Über Sebastian Köhler

Publizistikkprofessor, TV-Producer und Online-Journalist sowie Kommunikationsberater in Berlin

Mini mal Standard – und wo beginnt Europa?

Bundesbehörden wie der Bundesnachrichtendienst (BND) sind gegenüber Journalisten nur begrenzt auskunftspflichtig. Das hat das Bundesverfassungsgericht in einem 13.10.2015 veröffentlichten Beschluss entschieden, wie Reuters am selben Tage meldete. Die Karlsruher Richter verwarfen die Beschwerde eines Journalisten, der im November 2010 vom BND Auskunft über die NS-Vergangenheit der hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeiter des Geheimdienstes verlangte. Als die Antwort des BND auf sich warten ließ, erhob der für die „Bild“-Zeitung arbeitende Reporter eine sogenannte Untätigkeitsklage, die aber vom Bundesverwaltungsgericht abgewiesen wurde (Az. 1 BvR 1452/13).
Die Karlsruher Richter entschieden nun, der Journalist sei dadurch nicht in seinen Grundrechten verletzt worden. Die Landespressegesetze – auf die er sich berief – gewährten Journalisten „nur Zugang zu solchen Informationen, die bei öffentlichen Stellen bereits vorhanden sind“. Die Landespressegesetze beinhalteten keinen Anspruch darauf, dass eine Behörde Journalisten Informationen „verschafft“. Der Reporter habe Angaben vom BND verlangt, über die die Behörde damals selbst noch nicht verfügt habe. Die angefragten Informationen sollten vielmehr erst von einer eigens eingesetzten Historikerkommission erarbeitet werden.
Das Bundesverfassungsgericht beantwortete nicht die umstrittene Grundsatzfrage, auf welche Rechtsgrundlagen Auskunftsansprüche von Journalisten gegen Bundesbehörden gestützt werden können. Bislang gibt es dazu keine Bundesregelung. Ob diese nötig seien, ließen die Verfassungsrichter offen.

Das Bundesverwaltungsgericht hatte die Politik 2013 aufgefordert, Gesetze zu erlassen, mit denen die Ansprüche festgeschrieben werden sollten. Ein Vorschlag der SPD im Bundestag scheiterte. Die Regierung sieht derzeit offenbar keine Veranlassung, die Transparenz auch ihrer selbst für Journalisten neu zu regeln. Sie hat es, so Jost-Müller Neuhof im Berliner Tagesspiegel, im „Minimalstandard“ bequem gemacht.

Zum Artikel im „Tagesspiegel“

Zum sprachkritischen Kaleidoskop: In einer Meldung von Reuters hieß es am 21.9.2015: „Kroatien forderte Griechenland auf, keine Flüchtlinge mehr nach Europa durchzulassen“. Europa – es scheint immer unklarer, was und wo das noch ist oder sein soll ….
Dass Russland in vielen Medienberichten ganz und gar nicht zu „Europa“ zählt – das ist leider Standard. Die Ukraine liegt komplett in Europa, ist aber laut vielen Pressestellen und Journalisten erst „auf dem Weg nach Europa“. Aber das EU- und Euro- und NATO-Land Griechenland? Ganz, ganz böse Zungen könnten unken, hier werde im Sinne von Freudschen Versprechern Deutschland mit Europa gleichgesetzt. Mini mal Europa gleich Deutschland? Merkwürdige Standards …

Hafenarbeiter – ein sicherer Job!

Reporter der BBC-TV-Sendung „Panorama“ zeigten sich dieser Tage mal wieder relativ mutig (angesichts der Tatsache, dass die dortige Regierung dem „Guardian“ ja 2014 ziemlich unverhohlen damit gedroht haben soll, die renommierte Zeitung im Kontext der Snowden-Enthüllungen wegen Geheimnisverrates zu schließen – siehe hier zum Hintergrund)

Portal Heise zu Regierung gegen Guardian

Auch diesmal könnte den Journalisten „Netzbeschmutzung“ und „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ vorgeworfen werden: BBC-Journalisten interviewten Edward Snowden in seinem Exil in Moskau.

Die BBC berichtet über Snowden und „Smurfs“, also ganz neue „Schlümpfe“

Und es geht wieder mal selbstkritisch gegen mutmaßliche Machenschaften des britischen IT-Geheimdienstes GCHQ (Government Communications Headquarters, zu deutsch in etwa „Regierungskommunikationszentrale“): Laut Snowden kann über sogenannte Schlumpfattacken (also geheime SMS-Botschaften) das Smartphone praktisch jedes Bürgers gehackt und dann zur totalen Kontrolle der Nutzer verwendet werden.

Smurf BBC

Quelle: Screenshot SeK von der BBC-Website am 7.10.2015, 15.20 Uhr

Das funktioniert Snowden zufolge auch und gerade, wenn das Handy ausgeschaltet ist. Abhören mit dem Mikrofon, Ausspähen mit der Kamera, Aufzeichnen aller Standorte und Bewegungen – mit der neuen Generation der Schlümpfe anscheinend kein Problem für einen Geheimdienst wie GCHQ. Die BBC-Journalisten fragten auch die Gegenseite an und erklärten, dass sich weder Regierung noch Behörde offiziell und konkret zu den Vorwürfen äußern wollten. Vom Geheimdienst GCHQ hieß es laut BBC nur, man arbeite im Rahmen der Gesetze.

„Im Rahmen der Gesetze“ könnte auch ein anderer Ausdruck sein für „Safe Harbour“, also jenen offenbaren Mythos vom „sicheren Hafen“ für Datenschutz, den US-Regierung und EU-Kommission seit dem Jahr 2000 pflegten und der, nun ja, versenkt wurde durch die Klage des jungen Juristen Maximilian Schrems aus Wien und durch das für mich überraschend eindeutige Urteil der Luxemburger Richter vom EuGH am 6.10.2015: Es ging konkret gegen die Datensammel- und verwertungspraktiken von „Facebook“ (bitte spätestens jetzt nicht mehr sagen: „Soziales Netzwerk“ oder „Social Media“, bitte sagen: „Internetkonzern“ oder zumindest „Internetplattform“ – alles andere ist einfach nur Auftragskommunikation). Aber wie Stefan Körner, Bundeschef der Piratenpartei, im Interview mit der Tageszeitung „junge Welt“ sagt (Ausgabe vom 7.10.2015, S.2): Betroffen sein könnten alle IT-Konzerne, die Nutzerdaten zwischen der EU und und den USA transferiert und aus-gelagert haben – also praktisch sämtliche großen Unternehmen der Branche, neben Facebook natürlich Google, Microsoft, Apple, Amazon, Twitter etc: Der „sichere Hafen“ war laut Körner „die EU-Datenschutzlüge im Interesse von Konzernlobbyisten“.

Und auf welchem Wege kommunizieren Snowden und Schrems? Ironie der Geschichte hier – unter anderem über Twitter, mit dem „Tweet des Tages“ vom 6.10.2015, einem Glückwunsch des älteren an den jüngeren Datenschutz-Experten:

Snowdon_Schrems

Quelle: Screenshot SeK von Twitter am 7.10.2015, 16.21 Uhr

Ein besserer Platz? Vielleicht kein ganz so unsicherer „Hafen“ mehr wie bisher, egal, ob als „Harbour“ (englisch) oder eben „Harbor“ (amerikanisch). Um uns selber sollten wir uns selber kümmern – auch als „Hafenarbeiter“.

Vermeintlich sachliche Nachrichten

20151002ZDFHeute

Quelle: Screenshot SeK der ZDF-Sendung

Moderatorin Petra Gerster am 2.10.2015 in der Heute-Sendung um 19.05 Uhr: „Die russische Regierung hat heute vermeintlich Beweise dafür vorgelegt, dass sie tatsächlich Stellungen des IS in Syrien bombardiert“.

Hier der Link zur Sendung

„Vermeintlich“? Oder müsste Frau Gerster hier nicht „angeblich“ oder „mutmaßlich“ oder „womöglich“ sagen?

Wir wissen seit langem, dass zum Beispiel der damalige US-Außenminister Colin Powell Anfang 2003 vermeintliche Beweise für die Existenz von Massenvernichtungs-Waffen in den Händen des Regimes von Saddam Hussein vorgelegt hatte, um damit den Beginn des Irak-Krieges durch eine US-geführte Allinanz zu rechtfertigen.

Mit Blick auf die aktuellen russischen Luftangriffe in Syrien sollten professionelle Journalisten die Lage bis dato doch nicht nur als Glaubensfrage nach- und vorbeten. So, wie es Unterschiede gibt zwischen „anscheinend“ (Wahrheitsgehalt offen) und „scheinbar“ (Bewertung als unwahre Aussage), verhält es sich ganz ähnlich mit „vermeintlich“ (Einordnung als unwahre Aussage) und Termini wie „angeblich“ oder „mutmaßlich“ oder „womöglich“: Hier bleibt es relativ offen, ob der Anschein (die Angabe der jeweils interessierten Seiten als Quelle) zutrifft oder eben trügt (oder das vielleicht sogar unentscheidbar ist und bleibt).

Siehe dazu auch folgenden Beitrag aus der „Badischen Zeitung“:

Scheinbar egal?

Und da mag sich mancher Beitragszahler wieder die Frage stellen – ist das nur Unvermögen oder doch schon, böses Wort aus der verschwörungstheoretischen Kiste, Propganda? Was ja vermeintlich nur jemand wie Putin macht oder machen lässt, nicht wahr?

Die Wellen schlagen hoch

Wellen und Ströme, Stürme und Fluten brechen über uns herein – bedenkliche Metaphern für massenhafte Bewegungen von Flüchtlingen in Richtung Deutschland.

Diese Worte verwenden nicht (nur) Rechtsextreme und Rechtspopulisten, sondern anscheinend noch viel mehr: Medien, die – sorry, Wortspiel – hier voll im Mainstream schwimmen.

Das Problem nenne ich Über-Naturalisierung: Diese Bewegungen von Menschen, Menschengruppen, Menschenmassen werden gleichgesetzt mit Naturkatastrophen. Solche Naturkatastrophen wie Erdbeben, Vulkanausbrüche oder Tsunami-Fluten entstehen aus Sicht der meisten sicher irgendwie schicksalhaft. Dafür kann kein Mensch etwas, und dagegen hilft am ehesten – abschotten, wegducken, dichtmachen. Rette sich, wer kann.

Gibt es sinnvolle Alternativen für informationsbetonte Journalismen? Flüchtlingsbewegung, Menschenandrang, Migrationszunahme oder -anwachsen scheinen mir besser geeeignet als die un-willkürlichen Anlehnungen an Sprach-Bilder von Naturkatastrophen. Die Flüchtlingsbewegungen sind in jeder Hinsicht Menschenwerk und schon deswegen kaum „alternativlos“. Menschen sollten (bis auf die Tatsache, dass wir alle endliche irdische Wesen sind) immer auch anders können.

Ein Beispiel von sehr vielen – „Die Welt“ und ihr „Flüchtlingsstrom“

Oder wie es in der ZDF-Sendung „Die Anstalt“ am 22.9.2015 hieß: „Mit einem Wort – wer ist schuld?“ – „Wir!“

Die gesamte Sendung, 55 Minuten öffentlich-rechtlich im besten Sinne

Vermeintliche Spielverderber

„Wer glaubt uns noch?“ fragen viele maßgebliche Journalisten hierzulande, anscheinend (sic!) verzweifelt. In der „Zeit“ gedruckt und online steht Ende Juni 2015 als letzter Satz der Zusammenfassung einer eigens von dem Blatt in Auftrag gegebenen Umfrage: „Jeder zehnte der Befragten bemängelte außerdem die vermeintlich fehlende Unabhängigkeit der Medien“. (vgl. http://www.xing-news.com/reader/news/articles/71759?xng_share_origin=email, letzter Aufruf am 27.6.2015, 20.49 Uhr)

Dieser meines Erachtens nur scheinbare Sprachfehler mit dem Wort „vermeintlich“ führt in den Kern der inhaltlichen Debatten:

„Vermeintlich“ bedeutet ja, es sei falsch, was da von manchen Nutzern angenommen wird (also dass wichtige Medien hierzulande nicht „unabhängig“ seien). Wenn die hier Beteiligten bei der „Zeit“ die Nutzerkritik aber ernst nähmen (ínhaltlich UND sprachlich), dann sollten sie schreiben: „(…) die angeblich fehlende Unabhängigkeit der Medien“. Denn damit würden sie ihre Position in diesem offenbar informationsbetont sein sollenden Artikel relativ offen lassen. So aber bewerten diese Journalisten (leider) die Sichtweise jener Kritiker von vornherein als falsch. Und das ist zumindest schade, meine ich.

2.) Im ARD-Brennpunkt im Ersten am 27.6. 2015 um 20.20 Uhr gibt die Moderatorin Ellen Ehni ihrem Gesprächspartner das Stichwort: Der griechische Ministerpräsident Tsipras habe sich ja nun (mit seiner Ankündigung eines Referendums) als „Spielverderber“ erwiesen, worauf Martin Schulz, der Präsident des Europäischen Parlamentes, nur noch wie ein gut angespielter Fußballstürmer „einzunicken“ braucht: Zumindest sei damit erneut klar geworden, dass Tsipras jedenfalls ein „Spieler“ sei. Dürfen wir das kommunizierende Röhren nennen, oder Selbstinduktion? Polemisch ließe sich sagen: Wer solche Journalisten hat, braucht keine Pressesprecher mehr. Oder andersherum: Man könnte sich eher wundern, wieviel solchem „Journalismus“ immer noch geglaubt wird. Wenn der interessierte Machtpolitiker Schulz als Versachlicher und Instanz von Objektivierung erscheint – dann haben wir es (nur noch und leider, leider) vermeintlich mit Journalismus zu tun.

Helfen und Geld geben ist seliger als nehmen, oder?

1.) Die Sprache mit Blick auf die Griechenland-EU-Euro-Krise verdient immer wieder genaues Hinschauen: In den meisten Medien ist fast ständig die Rede von „Geldgebern“ und „Hilfsprogrammen“ – siehe hier aktuell in der FAZ (http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/eurokrise/griechenland/hilfsprogramm-verlaengerung-fuer-griechenland-bis-maerz-2016-13637140.html, Aufruf am 10.6.2015, 12.51 Uhr).

Wenn das so einfach wäre, warum nehmen „die Griechen“ die Gaben dann nicht einfach und endlich an? Gemeint ist die derzeitige, demokratisch gewählte griechische Regierung, und wir dürfen vermuten, dass es zumindest aus deren Sicht nicht schlicht um Geschenke von großzügigen Gönnern geht. Warum sagen dann Journalisten hierzulande nicht „Kreditverleiher“ statt „Geldgeber“ und ganz kurz „Programme“ statt „Hilfsprogramme“? Weil das in den PR-Texten der Spitzenvertreter von EU-Kommission, EZB, IWF oder deutscher Bundesregierung schon so schön steht? Mag sein, aber das muss keine Lizenz zum Copy-and-Paste bedeuten. Dann müssen wir auch nicht die verlangten (Worte wie) „Mehrwertsteuerreform“ und „Rentenreform“ nachbeten, sondern können in jenen Fällen ganz konkret sagen: Die Kreditanbieter fordern in Griechenland u.a. eine Erhöhung der Mehrwertsteuer und eine Senkung der Renten und des Rentenniveaus. Okay, das klingt jetzt vielleicht nicht unbedingt so positiv. Aber sollen professionelle Journalisten positiv klingen? Oder doch eher objektivierend und transparent?

2.) Sprachkritisch betrachtet (die Griechen mögen sagen: „Per Kaleidoskop“ – also „schöne Formen sehen im anderen Licht“ – vielen Dank für dieses schöne Wort, liebe Griechen!), ist es übrigens spannend, dass und warum sich Seele und selig so verschieden schreiben. Das Wort „Seele“ bedeutet laut Duden online vor allem eine „Gesamtheit dessen, was das Fühlen, Empfinden, Denken eines Menschen ausmacht; Psyche“ und stamme ab vom Mittelhochdeutschen „sēle, althochdeutsch sē(u)la, wahrscheinlich zu See und eigentlich = die zum See Gehörende; nach germanischer Vorstellung wohnten die Seelen der Ungeborenen und Toten im Wasser“. Das entsprechende Adjektiv lautet „seelisch“ wie bei „seelischen Problemen“ etc. „Selig“ hingegen heißt derselben Quelle zufolge „von allen irdischen Übeln erlöst und des ewigen Lebens, der himmlischen Wonnen teilhaftig“, wortgeschichtlich (etymologisch) wahrscheinlich herkommend vom Mittelhochdeutschen „sælec, althochdeutsch sālīg, eigentlich = wohlgeartet, gut, glücklich“, wobei auch der Duden hier verkündet: genaue „Herkunft ungeklärt“. Nicht ohne Grund erscheint mir dieses doch etwas „seelenverwandte“ Wortpaar als Kandidat für einen (oder zwei) der ganz vorderen Plätze in der offiziellen Duden-Hitliste der „rechtschreiblich schwierigen Wörter“ (Aufruf Duden online am 10.6.2015, 13.38 Uhr).

Binde-Striche?

Sollen wir im Redaktionsalltag schreiben: „Schusswaffengebrauch“? Oder aber „Schusswaffen-Gebrauch“? Oder doch lieber „Schuss-Waffengebrauch“? Oder gar „Schuss-Waffen-Gebrauch“?

Der Duden orientierte 2006 wie folgt: (http://www.duden.de/sprachwissen/newsletter/duden-newsletter-vom-06-10-06, Aufruf am 14.4.2015, 15.20 Uhr.)

(Zitat Anfang) Auch wenn man sie oft zu sehen bzw. zu lesen bekommt, ist die Getrenntschreibung solcher Zusammensetzungen nach wie vor nicht korrekt. Ist das neu entstandene Wort unübersichtlich und damit nicht so gut lesbar, kann man allerdings einen Bindestrich zwischen beide Bestandteile setzen, durchaus sinnvoll z. B. bei Video-Installation oder Lotto-Annahmestelle wegen des Aufeinandertreffens mehrerer Vokale. Sinnvoll kann der Bindestrich auch sein, wenn Fremdwörter oder Eigennamen zum Grundwort treten wie bei Apollo-Raumschiff oder Assessment-Center. So wäre neben dem Hairstudio auch das Hair-Studio möglich. Die meisten Komposita wie beispielsweise Videotechnik, Technologietransfer oder Hautcreme können jedoch sehr gut auf den Bindestrich verzichten. (Zitat Ende).

Die Bedeutung eines Wortes sei dessen Gebrauch, hatte ganz pragmatisch der späte Ludwig Wittgenstein (1889 bis 1951) formuliert. Die beste oder „richtigste“ Formulierung nützt also wenig bis nichts, wenn sie nicht verstanden wird, wenn sie nicht kommunikativ gelingt. Das soll im Sinne der Regelwerke nicht Beliebigkeit heißen, aber hier darauf verweisen, dass es bei zusammengesetzten Wörtern, Komposita, immer auch um die Lesbarkeit geht, da sich das Lesen ja wiederum und weiter dynamisiert. Deshalb dürften Bildungsbürger rechtschreiblich eher zur „Schusswaffengebrauchsordnung“ tendieren (um im obigen Beispiel zu bleiben), während Boulevardaffine mehr zur „Schuss-Waffe“ neigen mögen. Kann sich ergänzend klappen. Und ist ja im Unterschied zu gemeintem Vorgang keine Frage von Leben und Tod.

Spaniens Medienfreiheit verblüht?

1.) Kämpft die Medienfreiheit in Spanien derzeit gegen Windmühlenflügel? Also einen aussichtslosen (oder auch nur eingebildeten) Kampf wie der legendäre Don Quichote? Das Land bleibt wirtschaftlich und politisch tief in der Krise, und in den hauptsächlichen Medien scheint es vor allem um Erhaltung von Macht und Pfründen zu gehen (siehe u.a. http://www.taz.de/!157923/, Aufruf am 15.4.2015 um 19.45 Uhr).

Zwei Wochen hatte es gedauert, bis der spanische TV-Moderator Jesús Cintora auf dem Kurznachrichtendienst Twitter erste Worte fand. „Ihr wisst, dass sie beschlossen haben, dass ich nicht weitermache. Es ist nicht leicht, aber ich lass mich nicht unterkriegen“, lautete die Nachricht Cintoras an seine Fans, nachdem er zur Osterwoche als Moderator der allmorgendlichen Politiktalkshow im Privatsender Cuatro abgesetzt worden war. Betreiber Mediaset begründete dies mit dem „klaren Ziel, die Zuschauer mit Pluralismus zu informieren, mit Moderatoren, die die Informationen objektiv darstellen“. Mediaset gilt als eine Fernseh-Sendergruppe, die vom späteren italienischen Regierungschef Silvio Berlusconi gegründet wurde. Die Mediengruppe Mediaset ist eingebettet in die Fininvest-Holding, an der die Familie Berlusconi knapp 51 Prozent hält und die in Italien (auch ein kriselndes Euro-Land) und in Spanien als sehr einflussreich angesehen wird. Der deutschen „taz“ erscheint dies als Chronik eines angekündigten Todes. Cintora war vielen zu kritisch. Er überging kaum einen Fehltritt der regierenden konservativen Partido Popular (PP) unter Ministerpräsident Mariano Rajoy. Seine Gäste debattierten über die tiefe Krise des Zweiparteiensystems aus Konservativen und Sozialdemokraten, das Spanien seit Ende der Diktatur regiert. Berichte über Opfer der Kürzungspolitik fehlten nicht. Cintora ließ auch Vertreter der neuen Protestpartei Podemos (Wir können) zu Wort kommen, die in Umfragen seit einigen Monaten sogar vorne liegt. Dem Fernsehmoderator wurden gute Beziehungen zu deren Gründer Pablo Iglesias nachgesagt. Ironie der Geschichte: Das Ganze war betriebswirtschaftlich erfolgreich: In Cintoras zwei Jahren bei „Las manañas de Cuatro“ verdoppelte sich der Marktanteil von sechs Prozent auf über 13 Prozent. Seine Nachrichtenshow war oft das meistgesehene Programm am Morgen.

Das Problem der stark eingeschränkten Medienfreiheit in einem tradierten EU- und Euroland wird deutlich, wenn man sieht, dass auch die öffentlichen Rundfunkmedien und die Presse in Spanien bis hin zur (einst) linksliberalen „El Pais“ auf Linie gebracht zu werden scheinen. Viele als kritisch oder links geltende Journalisten wurden in den vergangenen Wochen und Monaten abgesetzt. Doch nicht nur auf Internetplattformen regt sich durchaus und massenhaft Protest: Vor einigen Tagen demonstrierten Dutzende in Madrid mit einem Hologramm am Parlament gegen das, was sie auch in Form neuer Gesetze als Abbau von demokratischen Rechten wahrnehmen. Im Herbst dieses Jahres stehen in Spanien Parlamentswahlen im Zeichenb politischer Umbrüche an, und dabei muss es trotz der Krise keinen „Rechtsruck“ geben.

2.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Die Potsdamer MAZ hatte am 13.12.2014 auf Seite 17 mit der Überschrift zum Thema „Flughafen BER“ aufgewartet: „Erste Flieger heben schon im Mai 2015 ab“. „Schon“ ist sicherlich sehr gut formuliert, das hätte die Pressestelle vom BER nicht besser sagen können. „Flieger“ finde ich aber ebenfalls nicht „alternativlos“: Ich ziehe das Wort „Flugzeuge“ vor, weil es kaum länger, aber dafür exakter ist: „Flieger“ können auch Piloten etc. sein. Sieht der Duden übrigens ganz ähnlich und hält „Flugzeug“ für die primäre und zumindest elegantere Variante (http://www.duden.de/rechtschreibung/Flugzeug, Aufruf am 15.4.2015, 20.28 Uhr)

Varoufake – in den Mund gelegt, aus den Fingern gesogen?

Die Redaktionen von „Jauch“ und „Bild“ wollten offenbar vorführen. Und dürften, so oder so, vorgeführt worden sein:

Link zum Böhmermann-Beitrag auf YouTube

Es erscheint mir zwar spannend, aber letztlich zweitrangig, ob der Videoausschnitt „echt“ ist.

Viel wichtiger ist zweierlei: Selbst wenn „der Grieche“ den Stinkefinger gezeigt haben sollte, dann bleibt anzumerken:

1.) Es ist eine, gelinde gesagt, Über-Vereinfachung, den Konflikt um Griechenlands Verschuldung auf solch einen emotionalen und persönlichen Aspekt zu reduzieren (vielleicht meinten die Redaktionen, den Konflikt so „auf den Punkt zu bringen“).

2.) Und es ist, vorsichtig formuliert, die nächste Über-Vereinfachung, diese Einstellungen so aus dem Kontext zu reißen, dass nicht deutlich wird, dass „der Grieche“ ja wohl gesagt hatte, es gehe NICHT, einfach mit dem Finger gegen Deutschland zu zeigen. Also so ziemlich das Gegenteil von dem gesagt (und vielleicht auch gezeigt) hatte, was „die Deutschen“ (Jauch und Bild) ihm in den Mund legten (und – sich – aus den Fingern sogen).

Keine schlechten Aussichten ….

Von Sebastian Köhler

Positive Beispiele greift unser sprachkritisches Kaleidoskop ja auch gerne auf (wenn auch leider eher selten ….):

Am Mittwoch, 11.2.2015, hieß es bei „Tagesschau24“ in Wort und Text: „GDL stellt neue Streiks in Aussicht“. Die ARD-Aktuell-Redaktion als lernender Organismus.
Nicht das so klar negativ wertende „droht“ (wie ja auch Erdbeben, Seuchen, Weltuntergang etc.), sondern diese sachliche und durchaus elegante Formulierung. Wie mensch das dann findet, ob schlecht, gut, unentschieden oder noch ganz anders, sei uns allen selbst überlassen. Denn der „böseste“ Streik mag ja, im Unterschied zu Grippe-Epidemien o.ä., für die menschliche Gesellschaft durchaus nicht bloß „schlecht“ sein. Das nur mal so in Aussicht gestellt ….