Über Sebastian Köhler

Publizistikkprofessor, TV-Producer und Online-Journalist sowie Kommunikationsberater in Berlin

(Neu-)Zugänge beim (Dazu-)Lernen

1.) Der Redaktionsleiter des „heute journal“, Dr. Wulf Schmiese, hat mir nach meiner Kritik an der ZDF-Sendung vom 26.6. mit Bernd Raffelhüschen zum Thema „Rente“ geantwortet.

Hier die Kritik im Blog

Meine Kritik habe manches für sich, zum Beispiel sei vorgesehen gewesen, auf Raffelhüschens Rolle als „Ergo“-Aufsichtsrat hinzuweisen. Bei einem etwaigen nächsten Male solle das besser laufen. Insofern – bleiben wir gemeinsam dran und sehen mit vielen Augen weiterhin und noch besser auch auf das „Zweite“.

2.) In der „Märkischen Allgemeinen“ in Potsdam las ich am 15.7. folgenden Beitrag in der Form eines Interviews mit dem Potsdamer Oberbürgermeister Jann Jakobs:

Hier geht es zur MAZ-Seite mit dem Text

Darüber hatte in der Printausgabe ein längerer informationsbetonter Beitrag zum Thema gestanden.

Ich schrieb daraufhin an die Redaktion:

„Ich lese Ihre Zeitung immer mal wieder in der Printversion und noch häufiger online – und ich wundere mich leider nicht selten über gewisse Tendenzen zur „Hofberichterstattung“ gerade bei kontroversen und wichtigen Themen in Potsdam.
Konkret die Seite 15 der Ausgabe vom Samstag, 15.7.:
Die große Überschrift lautet: Fachhochschule nicht zu retten
Das scheint kein Zitat zu sein, sondern offenbar die Meinung der Redaktion? Oder auch die der SPD-Politiker Jann Jakobs oder Klara Geywitz, die ja auf der Seite ausführlich in Wort und Bild zum Zuge kommen?
Man weiß es nicht – was ich aber weiß, ist, dass es Leute gibt, die das anders sehen.
Die Unterzeile lautet: Abrissbeschluss ist politisch und juristisch unumkehrbar
Auch das ist nicht als eine Version von wem auch immer zu erkennen – wiederum die Meinung der Redaktion?
Das ist auch deswegen spannend, weil Sie sich gewiss erinnern, dass gerade hier in Potsdam über das Stadtschloss zunächst 2006 zweimal im Stadtparlament abgestimmt wurde, jeweils GEGEN einen Wiederaufbau als Landtag. Diese beiden Abstimmungen wurden damals und werden heute in der herrschenden Diktion „gescheitert“ genannt, obwohl sie einfach nur ein bestimmtes Ergebnis hatten – KEIN Wiederaufbau. Wer das als „Scheitern“ bezeichnet(-e), macht seine Parteinahme deutlich. Erst im dritten Anlauf dann, 2007, gab es (da die Linke umschwenkte) das offenbar „richtige“ Ergebnis. Kritiker sagten damals und sagen heute, in einer bestimmten Auffassung von „Demokratie“ lasse man eben so lange abstimmen, bis das (von oben) gewünschte Ergebnis herauskomme.
Jetzt aber, mit Blick auf die Alte Fachhochschule, soll alles definitiv alternativlos sein? Kann man so sehen, muss man aber nicht …. Denn „die Demokratie“ in ihrer Reinform gibt es kaum, sondern am ehesten wohl mehr oder weniger demokratische Verfahren. Was das jeweils ist, darüber sollte in demokratisch verfassten Gesellschaften möglichst vielfältig und öffentlich debattiert werden, oder?
Mein ganz konkreter und deutlichster Kritikpunkt ist das „Interview“ von Ildiko Röd mit dem Oberbürgermeister Jann Jakobs, im afrikanischen Sansibar geführt. Es erscheint mir sehr einseitig und geradezu mitfühlend mit dem Stadtoberhaupt.
Frau Röd fragt den OB ohne Quellenangabe (als Quelle müsste die Polizei angegeben werden), dass ein Polizist verletzt worden sein soll. Sie fragt nicht (wofür es andere Quellen gibt), inwiefern Aktivisten verletzt worden sein sollen. Sie bewertet die Entwicklung als „Eskalation“, was ein klar negativ konnotiertes Wort ist. Und da den Sicherheitskräften (warum auch immer, Quellen?) „Deeskalation“ bescheinigt wird, ist klar, wer für die Zuspitzung verantwortlich ist laut Frau Röd. Sehr fragwürdig.
„Bis Sonntag ist ein Protestcamp angemeldet. Macht Ihnen das Sorgen?“ fragt Frau Röd, wiederum sehr wertend. Sie hätte auch relativ sachlich fragen können: „Wie sehen Sie das?“ oder auch „Wie bewerten Sie das?“. Am deutlichsten kommt die (wahrscheinlich sogar unbewusste) Parteinahme der MAZ-Reisenden aber zum Ausdruck in der Formulierung: „Befürchten Sie, dass sich ähnliche Vorfälle in Zukunft wiederholen könnten?“ Das ist eine unglaublich klare Bewertung, denn „befürchten“ bezieht sich immer auf deutlich Negatives. Konstruktiv anders formuliert (ich arbeite auch in der Branche): „Erwarten Sie, dass sich ….?“ oder auch „Gehen Sie davon aus, dass …?“
Dass Frau Röd dann auch noch die Vielfalt der Kritiker des OB-Kurses alle in einen Topf wirft mit der Formulierung „die Kritiker sagen ….“ – geschenkt im Lichte der anderen Fragwürdigkeiten.

Woran fehlt es dem Beitrag meines Erachtens? Ich denke, an einer grundsätzlichen, professionellen Distanz zu Person und Gegenstand des Interviews. Alternativen tauchen praktisch nicht auf (außer der, dass „im Vorfeld“ noch mehr für „die Sicherheit des Gebäudes“ hätte getan werden sollen). Frau Röd fragt leider so gar nicht kritisch nach.

Könnte das womöglich (mal auf die Strukturen geschaut) auch daran liegen, dass sie auf Kosten der Stadtverwaltung mit im Reisetross des OB unterwegs ist? Oder sollte die Unabhängigkeit der journalistischen Bericherstattung insofern gewährleistet sein, als die MAZ komplett die Reise von Ildiko Röd bezahlt?

Gerade weil ja der eine oder andere Pressesprecher der Stadt vor dem Job im Rathaus als Journalist tätig war, sollte meines Erachtens der Eindruck gar nicht erst aufkommen dürfen, dass Beiträge wie dieser auf mich eher als Beispiele von Auftragskommunikation wirken denn als Journalismus.

Oder mal ganz bewusst polemisch formuliert: Wer solche Journalisten im Schlepptau hat, der braucht keine Pressestelle (mehr). Und mit Blick auf die Vertrauenswürdigkeit journalistischer Medien: Da könnten wir doch gleich den Newsletter aus dem Rathaus abonnieren. Die werden ja mittlerweile von den Profis jener Branche auch schon in Dialogform angeboten, wegen der besseren Lesbarkeit ….

Was meinen Sie? In der Hoffnung auf eine konstruktiv-kritische Debatte verbleibe ich mit freundlichem und kollegialem Gruß….“

Darauf schrieb mir der stellvertretende Chefredakteur der MAZ, Henry Lohmar:

„(…) haben Sie vielen Dank für Ihr Schreiben, das von profunder Kenntnis sowohl der Potsdamer Verhältnisse als auch der Regeln professioneller journalistischer Berichterstattung zeugt. Sie haben einige wichtige Punkte angesprochen, auf die ich gerne eingehen will. Der wichtigste, darum gleich am Anfang: Unsere Redakteurin Ildiko Röd ist nicht auf Kosten der Stadtverwaltung nach Sansibar gefahren, sondern auf Kosten der MAZ. Sowohl der Flug als auch die Unterkunft werden vom Verlag bezahlt. Darauf haben wir im Vorfeld großen Wert gelegt, um eben nicht den Verdacht zu nähren, wir betrieben Hofberichterstattung. Ihren, wie Sie selbst sagen, polemisch formulierten Satz „Wer solche Journalisten im Schlepptau hat, der braucht keine Pressestelle mehr“ möchte ich feundlichst, aber bestimmt zurückweisen.

Nun zu Ihrer Kritik an unserer Berichterstattung: „Fachhochschule nicht zu retten“ – ist diese Überschrift nachrichtlich gedeckt? Streng genommen nein, da bin ich bei Ihnen, denn weder ist das ein Zitat eines Protagonisten aus dem Text, noch sind die Bagger bereits angerückt. Ein anderes Szenario ist also theoretisch auch noch denkbar. Aber wenn Sie den Text anschauen – Ihnen als Dozent und Kenner der Materie muss ich das eigentlich nicht sagen – , dann sehen Sie, dass es sich hierbei um ein erklärendes Hintergrundstück in Frage- und Antwort-Form handelt, keine Nachricht im engeren Sinne. Die Nachricht des Tages zur FH steht auf der Titelseite der Potsdamer Ausgabe, wie Sie sicherlich gesehen haben. Das Stück im Lokalteil dient der Ergänzung und Vertiefung. Die Überschrift bezieht sich ganz klar auf die geltende Beschlusslage, ist mithin eine Beschreibung des juristischen Status quo. Ob dieser „unumkehrbar“ ist – darüber kann man streiten. Daher, auch das räume ich ein, lehnen wir uns mit der Unterzeile sehr weit aus dem Fenster.

Ihr Einwand, es habe auch beim Stadtschloss mehrere Abstimmungen gegeben, ist richtig. Aber was heißt das für uns bei der Berichterstattung? Sollen wir den demokratisch zustande gekommenen Beschluss zum Abriss der FH negieren, nur weil zukünftig ja vielleicht noch mal anders entschieden werden könnte?

Das Interview mit dem OB: Ihre Anmerkungen kann ich nur zum Teil nachvollziehen. Hätte man kritischer nachfragen können? Sicher, auch wenn ich bis jetzt noch nicht mit Frau Röd über die Begleitumstände sprechen konnte (die wiederum für den Leser natürlich keine Bedeutung haben). Der Einstieg „Wie bewerten Sie die Ereignisse“ ist jedoch absolut neutral formuliert, ob der OB sich wegen des Protestcamps „Sorgen macht“, ist eine Frage, die durchaus nahe liegt, und deren bejahende Beantwortung sogar einen gewissen Nachrichtenwert gehabt hätte. „Eskalation“ bedeutet Zuspitzung, und das ist ja wohl angesichts der Ereignisse vom Donnerstag nicht übertrieben formuliert. Dass Frau Röd den OB mit einem zentralen Punkt der Kritiker konfrontiert, nämlich dem, das Projekt am Alten Markt werde „einfach durchgedrückt“, wischen Sie nonchalant weg.

Ich will Ihre Kritik damit nicht komplett zurückweisen, aber ich lese in ihr auch eine deutliche Sympathie mit dem Anliegen der Besetzer. Das ist völlig legitim. Was aber sehr schade wäre: Wenn sich bei Ihnen der Eindruck verfestigte, die MAZ würde im Streit um die Bebauung der historischen Mitte einseitig und noch dazu unter Missachtung journalistischer Standards berichten.

Zum Schluss möchte ich Ihnen noch einen anderen Beitrag aus der MAZ ans Herz legen, der ebenfalls am Samstag erschienen ist. Er schildert die Auseinandersetzung um die architektonische DDR-Moderne in Potsdam aus einer distanzierten Perspektive und ist in unseren Nicht-Potsdamer Ausgaben erschienen:
http://t.maz-online.de/Brandenburg/Wie-viel-DDR-Architektur-vertraegt-Potsdam

Ich verspreche Ihnen: Wir bleiben dran am Thema und werden sachlich und kritisch berichten, wie es unsere Aufgabe ist. Ich würde mich freuen, wenn Sie uns als kritischer Leser erhalten blieben. Melden Sie sich gerne bei mir, wenn Sie Fragen oder Anmerkungen los werden wollen. Ich freue mich.

Mit den besten Grüßen …“

Worauf ich wiederum an Henry Lohmar schrieb:

„(…) vielen Dank für Ihre rasche und ausführliche Reaktion auf meine Zeilen.

Ich freue mich, dass Sie einige meiner Kritikpunkte nachvollziehen können. Und natürlich sollten wir Journalisten geltende Beschlusslagen nicht schlicht „negieren“, aber eben auch nicht einfach „absolut“ setzen. Sondern, wie so oft im Leben, möglichst differenziert betrachten. Da dürften wir wieder dicht beiander liegen.

Die heutigen Zeilen zum Thema im Blatt kann ich übrigens gut nachvollziehen im Sinne von Objektivierung der Ereignisse. Und das in diesem Fall, wie Sie ebenfalls ganz richtig einschätzen, mit (und nicht trotz oder wegen) einer gewissen Sympathie für die Anliegen der Leute von „Stadtmitte für alle“.

Eine „MAZ“ für möglichst viele Potsdamerinnen und Potsdamer, Nutzerinnen und Nutzer ist doch ein sinnvolles Ziel ….“

Was lehrt das womöglich? Wenn Medien und Nutzer vergleichsweise sachlich und auf Augenhöhe miteinander kommunizieren, lässt sich manches lernen und manches ändern.

3.) ZDF-Börsenexperte Frank Bethmann sprach jüngst wieder einmal davon, dass eine bestimmte Aktie einen „Dazu-Gewinn“ erzielt habe. Klar, das ist wichtig zu sagen und zu wissen, denn es gibt ja auch „Hinweg-Gewinne“ und sogar „Null-Gewinne“. Oder wären all das eher „Blasen“, die es ja in der Finanzwelt auch nicht zu knapp geben soll? „Doppelt gemoppelt“ muss nicht sein. Deshalb an dieser Stelle ein großes Lob an die „Berliner Zeitung“, Ressort Sport: Dort stand am 24.7.2017 auf Seite 19 im Beitrag von Maik Rosner über den FC Bayern etwas zu den „Zugängen Niklas Süle und Sebastian Rudy“ aus Hoffenheim. Spinnen die dort bei der BLZ? Fast alle anderen schreiben doch gefühlt seit Jahrhunderten von „Neuzugängen“, wenn Sportler zu einem anderen Verein wechseln.

Aber in der Tat: Hier einfach von „Zugängen“ zu schreiben, wäre ein Gewinn, pardon: „Dazu-Gewinn“.

Journalismus und Auftragskommunikation – eine Seite derselben Medaille?

1.) Der G20-Gipfel in Hamburg bot viel Stoff zum Denken und Diskutieren sowie für mich hier den Anlass für einen Offenen Brief als Mail an den Leiter der Redaktion „ARD aktuell“ in Hamburg, Dr. Kai Gniffke:

Sehr geehrter Herr Dr. Gniffke,

in Ihrer Eigenschaft als Leiter von ARD-aktuell schreibe ich Ihnen hier wieder einmal, also als Verantwortlichem von „tagesschau“ etc.

Ich habe mich sehr gewundert, dass die bekannte Tagesschau-Nachrichtensprecherin Linda Zervakis am 6.7. in Hamburg neben Barbara Schöneberger die Pop- und Politik-Show „Global Citizen“ in der Barclay-Card-Arena moderiert hat, siehe hier den Hinweis der ARD auf das Ereignis:

Hier geht es zum ARD-Hinweis auf das „Event“

Ich finde, gerade angesichts der Diskussionen um die Vertrauenswürdigkeit journalistischer Medien und insbesondere der öffentlich-rechtlichen Medien hierzulande ist diese Vermischung von Journalismus und Auftragskommunikation zumindest problematisch.

Ist es wahrscheinlich, dass dieselbe Linda Zervakis, die gerade noch auf der Bühne dem Event-Erfinder Hugh Evans aus Australien zugejubelt hat, in der (nächsten) Tagesschau sachliche oder gar kritische Worte (als Zitat von Kritikern) gegenüber diesem „Event“ vortragen könnte? Also: vertrauenswürdig vortragen könnte?

Viele mögen ja diese Party als die „gute“ Seite des G20-Gipfels sehen. Aber man muss das sicherlich nicht so wahrnehmen. Wenn Politiker wie Olaf Scholz oder Gordon Brown auftreten und ihre Botschaften inmitten von Popstars verkünden, muss man das nicht unbedingt gut finden oder gar bejubeln.

Was meinen Sie? Warum hat sich offenbar Ihr Team entschieden, Frau Zervakis in dieser Rolle auftreten zu lassen?

Ich denke im Sinne von Parallelen an die Zeiten zurück, als die ARD als Sponsor des Radsport-Teams „Telekom“ Jan Ulrich und die Tour de France „bejubelt“ hat, bis Dopingkrisen deutlich wurden. Das Strukturproblem ist meines Erachtens das gleiche: Eine höchst fragwürdige Vermischung von Journalismus und Auftragskommunikation. Zur Vertrauenswürdigkeit der öffentlich-rechtlichen ARD dürfte das kaum beitragen.

Wie Sie wissen, finde ich es weiterhin sehr wichtig, dass es nicht nur privat-rechliche Medien in Deutschland gibt. Aber dann sollten sich die öffentlich-rechtlichen Medien doch bitte auch auf ihren Grundversorgungsauftrag für alle konzentrieren, oder?

In Erwartung Ihrer Antwort verbleibe ich mit freundlichen Grüßen: Sebastian Köhler

2.) Sprachkritisch fiel mir der Aufmacher der Zeitungen des Redaktionsnetzwerkes Deutschland (aka „Madsack-Gruppe“) auf, am Samstag, 8.7.2017, hier in der Version der MAZ, der Märkischen Allgemeinen in Potsdam. Im langen Bericht von Werner Herpell mit dem Titel „Gewalt überschattet Gipfel-Auftakt“ tauchen nur zwei Arten von Quellen auf: Regierungspolitiker und Polizei. Und diese strukturelle Einseitigkeit bestimmt auch sprachliche Aspekte: Versionen werden NICHT als Versionen gekennzeichnet, sondern als klare Wahrheit vermittelt.

Zwei Beispiele:

„Die Polizei ging davon aus, dass rund 1500 Randalierer schwere Straftaten gegen Einsatzkräfte vorbereiten“. Woher weiß der Berichterstatter das? Wahrscheinlich, weil es Polizeivertreter GESAGT haben. Wovon die Polizei letztlich und wirklich ausging – wer weiß das schon?

Zweites Beispiel: „Der Hamburger Polizeipräsident Ralf Meyer rechnete mit weiteren gewaltsamen Protesten“.
Es wird leider nicht besser – wenn der Journalist erneut den Eindruck erweckt, in Köpfe hineinschauen und Gedanken lesen zu können. Und damit auf seine Weise auf dem Weg scheint, Journalismus und Auftragskommunikation unprofessionell zu vermischen.

Jetzt wird es kritisch …. Raffelhüschen, Kleber – und wer zweifelt, ob das so lauten muss?

1.) Zum Thema „Medienkritik“, heute etwas ausführlicher und auch subjektiv, fast schon ein „heute journal“ (wenn der Scherz hier gestattet ist):

Am Montag, 26.6., bestimmte ein Report der Bertelsmann-Stiftung zum Thema „Rente“ die Medien hierzulande mit, die Hauptaussage des Reportes lautete: 2035 drohe ca. jedem fünften Rentner in Deutschland Altersarmut. Ich dachte mir an jenem Morgen: Wenn das nun schon die Bertelsmann-Stiftung schreibt, nicht gerade bekannt als eine links-gesellschaftskritische Einrichtung, dann scheint gewissermaßen bereits die „K. am Dampfen“ zu sein. Am Abend war ich allerdings in ganz anderer Hinsicht überrascht, als ich zum Thema auch ein Interview von Claus Kleber mit Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen im „heute journal“ sah.

Hier geht es zum Interview aus der ZDF-Mediathek

Mit etwas Abstand betrachtet, schrieb ich am 29.6. folgende Zeilen an das ZDF (ich kenne und schätze den heutigen Redaktionsleiter des „heute journal“, Dr. Wulf Schmiese, durch viele kritische und selbstkritische Diskussionen mit Studierenden in Berlin seit 2010)

Sehr geehrte Damen und Herren von der ZDF-Zuschauerredaktion, lieber
Herr Schmiese,

seit Montagabend ist etwas Zeit vergangen, weil ich die Causa noch
einmal in Ruhe überdenken wollte.

Aber ich bleibe dabei (und anscheinend geht es nicht wenigen Leuten so):
Ich frage mich, inwiefern Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen mit Blick auf
die aktuelle Rentendiskussion als einziger Experte am Montagabend im
ausführlichen Interview über mehr als vier Minuten lang praktisch
unbedrängt zu Wort kommen konnte. Er ist doch seit vielen Jahren bekannt
dafür (und wird auch kritisiert dafür), dass er nicht zuletzt als
ERGO-Aufsichtsrat und als deutlicher Lobbyist für die INSM oder auch in
anderen Kontexten für die Privatisierung der Rente in Deutschland steht
– und damit für die weitere Schwächung der gesetzlichen Rente
hierzulande. Davon war am Montagabend nicht die Rede, er wurde als
unabhängiger Fachmann und Wissenschaftler präsentiert.

Wenn man sich an die ZDF-Sendung „Die Anstalt“ vom 4.4. 2017 erinnert,
bleibt all das umso weniger verständlich. Denn gerade die Herren
Riester, Rürup, Maschmeyer und eben auch Raffelhüschen scheinen doch
sehr klar für eine bestimmte (und von vielen mittlerweile kritisch
betrachtete) Perspektive in der Rentendebatte zu stehen.

Ich finde das einseitige Auftreten von Raffelhüschen am Montagabend sehr
bedenklich – zumindest hätte m.E. auf diese Aspekte Prof. Raffelhüschens
hingewiesen werden müssen, oder es hätte auch eine andere Sichtweise zu
Wort kommen sollen zum Thema.

Raffelhüschen & Co. beschwören mit Blick auf die gesetzliche Rente seit
vielen Jahren eine angebliche demographische Krise gleichsam als
Naturgesetz, ohne ein Wort zum Beispiel über die steigende Produktivität
unser aller Arbeit zu verlieren.

Ich habe Claus Klebers Twitter-Äußerungen als Reaktion auf offenbar
massive Kritik gelesen und finde diese alles andere als überzeugend:
Natürlich sagt Raffelhüschen nun (wie ähnich ja auch Frau Merkel und
Herr Lindner), man solle bei der gesetzlichen Rente jetzt bis 2030 alles
so laufen lassen, wie es angeschoben wurde – außer unbedingt noch das
Renteneintrittsalter einen nächsten Schritt heraufsetzen! Also in
Richtung weiterer Absenkung des Rentenniveaus. Das alles erscheint mir
sehr deutlich von neoliberaler Ideologie geprägt. Soll offenbar
Versicherungen und Banken in Zeiten niedriger Zinsen weitere
Geschäftsfelder garantieren ….

Summa summarum: Sehr, sehr problematisch das Ganze, aus meiner Sicht.

Ich hoffe, Sie können meine Kritik nachvollziehen, und ich freue mich
auf Ihre Antwort!

Mit besten Grüßen: Sebastian Köhler

Einen Tag später erhielt ich vom ZDF folgende Zeilen per Mail:

Sehr geehrter Herr Köhler,

vielen Dank für Ihre E-Mail an das ZDF.

Die neue Bertelsmann-Studie zur Zukunft der Rente in Deutschland ist am 26. Juni das bestimmende Thema unserer aktuellen Berichterstattung im „heute-journal“ gewesen. Dazu haben wir Prof. Bernd Raffelhüschen, einen profilierten Wirtschaftswissenschaftler, nach seiner Einschätzung der Situation und den Perspektiven für die nächsten Jahrzehnte befragt. Er hat dabei betont, dass das gegenwärtige Rentensystem durchaus tragfähig wie gerecht ist und die Erwartung, dass künftig mehr Menschen mit Rente in Altersarmut geraten werden, seiner Meinung nach sehr gering ist. Um Altersarmut zu verhindern, sei es außerdem sinnvoll, das Rentenalter in absehbarer Zeit maßvoll anzuheben.

Bernd Raffelhüschens Tätigkeit für Versicherungsunternehmen, hier vor allem seine Position als Aufsichtsrat der ERGO, ist uns allerdings bekannt gewesen, stellt aber nicht seine Glaubwürdigkeit in Frage. Er hat in unserem Gespräch tatsächlich ganz anders argumentiert, als es ein Interessenvertreter der Versicherungsbranche getan hätte. Und seine Argumentation ist aus unserer Sicht durchaus schlüssig und verständlich gewesen.

Ihre Kritik an Bernd Raffelhüschens Darstellung, die Ihnen wirklichkeitsfern erscheint, haben wir als Teil der Zuschauerresonanz auf unser Programm festgehalten.

Mit freundlichen Grüßen
Ihre ZDF-Zuschauerredaktion

Mit wiederum etwas Abstand betrachtet, also jedenfalls nicht im Affekt, schrieb ich am 4.7. dann noch einmal an das ZDF, an Herrn Dr. Schmiese und an Herrn Kleber:

Sehr geehrte Damen und Herren beim ZDF, Dank für Ihre Zeilen. Allerdings kann ich überhaupt nicht verstehen, wie Sie argumentieren: Sie schreiben (wie auch Moderator Claus Kleber twitterte):

> Bernd Raffelhüschens Tätigkeit für Versicherungsunternehmen, hier vor allem seine Position als Aufsichtsrat der ERGO, ist uns allerdings bekannt gewesen, stellt aber nicht seine Glaubwürdigkeit in Frage. Er hat in unserem Gespräch tatsächlich ganz anders argumentiert, als es ein Interessenvertreter der Versicherungsbranche getan hätte. Und seine Argumentation ist aus unserer Sicht durchaus schlüssig und verständlich gewesen.
>
Zwei Punkte meiner Kritik als die wichtigsten an der Stelle:

1.) Das ZDF hätte im Sinne von Transparenz und Einordnung für das Publikum ZUMINDEST deutlich machen müssen, dass Raffelhüschen gerade mit Blick auf dieses Feld „Rente“ eben nicht nur Professor in Freiburg ist, sondern auch in anderer Hinsicht aktiv war und ist.

2.) Wenn Sie mich (und sicher viele andere halbwegs Aufgeklärte hierzulande) fragen: Raffelhüschen hat GENAU SO geredet, wie es von einem Lobbyisten der Privatisierungstendenz mit Blick auf die Rente JETZT zu erwarten ist: Bei der gesetzlichen Rente sei nun im Großen und Ganzen alles in Ordnung, dank der Reformen der Regierungen Schröder und Merkel. Gut wäre es sicher, das Renteneintrittsalter noch weiter heraufzusetzen.

Das heißt im Klartext (und das lesen mittlerweile immer mehr Leute Schritt für Schritt in ihren Rentenauskünften und -bescheiden): Bei einem absehbaren gesetzlichen Rentenniveau von nur noch 43 Prozent des Durchschnittsverdienstes MÜSST IHR EUCH (selbst wenn Ihr Euer ganzes Berufsleben hindurch regelmäßig eingezahlt habt) ZUMINDEST ZUSÄTZLICH PRIVAT RENTENVERSICHERN.

Hatten Sie ernshaft erwartet, jemand wie Raffelhüschen wäre so unprofessionell, nun auf den Zustand der gesetzlichen Rente zu schimpfen? Jetzt, da vieles ja genau so läuft, wie er und seinesgleichen das seit spätestens 1998 fordern?

Sorry, aber solche „Argumente“ kann ich nur schwer ernstnehmen. Ähnlich wie die Plattitüde, dass Rentenkürzungen nötig wären, weil immer weniger Berufstätige immer mehr Rentner mit „durchzufüttern“ hätten. Wo bleibt da der Aspekt unserer wachsenden Arbeitsproduktivität? Sie kennen vielleicht eine vergleichbare „Argumentation“: 1850 hat ein Bauer zwei Menschen ernährt. 1950 hat ein Bauer bereits 40 Menschen ernährt. Heute ernährt ein Bauer 133 Menschen. Was folgt daraus? Natürlich, dass wir bald alle verhungern werden.

Im Ernst: Ich bitte Sie herzlichst darum, uns als Ihr Publikum und als Ihre Beitragszahler ernster zu nehmen! Denn in der Tat befindet sich unsere Gesellschaft wohl in sozialen und auch medialen Umbrüchen.

Ich würde sehr gerne das öffentlich-rechtliche Prinzip auch hier gegen die Privatisierungstendenzen weiter verteidigen – bei aller Kritik. Aber solche Beiträge UND IHRE REAKTIONEN auf Kritik wie meine machen das, gelinde gesagt, nicht gerade leichter!

In Erwartung Ihrer Antwort verbleibe ich mit freundlichem Gruß: Sebastian Köhler

Redaktionsleiter Dr. Wulf Schmiese hat mir gerade per Mail geschrieben, dass wir uns nach dem G20-Gipfel dazu noch einmal in Ruhe austauschen sollten. Das würde mich sehr freuen! Bleiben wir gemeinsam dran!


Ich weiß nicht, ob das hier noch gelesen wird … Man mag bezweifeln, dass es passiert.

2.) Noch etwas leichtere Kost aus dem Regal „Kaleidoskop“, also Sprachkritik: Im RBB-Inforadio wurde am 15.11.2016 um 21.12 Uhr in einem Bericht zum Obama-Besuch gesagt: „Viele Griechen bezweifeln allerdings, ob das unter Donald Trump so weitergeht.“ Ich denke, hier sollte es „zweifeln“ heißen, und das Wort „ob“ lässt es in der Waage, inwiefern es weitergeht. „Bezweifeln“, sofern es nicht gleichbedeutend ist mit „zweifeln“, jedoch scheint mir schon stärker, weshalb ich sagen würde: „Viele Griechen bezweifeln allerdings, dass das unter Donald Trump so weitergeht.“ Ein anderes Beispiel, um den Unterschied zu verdeutlichen: „Er weiß nicht, dass Du kommst“ geht von dem Fakt des Kommens aus. „Er weiß nicht, ob Du kommst“ lässt die Wahrscheinlichkeit des Kommens im Ungefähren, vielleicht bei etwa 50 Prozent.

Kann man das so sagen? Jüngere und Männer seien cleverer?

1.) Medienkritisch wichtig: Die Landesmedienanstalt NRW hat dieser Tage eine repräsentative Umfrage vorgestellt, die Forsa im Mai 2017 in ihrem Auftrag durchgeführt hat.

Hier der Link zur LfM in NRW

Demzufolge ist mehr als die Hälfte der deutschen Onlinenutzer schon mit „Fake News“ in Berührung gekommen (59 %). Wie allerdings die Studie zu der Behauptung kommt, „jüngere Nutzer erkennen dabei eher als Ältere Falschmeldungen“, erschließt sich mir nicht. Denn Jüngere haben zwar zu 77 Prozent auf die entsprechende Frage positiv geantwortet (über 60-Jährige hingegen nur zu 46 Prozent). Aber erstens kann das als Selbstauskunft schlicht falsch sein, und zudem dürfte es sich ja wahrscheinlich auch so verhalten, dass Jüngere einfach mehr im Netz unterwegs sind und auch daher absolut häufiger auf potentielle „Fake News“ stoßen. Meines Erachtens könnten am ehesten Experimente oder Beobachtungen auf derartige Unterschiede schließen lassen. Übrigens kommt auf ähnlich fragwürdiger Basis die Studie auch zum Urteil, dass Männer mutmaßliche „Fake News“ eher bemerkten als Frauen (65% :51%).

Spannend jedenfalls mit Blick auf den Journalismus: Jeder Zweite gibt an (48 %), durch Medienberichte auf „Fake News“ aufmerksam gemacht worden zu sein. Klare Kante im Sinne strengerer Gesetze wünschen sich laut Studie immerhin 86 Prozent der Nutzer in Deutschland. Und deutlich mehr Ostdeutsche (17 Prozent) als der Bundesdurchschnitt (8 Prozent) halten „Fake News“ Forsa zufolge für akzeptabel im Sinne von „freie Meinungsäußerung“.

2.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Oft wird bei der Wiedergabe von Sprecher-Äußerungen getextet:

„…konnte der Sprecher nicht sagen.“, siehe hier:

Hier geht es zur Wirtschaftswoche

http://www.wiwo.de/politik/deutschland/ransomware-angriff-hacker-attacke-legt-bahnanzeigen-und-automaten-lahm/19798690.html, Aufruf am 21.6., 10.30 Uhr

Das ist fragwürdig: Journalisten können (!) kaum wissen, ob die Sprecherin dazu nichts sagen KONNTE. Oder vielleicht auch (noch) nicht durfte oder sollte oder wollte. Ja, dafür gibt es Modulverben oder allgemeiner Modi des Verbgebrauches. Und wir SOLLTEN es wissen und können: Es ist nicht unsere Aufgabe als Journalisten, in informationsbetonten Beiträgen in die Köpfe unserer Quellen zu schauen und küchenpsychologisch zu spekulieren. Wie MAG es besser klappen? „Dazu sagte ein Sprecher nichts.“ oder gerne auch: „Dazu äußerte ein Sprecher, er könne hierzu nichts sagen.“ MÜSSTEN wir wohl eher so formulieren als die Standardphrase: „Dazu konnte ein Sprecher nichts sagen.“

Das „unflexible Arbeitsrecht“ in Frankreich – ein Fall von Fake News?

1.) Laut Nieman Lab an der Harvard-University (USA) lassen sich vier Elemente einer wirksamen Fake News bestimmen. „The four key elements of a successful fake news story“: Diese seien:

1. Emotional appeal – gefühlsstarke Ansprache
2. Veneer of authority: Story traces itself back to a leak or statement or something that supposedly happened – fragwürdige Verbindung zu Autoritäten, über behauptete Leaks oder Äußerungen oder sonst mutmaßlich Geschehenes.
3. Effective insertion point into the online space – wirksamer Einsatzpunkt im Netz
4. An amplification network (like Twitter or Facebook) – Eine Plattform zur Verbreitung wie Twitter oder Facebook.

Die Nieman-Lab-Leute raten dazu, sich im Kampf gegen Fake News einen oder mehrere dieser Punkte zu wählen und dann „zurückzuschlagen“.

Hier geht es zur Nieman-Lab-Seite

(Aufruf 31.5.2017, 17.04). Bleibt natürlich inhaltich weiterhin die Frage, ob und wie wir Fake News relativ zuverlässig erkennen können. Denn sie lauern vielerorts, siehe gleich ….

2.) Hier wird es sprachkritisch spannend, im Kaleidoskop: Ist es bereits eine Fake-News-Formulierung? Oder nur eine weitere der leider fast schon normalen deutlichen Bewertungen in Texten, die informationsbetont sein sollen?

Auf Tagesschau.de hieß es am 11.6.2017, 15.27 Uhr

Hier geht es zur Tagesschau.de-Seite

Das „unflexible Arbeitsrecht“. Eine natürlich komplett sachliche Beschreibung eines unstrittigen Sachverhaltes. Oder hätten sich die Nachrichtenredakteure besser das Attribut erspart? Zumal ja auch „Lockerung“ schon ziemlich sympathisch klingt – wer will schon „fest“ oder „verkrampft“ oder „erstarrt“ wirken? Man hätte auch „Aufweichung“ schreiben können – aber das klingt ja womöglich negativ ….

Mein Vorschlag: „Zentrales Vorhaben sind umstrittene Änderungen des Arbeitsrechtes.“ Das ist relativ sachlich. Und für die, die es genauer wissen wollen, muss es die Redaktion ähnlich sachlich dann ausführlicher beschreiben und erklären. Scheint aber eher schwer im Kontext dessen, dass sich weite Teile der reichweitenstarken Medien in einer Art „Macron-Fieber“ befinden mögen.

Lieber einen Altlinken in der Hand als den Trump auf dem Dach?

Im ARD-Weltspiegel im Ersten ging es am 6.6.2017 mehrfach um den „Altlinken Jeremy Corbyn“. Auch die Süddeutsche Zeitung nennt den Labour-Vorsitzenden seit langem so (siehe unter anderem http://www.sueddeutsche.de/politik/labour-party-ein-altlinker-kaempft-um-den-vorsitz-1.3118984; Aufruf 7.6.2017, 17.53 Uhr), und viele andere Medien der selbsternannten Mitte ebenfalls. Aber vielleicht war die Mitte ja nie mittig, nicht einmal gestern und in den alten Zeiten?
Klingt das Wort „Altlinker“ neutral? Nein, da schwingt Überholtheit mit, Verstaubheit, Ewiggestrigkeit. Neu-Rechte hingegen erscheinen in solchem Kontext als up to date, Neo-Liberale sowieso. Redet man in wichtigen Redaktionenn von Alt-Rechten oder Alt-Liberalen? Nein, aber von Neo-Konservativen ohne Probleme.
Mein Punkt: Alt-Nazis soll es geben, und eben Alt-Linke. Beides klar abwertend gemeint und verwendet. Und in dieser Gleichschaltung – pardon: Gleichsetzung – noch problematischer als ohnehin. Ironie der Geschichte: Viele junge, kluge, progressive Leute unterstützen den „Altlinken“ Corbyn, so, wie das auch schon bei Bernie Sanders in den USA der Fall war. Und am Ende des Tages merken vielleicht auch unsere mittelmäßigen Mainstreamer, dass ein Corbyn in der Hand womöglich besser wäre als der nächste Trump auf dem Dach.

„Lückenpresse“ statt „Lügenpresse“

1.) Es geht in dem Sachbuch von Ulrich Teusch mit dem Titel „Lückenpresse“, erschienen 2016 im Westend-Verlag in Frankfurt am Main, um nicht weniger als „das Ende des Journalismus, wie wir ihn kannten“ Und wir sollten keine Angst davor haben! Dem Politikwissenschaftler, Journalisten und Autoren Ulrich Teusch ist ein in vieler Hinsicht lesenswertes Buch gelungen. Er schafft eine konstruktive Kritik der journalistischen Vernunft unserer Jahrzehnte, bis heute und morgen.

Immer wieder entwickelt Teusch originelle Argumente. Der journalistische Mainstream, genauer gesagt: der Mainstream im Mainstream, werde sich zwar weiterhin so nennen, aber er werde es nicht mehr sein (203f.). Diesen Mainstream-Journalismus erwartet laut Teusch das gleiche Schicksal wie die sogenannten „Volksparteien“: Sie nennen sich noch so, sind es aber (auch) nicht mehr. Wenn Macht zu groß und einseitig werde, bilde sich Gegenmacht: „Wenn die „vierte Gewalt“ versagt, tritt die „fünfte Gewalt“ auf den Plan.“ Journalismus gebe es als besseren oder schlechteren: „Und man findet den guten immer seltener im Mainstream und immer öfter im Alternativsektor“. Im Anschluss an die britischen Medienkritiker David Edwards und David Cromwell fordert Teusch einen integrierenden Journalismus als „compassionate journalism“ (209): Der solle als gesellschaftliches Frühwarnsystem fungieren. Dafür müsse Journalismus „das Spektrum erweitern, er muss Menschen, die ganz anders sind – anders leben, anders denken, anders handeln -, mit Neugier und Empathie begegnen, auch den Verlierern, den Ausgegrenzten, den Stigmatisierten“. Die Pointe von Teuschs Darlegungen lautet: Guten Journalismus werde es künftig wahrscheinlich sogar mehr denn je geben. „Aber er wird anderswo stattfinden“ als im Mainstream des Mainstream (210). Wie kommt Ulrich Teusch darauf und dahin?

Originell sind etliche seiner Schritte: Warum schalten viele Journalisten anscheinend lieber die Kommentarfunktion ab, als ein wenig nachzudenken (14)? Warum dämonisieren sie und wundern sich über ernste Glaubwürdigkeitskrisen (15)? Was sollte schlimm daran sein sein, dass erstmals in der Journalismusgeschichte Nutzer „wirklich massiv kritisch nachfragen“ (35)? Im Unterschied zu mir findet Teusch den Begriff „Vertrauen“ in diesem Kontext „noch problematischer“ als den der „Glaubwürdigkeit“ (69). Aber auch hier ist er originell: Geistig reif seien Menschen, die Angeboten begründet misstrauten: „Als Journalist will ich doch nicht, dass Menschen mir vertrauen. Ich will, dass sie mich ernst nehmen, mich für kompetent halten und mir abnehmen, dass ich es ehrlich meine.“ Das genüge völlig. Ansonsten wünsche er sich, “ dass sie sich konstruktiv mit dem auseinandersetzen, was ich ihnen biete. Ich will, dass sie mich kontrollieren und kritisieren, meine Texte überprüfen und mit anderen vergleichen“ (70).

Gut wäre jedenfalls statt naiven Glaubens oder Vertrauens „ein offener, medienkritischer Diskurs, der nicht alles Porzellan kurz und klein“ schlage, sondern es auf den Tisch stelle und es ruhig sowie sachlich begutachte: „Doch dazu müssten beide Seiten abrüsten“ (35). Originell auch Teuschs Debatten mit dem langjährigen Hörfunkdirektor des Bayerischen Rundfunks, Johannes Grotzky. Beide entwickeln einen Begriff von „vermeintlichem Journalismus“ (Para-Journalismus). Dieser bestimme den oben schon erwähnten „Mainstream innerhalb des Mainstream“ (39), der sich oft implizit und eng an die Interessen politischer und wirtschaftlicher Eliten anschmiege und immer wieder verflachend, plakativ und tendenziös erscheine.

Obwohl Ulrich Teusch keinen Bezug zu entsprechenden Kritiken Pierre Bourdieus über die strukturell bedingte Oberflächlichkeit vieler Journalisten herstellt, kommt er auf seine originelle Weise auch zu dem Punkt, warum Journalisten sich viel zu häufig mit Menschlich-Allzumenschlichem beschäftigen – oder eben auch ablenken lassen („die Chemie zwischen Merkel und Macron scheint zu stimmen“). In Redaktionen gebe es kaum „Fachidioten“ – vielmehr wirken Journalisten oft wie „Idioten in allen Fächern“ (60). Neuartig auch seine Herleitung, dass und warum „Alpha-Journalisten“ der jeweils herrschenden Politik so gut wie nie in den Arm fielen (65).

Dominante „Narrative“ sind ein ebenfalls recht originelles Leitmotiv von Teuschs Buch: Diese oft unausgesprochenen und auch kaum bewussten Rahmensetzungen als Kontexte und Subtexte sollten Journalisten „beharrlich auf den Prüfstand“ stellen (120).

Was den Vorwurf eigener Machtambitionen von Journalisten angeht, hat Teusch eine eigene Antwort: Das passiere kaum autonom, sondern sie schlössen sich dabei meist bereits existierenden machtvollen Strömungen an und ergriffen zu deren Gunsten Partei – siehe sowohl den medialen Hype um Martin Schulz Anfang 2017 als auch das spiegelbildliche Abrücken von ihm dann Mitte 2017 nach verlorenen Landtagswahlen (141). So oder so – es bleibe die Mainstream-Front gegen Alternativen außerhalb des Mainstream (143).

Originell auch Teuschs zwei Aspekte von Mainstream-Journalismus als interne Polarisierung (158f.): Spitzenjournalisten als saturierte sähen wenig Veranlassung, neugierig und kritisch zu sein. Andererseits das „journalistische Prekariat“, dass sich Kritik und Kontrolle kaum getraue, „weil es fürchtet, aufs Abstellgleis zu geraten“.

Selten las ich in der deutschen Journalistik solche klaren Worte zur Eigentumsfrage journalistischer Medien: „Wir bräuchten Medien, die tatsächlich der Gesellschaft gehören und verpflichtet sind“ (172). Denn hier seien die Schaltstellen im Mediensystem, und Journalisten wirkten dabei eher als „Rädchen im Getriebe“ (177). Ulrich Teusch zeigt sich als demokratischer, sozial und ökologisch orientierter Kapitalismuskritiker: Die Krise des Kapitalismus führe zu sozialem Zerfall, zu Desintegration, zu Polarisierung (182). Dabei erweist er sich wohl eher als Realist denn als Pessimist: „Je interessanter die Zeiten werden, desto geschlossener wird sich der Mainstream präsentieren (186f.)“. Immerhin stand das Buch auf der Shortlist der Friedrich-Ebert-Stiftung für deren Preis „Das politische Buch 2017“. Insofern mag es Hoffnung geben, dass Mainstream und Alternativen sich nicht (weiter) verselbständigen. Trotz aller Lücken, der unvermeidbaren wie der vermeidbaren.

2.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Im Lehrbuch „Radio-Journalismus“ von La Roche und Buchholz (10. Auflage) heißt es auf Seite 234: „Und bei der Ortsmarke FRANKFURT kann man sich fast immer auf Wirtschaft, Banken, Börse einstellen.“ Oder auf Europauni, die Oder und den kleinen Grenzverkehr, nicht wahr? „Es gibt nur ein Rudi Völler“, aber es gibt in Deutschland (zumindest seit 1990 wieder) doch zwei größere Städte mit dem Namen „Frankfurt“: am Main und an der Oder. Können wir doch eindeutig so benennen. Oder nicht?

Texte bleiben wichtig – und die Kongruenz schläft nicht

1.) Nic Newman vom Reuters-Institut für Journalismusforschung an der Universität Oxford hat dieser Tage auf einer Konferenz in Kopenhagen Spannendes zu News-Videos gesagt (Aufruf am 2.5.2017, 17.00)

Zum Bericht über Newsmans Vortrag .

Basis seiner Angebote ist eine Studie des Instituts über „Online Video News“ von 2016.

Hier geht es zur Studie aus Oxford

Wichtige Aussagen: Es sei ein Mythos, dass die Nutzer für Nachrichten mehr Videos forderten. Vielmehr gehe das auf Anbieter- und Technikaspekte zurück. Die meisten Nachrichtennutzer, ca. 75 bis 80 Prozent, bevorzugen laut Newman weiterhin verbalen Text gegenüber Video. Letzteres sei meist ergänzend genutzt.

Schneller und bequemer sei das Lesen von Text: He noted that one consumer told the researchers, “If I have 30 seconds to get actual news, I don’t want to spend that 30 seconds going through an advertising video.”

Die Nutzer hassen der Studie zufolge geradezu und mit steigender Tendenz die Werbung vor den journalistischen Beiträgen. Und das sei zugleich der große Vorteil von Facebooks Video-Offerten: Dort laufen die Filme ohne Vor-Filme.

Der britische Forscher ging auch gegen den „Mythos“ an, Jüngere neigten Video-Nachrichten mehr zu als Ältere.

And last but not least Newman offered participants these takeaways:

1.) Video is just one of many ways of telling online stories.
2.) Video is just one way of making money online.
3.) Video is becoming more important in the mix, but we really need to keep perspective.
4.) Forget the hype – focus on what is right for our business and our users.

2.) Zur Stilkritik: Die ARD-Webseite der „Tagesschau“ äußerte sich zum Streit zwischen Russen und Ukrainern über die Teilnahme am ESC 2017 in Kiew (Aufruf 2.5.2017, 17.30):

Hier zum Text der ARD

„Russland spricht von Diskriminierung ihrer Kandidatin“. Was für ein Satz – zwei Fehler, die sich aber fast schon wieder aufheben: Natürlich spricht nicht „Russland“, sondern es sprechen vermutlich bestimmte Vertreter der russischen Seite. Wenn aber schon „Russland“ sprechen soll, dann doch bitte über nicht über „ihre Kandidatin“, sondern sicher über „seine Kandidatin“. Kongruenz, also hier Übereinstimmung im grammatischen Geschlecht, wäre etwas, worüber „die Tagesschau“ auf „seiner Seite“ auch mal schreiben oder zumindest nachdenken könnte.

Medienfreiheit – und was für ein Liberaler?

1.) Die „Reporter ohne Grenzen“ haben ihren aktuellen Report vorgestellt. Deutschland bleibt demnach auf Rang 16 der 180 gelisteten Staaten und somit im Mittelfeld der EU-Staaten, was die Freiheit journalistischer Medien („Pressefreiheit“) angeht.

Hier geht es zur Seite von ROG, Aufruf am 26.4.2017, 13.15 Uhr.

Aus Sicht von RoG sind die wichtigsten Probleme für journalistiche Freiheit hierzulande:

1. Anfeindungen, Drohungen und Gewalt gegen Journalisten
2. Im Visier von Justiz und Geheimdiensten: Journalisten und ihre Informanten
3. Daten sammeln, Whistleblower abschrecken: der rechtliche Rahmen
4. Harter Kampf um Informationen von öffentlichen Stellen
5. Medien im Strukturwandel: abnehmende Vielfalt, zunehmende Schleichwerbung
6. Versuche politischer Einflussnahme und Ausschluss unliebsamer Journalisten

Auf den Plätzen eins bis vier liegen die skandinavischen Länder Norwegen, Schweden, Finnland und Dänemark. Frankreich ist 39., Großbritannien 40, und die USA rangieren hier auf Platz 44. Russland wird auf Rang 148 notiert und damit sieben Plätze vor NATO-Mitglied Türkei. China ist 176., und last but least Nordkorea als Schlusslicht auf Platz 180.

Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“, mit Sitz in Frankreich, gibt es seit 1985. Sie versteht sich als Nichtregierungsorganisation. Kritiker bemängeln unter anderem etwaige finanzielle Beziehungen zu US-Behörden wie dem Außenministerium in Washington (https://www.heise.de/tp/features/Reporter-ohne-Grenzen-im-Dienste-des-US-Aussenministeriums-3400875.html, Aufruf 26.4.2017, 13.28 Uhr).

2.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Emmanuel Macron war in den vergangenen Tagen in wichtigen deutschen Medien vor allem zweierlei: „pro-europäisch“ und „parteilos“ bzw. „parteiunabhängig“.(siehe unter anderem in der ARD-Mediathek die Audiodatei http://podcast-mp3.dradio.de/podcast/2017/04/20/parteilos_und_proeuropaeisch_wird_macron_neuer_praesident_drk_20170420_1830_385da835.mp3, Aufruf 26.4.2017, 12.27 Uhr).

Oder hier beim Spiegel-Ableger für Jugendliche, bento (Aufruf 26.4.2017, 12.32 Uhr)

a.) „Pro-europäisch“ klingt natürlich super, sollte aber besser heißen: „Pro-EU“ (super kurz) oder „EU-freundlich“ (auch noch kurz). Denn „Europa“ ist ein großer Kontinent, mit ca. 750 Millionen dort lebenden Europäern – von denen nach dem Brexit dann etwa noch etwa 450 Millionen EU-Bürger sein werden. Norwegen, Schweiz, Island, aber auch weite Gebiete Osteuropas gehören nicht zur Europäischen Union. Kann man glatt vergessen?
b) „Parteilos“ oder „parteiunabhängig“ klingt auch super, stimmt aber einfach nicht, denn „En marche!“ ist laut eigener Webseite (https://en-marche.fr/, Aufruf 26.4.2017, 12.45 Uhr) eine Partei, die am 6.April 2016 gegründet wurde in seiner Geburtsstadt Amiens von wem? Von Emmanuel Macron! Dass sich diese Partei als ganz neuartige „Bewegung“ präsentiert, kann ihr keiner vorwerfen. Wohl aber vielen Journalisten ihr Kopieren von PR-Sprech.
3.) Womit wir beim „Liberalen“ wären, der sodann jüngst fast einheitlich sogar zum „Sozialliberalen“ wurde. Klingt ebenfalls super – wer aber ein wenig Programm und Hintergründe von Emmanuel Macron und der ihn stützenden Bewegung kennt, sollte zu der sachlichen Bezeichnung „Wirtschaftsliberaler“ kommen. Und wer es kritisch meint, kann sicher auch ganz faktisch „Neoliberaler“ sagen.

Womit ich nicht gesagt haben möchte, dass ich hoffte, seine Kontrahentin würde die Präsidentschaft in Frankreich erobern. Dennoch sollten wir, ganz im Sinn des großen Franzosen Pierre Bourdieu, die „feinen Unterschiede“ gerade im „Feld des Journalismus“ bitte nicht noch mehr einschleifen lassen.

Ressourcen für Journalismus – auch für die feinen Unterschiede zwischen „drohen“ und „warnen“

1.) Journalismus als moderne Erscheinung dürfte meist beides (gewesen) sein – Ware und Kulturgut. Oft war oder ist er vor allem Mittel zum Zweck, zahlkräftige Publika (mit-) zu beschaffen, für Werbe-, PR- oder Marketingbotschaften, oder auch für politische bzw. anderweitige Propaganda. Doch diese tradierten Bindungen sind längst prekär, und die Suche nach neuen (Wegen zu alten) Ressourcen läuft auf Hochtouren. Ich finde dieses Suchen auch deshalb wichtig, weil Journalismus bei allen Risiken vielleicht mehr denn je Chancen hat, selbst zum Zweck zu werden, als nicht zuletzt Mittel zu Zwecken wie Geld- oder Machterwerb zu bleiben.
Welche Wege werden sichtbar, um Ressourcen für Journalismus zu gewinnen?
Zunächst zu Varianten von marktgängigem Journalismus: Die bekannte Querfinanzierung über Werbemärkte bleibt weiterhin ein Weg. Siehe die Werbevideos vor journalistischen Videos auf Webseiten etc. (vgl. auch Matthias Kurp: Die Finanzierungslücke. In: MenschenMachenMedien, Berlin, Heft 1/2016, Seite 6ff.). Im Netz wird längst versucht, Inhalte direkter zu verwerten. Mit „closed paywalls“ oder mit Mischsystemen für Paid Content, hierbei mit „Freemium“-Modellen (nur ein Teil des Gesamtangebotes ist gratis nutzbar) oder auch mit „Metered Models“, bei denen eine bestimmte Anzahl von Beitragen frei nutzbar ist.
Inwiefern sollten Redaktionen mit großen Intermediären wie Facebook und Google zusammenarbeiten? Wichtige Verlage (SPON, SZ, FAZ, ZEIT etc.) beteiligten sich an der „Digital News Initiative“ von Google, um an Geld und Know How zu kommen. Der Springer-Verlag entwickelte mit Samsung die Nachrichtenapp Upday.
Facebook hatte mit seinen „Instant Articles“ ein Erfolgsrezept für sich gefunden: Nutzer konnten auf der Plattform bleiben und Beiträge von Bild oder Spiegel dort lesen. Google und Apple entwickelten Ähnliches – sie alle lockten die Verlage mit größerer Reichweite, Werbeeinahmen und Nutzerdaten. Problem dabei: Die Intermediäre bauen ihren Stellungen aus.
Springer und New York Times investierten Millionen, um am Digital-Kiosk Blendle beteiligt zu sein. Diese Kioske wie auch Pocketstory oder Newscase hießen nun News-Aggregatoren – es ging um entbündelte Vermarktung einzelner Beiträge. Problem hier: Häppchen-Journalismus statt Vielfalt.
„Social publishing“ schien ein weiterer Weg: werbefinanzierte Online-Angebote nach dem Vorbild von BuzzFeed. 2015 hatten u.a. Zeit (ze.tt), Spiegel (bento) und Bild (BYou) neue Portale für junge Nutzer gestartet. Bunte Geschichten, auch in Verbindung mit „Native Advertising“, also Werbung, die wie redaktioneller Inhalt wirkt. Nutzer sollten per App oder Social Media noch personalisierter angesprochen werden.
Journalismus gilt weiterhin als „meritorisches Gut“: die zahlungskräftige Nachfrage privater Nutzer bleibt hinter dem sozial erwünschten Ausmaß in demokratisch verfassten, wirtschaftlich kapitalistischen Gesellschaften zurück.
Was tun? Aus den USA sind Stiftungsmodelle bekannt. Wichtiges Beispiel war die gemeinnützige Organisation ProPublica, die vom Milliardär Herbert M. Sandler finanziell gestartet wurde. Auch in Deutschland gab es 2016 Ansätze für Stiftungen, allerdings mehr aus der Politik, u.a. in NRW und Hessen. Problem hier: eher Zusatz- als Grundversorgung.
Die Gesellschaft könnte Journalismus noch mehr fördern, direkt durch finanzielle Zuwendungen oder indirekt durch Steuernachlässe. Forscher wie Marie-Luise Kiefer entwickelten Modelle in Richtung möglichst markt- und machtferner Selbstorganisation von Journalisten, die auch selbst über die genauen Bedarfe und die Ressourcenaufteilung entscheiden sollten. Problem: Schnell wird der Staat als Machtapparat wirksam (siehe die Abhängígkeiten der öffentlich-rechtlichen Anstalten in Deutschland).
Alternativer Vorschlag hier: Journalismus sei gemeinnützig und somit von Abgaben zu befreien. 2014 wurde Deutschlands erstes gemeinnütziges Recherchebüro gestartet – Correctiv. Der Redaktion standen für die ersten drei Jahre von der Brost-Stiftung drei Millionen Euro zur Verfügung. Andere Stifter und Spender kamen hinzu, der Milliardär George Soros spendete im April 2017 100.000 Euro an Correctiv – Perspektive soll sein, dass aus dem Stiftungs- ein Community-Modell wird.
Gemeinschaftsmodelle per Mitgliedschaft wie „Crowdfunding“ versuchen auch Medien wie Krautreporter, Prenzlauer-Berg-Nachrichten oder der Guardian: Im Jahr 2015 führte der Guardian ein Mitgliedsschaftssystem ein. Unterstützer zahlten 5 £ im Monat, Partner 15 £ und Patrone 60 £ im Monat. Sie sollten profitieren durch Vorteile wie Vorrang bei Buchungen und Rabatte bei Veranstaltungen. Im Februar 2017 gab es 200.000 Unterstützer, der Guardian strebte bis zum Jahr 2019 an, diese auf eine Million zu erhöhen. Dadurch solle eine Paywall vermieden werden.
Auch Genossenschaften sind ein ähnliches Modell: Die „taz“ und die „junge Welt“ in Berlin haben als Tageszeitungen Genossenschaften im Rücken – die taz mit ca. 15.000 Mitgliedern, die jW mit mehr als 2000 Mitgliedern, mit jeweils 500 Euro pro Anteil.
Insgesamt zeigen sich hier viele, ja vielfältige Möglichkeiten, um Ressourcen für Journalismus zu erschließen – wenn wir sie nur entdecken und entfalten (können) und nicht von Markt- oder Machtfetischisten daran gehindert werden.

2.) Zur Sprach- und Stilkritik: Die Rheinische Post schrieb wie viele andere: „Nordkorea droht trotz Warnung der USA mit „wöchentlichen“ Raketen-Tests“ (http://www.rp-online.de/politik/ausland/nordkorea-droht-trotz-warnung-der-usa-mit-woechentlichen-raketen-tests-aid-1.6761407, Aufruf am 18.4.2017, 19.57 Uhr). Die einen drohen, die anderen warnen. Dem jüngst verstorbenen Publizisten Eckart Spoo (1936 bis 2016) verdanke ich den Hinweis, hier genauer hinzuschauen. Denn in der Sache meinen die beiden Verben Ähnliches: Ich fordere jemanden auf, etwas mir Unpassendes nicht zu tun. Falls doch, würde ich dieses Verhalten bestrafen. Freilich macht auch hier der Ton die Musik: „warnen“ klingt neutral bis positiv, „drohen“ hingegen klar negativ. Und sieh einer an – die „Guten“ warnen, und die Bösen „drohen“. Sprache sagt über die Sprechenden anscheinend mindestens so viel aus wie über das Besprochene.