Über Sebastian Köhler

Publizistikkprofessor, TV-Producer und Online-Journalist sowie Kommunikationsberater in Berlin

Beiträge und Beitragen

Von Sebastian Köhler

 
1.) Die Krautreporter auf der Zielgeraden: Am 6.6. durften wir als HMKW-Delegation Mitbegründer Sebastian Esser trotz dessen Stresses vor Ort in Berlin-Kreuzberg einige Fragen stellen. Esser gab sich ungebrochen optimistisch – die 15.000 angestrebten Mitglieder seien bis zum 13.6. erreichbar. Mir erscheinen wichtig die auch hier deutlich werdenden Perspektivenwechsel: Journalismus versucht als Zweck für die Nutzer und nicht als Mittel zu dem Zweck, Publika für die Werbewirtschaft zu schaffen. Damit tendenziell auch weg vom Vermarkten feststehender Produkte und hin zum Beteiligen an relativ offenen Prozessen. Vom fertigen Beitrag zum aktiven Beitragen, sowohl aus Sicht der Journalisten als auch aus der von Nutzern. „Freitag“-Chef Jakob Augstein rät den „Krautreportern“, das Projekt auch durchzuziehen, falls die 15.000 Mitglieder nicht geschafft werden (http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/126602-zieht-es-durch-jakob-augstein-macht-krautreportern-mut.html, Aufruf am 11.6.2014, 17.12 Uhr). Bemerkenswert, da seine Wochenzeitung ja auf eine recht ähnliche Klientel von Nutzern angewiesen ist. Wahrscheinlich sind von den Machern und Nutzern des „Freitag“ auch etliche bei den „Krautreportern“ dabei. Ich will mich da gar nicht ausschließen.

 

2.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: RBB-Info-Radio-Sportinterviewer Stephan Frase sagte am 21.5.2014 um 10.55 Uhr im Gespräch mit Rodler Felix Loch: „Sie haben unzählige Weltcup-Siege erreicht“. Ungereimtheiten dieser Art geschehen mittlerweile im Medien-Turbo leider unzählig (unzählbar) oft – aber die Anzahl der Weltcupsiege eines Sportlers lässt sich sicher ermitteln. Allerdings fehlt oft die Zeit oder Mühe dafür – aber das führt dann zu „ungezählten“ Siegen. Die jedoch nicht nur für Mathematiker durchaus zählbar sind – oder es doch wären

Geld her oder Baby-Tötung?

Von Sebastian Köhler

 
1.) FAZ-Net-Kunstfigur „Don Alphonso“ kritisiert die „Krautreporter“ bzw. die sich dort versammelnden Internetautoren (http://blogs.faz.net/deus/2014/05/31/geld-oder-wir-toeten-dieses-medienbaby-2068/, Aufruf am 4.6.2014, 12.02 Uhr). Er geht davon aus, „diesen Kreisen gemeinhin als notorischer und zynischer Störenfried (zu gelten), der sich nicht an ungeschriebene Gesetze hält.“ Damit meint der Don, durchaus nachvollziehbar, Burgfriedens-Verhalten, das sich in journalistischen Medien (gerade auch in konkurrierenden) immer wieder beobachten lässt. Ein wichtiger Kritikpunkt in des Dons Worten: „Grob (sic! – er meint wohl: „allgemein“, SeK) gesagt hatte man für das Versprechen einer Ware – ein Jahr feinster Onlinejournalismus ab Herbst – keine richtig funktionierende Kasse“ für die „Kunden“.

Diese Art von Kritik sagt viel über den Kritiker: Nutzer werden auf ihren Kunden-Status reduziert und der Journalismus auf seinen Waren-Charakter – daher ist die „Kasse“ allein entscheidend. Aufgeklärter Damen und Herren als der Don gehen zumindest vom Doppelwesen journalistischer Beiträge als Ware und Kulturgut aus. Solche umfassendere Sichtweise eröffnet alternative Horizonte, was die notwendigen Debatten um die Bereitstellung von Ressourcen für einen Journalismus geht, der mehr als bloße Ware ist. Aber klar, Stimmung gegen eine „Stimmung wie beim Heizdeckenverkauf“ lässt sich leichter machen, Pardon: billiger.
2.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Was ist das Verdienst von Angela Merkel? Und was ist andererseits der Verdienst dafür? Die Kanzlerin sagte laut RBB-Info-Radio (am 9.4.2014, 10.00 Uhr): Es sei „der Verdienst dieser und früherer Bundesregierungen, dass jetzt ein Haushalt ohne Neuverschuldung möglich“ sei. Egal, ob das Verdienst an dieser Wortwahl beim Sender oder bei der Senderin liegt: „Das Verdienst“ ist eine besondere, anerkennenswerte Leistung oder Tat (http://www.duden.de/suchen/dudenonline/verdienst, Aufruf am 4.6.2014, 13.30 Uhr), während „der Verdienst“ durch Arbeit erworbenes Einkommen (Geld) meint. Eine ganz andere Frage ist, ob die CDU-Chefin tatsächlich so viel (oder so wenig) Euro bekommt, wie sie verdienen würde, wenn das Verdienst entscheidend wäre. Sehr verdienstvoll, solche Fragen.

Geht Crowd bei den Krauts?

Von Sebastian Köhler

1.) „Der Online-Journalismus ist kaputt“, sagen die Krautreporter (https://krautreporter.de/das-magazin, Aufruf am 14.5.2014, 21.36 Uhr). Aber: „Wir kriegen das wieder hin“. „Kriegen“ würde ich zwar nicht sagen, sondern „bekommen“, aber inhaltlich finde ich diese neue Projektphase der Krautreporter sehr spannend: Es solle ohne Werbung und ohne Boulevardisierung gehen. Statt dessen: „Mit gutem Journalismus: Reportagen, Recherchen, Porträts und Erklärstücken – jeden Tag! Wir wissen, von was (ich sage: „wovon“, SeK) wir reden: weil wir uns mit dem auskennen, über das (nun ja: „worüber“, SeK) wir schreiben. Mit der notwendigen Zeit, die es braucht, um eine gute Geschichte zu erzählen. Und den Fakten, die nötig sind, um zu verstehen, was auf der Welt passiert. Ganz in Ruhe.“ Inhaltlich geht das in richtige Richtungen, wie gesagt.
Ein unabhängiges Online-Magazin ohne Werbung, das täglich mehrere sorgfältig recherchierte Hintergrundbeiträge von angemessen bezahlten Journalisten veröffentlicht. Innerhalb eines Monates will „Krautreporter“ 15.000 Nutzer gewinnen, die für ein Jahr jeweils mindestens 60 Euro bezahlen, also fünf Euro im Monat. Budget insgesamt also 900.000 Euro. Wenn das klappt, soll die Seite im September live gehen (vgl. http://www.gruenderszene.de/allgemein/krautreporter, Aufruf am 14.05.2014, 21.44 Uhr). Allerdings wird das kein Selbstläufer – nach knapp zehn Tagen hatten knapp 5000 Nutzer sich als Mitglieder eingetragen (https://krautreporter.de/das-magazin, Aufruf am 21.5.2014, 21.42 Uhr).
Vorbild für das Online-Magazin Krautreporter, das aus der gleichnamigen Crowdfunding-Plattform hervorging, ist das niederländische Projekt De Correspondent. Im September 2013 schenkten 15.000 Leser De Correspondent eine Million Euro in nur acht Tagen – viele mehr als jetzt in Deutschland. Der Erfolg von De Correspondent hat Sebastian Esser, einer der Initiatoren von Krautreporter, dazu inspiriert, in Deutschland Journalisten für ein ähnliches Projekt zu suchen. Insgesamt finden sich jetzt 28 Autoren auf der Liste – viele bekannte Namen sind dabei, beispielsweise der Medienjournalist Stefan Niggemeier, Sportreporter Jens Weinreich oder der Digitaljournalist Richard Gutjahr. Chefredakteur soll Alexander von Streit werden, der auch schon das deutsche Wired-Magazin leitete. Alle Krautreporter-Autoren sollen als Pauschalisten ein festes monatliches Einkommen erhalten: 2.000 bis 2.500 Euro – erwartet wird von ihnen laut der Konkurrenz von „Zeit online“ ein Text pro Woche. Mitbegründer Sebastian Esser sagt, man setze auf Rückkopplungen – der Dialog mit den Mitgliedern und Lesern solle das neue Medium auszeichnen (http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/126202-sebastian-esser-ueber-das-magazin-krautreporter-der-dialog-mit-dem-leser-soll-uns-auszeichnen.html, Aufruf am 14.5.2014, 22.41 Uhr). Er glaube nicht, dass Pay Walls im Online-Journalismus künftig funktionieren werden (vgl. http://www.gruenderszene.de/allgemein/krautreporter, Aufruf am 14.05.2014, 21.44 Uhr).: Vielmehr zeigt sich Esser davon überzeugt, dass zahlreiche Menschen unabhängigen Journalismus freiwillig ermöglichen wollten und deswegen bereit seien, solch ein Projekt auch finanziell zu unterstützen. Sollte das Magazin zustande kommen, dürften die meisten Texte für alle Leser frei zugänglich sein. „Wir wollen eine relevante Stimme in der Debatte bekommen, deswegen wollen wir auch verlinkt werden“, erläutert Esser. Das sei nur möglich, wenn Texte nicht hinter einer Paywall sind. Zahlenden Mitgliedern will Krautreporter allerdings einige Extra-Funktionen anbieten: Nur wer Geld gibt, soll beispielsweise die Artikel kommentieren oder die Redakteure in Hintergrundgesprächen, beispielsweise über Google Hangouts, befragen können.
Esser sagt, er hoffe, dass Krautreporter den Journalimus in Deutschland auf den Kopf stellen werde: „Wir behaupten nicht, dass wir besser sind. Wir wollen es nur anders machen.“

2.) Es war ein relativ überraschendes EU-Urteil: (http://kress.de/mail/tagesdienst/detail/beitrag/126233-ueberraschendes-eu-urteil-google-muss-links-zu-sensiblen-daten-entfernen.html, Aufruf am 14.5.2014, 22.45 Uhr). Der Internetkonzern Google muss unter Umständen Links zu sensiblen Daten entfernen Die „FAZ“ sprach von einer schweren juristischen Niederlage, mit dramatischen Folgen für den Konzern: Der Europäische Gerichtshof hat am 13.5.2014 in Luxemburg entschieden (Rechtssache C-131/12), dass Google dazu verpflichtet werden kann, Verweise auf Webseiten mit mit sensiblen persönlichen Daten aus seiner Ergebnisliste zu streichen.
Ein solches Recht leite sich aus der EU-Datenschutzrichtlinie ab. Nach Ansicht des Gerichts ist der Suchmaschinenbetreiber für die Verarbeitung der Daten verantwortlich. Ein Betroffener könne sich mit der Bitte um Änderung der Suchergebnisse an Google wenden – oder sonst an die zuständigen Stellen. Geklagt hatte ein Spanier. Er wehrte sich dagegen, dass Google bei der Eingabe seines Namens noch heute einen Artikel über die Zwangsver-steigerung seines Hauses vor 15 Jahren anzeigt. Das Urteil überrascht insofern, als Generalanwalt Niilo Jääskinen noch 2013 im Rahmen eines Gutachtens zu der Ansicht gelangt war, dass dass aus der EU-Datenschutzrichtlinie kein allgemeines „Recht, vergessen zu werden“ abgeleitet werden könne.
Die Konzernspitze von Google teilte mit: „Diese Entscheidung ist nicht nur für Suchmaschinen (sic! Als ob die Gefühle hätten …., SeK) enttäuschend, sondern auch für alle, die Inhalte online publizieren“. Und weiter: „Wir sind sehr überrascht, dass das Urteil so stark von der vorherigen Einschätzung des Generalanwalts abweicht und dessen Warnungen und aufgezeigte Konsequenzen unberücksichtigt lässt..“

3.) Der TV-Sender „Tagesschau 24“ am 7.5. um 9.28 Uhr im Sportteil: Der Berichterstatter sagt im Sprechertext:“Die deutschen Handballer strahlen Optimismus und Zuversicht aus“. Ein klassischer „weißer Schimmel“, der immer dann „vorprogrammiert“ scheint, wenn mensch nicht weiß, was das Fremdwort bedeutet. Und so bleiben selbstverständlich wichtige Fragen: Strahlten die Sportler auch Lebensbejahung und Heiterkeit aus? Was ist mit Hoffnung und Zukunftsglauben? Sprachkundige wissen (oder spüren) es: All dies steckt bereits drin im „Optimismus“, der etymologisch aus dem Lateinischen und Französischen stammt.
Ähnlich tautologisch (also: doppelt-gemoppelt) der Textbaustein von Angela Merkel laut Info-Radio am 9.4.2014, 15.40 Uhr: Jetzt gehe es um „Zukunftsinvestitionen“. Normalerweise geht es ja bei Investitionen um Geschäfte in der Vergangenheit oder vielleicht auch Gegenwart. Doch das scheint wirklich innovativ, ja zukunftsweisend: Investitionen diesmal bestimmt als langfristige Anlage von Kapital. Aber Moment mal – genau das heißt ja laut Duden das Wort „Investition“ bereits, auch ohne die Verdoppelung durch das Bestimmungswort „Zukunft“. Mehr „Investitionen“ in (sprachliche) Bildung wären anscheinend auch ganz sinnvoll.

Schrei vor Miss-Ständen?

 

Von Sebastian Köhler

1.) Das „Team Wallraff“, mittlerweile mit Sendeplatz bei RTL, hat sich im April mal wieder spektakulär in den Medien gezeigt. Die 21-jährige Reporterin Caro Lobig recherchierte undercover und per versteckter Kamera – mit Unterstützung des Altmeisters des deutschen investigativen Journalismus, Günter Wallraff (71) – mehrere Wochen in der Erfurter Filiale des Logistik-Konzerns „Zalando“ (Slogan: Schrei vor Glück!). Dann wurde sie „erwischt“, verlor die Aufnahmen dieses letzten Tages, konnte aber mit dem zuvor gesicherten Material eine Reportage für RTL-Extra produzieren, die auf beträchtliche soziale Missstände wie Stress und Überwachung bei dem Online-Händler deuten lässt. „Zalando“ geht seitdem auch juristisch gegen die Filmemacher vor: Interessanterweise nicht mit Fälschungs-Vorwürfen, sondern vor allem wegen des angeblichen Verrates von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen ( http://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-dienstleister/undercover-reporterin-lobig-die-zalando-mitarbeiter-sind-skeptisch-seite-all/9826668-all.html; Aufruf am 7.5.2014, 19.37 Uhr). Mentor Günter Wallraff erklärte, es sei erstaunlich, dass Anteilseigner des Konzerns selbstherrlich meinten, sie könnten mit solch einem Prozess einschüchtern, Öffentlichkeit verhindern und Kritik unterbinden: „Das Gegenteil ist der Fall. Sie können uns keinen größeren Gefallen tun und sind rechtlich schlecht beraten. Denn hier geht es nicht um den vermeintlichen Verrat von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, wie es in ihrer Anzeige heißt, sondern um gravierendes Unrecht im Betrieb. Menschen, die hilf- und wehrlos sind, weil sie Angst vor Kündigung und Arbeitslosigkeit haben, werden drangsaliert.“ (http://www.jungewelt.de/2014/04-22/023.php?sstr=wallraff, Aufruf am 7.5.2014, 19.45 Uhr). Wichtig für alle Journalisten und an kritischer Öffentlichkeit interessierten Bürger: Das Bundesverfassungsgericht hat im Fall von Wallraffs Undercover-Recherche bei der Bild-Zeitung (1977) ein Grundsatzurteil (1984) gefällt. Die obersten Richter haben damit in diesem Springer/Wallraff-Urteil festgelegt: Im Fall von gravierenden Mißständen hat die Öffentlichkeit das Recht, informiert zu werden: Auch wenn es um sogenannte erschlichene, unter Täuschung erworbene Informationen geht. Der Pressekodex argumentiert in ethisch-moralischer Richtung entsprechend in seinem Punkt 4.1.: Umstrittene Recherche-Methoden sind im Einzelfall gerechtfertigt, wenn es um öffentich-relevante Miss-Stände geht, auf die anders nicht hinzuweisen wäre. Leider hat Zalando offenbar zumindest erreicht, dass die Langfassung der Reportage vom 14.4. im Netz frei kaum zu finden ist.

 

2.) Zum sprachkritischen „Kaleidoskop“: Der liberale „Independent“ aus London titelte am 16.4. auf Seite 4 seiner Tabloid-Ausgabe: „Nato steps up presence on Russia`s borders to reassure European allies“

 

Ein typischer Fall der Vermengung von Nachricht und Meinung: Der erste Teil der Überschrift dürfte zwischen vielen (auch kontroversen) Beteiligten und Beobachtern dieses Konfliktes als Meldung unstrittig sein – das westliche Militärbündnis verstärkt seine Kräfte an den Grenzen zu Russland. Der zweite Teil bezieht sich entweder auf eine Begründung durch den Nato-Generalsekretär („Wir machen das deshalb, weil…“) und hätte dann als Version und Zitat gekennzeichnet werden sollen. Oder es ist (auch) die Meinung der Redaktion (Die Nato macht das, weil ….), und dann hätte es ebenfalls nicht so in eine nachrichtliche Überschrift gehört, sondern in eine meinungsbetonte Darstellungsform. Bemerkenswert, weil die britische Qualitäts-Presse ja geschichtlich als Hort des Trennungs-Gebotes für den modernen Journalismus gilt, demzufolge Fakten heilig sein sollen, aber der Kommentar frei, wie C.P. Scott vom „Guardian“ 1921 klassisch formuliert hatte: „Comment is free, but facts are sacred“

 

Ätzende Häme?

Zum Beitrag von Ildiko Röd über die Debatten zur Potsdamer Garnisonkirche in der MAZ vom 25.4.2014, S.13:

 Von Sebastian Köhler

Anlass dieser Runde der Berichterstattung über das in Potsdam umstrittene Projekt eines etwaigen Wiederaufbaus der Garnisonkirche war der  Wegfall von 6,3 Millionen Spendengeldern durch den kurz zuvor erklärten Rückzug der „Stiftung Preußisches Kulturerbe“ um den Ex-Bundeswehroberstleutnant Max Klaar. So weit, so klar.

 

Warum aber schreibt die Kollegin schon in der Unterzeile: „Aufbau-Gegner reagieren mit Häme“? „Häme“ ist ein relativ stark wertendes, emotionalisierendes Wort – man denke an „hämisches Grinsen“, „hämische Schadenfreude“ etc. Der Online-Duden nennt als Beispiel „Er ertrug die Häme seiner Mitschüler nicht“, was sich kaum auf berechtigte Kritik dieser Mitschüler am mit Häme Bedachten bezieht. „Häme“ bedeutlich laut Duden Ähnliches wie „Zynismus“ und „Hohn“, also etwas, das der Beobachter schlicht nicht gutheißen kann.

 Ich rate in solchen Sätzen im Sinne der Objektivierung einfach zur Umkehrprobe: Ist es denkbar, der „anderen Seite“ (einer anderen Partei im jeweiligen Konflikt) dieselben Worte zuzusprechen? Ist es wahrscheinlich, dass die Journalistin prominenten Befürwortern des Wiederaufbaus wie z.B. Manfred Stolpe oder Wolfgang Huber „Häme“ attestieren würde (als mögliche Reaktion auf etwaige Misserfolge der Gegner, zum Beispiel, falls das Bürgerbegehren zum Rückzug der Stadt Potsdam aus dem Projekt scheitern sollte)? Wohl kaum – und allein schon deshalb wäre ich mit solchen Worten sehr vorsichtig, zumal in offenbar informationsbetonten Darstellungsformen.  

Leider scheint der Gebrauch von „Häme“ weder Zufall noch Ausrutscher zu sein. Der Linken-Kreischef Sascha Krämer hatte sich geäußert – als Wiederaufbau-Skeptiker relativ sachlich, wie ich finde (das ist natürlich meine Meinung): „Kaum Spenden, kein Geld vorhanden, und nun werden auch noch die auf Eis gelegten 6,3 Millionen Euro von Max Klar gestrichen. Das Projekt Garnisonkirche steht unter keinem guten Stern“. So weit, so klar wiederum – warum er das „geätzt“ haben soll, bleibt unklar: „Ätzen“ ist ein ebenfalls vergleichsweise meinungsbetonter Terminus aus dem Wortfeld „sagen“ – laut Online-Duden ist es salopper Sprachgebrauch in Richtung von „mit beißendem Spott äußern“.

Wiederum mache mensch die „Umkehrprobe“: Würde die Reporterin zum Beispiel Peter Leinemann oder Martin Vogel als Projekt-Angestellte etwas „ätzend“ äußern lassen? Anscheinend nicht – im Artikel äußern die Befürworter folgende Sprechakte: „verzichten“, „erklären“ oder „bedauern“. Für diese Akteure werden also relativ sachliche bzw. sogar eher positiv konnotierende Worte verwendet.   Schade, dass so der Eindruck einer gewissen Parteilichkeit entsteht.

Gut wäre es, die Kirche (journalistischer Fairness) im Dorf (der öffentlichen Debatten) zu lassen. Ob andere Kirchen, Türme oder Schlösser (wieder) sein sollen, darüber mögen am besten und ganz demokratisch all die Menschen entscheiden, die es betrifft. Dazu benötigen sie auch und gerade im Lokalen journalistische Orientierung, die sich in ihren informationsbetonten Bereichen um objektivierende Perspektivenwechsel bemühen sollte. Um es mit einem der Klassiker des bundesdeutschen Journalismus zu sagen, mit HaJo Friedrichs (1927 bis 1995):  Journalisten sollten in alle Richtungen möglichst gleiche Distanz halten, sich dabei insbesondere nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer anscheinend noch so guten.  Ätzende Häme oder hämisches Ätzen sollten da individuelle Glaubensfragen bleiben und nicht tendenziell einseitig den journalistisch-informationsbetonten Stil prägen.

Kommerzielle Kommunikation kommt kolossal korrekt?

 

Von Sebastian Köhler

1.) Neues im Online-Journalismus: Die „Berliner Morgenpost“ probiert neue digitale Formate aus. Die Axel-Springer-Zeitung, die demnächst offiziell zur Funke-Gruppe gehören dürfte, hat ein so genanntes „Talkie“ veröffentlicht, eine Art sprechender Datenvisualisierung (siehe http://kress.de/alle/Detail/Beitrag/125808-datenvisualisierung-berliner-morgenpost-experimentiert-mit-talkie.html,Aufruf am 9.4.2014, 15.56 Uhr) Unter morgenländische/verbotene-Flugrouten erklärt die Redaktion, sie wolle mit dieser Form des digitalen Storytellings zeigen, dass die Vorzüge von linearer Erzählweise in Kombination mit interaktiven Elementen Geschichten für Nutzer auf eine neue Art erlebbar machten.

Im „Talkie“ erzählt eine Stimme aus dem Off die Geschichte in 100 Sekunden. Dazu werden aufwändige Datenvisualisierungen gezeigt. Inhalt des Beitrages ist in diesem Fall, dass immer mehr Flugzeuge vorzeitig von den vorgeschriebenen Flugrouten abweichen und im Tiefflug über Berlin fliegen. Die interaktive Anwendung basiert laut MoPo auf Auswertungen einer eigenen Datenbank der „Berliner Morgenpost“, die die Flugbewegungen von rund 96% aller Flüge der Berliner Flughäfen Tegel und Schönefeld erfassen soll.

  1. Fernsehen ist vor allem, was gern gesehen wird und was für Unterhaltung sorgt. YouTube-Stars und -Sternchen liegen da ganz weit vorn bei den ca. Acht- bis 29-Jährigen. Empfehlungen auf YouTube-Kanälen wie dem von Sami Slimani, Y-Titty oder von Daaruum können Produkte binnen Stunden zu Verkaufsschlagern machen – zumindest sorgen sie für Hingucker sowie Gesprächsstoff und verdienen offenbar nicht schlecht daran (wobei die noch viel spannendere Frage wäre – ähnlich wie bei hochbezahlten Sportlern als Werbeträgern: Wie profitieren Konzerne á la Samsung, Coca Cola oder eben auch Google als YouTube-Eigentümer von diesen Verwertungsprozessen?). Aufsichts-Experten wie Jürgen Brautmeier, derzeitig Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten, finden das Gebaren der YouTubePromis auf Anfrage von öffentlich-rechtlichen TV-Magazinen wie Report Mainz (SWR) oder Zapp (NDR) „hochproblematisch“ (http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/zapp/media/zapp7353.html., Aufruf am 5.4.2014, 15.03 Uhr) Es geht im Kern um das Trennungsgebot von redaktionellem Inhalt und Werbung bzw. Product Placement. Dazu sagt das Telemediengesetz von 2007 als einer der zentralen Rahmen des Internet-Rechtes in Deutschland: 1. Kommerzielle Kommunikationen müssen klar als solche zu erkennen sein; 2. Die natürliche oder juristische Person, in deren Auftrag kommerzielle Kommunikationen erfolgen, muss klar identifizierbar sein; 3. Angebote zur Verkaufsförderung wie Preisnachlässe, Zugaben und Geschenke müssen klar als solche erkennbar sein, und die Bedingungen für ihre Inanspruchnahme müssen leicht zugänglich sein sowie klar und unzweideutig angegeben werden. (http://www.gesetze-im-internet.de/tmg/__6.html, Aufruf am 5.42014, 15.07 Uhr). Postwendend nach den öffentlich-rechtlichen Vorwürfen starteten „Vloggerinnen“ (Video-Bloggerinnen) wie Daaruum, xKarenina oder Ebru ihre Gegenkampagnen unter den Slogans #angeber oder #youtuberfürtransparenz. Erklärtes Ziel: Künftig (noch) klarer angeben, von wem sie wofür genau bezahlt werden, direkt und indirekt (http://www.wuv.de/digital/angeber_youtube_blogger_starten_kampagne_gegen_schleichwerbung; Aufruf am 5.4.2014, 15.25 Uhr). Unterm Strich mag der Streit sogar für etwas Aufklärung sorgen – es geht kaum um „Social Media“ bei YouTube, Facebook, Instagram, Vine, WhatsApp & Co. – das ist vor allem ein griffiges Wort aus PR- und Werbeperspektive. Nein, es geht nicht um soziale und vernetzte und freie Kommunikation um ihrer selbst Willen. Die genannten Global Player des „Social Web“ und viele andere sind WWW-Geschäftsplattformen als Mittel zum Zweck (neben den machtpolitischen und geheimdienstlichen Verbindungen), betriebswirtschaftlichen Umsatz und Gewinn zu erzielen/zu steigern (via schneller Aufmerksamkeit und Pseudo-Interaktivität). Nutzende bezahlen dabei mit ihren Daten, die tendenziell komplett ausgewertet und verwertet werden können. Und Vermittler wie die jetzt etwas umstrittenen Vloggerinnen und Vlogger bekommen dabei eben ihr (eher kleines) Stück vom ziemlich großen Kuchen. Auch das kann ja mal „angegeben“ werden, im Sinne gesellschaftlicher Transparenz. Ent-Täuschung mag so produktiv wirken.
  2. Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Die Überschrift einer Reuters-Text-Meldung vom 7.4.2014 lautete: „Separatisten fordern Abspaltung von Ost-Ukraine“. Das lässt sich, um Wittgenstein zu bemühen, klarer sagen: So ist die Version zumindest doppeldeutig – entweder: die Ost-Ukraine soll sich von der gesamten Ukraine abspalten, oder aber: die Separatisten fordern, sich wiederum von der Ost-Ukraine zu abzuspalten. Gemeint ist sicher Ersteres, weswegen zu schreiben wäre: „Separatisten fordern Abspaltung der Ost-Ukraine.“ Ist kein bisschen länger, aber deutlich klarer.

Eskalation der Tatarenmeldung?

 

Von Sebastian Köhler

1.) Im Mainstream des deutschen Journalismus zeigen sich während der Ukraine-Krise bemerkenswerte Dynamiken: In vielen Fällen scheint er, was die Eskalations-Forderungen angeht, jenseits von Bevölkerungsmehrheit, auch von Wirtschaftseliten und sogar von der Regierung zu stehen. Diese Forderungen nach „mehr Härte gegen Putin“ sind strukturell wohl am ehesten erklärbar daher, dass von der politischen Grundorientierung sich ja viele Journalisten in Deutschland tendenziell als den Grünen zuneigend verstehen – dabei weit überproportional zum Wahlergebnis mit im Jahre 2005 immerhin 35,5 Prozent aller Journalisten als „Grüne“. (siehe die Weischenberg-Studie von 2005 unter http://www.media-perspektiven.de/uploads/tx_mppublications/07-2006_Weischenberg.pdf, Aufruf am 29.3.2014, 12.13 Uhr – die Grünen waren 2005 fünftstärkste politische Kraft bei der Bundestagswahl mit 8,1 Prozent hinter Union, SPD, FDP und PDS). An dieser deutlichen Überrepräsentanz bündnisgrüner Neigungen in den Reihen der Journalisten dürfte sich bis heute wenig geändert haben. Aktueller Bezug: Zumindest einige aktuelle Spitzenvertreter der Grünen (Katrin Göring-Eckardt, Rebecca Harms, Marie-Luise Beck) versuchten ja 2014 durchaus, sich mit eher eskalierenden Forderungen gegen die russische Politik zu profilieren.

Dem FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher ist, vielleicht auch in diesem Kontext, vor allem ein Gespräch von ZDF-Moderator Claus Kleber mit Siemens-Chef Josef Kaeser aufgefallen (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/echtzeitjournalismus-dr-seltsam-ist-heute-online-12867571.html, Aufruf am 29.3.2014, 12.20 Uhr). In der „Krim-Krise“ (ich spreche eher von Ukraine-Krise, weil der Auslöser kaum auf der Krim lag) sehe man: Der „Echtzeitjournalismus“ sei schneller als die Reaktionszeit für einen Atomangriff. Er setze auf die Semantik der Eskalation und werde dadurch selbst zur Waffe.Der von Schirrmacher und mir geschätzte Karl Kraus schrieb in diesem Sinne einst: „„Was Redaktionen beschlossen haben, vergelten und büßen Nationen.“ Schirrmacher kritisiert am Journalismus á la Kleber, dass die Nutzer nicht erfahren sollten, was Kaeser in Moskau getan habe (das wäre Außenreferenz und damit eine journalistische Grunddimension), sondern vielmehr, was der empörte Moderator darüber denke (Selbstreferenz): „Beharren auf einer normativen Deutung dessen, was die westlichen Sanktionen angeblich bedeuten, verwandelt Journalismus in Politik und das Fernsehstudio in einen Ort, wo der Interviewer plötzlich außenpolitische Bulletins abgibt.“ Schirrmacher gräbt tiefer und narrative Grundstrukturen dieser Art von Eskalation aus: „Die formalen Kriterien dieser fünf Minuten „heute journal“ sind mittlerweile eins zu eins übertragbar auf einen aktuellen Echtzeit-Eskalationsjournalismus, der Lebenssendezeit füllen und Storys erzählen muss.“

Es sei egal, so hatte Karl Kraus als Erster ein Kennzeichen der Massenmedien definiert, ob man eine Operette oder einen Krieg lanciere: „Gemeint war: Die dramaturgischen, auf Kunden oder Klicks zielenden Strukturen von Konflikt, Eskalation, Krise und Katastrophe, mit denen man über die Welt redet, verändern die Welt beim Reden. Die Erzählung vom Kalten Krieg samt Atomwaffen-Angst und biblischer Apokalypse ist das schlechthin unüberbietbare Narrativ – Spannung pur, in der sich der sprachlose Siemens-Chef plötzlich in der Rolle des Spions wiederfindet, der aus der Kälte kam.“

Von Michael Crichton stamme, schreibt Schirrmacher, der Spruch, dass sich eine Geschichte, wenn die Zutaten stimmen, fast von selbst schreibe: „Nicht nach Kriegsgeschrei und dem Donnern von Stiefelabsätzen muss man deshalb heute in der Sprache suchen, sondern nach diesen Automatismen, die durch moderne Kommunikationssysteme sich atemberaubend beschleunigt haben. Es war ein Automatismus, nicht die angebliche moralisch-politische Reflexion, die Claus Klebers Performance erklärt.“ Weil Echtzeit Reflexionskraft minimiere, infiziere sie derzeit auf höchst bedrohliche Art das politische und gesellschaftliche Leben in allen Bereichen. Es sei eine Pointe der Geschichte, dass nun auch die entsprechende soziale Kommunikation in den Lichtgeschwindigkeitsmodus wechsele. Schirrmacher: „Wer Zeitpuffer für Hochgeschwindkeitsbörsen verlangt, sollte nach den jüngsten Erfahrungen auch über solche für Nachrichtenbörsen nachdenken.“ Oder vielleicht Nachrichten nicht nur als Waren oder Machtmittel begreifen müssen, sondern als öffentliche Leistungen, die anderen Kriterien als Gelderwerb, Machtausbau oder Aufmerksamkeit um ihrer selbst willen zu folgen hätten.

Ergänzend zu Schirrmachers Kritik bleibt mein Punkt die fehlende „Äquidistanz“ dieser Art von Journalismus: Die rasant zunehmende Einseitigkeit, mit der eben nicht allen wichtigen Seiten gegenüber (hier ja zumindest zumindest zwei Parteien: mehr Ablehnung versus eher Verständnis für die russische Politik) der gleiche Abstand gewahrt wird. Dieses „Sich-Nicht-Gemein-Machen“ (HaJo Friedrichs) mit einer Sache, und sei sie noch so gut, gilt als eine bewährte Norm aus den Zeiten der Entstehung des modernen Journalismus Mitte des 19. Jahrhunderts. Als es übrigens schon einmal einen Krim-Krieg gab (1853-1856), in dem der erste moderne Kriegsreporter, William Howard Russell, für die Londoner „Times“ mangels anderer Neuigkeiten sich eine bewusst falsche Nachricht ausgedacht haben soll (man staune: eine anti-russische). So entstand eben die „Tatarenmeldung“. Allerdings stürzte schließlich im Kontext dieses Krieges die britische Regierung von Premier Aberdeen. Soviel Zeit muss doch sein – zur Ironie von Geschichte.

2.) By the Putin-Bashing-Way: Wo ist eigentlich Edward Snowden? Klar, als Opfer russischer Propaganda sitzt er irgendwo im „Reich des Bösen“. Das ist oberfies – oder liegt es daran, dass ihn „die Guten“ nicht friedlich aufnehmen wollen?

And now for something completely different, wie es bei Monty Python heißt: Der britische Guardian, eine der angesehensten Qualitätszeitungen der westlichen Welt, stand jüngst kurz vor der Schließung. Nicht durch die heilsame Hand des Marktes und auch nicht durch einen russischen Oligarchen, sondern durch die britische Regierung.  Wie im März 2014  der stellvertretende Chefredakteur Paul Johnson auf einer Konferenz in Dublin erklärte (siehe http://www.heise.de/newsticker/meldung/NSA-Skandal-Britische-Regierung-drohte-Guardian-mit-Schliessung-2156345.html?wt_mc=sm.feed.tw.ho,, Aufruf am 29.3.2014, 13.54 Uhr), wurden der Redaktion nach Beginn der Enthüllungen in Zusammenarbeit mit dem früheren US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden nicht nur auf Geheiß der Regierung Festplatten zerstört, sondern es wurde der Zeitung sogar unverblümt mit der Schließung gedroht. Insgesamt sei die Arbeit mit Snowdens Material über die gewaltige Überwachung die schwierigste in der Geschichte seiner Zeitung gewesen – auch schwerer als die Arbeit an den Dokumenten von Wikileaks. So habe ein Regierungsbeamter dem Chefredakteur Alan Rusbridger gesagt: „Der Premierminister, sein Stellvertreter, der Außenminister, der Innenminister und der Justizminister haben ein Problem mit Ihnen.“

Das ist alles bemerkenswert genug – aber warum erfahren wir dies zwar, aber erst viele Monate später? Weil eben gerade die vielbeschworene Pressefreiheit selbst in einem Land wie Großbritannien auch politisch (von wirtschaftlich zu schweigen) nie eine absolute ist, sondern stets eine sehr relative, abhängig von aktuellen Macht- und sonstigen Einflussverhältnissen? Dann wäre ja die Welt auch in dieser Hinsicht gar nicht in Schwarz und Weiß zu zeichnen (hier Pressefreiheit, dort keine), und vielleicht auch nicht allein in „Gut versus Böse“? Hmm, das dürfte also anstrengend bleiben ….

3.) Sprachkritisch geht es heute auch um einen Aspekt der Ukraine-Krise: Was passiert mit der Krim nach dem Votum der Menschen, die dort leben? „Annexion“, „Besetzung“, „Diebstahl“ (Claus Kleber), „Anschluss“, „Beitritt“, „Eingliederung“, „Angliederung“, „Wiedervereinigung“, „Heimkehr“? Die Bundesregierung hatte den Vergleich des russischen Präsidenten Wladimir Putin zwischen den Ereignissen auf der Krim und der deutschen Vereinigung zurückgewiesen. Die deutsche Einheit habe zwei getrennte Staaten gleicher Nation wieder zusammengeführt, hatte Regierungssprecher Steffen Seibert gesagt. (http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/krim-krise-berlin-weist-putins-vergleich-mit-wiedervereinigung-zurueck-12854046.html, Aufruf am 29.3.2014, 14.09 Uhr). Kann mensch so sehen, aber Journalisten sollten ja, im Unterschied zu Steffen Seibert, das Sprachrohr keiner Regierung sein, weder der von Frau Merkel noch der von Herrn Putin. Daher dürfen wir uns für informationsbetonten Journalismus die Frage stellen, welchem Terminus die meisten Nutzer mit ihren ganz verschiedenen Interessen und Standpunkten am ehesten zustimmen könnten. Also Merkel-Fans und Putin-Fans und Fans des Rechten Sektors und eher Unentschiedene etc. Deshalb ist meine Wahl in der täglichen Meldungsarbeit das Wort, das mir am wenigsten wertend erscheint aus diesem semantischen Feld: „Eingliederung“ (oder auch, wegen des absehbaren Sonderstatus innerhalb der Russischen Föderation: Angliederung). Das kann mensch, je nach Perspektive, schlecht oder gut (oder unentschieden) finden – was sich von „Annexion“ oder „Wiedervereinigung“ kaum sagen lässt. Dafür gibt es ja meinungsbetonte Formen wie Kommentare. Und manchmal leider auch, siehe oben, TV-Interviews mit „Moderatoren“.

Komm Opa Mittagessen!

Von Sebastian Köhler

1.) Wo kein Geld sei, gebe es auch keinen Journalismus. Das erklärte „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann Kölner Nachwuchsjournalisten (http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/124544-bild-chef-diekmann-im-interview-mit-journalistenschuelern-wo-kein-geld-ist-gibt-es-auch-keinen-journalismus.html, Aufruf am 8.1., 21.12 Uhr). Er sagte, das Online-Zahlangebot „BildPlus“ habe mittlerweile mehr als 150.000 Abonnenten. So viele Vollzahler in sechs Monaten seien mehr, als viele Regionalzeitungen in Deutschland überhaupt an Käufern bzw. Auflage hätten, so der Bild“-Chef zu diesem „Riesen-Erfolg“.
Die „New York Times“ sieht er als sogenannten „Benchmark“ (Vergleichs-Maßstab) der Branche. Die Zeitung hatte vor drei Jahren eine neue Bezahlschranke eingeführt und schaffte es im ersten Jahr, 1% der User zu „konvertieren“ – auf „Bild“ umgerechnet wären das 140.000 zahlende Abonnenten nach zwölf Monaten gewesen, erklärt Diekmann.
Auf die Frage, ob es sich dabei tatsächlich um neue Abonnenten oder um ehemalige Käufer der gedruckten „Bild“ handele, antwortete Diekmann: „Ich kannibalisiere mich lieber selber, als von anderen gefressen zu werden.“ Der Bild-Chef sieht – wie seit Aufkommen des modernen Journalismus ab. ca. 1830 – vor den publizistischen Erfolg den betriebswirtschaftlichen gestellt: „Wo kein Geld ist, gibt es auch keinen Journalismus“. Das mag für einige Groß(-handels-)unternehmen wie Springer, Bertelsmann oder Burda zutreffen, wird den Journalismus in Breite und Vielfalt aber allein nicht aufheben für künftige Zeiten.
Dann jedenfalls müsse nicht jeder Journalist alles können, „aber jedes Team muss alles können“, meint Diekmann. Er erwarte, dass in den Redaktionen die Teams so zusammengestellt sind, dass jeweils einer da sei, der sich mit sozialen Medien, mit digitalem Storytelling und mit Dateninterpretation auskenne. Die Teams sollten zudem alle Typen von Medien mit Beiträgen bestücken können.
Diekmann sagte, er glaube, Papier werde im Journalismus auch noch in 15 Jahren eine große Rolle spielen. Er erwarte in dem Bereich jedoch kein großes Wachstum mehr.

2.) Der frühere Verfassungsrichter Paul Kirchhof hat in der „SZ“ gefordert, dass die absehbaren Mehreinnahmen der öffentlich-rechtlichen Anstalten durch den neuen Haushaltsbeitrag zum Ende der Werbung in deren Programmen führen sollten (http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/124543-wegen-mehreinnahmen-durch-rundfunkbeitrag-kirchhof-empfiehlt-werbeverzicht-der-oeffentlich-rechtlichen.html, Aufruf am 8.1.2014, 21.37 Uhr). „Wir bleiben bei 17,98 Euro, nutzen aber das Geld, um die Werbung zurückzunehmen. Die Mehreinnahmen werden nicht reichen, um die Werbung ganz abzuschaffen. Aber es besteht die Möglichkeit, die ungute Abhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vom Einfluss der Privatwirtschaft zu lockern“, so Kirchhof. Und er geht noch weiter: „Es soll letztlich auf einen kompletten Verzicht hinauslaufen.“
Hintergründe: Der Staats- und Steuerrechtler Kirchhof bezeichnete die Haushaltsabgabe als Gutachter für ARD, ZDF und Deutschlandradio als verfassungsgemäß. Der Professor aus Heidelberg gilt als Vordenker der Reform. Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) hatte jüngst vorgeschlagen, den Rundfunkbeitrag ab 2015 um 73 Cent zu senken. Die KEF rechnete vor, dass durch den neuen Rundfunkbeitrag zwischen 2013 und 2016 etwa 1,146 Milliarden Euro mehr eingenommen werden könnten, als den Anstalten zustünden. Die Hälfte dieses Betrages solle für die Senkung der Gebühren genutzt werden. Entscheiden müssen letztendlich die Ministerpräsidenten der Bundesländer.

3.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Im RBB-Inforadio hieß es am 3.1.2014 in einer Meldung, die Piraten seien auf ihrem Bundes-Parteitag „nicht wie die anderen etablierten Parteien durch Delegierte vertreten“ (sondern alle anwesenden Mitglieder durften abstimmen). Auch hier gilt: ein Komma hätte vieles geklärt – denn die Piraten sind sicher (noch) keine etablierte Partei. Zwischen die beiden Attribute vor „Parteien“ hätte ein Komma gemusst. Das Komma ist nur scheinbar unscheinbar, wie die beiden Klassiker zeigen: Zwischen: „Komm Opa, Mittagessen!“ und „Komm Opa Mittagessen!“ dürfte nicht nur für Opa ein gewisser Unterschied bestehen. Ähnlich im Falle von „Hängen, nicht laufenlassen!“ und „Hängen nicht, laufenlassen!“. Der Unterschied zwischen Leben und Tod kann also im Komma überhaupt bzw. in seiner Stellung im Satz bestehen.

Xaver und Unsinn

1.) Der Axel-Springer-Verlag setzt seine Umorientierung fort – weg von Printmedien und hin zum Hybrid-Konzern mit vielen möglichen Medien- und Handelsangeboten. (http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/124257-n24-welt-wachsen-zusammen-axel-springer-kauft-n24-media.html, Aufruf am 11.12.2013, 22.38 Uhr). Springer übernimmt die N24 Media GmbH zu 100%. und will dabei erklärtermaßen vor allem N24 und die Welt-Gruppe zusammenführen, um im deutschsprachigen Raum „das führende multimediale Nachrichtenunternehmen für Qualitätsjournalismus zu etablieren“, wie es in einer Mitteilung von Springer heißt. Das bisher relativ selbständige N24 mit seinen rund 300 Mitarbeitern soll außerdem zentraler Bewegtbildlieferant für alle Marken von Axel Springer werden. N24-Geschäfsführer Torsten Rossmann sagte: „Für den nächsten Schritt und eine nachhaltige Zukunft brauchen wir einen starken Partner, der zu N24 passt. Mit Axel Springer und seinem klaren Bekenntnis zu Journalismus und Digitalisierung haben wir ihn gefunden“. Über den Kaufpreis wurde Stillschweigen vereinbart. Die Transaktion steht unter dem Vorbehalt der kartell- und medienrechtlichen Genehmigung
2.) Dass die Weltgesellschaft neuer, revolutionär informierterer und kommunikativerer Modelle, Medien und Praxen für ihr Verkehren (im weitesten Sinne) bedarf, um nachhaltig zu überleben, sehen manche so angesichts der Widersprüche zwischen wachsender globaler Produktivität und Reichtumsanhäufung einerseits und grundsätzlichen Krisentendenzen andererseits (Kriege, Anschläge, Umweltzerstörung, Sozialabbau, Verarmung, Verdrängung, Abschottung bis hin zur tendenziellen demografischen Vergreisung etc.). Dass sogenannte soziale Netzwerke wie Facebook, Xing oder LinkedIn wenig zu aufgeklärteren, also in öffentlich-relevanter Hinsicht informierteren Verhältnissen beitragen, überrascht kaum, da sie Unternehmungen sind, die nicht zuletzt für die konzerneigene Verwertung persönlicher Daten und gemeinschaftlicher Beziehungen (virtuelle Empfehlungen und Freundschaften) geschaffen wurden. „Soziales Netzwerk“ ist hier nicht viel mehr als ein nett klingender Eigen-Name. Hätte das neue Phänomen „Global Brain“ eher das Zeug zum „sozialen Netzwerk“? Der österreichische Industrielle Wolfgang Pinegger startet mit seiner Gründung GL Brain eine Plattform, welche Vorteile von Facebook, Xing und Twitter mit sozialem Agenda-Setting zusammenbringen soll. Wichtigstes Argument der neuen Plattformer: Man könne sich auf ihr anonym und zugriffssicher vernetzen. Pinegger erklärte, er wolle brillante Köpfe zusammenbringen, um gemeinsam an den Weltaufgaben zu arbeiten. Daher trägt seine Plattform den ambitionierten Untertitel „The Missing Link“. Neben den üblichen kommunikativen Funktionen wie Chatten, Posten und Verlinken sowie dem Einstellen von Profilen können Nutzer über Global Brain einfach Petitionen erstellen sowie sich zu den beliebten „nachhaltigen“ Themen zusammenfinden. Angereichert sei Global Brain mit vielen Echzeit-Statistiken zu gesellschafts- und weltpolitischen Themen. Längerfristig möchte Pinegger daraus erklärtermaßen eine Art „soziale Suchmaschine“ generieren. Nach Edward Snowdens Enthüllungen gab die weltweite Empörung über den Zugriff Dritter auf sensible Daten auch per sozialen Netzwerken für Pinegger einen Ausschlag, Global Brain anders aufzuziehen – mit sehr weitreichenden Anonymisierungsmöglichkeiten. Vom Geschäftsmodell mit werberelevanten Datenströmen wolle er sich daher abschneiden. Längerfristig soll Global Brain neben Anzeigenerlösen über Abo-Angebote und Möglichkeiten finanziert werden, sich als Unternehmen prominent auf eigenen Seiten zu präsentieren. (vgl. http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/124383-achtstellige-investition-fuer-neues-soziales-netzwerk-global-brain-zieht-in-den-kampf-mit-facebook.html, Aufruf am 17.12.2013, 13.47 Uhr). Klingt erst einmal spannend und ist hoffentlich keine neue Version von weltweitem „Brain drain“, sondern könnte zu neuen Weisen des Teilens und Mit-Teilens auf aktuellen Höhen der technologischen Möglichkeiten beitragen.
3.) ARD-MoMa-Moderatorin Anne Gesthuysen sprach im Angesicht des nahenden Orkans „Xaver“ am 6.12., die Wetterlage wäre „dieselbe wie 1962“. Das darf als Reverenz an den einstigen bundesdeutschen Eishockeytrainer mit dem schönen Namen „Xaver Unsinn“ gelesen werden: Dieser und das Sturmtief tragen vielleicht denselben Vor-Namen (weil es von solchen Namen kaum ein unverwechselbares Individuum geben kann). Aber zwei unterscheidbare Wetterlagen (1962-2013) gleichen sich bestenfalls (sind vom gleichen Typus), oder erscheinen uns sicher am ehesten ähnlich.

Wie tickern die denn?

Von Sebastian Köhler

1.) Echtzeit-Schnipsel von Reportern – die größte deutsche Nachrichtenagentur dpa scheint mit einigen bisherigen Agentur-Tabus brechen zu wollen (:http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/124204-echtzeit-schnipsel-von-reportern-dpa-live-bricht-mit-agentur-tabus.html., Aufruf am 4.12.2013, 21.17 Uhr). Denn die Deutsche Presse-Agentur bietet ihren Kunden künftig regelmäßig Liveticker an. Text- und Fotoreporter sollen bei größeren Ereignissen parallel zu ihrer normalen Berichterstattung in Echtzeit bloggen, wie dpa-Politikchef Martin Bialecki beim Mainzer Mediendisput 2013 in Berlin sagte. Die Agentur nennt den Service „dpa live“, vor allem auf Websites von Regionalzeitungen dürfte er bald öfter zu sehen sein. In einigen Punkten kratzt die dpa mit ihrem neuen Live-Angebot an Tabus. Das Unterhaltsame, Privat-Relevante soll hier mit harten, öffentlich-relevanten Fakten vermischt werden. Die Abfolge eines Livetickers widerspricht der alten Schule der Nachrichtenagenturen: das Wichtige wird im Ticker nicht zuerst genannt, sondern immer das gerade Neueste; auch fehlt die Trennung zwischen relevanten und irrelevanten Beobachtungen weitgehend, denn ein Ticker will zuerst einmal gefüllt werden. Ein weiterer Schritt in Richtung „Gemischtwaren-Laden“?

2.) Das sprachkritische Kaleidoskop führt in dieser Woche zum Wort „Oppositionsführer“. In vielen deutschen Medien werden mittlerweile Formulierungen verwendet wie vom „Hamburger Abendblatt“: „Behörden schikanieren Oppositionsführer Vitali Klitschko“ (http://www.abendblatt.de/politik/article122478590/Behoerden-schikanieren-Oppositionsfuehrer-Vitali-Klitschko.html, Aufruf am 4.12.2013, 20.24 Uhr). Was aber bedeutet „Oppositionsführer“? In Großbritannien ist dieser Titel eine Institution, dort wie auch in Deutschland wird der Chef der größten Oppositionsfraktion so genannt. In der Ukraine gebührt solche Bezeichnung dem Fraktionschef der Partei „Vaterland“ (Julia Timoschenko), Arsenij Jazenjuk, dessen Fraktion im Kiewer Parlament über 101 Sitze verfügt. Nur auf 40 Mandate hingegen bringt es Vitali Klitschkos Partei „Udar“ (Schlag), die aktiv von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützt wird (http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/1306144/Wahlen-in-der-Ukraine_Klitschkos-schwierigster-Kampf, Aufruf am 4.12.2013). Wenn schon im Deutschen von „Führer“ oder eben „Oppositionsführer“ gesprochen werden muss, dann doch bitte nicht ganz so „opportunistisch“ – also (bildungssprachlich laut Duden) nicht in allzu bereitwilliger Anpassung an die jeweilige Lage aus Nützlichkeitserwägungen .(http://www.duden.de/rechtschreibung/Opportunismus). Denn unter demokratischem Aspekt ist die sprachliche Frage nicht uninteressant: Wird der Oppositionsführer gewählt, oder wird er ernannt – von sich selbst bzw. von (deutschen) Medien? Zumal ja, Gruß zurück ans Hamburger Abendblatt, die Familie Klitschko ebendort in der Elbmetropole lebt.