Journalistische Rückschläge

Von Sebastian Köhler

1.) Im Info-Radio sagte Moderator Heiner Martin am Donnerstag, 7.8., um 20 Uhr: „Sanktionen aus Moskau – Putin schlägt zurück“. Eine interessante Formulierung, sprachkritisch gesehen. Solches „Zurückschlagen“ setzt voraus, dass zuvor „Geschlagen“ oder gar „Zugeschlagen“ worden wäre. Davon ist allerdings im Sprachgebrauch der meistgenutzten westlichen Medien keine Rede: Putin wurde laut dem Tenor solcher Seiten keinesfalls „geschlagen“, gegen Russland wurde nicht „zugeschlagen“ oder „hingeschlagen“. Es wurden „Sanktionen verhängt“, „Strafmaßnahmen ergriffen“ oder auch Verhandlungen, Kontakte oder Konten „eingefroren“. Und was macht „der Russe“? Er schlägt nicht nur zurück, sondern er macht in „Vergeltung“ oder „Revanche“, ja, er übt „Rache“ (Handelsblatt).  Schon richtig dabei im „Zurückschießen“ ist Springers Boulevard-Blatt „B.Z.“, das die „Rache Putins am Westen“ darin sieht, dass der böse Mann in Moskau einem anderen finsteren Gesellen (ja, Edward Snowden) das Asyl in Russland verlängert hat. Was haben die beiden nur verbrochen, der Putin und der Snowden?

2.) Ebenfalls ein spannendes sprachliches Phänomen sind die „prorussischen Separatisten“. Der Ausdruck erscheint mir als ziemlich negativ wertend und zugleich sachlich wenig angemessen: Bei weitem nicht alle ostukrainischen Gegner der Kiewer Regierung wollen Russland beitreten oder Moskauer Truppen zu sich beordern. Nicht wenige scheinen mehr Autonomie, föderale oder konföderale Strukturen anzustreben. Wie können Journalisten sie nennen? Ganz einfach „Oppositionelle“ oder auch „Rebellen“, „Aufständische“ oder „Regierungsgegner“.  Ist alles sowohl kürzer als auch sachlich treffender als „prorussische Separatisten“. Aber in dem Falle scheint es nicht darum zu gehen. Wagen wir ein Gedankenexperiment: Hätte man im Syrienkonflikt die Gegner von Staatschef Assad „prowestliche Separatisten“ genannt? Nein, das waren und sind eben „Oppositionelle“ oder  „Regimegegner“, gerne auch „Menschenrechtler“ oder „Freiheitskämpfer“. Zwischen den Konflikten in Syrien und in der Ostukraine scheinen Welten zu liegen. Oder sind es vor allem unterschiedliche Interessenlagen und daher Perspektiven?

3.) Aller schlechten Dinge wären hier heute drei: Am 5.8. hieß es in der ARD-Tagesschau und auch bei den Nachrichtenagenturen in Deutschland: „Nato fürchtet russischen Einmarsch“. An der Formulierung ist vieles fragwürdig, aber suchen wir den größten gemeinsamen Nenner für sachliche Kritik: Eine Nato-Sprecherin hatte sich in diesem Sinne mit Blick auf den Ukraine-Konflikt geäußert – die Überschrift bezog sich auf deren Rede. Dann hätte der Titel lauten können: „Nato-Sprecherin: Furcht vor russischem Einmarsch“, oder zur Not: „Nato: Furcht vor russischem Einmarsch“. Man gibt die Version der Nato (-Sprecherin) als deren Version wieder. Das wäre professionell. Ob „die Nato“ (oder eben deren Sprecherin oder das Führungspersonal des Militärbündnisses) tatsächlich Furcht hat vor einem russischen Einmarsch, können wir kaum wissen. Ob man es glaubt oder nicht, ist eben eine Glaubensfrage. Wissen können das nur die Akteure selber (oder auch die Geheimdienste, wer weiß). Was Journalisten wissen können und vermitteln sollten im Bereich der Nachrichten, ist, was geäußert wurde und von wem es geäußert wurde. Nicht mehr und nicht weniger. Und das wäre schon viel, sofern es nicht (all zu) einseitig geschieht. Albert Einstein hätte an der Stelle vielleicht wieder gesagt – Wissenschaftler und Journalisten sollen alles so einfach wie möglich machen – aber nicht einfacher.

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