Mit ein WhatsApp ….

1.) Zweiter Weltkrieg auf „WhatsApp“? Die Redaktion der Zeitung „Heilbronner Stimme“ arbeitet zu einem speziellen Jahrestag mit neuen Print- und Online-Formaten und setzt dabei auch den Kurznachrichtendienst WhatsApp ein (http://kress.de/mail/tagesdienst/detail/beitrag/128935-zum-jahrestag-der-bombadierung-der-stadt-heilbronner-stimme-lockt-junge-leser-mit-whatsapp.html – Aufruf am 3.12.2014, 19.05 Uhr). Vor 70 Jahren erlebte Heilbronn einen der schlimmsten Tage der Stadtgeschichte. Am 4. Dezember 1944 warfen britische Kampfflugzeuge fast 250.000 Bomben über der Stadt ab.

Die „Heilbronner Stimme“ stellte sich die Frage, wie man die Erinnerung daran wach halten und das Thema 70 Jahre danach begreifbar machen kann. Und wie man damit junge Menschen erreicht. Ich frage mich freilich, ob man damit die Ursachen für den Krieg besser verstehen oder gar begreifen kann.

Beim Blatt wird zusätzlich zur ausführlichen Berichterstattung in der Zeitung ab dem 4. Dezember auf „Stimme.de“ ein interaktives Video zu sehen sein. Es zeigt in sechs Kapiteln den Ablauf der „Operation Sawfish“ – so nannte die britische Royal Air Force den verheerenden Luftangriff auf Heilbronn. Die Onlineredaktion hat das Web-Projekt gemeinsam mit Grafikern und Programmierern entwickelt. Recherchiert haben die Redakteure dafür in Archiven, bei Zeitzeugen und bei Militärexperten.

Neben dem Video nutzt die „Heilbronner Stimme“ – Auflage derzeit rund 84.000 Printexemplare – am 4. Dezember ein weiteres neues Format: Die Redakteure erzählen die Geschichte der Bombennacht zusätzlich mit einer historischen Chronik beim Kurznachrichtendienst WhatsApp. Angemeldete Nutzer erhalten am 4. Dezember, zum Zeitpunkt des Angriffs vor 70 Jahren, kurze Texte, Fotos und Grafiken zur Bombardierung. „Wir wollen damit am Abend des Jahrestages die Erinnerung wach halten und die Menschen unmittelbar erreichen – auf allen Kanälen. Der Ansturm auf die Registrierungen macht deutlich, dass wir damit den Nerv der Leser und User getroffen haben“, sagt Chefredakteur Uwe Ralf Heer. Hintergrund: Tilmann Distelbarth, Verleger der „Heilbronner Stimme“, hat in diesem Jahr bereits ein positives Zwischenfazit zur Digitalstrategie des Hauses gezogen.

2.) Im RBB-Inforadio wurde am Vormittag des 3.12.2014 vermeldet: „Diese Bemühungen der Konzerleitung (der Lufthansa um die Gründung weiterer Billig-Airlines, SeK) sind mit ein Grund für die Streiks der Piloten“. „Mit ein Grund“ ist „doppelt gemoppelt“: Entweder sind sie der einzige Grund, dann können wir sagen: „der Grund“ oder ganz ohne Artikel „Grund“. Oder es scheint noch andere Gründe zu geben – dann wären die erwähnten Bemühungen „ein Grund“ für die Streiks.

Rassenunruhen? Rassismus 2.0!

1.) Bloggerinnen und Blogger als „Fünfte Gewalt“? Der Journalist Richard Gutjahr ist einer vom Team der „Krautreporter“ und hat dort gerade einen Beitrag veröffentlicht über das Zusammenwirken von Netznutzern und Journalisten beim „Fall“ der CSU-Politikerin Christine Haderthauer (https://krautreporter.de/171–die-funfte-gewalt, Aufruft am 26.11.2014, 18.43 Uhr). Gutjahr bilanziert: „Es scheint, als hat sich etwas verändert im Machtgefüge der Republik. Etablierte Netzwerke aus Politikern auf der einen Seite und Journalisten auf der anderen Seite treffen auf eine Phalanx digitaler, gut vernetzter Bürger. Blogger, Netzaktivisten und Bürgerjournalisten als Kontrolleure der Kontrolleure – eine neue, Fünfte Gewalt im Lande?“ Kritisch bleibt hier einzuwenden, dass die großen Konzerne, die organisierten wirtschaftlichen Interessen bei diesem klassisch-bürgerlichen Modell von Gewaltenteilung seit je „außen vor“ bleiben, als „Privatsache“ (ein zuständiger FDP-Minister namens Günter Rexrodt hatte das einst auf den neo-liberalen Punkt gebracht: Wirtschaft finde in der Wirtschaft statt). Doch immerhin bewegt sich manches auf den tradiert öffentlichen Gebieten von Politik, Justiz und Medien, den Gewalten Eins bis Vier: Der von Gutjahr befragte Journalist der Süddeutschen Zeitung, Dietrich Mittler, sieht in den Amateuren weit mehr als nur reine Tippgeber: „Jeder Blogger ist für sich eine eigene kleine Zeitung“, sagt er. „Jeder, der mit einer Information als Erster auf den Markt kommt, steht mit seiner Marke für sich. Andere Medien greifen das auf, recherchieren und kommen zu neuen Ergebnissen, von denen wiederum der Blogger profitieren kann.“ Und der ebenfalls am „Fall Haderthauer“ beteiligte freie Journalist Helmut Reister (laut dem „investigativer Journalismus“ eine Tautologie ist) ergänzt: „Früher hingen wir alle überwiegend am Tropf der Nachrichtenagenturen“. Durch das Web gebe es heute unendlich viel Material. Dadurch gehe aber auch Vieles unter. Die Leute im Netz beobachten die Medien, helfen den Journalisten aber auch, diese neue Informationsflut zu bewältigen. Wenn er an die Print-vs.-Online-Diskussionen denke, die gerade beim Stern oder beim Spiegel geführt würden, das seien Prozesse, die hätten schon vor zehn Jahren stattfinden müssen. „Print oder Digital, Profis oder Amateure, wen kümmert das?“, so der 60-Jährige. Das gehöre alles zusammen, das sei eine Einheit. „Anders geht’s doch heute gar nicht mehr!“. Journalismus lässt sich mit Blick auf dieses Beispiel und seine Publikationsformen tendenziell von den etablierten Medien unterscheiden – wofür die „Krautreporter“ mit ihrem Modell der Ressourcen-Gewinnung über ihre Nutzer – bei allen Problemen und Überschneidungen mit eben jenen traditionellen Medienhäusern – kein schlechtes Beispiel zu sein scheinen.

2.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop. In der „Tagesschau“ der ARD lief am Dienstag, 25.11., von morgens bis abends der Hauptbericht über die Zusammenstöße in Ferguson mit derselben Sprachregelung: „die schwersten Rassenunruhen seit Jahrzehnten“. Es gab dazu im Netz auch auf der Tagesschau-Seite kritische Kommentare, aber am Textbaustein „Rassenunruhen“ änderte sich nichts. Der Focus sprach online von „Rasse-Unruhen“ (http://www.focus.de/panorama/welt/fotostrecke-fall-michael-brown-rasseunruhen-gewalt-protest_id_4292461.html, Aufruf 25.11., 16.30 Uhr).

Ein erster Blick in die für solche Zwecke sicher sinnvolle „Wikipedia“-Online-Enzyklopädie zeigt (http://de.wikipedia.org/wiki/Rassentheorie, Aufruf am 26.11.2014, 17.41 Uhr): Wer heutzutage und zumal als Medienrprofi noch oder wieder von „Rassenunruhen“ spricht und damit die Existenz von (zumindest zwei unterscheidbaren) menschlichen Rassen voraussetzt, muss sich Vorwürfe des Rassismus gefallen lassen.

Wortlaut Wikipedia: „In der Biologie wird die Art Homo sapiens heute weder in Rassen noch in Unterarten unterteilt. Molekularbiologische und populationsgenetische Forschungen seit den 1970er Jahren haben gezeigt, dass eine systematische Unterteilung der Menschen in Unterarten ihrer enormen Vielfalt und den fließenden Übergängen zwischen geographischen Populationen nicht gerecht wird. Zudem wurde herausgefunden, dass der größte Teil genetischer Unterschiede beim Menschen innerhalb einer geographischen Population zu finden ist. Die Einteilung des Menschen in biologische Rassen entspricht damit nicht mehr dem Stand der Wissenschaft.“

Gibt es also „Rassismus“ ohne die Existenz von Rassen? Ich denke, ja, und zwar sowohl auf wirtschaftlicher, politischer, juristischer oder auch medialer Ebene. Menschengruppen (oder genauer: Schichten und Klassen in Gesellschaften) werden für höher- oder minderwertig gehalten, und zwar sowohl in der Fremd- als auch in der Selbstwahrnehmung. Am einfachsten geht das „natürlich“ entlang äußerer Merkmale, also im Wortsinne oberflächlich. Auch wenn sich eher dunkel- oder mehr hellhäutige Menschen sogar selber als „Schwarze“ und „Weiße“ bezeichnen, rate ich im Sinne von Objektvierung und Sachlichkeit entschieden zu den etwas längeren Termini aus dem ersten Teil des Satzes. Denn wer ist schon wahrhaft „weiß“ oder „schwarz“ von der Hautfarbe her? Und einen Schritt weiter gedacht: Was und wem nützen die damit oft verbundenen Stereotypisierungen? Wie schon Einstein gesagt haben soll – man mache die Dinge so einfach wie möglich. Aber bitte nicht noch einfacher.

Im Zweifel pro Verdacht – und doppelt zusammenaddiert hält besser

1.) Zur aktuellen Viertel-Stunde: Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die journalistische Medienfreiheit bei der sogenannten Verdachtsberichterstattung gestärkt, wie unter anderem die Nachrichtenagentur Reuters meldete. Der BGH entschied am 18.11.2014 in Karlsruhe, dass das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ keine nachträgliche „Richtigstellung“ zu einem Verdachtsbericht über angebliche Verfehlungen eines früheren Spitzen-Juristen der HSH Nordbank veröffentlichen muss. Da der Verdacht inzwischen ausgeräumt sei, könne vom „Spiegel“ allerdings ein „Nachtrag“ verlangt werden, dass nach Klärung des Sachverhalts der berichtete Verdacht nicht mehr aufrechterhalten werde, urteilte das Gericht. (Az. VI ZR 76/14).

In dem „Spiegel“-Bericht aus dem Jahr 2010 ging es um den Verdacht, der Ex-Chefjustiziar der HSH Nordbank, Wolfgang Gößmann, habe bei angeblichen Abhörmaßnahmen gegen ein früheres HSH-Vorstandsmitglied mitgewirkt. Gerichtlich ist inzwischen festgestellt, dass dieser Verdacht unberechtigt war. Gößmann hatte daher eine „Richtigstellung“ vom „Spiegel“ gefordert, die das Magazin jedoch ablehnte. Vor dem Oberlandesgericht Hamburg hatte Gößmann Recht bekommen. Dieses Urteil hob der BGH nun auf und erklärte, dass die Verdachtsberichterstattung des „Spiegel“ zum Zeitpunkt der Veröffentlichung rechtmäßig gewesen sei. Der Fall wurde an das OLG Hamburg zurückverwiesen.

Ein Presseorgan könne „nicht verpflichtet werden, sich nach einer rechtmäßigen Verdachtsberichterstattung selbst ins Unrecht zu setzen“, begründete der 6. Zivilsenat des BGH seine Entscheidung. Ein Betroffener könne bei späterer Ausräumung des Verdachts „nicht die Richtigstellung der ursprünglichen Berichterstattung verlangen“. Dies ergebe die Abwägung zwischen seinem Persönlichkeitsrecht und dem Recht journalistischer Medien auf Meinungsfreiheit.

2.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Klar, es gibt Apfelschimmel. Dennoch wird in der Regel nicht von „weißen Schimmeln“ geredet, also möglichst nicht unbewusst tautologisch. Die Bundeskanzlerin scheint das ausnahmsweise nicht „alternativlos“ zu finden, denn sie äußerte in Australien in einer Rede auf dem G20-Gipfel: „Die größte Gefahr ist, dass wir uns auseinanderdividieren lassen“. Das sagte Angela Merkel angesichts unterschiedlicher Meinungen über mögliche Reaktionen westlicher Regierungen auf das Verhalten der russischen Führung in der Ukraine-Krise (vgl. http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/angela-merkel-kritisiert-putins-vorgehen-im-ukraine-konflikt-13270007.html, Aufruf am 19.11.2014, 21.48 Uhr). „Auseinanderdividieren“ ist natürlich ein super-wissenschaftlich klingendes Wort, zumal aus dem Munde der promovierten Physikerin. Aber heißt „Dividieren“ nicht schon Zer-Teilen oder Auseinanderlegen? Vielleicht soll ja aus ihrer Sicht gegenüber Putin (ja, sie dürfte weiterhin auch sehr, sehr gut Russisch sprechen) gelten: Doppelt (zusammenaddiert) hält besser.

Spitz oder Spitze?

1.) Der deutsche und digitale Ableger des „Wall Street Journal“ soll Ende 2014 geschlossen werden. Das Medium gehört über das Unternehmen Dow Jones zur „News Corporation“ des Rupert Murdoch, einem der weltweit umfassendsten Medienkonglomerate (21th Century Fox etc.). Das „WSJ“ gilt auch online in den USA als relativ erfolgreich und wurde nicht zuletzt deshalb ab Januar 2012 auch in Deutschland an den Start gebracht (vgl. http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/128651-zwei-jahre-nach-dem-start-wall-street-journal-deutschland-wird-eingestellt.html, Aufruf am 12.11.2014, 21.31 Uhr). Mit dem erklärten Ziel, gegen die Konkurrenz von Handelsblatt oder FTD zum „führenden Anbieter von internationalen Finanz- und Wirtschaftsnachrichten für deutsche Leser aus dem professionellen Umfeld“ zu werden. Der Plan ging offenbar nicht auf. 50-60 Mitarbeiter sind betroffen. Trotz oder wegen der Größe und Marktmacht des Dachkonzerns?

2.) In einem Nachrichtenagentur-Text dieser Tage findet sich die Formulierung „spitz auf Knopf“ als Umschreibung für „ganz eng“. Diese aus dem Süddeutschen stammende Redewendung muss aber laut Duden (http://www.duden.de/rechtschreibung/Spitz#Bedeutung4b, Aufruf am 12.11.2014, 21.38 Uhr) anders geschrieben werden: „auf Spitz und Knopf/Spitz auf Knopf stehen (süddeutsch: auf Messers Schneide stehen; wohl zu Spitze 1a = Degen-, Schwertspitze und Knopf in der Bedeutung »Knauf des Degens, Schwertes«)“. Zwei Substantive also, die verbunden sind – zwei Enden der Waffe eben. Redewendungen im Text – gut und schön. Aber noch besser, wenn sie richtig geschrieben sind. was oft durch die Wortgeschichte – die Etymologie – erhellt werden kann.

Signale stehen auf „droht“

Von Sebastian Köhler

1.) Die Entwicklung der Berichterstattung zu den GDL-Streiks in den gängigen Medien ist bemerkenswert: Kaum noch ein neutrales Haar wird an dieser Spartengewerkschaft und vor allem an ihrem Vorsitzenden Claus Weselsky (übrigens CDU-Mitglied mit DDR-Herkunft, wie auch die Kanzlerin) gelassen. Dieser Zug zumindest scheint Fahrt aufzunehmen. Michael Konken, der DJV-Vorsitzende, weist dagegen zurecht darauf hin, dass es für die öffentliche Information und Meinungsbildung kaum relevant ist, wie genau Weselsky wohnt und wo exakt sich sein Klingelschild befindet. Es sei denn, man will wie bei Schiedsrichterschmäh vermitteln, wo Weselskys „Auto wohnt“ oder Ähnliches. Konken appellierte an die Medien, nicht tendenziös zu berichten. Kein Streik sei beliebt, aber Stimmungsmache für oder gegen eine Partei des Tarifkonflikts oder ihre Funktionsträger sei nicht Aufgabe der Medien. „Man muss den Streik der GDL nicht mögen, aber an dem im Grundgesetz geschützten Recht zum Arbeitskampf darf nicht gerüttelt werden.“

Wer den Tarifkonflikt bei der Deutschen Bahn AG auf das Niveau von ‚Staatsfeind Nummer eins‘ herunterziehe, verletze journalistische Regeln und spiele zudem den Gegnern der Tarifpluralität in die Hände. Was übrigens für den DJV in seinem Verhältnis zur anderen Branchengewerkschaft dju (in Verdi) auch ganz praktisch spannend werden könnte (siehe http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/128577-djv-fordert-faire-bahnstreik-medienberichte-wie-claus-weselsky-wohnt-ist-irrelevant.html, Aufruf am 5.11.2014, 18.46 Uhr).

2.) Sprachkritisch sind die Streiks ebenfalls interessant: Fast allerorten ist dabei von „Drohung“ die Rede. Ein Beispiel aus Spiegel Online (http://www.spiegel.de/wirtschaft/service/bahnstreik-kunden-droht-laengster-streik-der-geschichte-a-1000853.html; Aufruf am 5.11.2014, 18.59 Uhr): „Tarifkampf der GDL: Bahn-Kunden droht längster Streik der Geschichte“. Treten wir etwas zurück von der Bahnsteigkante und springen nicht einfach auf den fahrenden Zug auf: Wenn etwas „droht“, ist das praktisch immer etwas ganz klar Negatives – Erdbeben oder Vulkanausbrüche drohen, Ebola-Ausbreitung droht, Dortmund droht abzusteigen. Und selbst wenn Herr Weselsky wörtlich sagen würde: „Wir drohen mit Streik!“, ist noch lange nicht ausgemacht, ob dieser oder jeder andere Streik für die Gesellschaft nicht unter dem Strich, also mittel- und langfristig, zumindest auch oder sogar überwiegend positive Wirkungen hat. Weselsky also als Teil von jener Kraft, die eher das Böse will und doch (auch) Gutes schafft? Das ist wiederum eine Glaubensfrage. Aber wie ließe sich das „Drohen“ sachlicher formulieren? Zum Beispiel siehe oben: „Bahnkunden vor längstem Streik der Geschichte“ oder „Bahnkunden steht längster Streik der Geschichte bevor“. Oder generell: „GDL erwägt neue Streiks“ oder „GDL kündigt neue Streiks an“. Das kann mensch dann gut oder schlecht oder auch unentschieden finden, käme aber Objektivierung und Einordnung näher als die inflationären Freifahrtscheine für übermäßige Emotionalisierungen und Personalisierungen. In der wiederum sehr bemerkenswerten ZDF-Sendung „Die Anstalt“ hat dazu Max Uthoff am 28.10.2014 Wichtiges gesagt (http://www.youtube.com/watch?v=VeuipxhKAEA, Aufruf am 5.11.2014, 19.16 Uhr): Streik bei der Bahn – kein Problem – aber laut gängigen Medien und deren Umfrage-O-Tönen bitte nicht während der Arbeitszeit und bitte nicht während der Urlaubszeit. Sonst immer gerne. Und wir können mehr als nur ahnen – es geht hier durchaus um gesellschaftliche Weichenstellungen.

Schnipsel oder Brosamen für den Journalismus – ein Problem der „westlichen“ Welt?

Von Sebastian Köhler

1.) Zwei wichtige neue Phänomene im Bereich Online-Journalismus:

A) Viele deutsche Verlage sind beim Leistungsschutzrecht gegenüber „Google“ eingeknickt (siehe http://www.golem.de/news/gratiseinwilligung-fuer-google-verlage-knicken-beim-leistungsschutzrecht-ein-1410-110035.html, Aufruf am 29.10.2014, 21.05 Uhr): Die meisten in der VG Media (klar: dieser Gesellschaft geht es um Verwertung) organisierten Verlage wollen keine verkürzte Darstellung ihrer Links bei Google hinnehmen, sondern dort weiterhin ohne Vergütung durch „Google“ mit Snippets (kurzen Text-Schnipseln als Teasern) und Vorschaubildern zu sehen sein. Im Streit mit zahlreichen deutschen Verlagen um das Leistungsschutzrecht hat Google sich damit vorerst durchgesetzt. Die Verleger „sehen sich angesichts der überwältigenden Marktmacht von Google zu diesem außergewöhnlichen Schritt gezwungen“, hieß es in einer Erklärung. Unklar blieb zunächst, welche der 230 vertretenen Websites die Einwilligung abgegeben haben. Die VG Media vertritt auch die großen deutschen Medien-Verlage wAxel Springer, Burda, Funke, Madsack und M. DuMont Schauberg. Der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt, hatte ohnehin den Verlegern wenig Hoffnungen auf Lizenzzahlungen gemacht. „Es lässt sich nur schwer aus dem Leistungsschutzgesetz ableiten, dass Google die Verlagsinhalte mehr zu nutzen hat und dafür Geld zahlen muss“, sagte der Behördenchef auf einer Veranstaltung der Medientage München. Mundt räumte jedoch auch ein, dass angesichts starker Player in der Digitalökonomie die grundsätzliche Frage gestellt werden dürfe, ob die Instrumente der Kartellwächter ausreichend seien und „ob wir schnell genug sind“. Eine spannende Frage bleibt damit, wo (neue) finanzielle Ressourcen für Journalismus herkommen sollen, wenn sich „Player“ wie Google davon kraft ihrer fast schon monopolistischen Stärke praktisch komplett „freihalten“ können und dürfen.

B) Der Axel-Springer-Konzern (siehe http://www.wsj.de/nachrichten/SB10700330261767394000404580240290858238662, Aufruf am 29.10.2014, 20.50 Uhr) will – ebenso wie die „New York Times“ – das Geschäft mit Bezahl-Inhalten im Internet ausbauen. Die beiden Unternehmen investieren gemeinsam 3 Millionen Euro in das niederländische Nachrichten-Start-up Blendle, das sich selbst als “iTunes für Journalismus” bezeichnet. Die Online-Plattform Blendle, die erst vor sechs Monaten an den Start gegangen ist, bietet Nutzern die Möglichkeit, digitale Inhalte auf Artikel-Basis zu erwerben. Blendle kooperiert mit den meisten großen Zeitungs- und Magazinverlagen in den Niederlanden und Belgien. Zuletzt hat das Unternehmen einen Deal mit dem Herausgeber des Wirtschaftsmagazins The Economist unterzeichnet. Artikel kosten im Schnitt 0,20 Euro, wovon der Herausgeber 70 Prozent behält. 30 Prozent gehen also an die Plattform. “Als Herausgeber wollen wir unsere Leser überzeugen, für guten Journalismus zu bezahlen, auch im digitalen Zeitalter”, sagte Springer-Chef Matthias Döpfner. Blendle habe das Potenzial, junge Internetnutzer anzuziehen. Zwei Kritikpunkte bleiben a) etwaiges Insiderwissen der neuen Mit-Eigentümer über die Verkaufszahlen der journalistischen Konkurrenz und b) womögliche Vorzugsbehandlung der Inhalte der neuen Mit-Eigentümer auf der Plattform. Der Doppelcharakter als Inhalteanbieter und Mit-Vertreiber dürfte sich auf neuer Stufenleiter als widersprüchlich erweisen.

2.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Im Text eines Reuters-Berichtes am 28.10.2014 hieß es einleitend: „Australien hat angesichts der Ebola-Epidemie seine Sicherheitsvorkehrungen weiter verschärft. Als erstes westliches Land will die Regierung in Canberra vorübergehend keine Visa für Reisende aus den drei vom Ausbruch der Seuche betroffenen westafrikanischen Ländern mehr ausstellen.“ Australien als „westliches Land“? Klar, wir können verstehen, was gemeint sein dürfte – aber da steht eben nicht „der westlichen Welt“ oder „der westlichen Wertegemeinschaft“, sondern da steht der zunächst geografische Terminus „westlich“. Nun gibt es sowohl von Berlin aus noch überhaupt geopolitisch gesehen kaum Gebiete, die relativ und absolut weiter süd-östlich lägen als Australien. Ich denke, es geht, historisch vom britischen Empire herkommend, heutzutage unter dem kulturellen Begriff „westlich“ im wesentlichen um den Kreis der 34 OECD-Staaten (also u.a. USA, Kanada, GB, Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien, Japan, Israel, Schweiz, aber eben auch Australien und Neuseeland, Südkorea, Chile und Mexiko). Länder also, die politisch demokratisch verfasst sind und die wirtschaftlich durch kapitalistische Marktwirtschaft geprägt sind. Es geht NICHT um große Länder wie China, Russland, Brasilien, Indien, Südafrika (BRICS-Staaten) und erst recht nicht um eher kleinere Länder wie Iran, Venezuela, Bolivien, Ekuador, Syrien, Kuba oder gar Nordkorea. Was also könnten wir mit Blick auf Australien sagen? Zum Beispiel statt „westlich“: als erstes der entwickelten Industrieländer. Das ist zwar mit Blick gerade auf die BRICS-Staaten grenzwertig, aber meines Erachtens trennschärfer und erklärungskräftiger als die „westlich“ auf den Kopf gestellte Geografie.

Mit oder mit ohne Hunger auf den alten Hut „Jugendkanal“?

Von Sebastian Köhler

1.) Es ist schwer zu begreifen, dass es in Deutschland zum Beispiel weder ein öffentlich-rechtliches „Familienradio“ gibt noch eine entsprechende multimediale Plattform (ich sage bewusst nicht: „Sender“) für Jugendliche. In Berlin bietet seit August 2013 die Plattform „joiz“ vom Ostbahnhof aus TV-ähnliche, betont interaktive Offerten, als Social-TV-„Sender“, und ab Ende Oktober 2014 soll von Adlershof aus „doppio TV“ als Online-TV-Channel zu Themen wie Lifestyle, Luxus und Reisen zu erleben sein.

Wieder wollten am 16.10. 2014 die Regierungschefs der Bundesländer über den von ARD und ZDF seit Jahren (gefühlt: Jahrzehnten) diskutierten „Jugendkanal“ beraten (http://kress.de/mail/alle/detail/beitrag/128272-swr-intendant-appelliert-an-regierungschefs-junge-brauchen-mehr-als-trash-tv-und-katzenfilmchen.html, Aufruf am 15.10.2014, 21.10 Uhr). SWR-Intendant Peter Boudgoust richtete kurz vor der Entscheidung in einem dpa-Gespräch einen Appell an die Ministerpräsidenten: „Sollen junge Menschen nur die Wahl haben zwischen Brutalo-Videos und Katzenfilmchen auf YouTube und Billig-Trash bei privaten Fernsehsendern? Soll so die mediale Sozialisation zukünftiger Generationen aussehen? Sicher nicht, das kann die Politik nicht wollen.“

Die Regierungschefs der Länder hatten ihre Entscheidung im März vertagt, weil es aus den unionsgeführten Ländern Bayern, Hessen und Sachsen noch Widerstände gab. Zuletzt hatte Sachsen seine Bedenken erneuert. „Ein überzeugendes Konzept liegt aus unserer Sicht noch nicht vor. Auch sind Fragen zum Finanzierungskonzept nach wie offen“, hatte der sächsische Medienminister Johannes Beermann (CDU) laut Medienberichten gesagt.

Boudgoust widersprach dem Minister: „Die Finanzierung für das Jugendangebot steht, bis auf den letzten Cent wird alles aus dem Bestand gestemmt“, unterstrich er gegenüber dpa. Die ARD will 30 Millionen Euro übernehmen, das ZDF 15 Millionen Euro. Auch das fertige Konzept liege längst auf dem Tisch. Die Öffentlich-Rechtlichen wollten mit dem Jugendangebot etwas Neues schaffen, das es so noch nicht gebe: „Ein umfassendes Angebot speziell für Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 14 und 29 Jahren, abrufbar auf Smartphone, Tablet und PC und im klassischen Fernsehen, eng verzahnt mit den jungen Radiowellen.“ Es reiche einfach nicht mehr aus, das Hauptprogramm hie und da mit jugendlichen Einsprengseln zu spicken, erklärte Boudgoust. Es sei eine Illusion zu glauben, junge Menschen suchten nach geeigneten Sendungen. „Hier gilt allein das Motto: Wenn das Programm mich nicht findet, kann es nicht interessant für mich sein.“

2.) Sprachkritisch fiel mir folgende Überschrift in der Märkischen Allgemeinen, Lokalseite 15 vom 27.9., auf: „Nie mehr ohne Hunger“. Im Artikel ging es um Frühstück für alle Oberschüler, spendiert von einer Stiftung. Die Überschrift würde aber ziemlich exakt das Gegenteil bedeuten – „Immer mit Hunger“, sofern die Negation der Negation oft die Position bedeutet. Also – warum eine relativ einfache Überschrift wie „Satte Spende gegen Hunger“ oder eben „Nie mehr hungrig“ (bzw. „Nie mehr mit Hunger in der Schule“) oder Ähnliches anbieten, wenn es so schön (falsch und) kompliziert geht.

Was geht (ab) im Jahre 2024?

Von Sebastian Köhler

1.) Wie dürfte sich in Deutschland in zehn Jahren die Mediennutzung gestalten? Was geht in diesen Hinsichten (ab) 2024? Der WDR hat in Köln 18 Frauen und 18 Männer tiefenpsychologisch befragen lassen, allerdings als „Verbraucher“ und leider nicht als Nutzerinnen und Nutzer (http://www.wdr-mediagroup.com/download/spezialmodule/dokumente/Studie_Mediennutzung2024_Broschuere.pdf – Aufruf 8.10.2014, 14.44 Uhr).

In hohem Maße angelehnt an die Nutzungsgewohnheiten des Internets werden sich laut der Studie als Metatrend auch bei TV und Radio Anforderungen und Erwartungen in Richtung einer gesteigerten, individuellen (und gemeinschaftlichen, SeK) Kontrolle von unten entwickeln. Leider bleibt dabei, bei solch einer horizontalen Sichtweise, tendenziell außen vor, sowohl bei Forschern als auch bei Nutzern, wie wir „von oben“, also vertikal (durch Konzerne, Geheimdienste etc.) kontrolliert werden können.

Laut Studie geht es vor allem darum, die neue internetgestützte Vielfalt individuell in den Griff zu bekommen und die online-typischen Einwirkungsmöglichkeiten für sich nutzbar zu machen. Dosieren möchte man Ausmaß und Geschwindigkeit der Erneuerung der Mediennutzung, das Ausmaß der Vielfalt, Vernetzung und Komplexität sowie den Grad der Bindung an ein Format.

Über die reine, eher passive Nutzung hinaus betreffe der gesteigerte Kontrollanspruch zum anderen aber auch die Content-Seite der Medien. Inhalte und Angebote, die Kontrollverheißungen beleben, wie bspw. das Gesundheits-Monitoring über das Smartphone oder die Smartwatch, dürften wichtiger werden.

Aufgrund des Dosierungswunsches ist den Forschern zufolge insgesamt mit einer verlangsamten Veränderung der Mediennutzung zu rechnen. Die Nutzer ‚hingen‘ an vertrauten Gewohnheiten, und es bestehe insgesamt wenig Leidensdruck, diese aufzugeben oder in Entwicklung zu bringen.
Je mehr die Vernetzung über das Internet fortschreite, desto mehr würden auch Sehnsüchte nach Offline-Momenten entstehen. Im Sinne von Retro-Wellen werde daher stellenweise bewusst an traditionellen Formen der Mediennutzung festgehalten: Röhrenfernseher, Vinylschallplatte, Teletext, Küchenradio, Nokia 3410 etc. Die Suche nach der ‚richtigen‘ Balance zwischen Online und Offline werde die Menschen in Zukunft noch stärker beschäftigen.

Wenn Medien psychologisch die Funktion einer Gefühlsapotheke erfüllten, die auf die individuelle Gestimmtheit und die persönlichen Bedürfnisse der jeweiligen Rezeptionsverfassungen eingehe, dann werde in Zukunft eine noch fokussiertere ‚Individualtherapie‘ erwartet.

Kuratierte oder besser: zu kuratierende und zu moderierende Vielfalt bietet auch neue Plätze für Journalismus: Den Mediennutzern sei bereits heute mehr oder weniger bewusst, dass die Personalisierung der Medieninhalte in eine selbstzentrierte Isolation zu münden drohe. Ohne jede (redaktionelle) Brechung ‚im eigenen Saft‘ zu schmoren, sei für die Nutzer keine attraktive Vorstellung. Insbesondere im Info-Segment (Nachrichten, Reportagen etc.) suche man nach Absicherungen durch vertrauenswürdige Autoritäten, deren Bewertung und Content-Selektion man sich anvertrauen möchte. Der Ausbreitung des User-Generated-Content sei von daher eine Grenze gesetzt. Journalistische Moderation dürfte von neuem gefragt werden. Redaktionen konkurrierten dann mit Rankings von Suchmaschinen, mit Channels von Popstars, mit internationalen Streaming-Anbietern oder auch mit den ‚Empfehlern‘ in privaten Communitys.

2.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Angesichts des Todes von Siegfried Lenz am Dienstag stand die Frage wieder im Raum bzw. im Newsroom: „Gestorben“ oder „verstorben“? Die „Tagesschau“ entschied sich für „gestorben“, ich mich für „verstorben“. Meister Sick (http://www.spiegel.de/kultur/zwiebelfisch/zwiebelfisch-abc-verstorben-gestorben-a-344430.html, Aufruf am 6.10.2014, 13.30 Uhr) lässt beides gelten. „Verstorben“ als gehobenere Variante, ein Hund könnte demzufolge kaum als „verstorben“ gelten, eher als „toter Hund“. Weitere Unterscheidungen: Als Attribut oder als Substantiv nehme mensch z.B. „der verstorbene Großvater“ oder eben „der Verstorbene“. Und wenn es um die Todesursache geht – der Missionar ist an Ebola „gestorben“.

Journalistische Rückschläge

Von Sebastian Köhler

1.) Im Info-Radio sagte Moderator Heiner Martin am Donnerstag, 7.8., um 20 Uhr: „Sanktionen aus Moskau – Putin schlägt zurück“. Eine interessante Formulierung, sprachkritisch gesehen. Solches „Zurückschlagen“ setzt voraus, dass zuvor „Geschlagen“ oder gar „Zugeschlagen“ worden wäre. Davon ist allerdings im Sprachgebrauch der meistgenutzten westlichen Medien keine Rede: Putin wurde laut dem Tenor solcher Seiten keinesfalls „geschlagen“, gegen Russland wurde nicht „zugeschlagen“ oder „hingeschlagen“. Es wurden „Sanktionen verhängt“, „Strafmaßnahmen ergriffen“ oder auch Verhandlungen, Kontakte oder Konten „eingefroren“. Und was macht „der Russe“? Er schlägt nicht nur zurück, sondern er macht in „Vergeltung“ oder „Revanche“, ja, er übt „Rache“ (Handelsblatt).  Schon richtig dabei im „Zurückschießen“ ist Springers Boulevard-Blatt „B.Z.“, das die „Rache Putins am Westen“ darin sieht, dass der böse Mann in Moskau einem anderen finsteren Gesellen (ja, Edward Snowden) das Asyl in Russland verlängert hat. Was haben die beiden nur verbrochen, der Putin und der Snowden?

2.) Ebenfalls ein spannendes sprachliches Phänomen sind die „prorussischen Separatisten“. Der Ausdruck erscheint mir als ziemlich negativ wertend und zugleich sachlich wenig angemessen: Bei weitem nicht alle ostukrainischen Gegner der Kiewer Regierung wollen Russland beitreten oder Moskauer Truppen zu sich beordern. Nicht wenige scheinen mehr Autonomie, föderale oder konföderale Strukturen anzustreben. Wie können Journalisten sie nennen? Ganz einfach „Oppositionelle“ oder auch „Rebellen“, „Aufständische“ oder „Regierungsgegner“.  Ist alles sowohl kürzer als auch sachlich treffender als „prorussische Separatisten“. Aber in dem Falle scheint es nicht darum zu gehen. Wagen wir ein Gedankenexperiment: Hätte man im Syrienkonflikt die Gegner von Staatschef Assad „prowestliche Separatisten“ genannt? Nein, das waren und sind eben „Oppositionelle“ oder  „Regimegegner“, gerne auch „Menschenrechtler“ oder „Freiheitskämpfer“. Zwischen den Konflikten in Syrien und in der Ostukraine scheinen Welten zu liegen. Oder sind es vor allem unterschiedliche Interessenlagen und daher Perspektiven?

3.) Aller schlechten Dinge wären hier heute drei: Am 5.8. hieß es in der ARD-Tagesschau und auch bei den Nachrichtenagenturen in Deutschland: „Nato fürchtet russischen Einmarsch“. An der Formulierung ist vieles fragwürdig, aber suchen wir den größten gemeinsamen Nenner für sachliche Kritik: Eine Nato-Sprecherin hatte sich in diesem Sinne mit Blick auf den Ukraine-Konflikt geäußert – die Überschrift bezog sich auf deren Rede. Dann hätte der Titel lauten können: „Nato-Sprecherin: Furcht vor russischem Einmarsch“, oder zur Not: „Nato: Furcht vor russischem Einmarsch“. Man gibt die Version der Nato (-Sprecherin) als deren Version wieder. Das wäre professionell. Ob „die Nato“ (oder eben deren Sprecherin oder das Führungspersonal des Militärbündnisses) tatsächlich Furcht hat vor einem russischen Einmarsch, können wir kaum wissen. Ob man es glaubt oder nicht, ist eben eine Glaubensfrage. Wissen können das nur die Akteure selber (oder auch die Geheimdienste, wer weiß). Was Journalisten wissen können und vermitteln sollten im Bereich der Nachrichten, ist, was geäußert wurde und von wem es geäußert wurde. Nicht mehr und nicht weniger. Und das wäre schon viel, sofern es nicht (all zu) einseitig geschieht. Albert Einstein hätte an der Stelle vielleicht wieder gesagt – Wissenschaftler und Journalisten sollen alles so einfach wie möglich machen – aber nicht einfacher.

Angie muss nicht heulen

Von Sebastian Köhler

1.)  Hyperlokales im Netz hätte durchaus professionelle Chancen angesichts des Schwächelns des tradierten Print-Lokaljournalismus: Wenn auch einer der bundesweiten Vorreiter, das „Heddesheimblog“ um Hardy Prothmann, derzeit pausiert, bis 1000 Euro monatlich an Nutzer-Abo-Einnahmen drin sind, tut sich in Hamburg-Altona Interessantes: Die dortige Plattform „Altona.Info“ probiert den Einstieg in ein Abo-Modell (http://meedia.de/2014/06/17/hyperlokales-gegen-geld-altona-info-probiert-abo-modell/, Aufruf am 18.6.2014, 13.11 Uhr). Fünf Jahre nach dem Start dieser Lokalnachrichten für den Hamburger Bezirk Altona ruft Gründer und Chefredakteur Christoph Zeuch dazu auf, Nutzerabos abzuschließen. Die Zeitung habe “nachhaltig unter Beweis gestellt, dass wir ein lokaljournalistisches Angebot sind”. Jetzt sollen die Nutzer zeigen, ob sie an Nachhaltigkeit interessiert sind – 69,90 Euro jährlich sollen sie für Neuigkeiten aus ihrer direkten Umgebung bezahlen. Bestellt werden könne aber auch für ein paar Wochen oder weniger, Studenten und Schüler bekämen vergünstigte Tarife. Hinter der Paywall solle aber nicht der gesamte Inhalt verschwinden, verspricht Zeuch. Nachrichten und Meldungen blieben weiterhin frei zugänglich, ebenso wie aktuell relevante Inhalte. Ähnliches Modell wie bei den – gerade mit ihrer Kampagne doch noch knapp erfolgreichen – „Krautreportern“ also, was die freie Zugänglichkeit und den Jahrespreis angeht. Laut dem ALTONA.INFO-Gründer sollen die Nutzer in Zukunft den größeren Teil des Umsatzes generieren, denn das Werbegeschäft im lokalen Markt erweise sich als schwierig. Das neue Finanzierungsmodell verspreche Unabhängigkeit. Die neuen Mittel sollen dann in die Redaktion fließen, um “intensiver in Themen einzusteigen” und einen “investigativen Charakter” herauszuarbeiten. Weiterer Ansporn für seine Abonnenten soll eine Art Mitglieder-Intranet sein, also ein Forum für zahlende Nutzer, in dem sie sich untereinander austauschen, diskutieren und miteinander vernetzen können. Auch hier sind Ähnlichkeiten zum Community-Ansatz der „Krautreporter“ nicht zu übersehen, die allerdings ja zumindest bundesweit, wenn nicht darüber hinaus wahrgenommen, genutzt und abonniert werden wollen. Das hyerlokale Online-Portal ALTONA.INFO erreicht eigenen Aussagen zufolge bis zu 5.000 Unique User (Visits) und zwischen 15.000 und 30.000 Seitenabrufe (Views) pro Tag und schreibt mittlerweile schwarze Zahlen. Ziel sei es, sagt Zeuch, so viel einzunehmen, dass die Plattform als Genossenschaftsmodell laufen könne. Dazu wolle Zeuch bis Ende des Jahres erst einmal rund 100 Abonnements verkauft haben.

 
2.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: „Gottlob gibt’s solche Emotionsreporter“ titelte die „Bild“ ihre TV-Kritik in der Bundesausgabe vom 17.6.2014 (Seite 15). Der öffentlich-rechtliche „Reporter“ Gerd Gottlob, der verbal die Live-Übertragung des WM-Spieles der deutschen Fußballer gegen die aus Portugal begleitete, wurde von „Bild“ auf eine Lobes-Stufe mit dem hausinternen Anpreisen des Bild-Video-Kommentators Dirc Seemann gestellt („Wahnsinn …. Heul dooooooch! Ruft er, als Ronaldo sein Gesicht weinerlich verzieht. Haha!“). Und das Lob aus berufenem Munde war verdient: Gottlob galt früher als relativ sachlicher Texter bei solchen Übertragungen. Diesmal waren seine ständigen Zwangs-Kollektivierungen („Wir kontrollieren den Ball sicher“, „Wir haben sehr gut in das Spiel gefunden“ etc.) noch eines der geringeren Übel. Warum aber ein NDR-Sportjournalist völlig ironiefrei sagen muss, da freue sich „Angie“ auch sehr (die Bundeskanzlerin saß auf der Tribüne und wurde immer wieder jubelnd eingeblendet), bleibt vielleicht kein Rätsel, da es den Politik-Stil der CDU-Chefin ähnlich charakterisieren mag wie das Journalismus-Verständnis des Kommentators: Gottlob scheint nicht nur begeisterter Fan des DFB-Teams zu sein (und das auch in seiner – doch eine gewisse Distanz erfordern sollenden – ARD-TV-Rolle jedem auf die Nase binden zu müssen), sondern offenbar ebenso ein gerne laut mitjubelnder Anhänger der Regierungschefin. Kann ja beides sein – hätte aber mit seriösem Journalismus so wenig zu tun wie eben – „Bild“.