Was kostet die Welt? Und was will die Pedal-Polizei?

Von Sebastian Köhler

1.) Journalistische Beiträge waren seit langem (spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts) durch ihren widersprüchlichen Doppelcharakter als Kulturgut und als Ware bestimmbar (worauf unter anderem aufgeklärte Medienökonomen wie Klaus-Dieter Altmeppen oder Marie-Luise Kiefer hinweisen, vgl. mein Blog vom 16.11.2010). Diese Beiträge bleiben daher wesentlich „Werbeträger“, also Mittel zum Zweck, möglichst kaufkräftige Publika massenhaft und dennoch zielgenau zu erreichen bzw. überhaupt erst zu produzieren. Doch die bisherige, überwiegend privatwirtschaftliche Finanzierung des Journalismus ist selbst aus ökonomischer Sicht ein „sehr spezielles Arrangement“ (siehe KIEFER 2011 – Kiefer, Marie-Luise: Die schwierige Finanzierung des Journalismus. In: M & K – Medien- und Kommunikationswissenschaft, Herausgegeben vom Hans-Bredow-Institut Hamburg, Heft 1/2011, S.5-22.), das zudem mittlerweile auch von klassisch-liberalen Ökonomen infragegestellt wird, was die „allokative Effizienz“ angeht: Denn die Auswahl der Inhalte und Formen folgt „weniger der Wertschätzung des Publikums als den Zielgruppenpräferenzen der Werbewirtschaft“. Immer problematischer wird, dass journalistische Beiträge zu gelingender gesamtgesellschaftlicher Kommunikation als öffentliche „Güter“ oder „Dienstleistungen“ (KIEFER 2011-19) zwar Finanzierungen bedürfen, diese über hochkonzentrierte Märkte als „Refinanzierungsmechanismus jedoch nicht ausreichend erreicht werden“ könnten.

Lässt sich Journalismus mehr als Zweck denn nur als Mittel zum Zweck neu bestimmen? Also: Wofür wird er gesellschaftlich selbst benötigt, außer dafür, mit ihm Geld verdienen oder Macht erhalten zu können? Mittlerweile zeigen sich auch überzeugte Betriebswirte wie Medienberater Peter Littger oder der Leiter Digitale Medien bei der „NZZ“ Peter Hogenkamp nach dem Durchdeklinieren dreier versuchter Geschäftsmodelle der Online-Monetarisierung wie Paid Content, Werbefinanzierung oder umfassender Versandhandel (wie bei der „Bild-Bibel“) nicht mehr gänzlich abgeneigt gegenüber Vorschlägen in Richtung einer „Journalismus-Flatrate“ als allgemeiner Abgabe, wohin gehend ja seit Jahren auch Vorschläge von z.B. Jürgen Habermas diskutiert werden (siehe NDR-Sendung „Zapp“ vom 28.11.2012).

2.) Weiter beim Durchdeklinieren neuer oder eben alter Geschäftsmodelle bleibt Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende der Axel-Springer AG: Die dort erscheinende Tageszeitung „Die Welt“ startete am Mittwoch ihr angekündigtes Bezahlmodell für das Internet. Nunmehr werden laut Meldung von Reuters (11.12.12, 8 Uhr) auf der Seite „welt.de“ für einen Nutzer 20 Artikel kostenlos pro Monat sein, ab dem 21. angeklickten Beitrag greift ein Bezahlsystem ähnlich einem Abonnement. „Wir suchen nach einem Geschäftsmodell für die digitale Welt“, hatte Döpfner am Montagabend bei der Vorstellung des Projekts in Berlin gesagt: „Wir wollen, dass Qualitätsjournalismus ein Geschäftsmodell bleibt.“ Der bei Springer für die „Welt“-Gruppe und Technik verantwortliche Vorstand Jan Bayer betonte, bei den Werbeerlösen sei welt.de bereits erfolgreich, „nun wollen wir die Vertriebserlöse als zweite Säule ausbauen“. Die „Welt“ ist die erste überregionale Tageszeitung in Deutschland, die für ihren Internet-Auftritt ein Bezahlsystem einführt. „Wir werden an Reichweite verlieren“, räumte Romanus Otte, der bei der „Welt“-Gruppe für den digitalen Auftritt verantwortlich ist, ein. „Nervös machen wird uns das aber nicht.“ Auch Bayer betonte, das Bezahlsystem bei „welt.de“ sei ein langfristiges Projekt: „Es geht uns nicht um schnelle Erfolge.“ Die Startseite bei welt.de bleibt den Angaben zufolge kostenfrei. Artikel, auf die von Suchmaschinen, sogenannten sozialen Netzwerken oder anderen Seiten verlinkt wird, können demnach ebenfalls weiter kostenlos gelesen werden. Und Abonnenten einer Zeitung der „Welt“-Gruppe erhalten unbegrenzt freien Zugang. Zahlen zu den Erwartungen an das Bezahlsystem wollten Springer-Vertreter nicht nennen. Döpfner räumte ein, dass die Skepsis darüber groß sei, ob das Projekt ein Erfolg werde. Offen scheint, wie andere Nachrichten-Portale wie „Spiegel Online“ auf den Vorstoß reagieren. Bei Springer gibt es zudem bereits Pläne, auch bei „Bild.de“ eine Art Bezahlschranke einzubauen. Der Start dazu ist im nächsten Jahr geplant. Erwartet wird, dass der Zeitpunkt der Einführung mit dem Erwerb der Internet-Rechte für die Fußball-Bundesliga ab der nächsten Saison in Zusammenhang steht.

3.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Die Märkische Allgemeine (MAZ), seit 1.1.2012 im Besitz der Mediengruppe Madsack (Hannover), die wiederum laut der Fachzeitschrift „Media Perspektiven“ derzeit das sechstgrößte deutsche Verlagshaus ist (siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Verlagsgesellschaft_Madsack, Aufruf am 12.12.2012, 20.04 Uhr), hatte in ihrer Extra-Ausgabe vom 27.10.2012 auf Seite 1 die große Überschrift: „Pedalpolizei will Rad-Rowdys stellen“. Gleich zwei schöne Alliterationen, also Sprachspiele mit Wörtern, die den gleichen Anfangsbuchstaben haben, zumal klingt es treffend lautmalerisch – was gäbe es da noch zu diskutieren? Nur die Sache selbst – denn was die vier Beamten wirklich wollen, das darf und soll ihr Geheimnis bleiben. Wir können nicht in deren Köpfe hineinschauen. Worauf sich Journalisten zumal im Bereich der Nachrichten konzentrieren sollten, ist das, was intersubjektiv beobachtbar ist, also hier konkret: was gesagt wurde. Und dann wird es in der Tat ziemlich einfach: „Pedal-Polizei: Wollen Rad-Rowdys stellen“ Ist nur drei Zeichen länger, aber neben der Form sollte dann auch noch der Inhalt stimmen, oder?

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