„Lückenpresse“ statt „Lügenpresse“

1.) Es geht in dem Sachbuch von Ulrich Teusch mit dem Titel „Lückenpresse“, erschienen 2016 im Westend-Verlag in Frankfurt am Main, um nicht weniger als „das Ende des Journalismus, wie wir ihn kannten“ Und wir sollten keine Angst davor haben! Dem Politikwissenschaftler, Journalisten und Autoren Ulrich Teusch ist ein in vieler Hinsicht lesenswertes Buch gelungen. Er schafft eine konstruktive Kritik der journalistischen Vernunft unserer Jahrzehnte, bis heute und morgen.

Immer wieder entwickelt Teusch originelle Argumente. Der journalistische Mainstream, genauer gesagt: der Mainstream im Mainstream, werde sich zwar weiterhin so nennen, aber er werde es nicht mehr sein (203f.). Diesen Mainstream-Journalismus erwartet laut Teusch das gleiche Schicksal wie die sogenannten „Volksparteien“: Sie nennen sich noch so, sind es aber (auch) nicht mehr. Wenn Macht zu groß und einseitig werde, bilde sich Gegenmacht: „Wenn die „vierte Gewalt“ versagt, tritt die „fünfte Gewalt“ auf den Plan.“ Journalismus gebe es als besseren oder schlechteren: „Und man findet den guten immer seltener im Mainstream und immer öfter im Alternativsektor“. Im Anschluss an die britischen Medienkritiker David Edwards und David Cromwell fordert Teusch einen integrierenden Journalismus als „compassionate journalism“ (209): Der solle als gesellschaftliches Frühwarnsystem fungieren. Dafür müsse Journalismus „das Spektrum erweitern, er muss Menschen, die ganz anders sind – anders leben, anders denken, anders handeln -, mit Neugier und Empathie begegnen, auch den Verlierern, den Ausgegrenzten, den Stigmatisierten“. Die Pointe von Teuschs Darlegungen lautet: Guten Journalismus werde es künftig wahrscheinlich sogar mehr denn je geben. „Aber er wird anderswo stattfinden“ als im Mainstream des Mainstream (210). Wie kommt Ulrich Teusch darauf und dahin?

Originell sind etliche seiner Schritte: Warum schalten viele Journalisten anscheinend lieber die Kommentarfunktion ab, als ein wenig nachzudenken (14)? Warum dämonisieren sie und wundern sich über ernste Glaubwürdigkeitskrisen (15)? Was sollte schlimm daran sein sein, dass erstmals in der Journalismusgeschichte Nutzer „wirklich massiv kritisch nachfragen“ (35)? Im Unterschied zu mir findet Teusch den Begriff „Vertrauen“ in diesem Kontext „noch problematischer“ als den der „Glaubwürdigkeit“ (69). Aber auch hier ist er originell: Geistig reif seien Menschen, die Angeboten begründet misstrauten: „Als Journalist will ich doch nicht, dass Menschen mir vertrauen. Ich will, dass sie mich ernst nehmen, mich für kompetent halten und mir abnehmen, dass ich es ehrlich meine.“ Das genüge völlig. Ansonsten wünsche er sich, “ dass sie sich konstruktiv mit dem auseinandersetzen, was ich ihnen biete. Ich will, dass sie mich kontrollieren und kritisieren, meine Texte überprüfen und mit anderen vergleichen“ (70).

Gut wäre jedenfalls statt naiven Glaubens oder Vertrauens „ein offener, medienkritischer Diskurs, der nicht alles Porzellan kurz und klein“ schlage, sondern es auf den Tisch stelle und es ruhig sowie sachlich begutachte: „Doch dazu müssten beide Seiten abrüsten“ (35). Originell auch Teuschs Debatten mit dem langjährigen Hörfunkdirektor des Bayerischen Rundfunks, Johannes Grotzky. Beide entwickeln einen Begriff von „vermeintlichem Journalismus“ (Para-Journalismus). Dieser bestimme den oben schon erwähnten „Mainstream innerhalb des Mainstream“ (39), der sich oft implizit und eng an die Interessen politischer und wirtschaftlicher Eliten anschmiege und immer wieder verflachend, plakativ und tendenziös erscheine.

Obwohl Ulrich Teusch keinen Bezug zu entsprechenden Kritiken Pierre Bourdieus über die strukturell bedingte Oberflächlichkeit vieler Journalisten herstellt, kommt er auf seine originelle Weise auch zu dem Punkt, warum Journalisten sich viel zu häufig mit Menschlich-Allzumenschlichem beschäftigen – oder eben auch ablenken lassen („die Chemie zwischen Merkel und Macron scheint zu stimmen“). In Redaktionen gebe es kaum „Fachidioten“ – vielmehr wirken Journalisten oft wie „Idioten in allen Fächern“ (60). Neuartig auch seine Herleitung, dass und warum „Alpha-Journalisten“ der jeweils herrschenden Politik so gut wie nie in den Arm fielen (65).

Dominante „Narrative“ sind ein ebenfalls recht originelles Leitmotiv von Teuschs Buch: Diese oft unausgesprochenen und auch kaum bewussten Rahmensetzungen als Kontexte und Subtexte sollten Journalisten „beharrlich auf den Prüfstand“ stellen (120).

Was den Vorwurf eigener Machtambitionen von Journalisten angeht, hat Teusch eine eigene Antwort: Das passiere kaum autonom, sondern sie schlössen sich dabei meist bereits existierenden machtvollen Strömungen an und ergriffen zu deren Gunsten Partei – siehe sowohl den medialen Hype um Martin Schulz Anfang 2017 als auch das spiegelbildliche Abrücken von ihm dann Mitte 2017 nach verlorenen Landtagswahlen (141). So oder so – es bleibe die Mainstream-Front gegen Alternativen außerhalb des Mainstream (143).

Originell auch Teuschs zwei Aspekte von Mainstream-Journalismus als interne Polarisierung (158f.): Spitzenjournalisten als saturierte sähen wenig Veranlassung, neugierig und kritisch zu sein. Andererseits das „journalistische Prekariat“, dass sich Kritik und Kontrolle kaum getraue, „weil es fürchtet, aufs Abstellgleis zu geraten“.

Selten las ich in der deutschen Journalistik solche klaren Worte zur Eigentumsfrage journalistischer Medien: „Wir bräuchten Medien, die tatsächlich der Gesellschaft gehören und verpflichtet sind“ (172). Denn hier seien die Schaltstellen im Mediensystem, und Journalisten wirkten dabei eher als „Rädchen im Getriebe“ (177). Ulrich Teusch zeigt sich als demokratischer, sozial und ökologisch orientierter Kapitalismuskritiker: Die Krise des Kapitalismus führe zu sozialem Zerfall, zu Desintegration, zu Polarisierung (182). Dabei erweist er sich wohl eher als Realist denn als Pessimist: „Je interessanter die Zeiten werden, desto geschlossener wird sich der Mainstream präsentieren (186f.)“. Immerhin stand das Buch auf der Shortlist der Friedrich-Ebert-Stiftung für deren Preis „Das politische Buch 2017“. Insofern mag es Hoffnung geben, dass Mainstream und Alternativen sich nicht (weiter) verselbständigen. Trotz aller Lücken, der unvermeidbaren wie der vermeidbaren.

2.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Im Lehrbuch „Radio-Journalismus“ von La Roche und Buchholz (10. Auflage) heißt es auf Seite 234: „Und bei der Ortsmarke FRANKFURT kann man sich fast immer auf Wirtschaft, Banken, Börse einstellen.“ Oder auf Europauni, die Oder und den kleinen Grenzverkehr, nicht wahr? „Es gibt nur ein Rudi Völler“, aber es gibt in Deutschland (zumindest seit 1990 wieder) doch zwei größere Städte mit dem Namen „Frankfurt“: am Main und an der Oder. Können wir doch eindeutig so benennen. Oder nicht?

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