1.) „Schmähkritik“ – das Wort war dieser Tage in vieler Munde, nachdem Jan Böhmermann auf „ZDF neo“ ein Gedicht mit diesem Titel vorgetragen hatte. Ein kalkulierter Tabu-Bruch im Nachgang der „extra3“-Satire gegen die Politik des türkischen Präsidenten. ZDF-Obere ließen den Abschnitt aus der Mediatheksfassung hinausnehmen, manche sagen auch (was man NICHT tun sollte!) „zensieren“ – später war selbst auf YouTube kaum mehr etwas im Original zu finden (http://www.spiegel.de/kultur/tv/zdf-zensiert-boehmermann-schmaehgedicht-auf-erdogan-a-1085087.html, Aufruf am 6.4.2016, 12.48 Uhr). Die ZDF-Spitze ließ verlauten, das sei mit Böhmermann abgesprochen – der ließ das unkommentiert.
Quelle: horizont/dpa
Als Schmähung hatte das Bundesverfassungsgericht 1990 eine herabsetzende Äußerung charakterisiert, „wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht.“ Eine solche Schmähkritik steht dann laut BVerfG nicht mehr unter dem Schutz der Meinungsfreiheit.
Allerdings scheinen die höchsten Richterinnen und Richter in Deutschland die Meinungsfreiheit weiterhin sehr hoch zu halten, wie sie 2014 deutlich machten, siehe die Pressemitteilung aus Karlsruhe zum Beschluss vom 28.07.2014 (1 BvR 482/13): „Auch überspitzte Kritik fällt grundsätzlich in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Dies hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts entschieden und die verfassungsrechtlichen Maßstäbe zur sogenannten Schmähkritik bekräftigt. Selbst eine überzogene oder ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Vielmehr muss hinzutreten, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Herabsetzung einer Person im Vordergrund steht. Nur dann kann ausnahmsweise auf eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls verzichtet werden.“ (https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2014/bvg14-086.html, Aufruf 6.4.2016, 13.42 Uhr)
Ich finde, es gibt gute Gründe für die Annahme, dass es Böhmermann und seinem Team inhaltlich um eine besondere Auseinandersetzung in der Sache „deutliche Kritik an der türkischen Führung“ ging (Minderheiten unterdrücken – Kurden treten, Christen hauen), wofür allerdings eine sehr überziehende Form bewusst gewählt wurde.
Die deutsche Regierung hingegen hatte es mal wieder nicht so süpereilig mit öffentlicher und klarer Kritik am Kurs der türkischen Machthaber. (vgl. http://www.horizont.net/medien/nachrichten/Nach-Boehmermanns-Schmaehkritik-ZDF-will-nicht-an-Neo-Magazin-Royale-ruetteln-139588, Aufruf 6.4.2016, 13.11 Uhr). Stattdessen gab es nicht zuletzt von Angela Merkel deutliche Medienschelte („bewusst verletzend“): Bei dpa las sich das laut „horizont“ so: „Merkel teilte ihre Meinung nach Angaben von Regierungssprecher Steffen Seibert am Sonntagabend telefonisch dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu mit. Sie habe auf die bereits gezogenen Konsequenzen des Senders verwiesen. Auch habe sie den hohen Wert bekräftigt, den die Bundesregierung der Presse- und Meinungsfreiheit beimesse. Die sei aber nicht schrankenlos.“. Im Bereich der Politik gab es von der Linkspartei als größter Oppositionskraft im Bundestag Kritik an Regierung und ZDF: Der medienpolitische Sprecher der Linken im Bundestag, Harald Petzold, kündigte laut „Welt“ an, eine förmliche Beschwerde beim ZDF einzulegen. „Wir werden nachfragen und gegen die Löschung des Beitrags protestieren.“