Von Sebastian Köhler
1.) Das „Team Wallraff“, mittlerweile mit Sendeplatz bei RTL, hat sich im April mal wieder spektakulär in den Medien gezeigt. Die 21-jährige Reporterin Caro Lobig recherchierte undercover und per versteckter Kamera – mit Unterstützung des Altmeisters des deutschen investigativen Journalismus, Günter Wallraff (71) – mehrere Wochen in der Erfurter Filiale des Logistik-Konzerns „Zalando“ (Slogan: Schrei vor Glück!). Dann wurde sie „erwischt“, verlor die Aufnahmen dieses letzten Tages, konnte aber mit dem zuvor gesicherten Material eine Reportage für RTL-Extra produzieren, die auf beträchtliche soziale Missstände wie Stress und Überwachung bei dem Online-Händler deuten lässt. „Zalando“ geht seitdem auch juristisch gegen die Filmemacher vor: Interessanterweise nicht mit Fälschungs-Vorwürfen, sondern vor allem wegen des angeblichen Verrates von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen ( http://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-dienstleister/undercover-reporterin-lobig-die-zalando-mitarbeiter-sind-skeptisch-seite-all/9826668-all.html; Aufruf am 7.5.2014, 19.37 Uhr). Mentor Günter Wallraff erklärte, es sei erstaunlich, dass Anteilseigner des Konzerns selbstherrlich meinten, sie könnten mit solch einem Prozess einschüchtern, Öffentlichkeit verhindern und Kritik unterbinden: „Das Gegenteil ist der Fall. Sie können uns keinen größeren Gefallen tun und sind rechtlich schlecht beraten. Denn hier geht es nicht um den vermeintlichen Verrat von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, wie es in ihrer Anzeige heißt, sondern um gravierendes Unrecht im Betrieb. Menschen, die hilf- und wehrlos sind, weil sie Angst vor Kündigung und Arbeitslosigkeit haben, werden drangsaliert.“ (http://www.jungewelt.de/2014/04-22/023.php?sstr=wallraff, Aufruf am 7.5.2014, 19.45 Uhr). Wichtig für alle Journalisten und an kritischer Öffentlichkeit interessierten Bürger: Das Bundesverfassungsgericht hat im Fall von Wallraffs Undercover-Recherche bei der Bild-Zeitung (1977) ein Grundsatzurteil (1984) gefällt. Die obersten Richter haben damit in diesem Springer/Wallraff-Urteil festgelegt: Im Fall von gravierenden Mißständen hat die Öffentlichkeit das Recht, informiert zu werden: Auch wenn es um sogenannte erschlichene, unter Täuschung erworbene Informationen geht. Der Pressekodex argumentiert in ethisch-moralischer Richtung entsprechend in seinem Punkt 4.1.: Umstrittene Recherche-Methoden sind im Einzelfall gerechtfertigt, wenn es um öffentich-relevante Miss-Stände geht, auf die anders nicht hinzuweisen wäre. Leider hat Zalando offenbar zumindest erreicht, dass die Langfassung der Reportage vom 14.4. im Netz frei kaum zu finden ist.
2.) Zum sprachkritischen „Kaleidoskop“: Der liberale „Independent“ aus London titelte am 16.4. auf Seite 4 seiner Tabloid-Ausgabe: „Nato steps up presence on Russia`s borders to reassure European allies“
Ein typischer Fall der Vermengung von Nachricht und Meinung: Der erste Teil der Überschrift dürfte zwischen vielen (auch kontroversen) Beteiligten und Beobachtern dieses Konfliktes als Meldung unstrittig sein – das westliche Militärbündnis verstärkt seine Kräfte an den Grenzen zu Russland. Der zweite Teil bezieht sich entweder auf eine Begründung durch den Nato-Generalsekretär („Wir machen das deshalb, weil…“) und hätte dann als Version und Zitat gekennzeichnet werden sollen. Oder es ist (auch) die Meinung der Redaktion (Die Nato macht das, weil ….), und dann hätte es ebenfalls nicht so in eine nachrichtliche Überschrift gehört, sondern in eine meinungsbetonte Darstellungsform. Bemerkenswert, weil die britische Qualitäts-Presse ja geschichtlich als Hort des Trennungs-Gebotes für den modernen Journalismus gilt, demzufolge Fakten heilig sein sollen, aber der Kommentar frei, wie C.P. Scott vom „Guardian“ 1921 klassisch formuliert hatte: „Comment is free, but facts are sacred“