsfeed.html, Aufruf 11.1.2012, 21.19 Uhr) führt Werbung im Newsfeed, dem Hauptnachrichtenstrom der Nutzer, ein. Die Werbemeldungen sollen „Featured Stories“ heißen und nicht wie geplant „Sponsored Stories“, womit vermutlich noch mehr Nähe zum Journalismus simuliert werden soll. Anders als bei traditioneller Werbung dürfte der Inhalt der „Featured Stories“ nicht einfach aus einer vom werbenden Unternehmen formulierten Botschaft bestehen, sondern aus „Interaktionen“ von „Freunden“ mit dem jeweiligen Unternehmen. Solche „Featured Stories“ können Unternehmen, Organisationen oder Personen buchen. Laut Facebook sollen die meisten Nutzer nur eine Werbemeldung pro Tag in ihrem Newsfeed sehen. Ganz abschalten lässt sich laut Mediendienst „kress“ die Werbung nicht, jedoch können Nutzer einzelne Beiträge ausblenden. Man muss es eben mögen oder „liken“, dass der reine Adressen- und Datenverkauf anscheinend nicht ausreicht als Geschäftsmodell.
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> Und noch eine sprachkritische Fußnote zu „Dancing with Wulffs“, im Text von Reuters am 10.1.: „Die Diskussion über Bundespräsident Christian Wulff hat dem Staatsoberhaupt einer Umfrage zufolge in den vergangenen Tagen in der Bevölkerung Zustimmung gekostet“. Da schien mir ein schwerwiegender Fehler enthalten – wir diskutierten in der Redaktion anhand von Duden, Bertelsmann und Spellcheck. Ich erinnerte mich dann schließlich des Hamlet-Satzes von William Shakespeare (oder seinem Ghost-Writer): „Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als Eure Schulweisheit sich träumen lässt“. Denn was vor einigen Jahren noch klar falsch gewesen sein mag, ist heute zumindest auch richtig. Das dürfte auch Christian Wulff oder Kai Diekmann trösten, sofern sie „Trost-to-go“ nötig haben.
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Zu unbedarft oder zu vertraut?

Blog vom 3.1.2012 von Sebastian Köhler, HMKW Berlin
Zu unbedarft oder zu vertraut?
1.) Dass die Debatten um die Affären von Bundespräsident Christian Wulff nun auch ausdrücklich pressefreiheitliche Streitpunkte erhalten, überrascht nicht. Überraschen mag, dass die mutmaßlichen Droh- und Verhinderungs- und Abwehr-Kommunikationen zwischen Wulff und den hohen sowie höchsten Vertretern des Hauses Springer erst jetzt, Wochen später und damit nach der vermeintlichen Feiertagspause, durchzusickern beginnen. Wenn der Bundespräsident sich mit Vokabeln wie „Krieg“ oder „endgültiger Bruch“ auf der Mailbox des Bild-Chefredakteurs Kai Diekmann verewigt haben sollte, dann könnte das als Ausdruck entweder von großer Unbedarftheit oder aber von großer Vertrautheit verstanden werden. Natürlich haben Journalistenvertreter wie DJV-Chef Michael Konken sowie seine Kollegen von dju und Presserat Recht, wenn sie darauf bestehen, dass sich Prominente kritische Recherchen und entsprechende Berichterstattung gefallen lassen müssen (vgl. http://www.djv.de/Diskussion.2995+M5e832764aac.0.html, sowie http://www.berliner-zeitung.de/politik/wulff-droht-journalisten-kriegserklaerung-auf-dem-anrufbeantworter,10808018,11381202.html, Aufruf vom 3.1.2012, 18.49 Uhr). Zumal, wenn sie sich wie Christian Wulff seit langem insbesondere von den Boulevardmedien geradezu inszenieren lassen – sofern es eben passt. Also Business as usual? Man verträgt sich, man schlägt sich, und man verträgt sich wieder? Es ist eine lose-lose-Situation: Man muss kein Fan von Wulff sein, um nicht zu wollen, dass Konzerne wie Springer Politiker praktisch im Alleingang hochschreiben oder fallenlassen. Kaum zu sagen, was für das Kriseln der Demokratie hierzulande schwerer wiegt – einfach nur unbedarftes Verhalten führender Repräsentanten, oder – andersherum interpretiert – eine so große Beeinflussung und Abhängigkeit zwischen den Elite-Vertretern in Wirtschaft, Medien und Politik, dass von buchstäblich vertraulicher Nähe auszugehen wäre? Eine Zensur freilich findet nicht statt, von keiner Seite.
2.) Das deutsche Fernsehjahr 2011 sieht RTL noch klarer als bisher vorn – der Marktführer im TV-Geschäft erreichte diesmal laut der Nürnberger GfK-Fernsehforschung einen Marktanteil von 14,1 Prozent (2010: 13,6). Das Erste der ARD und das ZDF hingegen schnitten so schlecht ab wie noch nie: Die ARD bei 12,4 Prozent (2010: 13,2), das ZDF bei 12,1 (2010: 12,7) – es war ein Jahr ohne ganz großen Sport, dafür aber mit viel politischer Brisanz. Fraglich, ob die relativ schwachen „Quoten“ vor diesem Hintergrund mehr gegen die Öffentlichen-Rechtlichen sprechen oder aber gegen die TV-Nutzer. Die dritten Programme der ARD kommen zusammen auf 12,5 Prozent (2010: 13,0), also auf den virtuellen zweiten Platz. Weiter Fünfter ist Sat.1 mit konstanten 10,1 Prozent. ProSieben verlor leicht auf 6,2 % (2010: 6,3), Vox bleibt bei 5,6 Prozent. Dann folgen Kabel eins mit 4,0 % (3,9), RTL II mit 3,6 (3,8) und Super-RTL mit weiterhin 2,2 Prozent. Bei den Nachrichtenkanälen sah es so aus: Der öffentlich-rechtliche Kanal Phoenix lag mit 1,1 Prozent Marktanteil knapp vor N24 und n-tv, beide bei 1,0 Prozent. Die Dauer der täglichen TV-Nutzung insgesamt stieg um eine Minute – auf nunmehr 224 Minuten (vgl. BLZ vom 2.1.2011, S.26).
3.) Bezugsfehler passieren schneller, als man gelegentlich seinen Pressesprecher entlassen kann: Im Interview bei N24 am Vormittag am 20.12. wurde der Publizist Manfred Bissinger, bis zum Jahre 2010 tätig für den Verlag Hoffmann und Campe, gefragt zur seinerzeitigen, ca. 42.000 Euro schweren Werbekampagne des Finanzunternehmers Carsten Maschmeyer zugunsten des damaligen Buches von Christian Wulff „Besser die Wahrheit“ (vgl. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/besser-die-wahrheit-die-rechnungen-fuer-wulffs-buch-liess-maschmeyer-aendern-11573427.html, Aufruf am 3.1.2012, 18.27 Uhr). Bissinger sagte auf N24 ziemlich wörtlich: „Unser Verlag hat damals auch ein Buch über Gerhard Schröder veröffentlicht – am dem hat ja Herr Maschmeyer auch die Rechte.“ Das klärt – als womöglich Freudscher Versprecher – natürlich Manches: Carsten Maschmeyer hätte also die Rechte an Gerhard Schröder, und Frau Unternehmersgattin Edith Geerkens hätte demzufolge die Rechte an … ? Einmal dürfen Sie raten – ganz unbedarft!