Journalismus und Auftragskommunikation – eine Seite derselben Medaille?

1.) Der G20-Gipfel in Hamburg bot viel Stoff zum Denken und Diskutieren sowie für mich hier den Anlass für einen Offenen Brief als Mail an den Leiter der Redaktion „ARD aktuell“ in Hamburg, Dr. Kai Gniffke:

Sehr geehrter Herr Dr. Gniffke,

in Ihrer Eigenschaft als Leiter von ARD-aktuell schreibe ich Ihnen hier wieder einmal, also als Verantwortlichem von „tagesschau“ etc.

Ich habe mich sehr gewundert, dass die bekannte Tagesschau-Nachrichtensprecherin Linda Zervakis am 6.7. in Hamburg neben Barbara Schöneberger die Pop- und Politik-Show „Global Citizen“ in der Barclay-Card-Arena moderiert hat, siehe hier den Hinweis der ARD auf das Ereignis:

Hier geht es zum ARD-Hinweis auf das „Event“

Ich finde, gerade angesichts der Diskussionen um die Vertrauenswürdigkeit journalistischer Medien und insbesondere der öffentlich-rechtlichen Medien hierzulande ist diese Vermischung von Journalismus und Auftragskommunikation zumindest problematisch.

Ist es wahrscheinlich, dass dieselbe Linda Zervakis, die gerade noch auf der Bühne dem Event-Erfinder Hugh Evans aus Australien zugejubelt hat, in der (nächsten) Tagesschau sachliche oder gar kritische Worte (als Zitat von Kritikern) gegenüber diesem „Event“ vortragen könnte? Also: vertrauenswürdig vortragen könnte?

Viele mögen ja diese Party als die „gute“ Seite des G20-Gipfels sehen. Aber man muss das sicherlich nicht so wahrnehmen. Wenn Politiker wie Olaf Scholz oder Gordon Brown auftreten und ihre Botschaften inmitten von Popstars verkünden, muss man das nicht unbedingt gut finden oder gar bejubeln.

Was meinen Sie? Warum hat sich offenbar Ihr Team entschieden, Frau Zervakis in dieser Rolle auftreten zu lassen?

Ich denke im Sinne von Parallelen an die Zeiten zurück, als die ARD als Sponsor des Radsport-Teams „Telekom“ Jan Ulrich und die Tour de France „bejubelt“ hat, bis Dopingkrisen deutlich wurden. Das Strukturproblem ist meines Erachtens das gleiche: Eine höchst fragwürdige Vermischung von Journalismus und Auftragskommunikation. Zur Vertrauenswürdigkeit der öffentlich-rechtlichen ARD dürfte das kaum beitragen.

Wie Sie wissen, finde ich es weiterhin sehr wichtig, dass es nicht nur privat-rechliche Medien in Deutschland gibt. Aber dann sollten sich die öffentlich-rechtlichen Medien doch bitte auch auf ihren Grundversorgungsauftrag für alle konzentrieren, oder?

In Erwartung Ihrer Antwort verbleibe ich mit freundlichen Grüßen: Sebastian Köhler

2.) Sprachkritisch fiel mir der Aufmacher der Zeitungen des Redaktionsnetzwerkes Deutschland (aka „Madsack-Gruppe“) auf, am Samstag, 8.7.2017, hier in der Version der MAZ, der Märkischen Allgemeinen in Potsdam. Im langen Bericht von Werner Herpell mit dem Titel „Gewalt überschattet Gipfel-Auftakt“ tauchen nur zwei Arten von Quellen auf: Regierungspolitiker und Polizei. Und diese strukturelle Einseitigkeit bestimmt auch sprachliche Aspekte: Versionen werden NICHT als Versionen gekennzeichnet, sondern als klare Wahrheit vermittelt.

Zwei Beispiele:

„Die Polizei ging davon aus, dass rund 1500 Randalierer schwere Straftaten gegen Einsatzkräfte vorbereiten“. Woher weiß der Berichterstatter das? Wahrscheinlich, weil es Polizeivertreter GESAGT haben. Wovon die Polizei letztlich und wirklich ausging – wer weiß das schon?

Zweites Beispiel: „Der Hamburger Polizeipräsident Ralf Meyer rechnete mit weiteren gewaltsamen Protesten“.
Es wird leider nicht besser – wenn der Journalist erneut den Eindruck erweckt, in Köpfe hineinschauen und Gedanken lesen zu können. Und damit auf seine Weise auf dem Weg scheint, Journalismus und Auftragskommunikation unprofessionell zu vermischen.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.