Rechts, rechtsextrem, faschistisch?

1.) Zum Beispiel in der einst linksliberalen spanischen Tageszeitung „El Pais“ kann ich dieser Tage immer wieder lesen (Printausgabe vom 20.10.2018, Seite 13), dass in Brasilien eine Stichwahl zwischen einem linken und einem rechten Präsidentschafts-Kandidaten stattfände. Dass der mindestens rechtsextreme (und mittlerweile auch wirtschaftsliberale) Bolsonaro noch als „rechts“ und der bestenfalls sanft sozialdemokratische Haddad schon als „links“ gelten soll, zeigt, wieweit sich auch hier nicht zuletzt der mediale Rahmen stramm nach rechts verschoben hat. Dazu passt mit Blick auf Spaniens wichtigste Zeitung, dass der Ex-Präsident von Brasilien (1995-2003), Fernando Henrique Cardoso, hier eine ganze Seite Essay füllen darf mit dem Tenor, Bolsonaro sei doch gar nicht so schlimm, ohne dass zur Einordnung irgendwo darauf verwiesen würde, dass Cardoso ja selbst als einer der Vorreiter jener mittlerweile fast schon typischen Allianzen zwischen wirtschaftlichem Neoliberalismus und politischem Autoritarismus kritisiert wird.

2.) Im wie gesagt sehr lesenswerten Buch des Philosophen Guillaume Pauli „Die lange Nacht der Metamorphose“, in dem es um Mutationen in Richtung einer Gentrifizierung von Kultur geht, heißt es auf Seite 181: „Nach der Machtergreifung der Nazis arbeitet (Carl Einstein) am Manuskript weiter (….)“. Das wundert mich, gerade aus der Feder eines so klugen Kritikers nicht nur des Turbokapitalismus, sondern überhaupt des Kapitalismus: Ging es 1932/1933 nicht vielmehr um eine „Machtübergabe“ seitens wichtiger Teile der herrschenden Eliten in Politik, Wirtschaft, Militär etc. an die Nazis? Die Macht lag doch nicht auf der Straße an jenem 30.1.1933 und wurde dort ergriffen, sondern sie wurde relativ regulär übergeben an die aufstrebenden deutschen Faschisten, namentlich an den neuen Reichskanzler Adolf Hitler (dessen Stern bei halbwegs demokratischen Wahlen ja schon seinen Zenit überschritten zu haben schien). Das erscheint mir sprachlich wichtig, weil sonst meines Erachtens im Vergleich zum zivilisatorischen Bruch (der es auch war und ja noch viel schlimmer wurde) wichtige Kontinuitäten zwischen Weimarer Verhältnissen und Nazi-Deutschland systematisch unterbelichtet blieben. Zum Beispiel BMW und Audi, Krupp und Thyssen, Deutsche Bank und Dresdner Bank, Bertelsmann und Oetker, Bayer, BASF und IG Farben, Degussa und nicht zuletzt Hugo Boss sowie viele andere Konzerne haben vor und nach „1933“ sehr gute und dann noch bessere Geschäfte machen können (https://www.huffingtonpost.de/2014/06/08/hitler-unternehmen-nazi-vergangenheit_n_5432205.html, Aufruf am 25.10.2018, 22.30 Uhr). Oder wie es John Heartfield im Oktober 1932 auf seinen Punkt brachte zum Sinn des Hitlergrußes: „Millionen stehen hinter mir“ (https://www.ksta.de/wirtschaftelite-das-todesspiel-13769014, Aufruf am 25.10.2018, 22.35 Uhr). Insofern verharmlost der Terminus „Machtergreifung“ die Verantwortung wichtiger Teile der liberal-kapitalistischen Verhältnisse für die „Machtübernahme“ durch die Nazis.

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