Im Konflikt in und um Venezuela geht es seit Wochen um „Hilfslieferungen“ oder „humanitäre Hilfe“, in vielen wichtigen deutschen Medien oft auch in Verbindung mit Attributen wie „dringend benötigt (https://www.tagesspiegel.de/politik/staatskrise-in-venezuela-guaid-fordert-von-militaer-freies-geleit-fuer-hilfslieferungen/23949712.html, Aufruf 10.3.2019, 17.47 Uhr). Warum werden – ohne Quellenangabe oder andere Einordnung – solche klar wertenden Wörter in der Berichterstattung über diesen Konflikt verwendet? Und zwar in der Tendenz einseitig? In vielen Medien war wenig zu erfahren über von der russischen Führung oder von der chinesischen Führung so genannte „Hilfslieferungen“ aus deren Ländern nach Venezuela, die es in vergangenen Wochen offenbar immer wieder gab. Nein, im medialen Mainstream hierzulande geht es bei solchen geplanten Aktionen um „Hilfslieferungen“ der US-Organisation USAID, die über Kolumbien unter Führung des Oppositionspolitikers Juan Guaidó nach Venezuela gebracht werden sollten.
Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz oder die Malteser wiesen in diesem Zusammenhang mehrfach darauf hin (https://amerika21.de/2019/02/222065/sadc-rotes-kreuz-venezuela; Aufruf 10.3.2019, 19.02 Uhr), dass man sich nicht an der Verteilung der Güter aus den USA beteilige, da dieses Projekt ein Programm einer Regierung sei und damit eben gerade keine bedingungslose humanitäre Hilfe. Man wolle sich nicht politisch instrumentalisieren lassen.
Die venezolanische Regierung um den umstrittenen Präsidenten Nicolas Maduro verurteilte das Programm immer wieder als, wie es auf dieser Seite des Machtkampfes heißt, Teil von Destabilisierungsbemühungen der US-Regierung und ihrer Verbündeten, als Provokation oder auch als etwaigen Kriegsauslöser.
Warum sagen nicht (viel mehr) deutsche Journalisten zu diesen Gütern wie Lebensmitteln und Medizin: „von der US-Regierung so genannte Hilfslieferungen“? Entsprechend der klassischen journalistischen Regel, vor allem in informationsbetonten Beiträgen „Versionen als Versionen“ (Michael Haller) zu kennzeichnen? Warum übernehmen viele Medien auch hier einfach den PR-Ausdruck („dringend benötigte Hilfslieferungen“) einer mächtigen Partei in diesem Konflikt, ohne die Quelle dieser Redewendung anzugeben? Und machen sich damit unter dem Strich zu Sprachrohren einer Seite dieser Auseinandersetzung?
Kein Einzelfall in der Berichterstattung über diesen Konflikt: Nach massiven Stromausfällen seit 7. März hieß es in vielen deutschsprachigen Medien, wiederum in informationsbetonten Beiträgen (also nicht in Kommentaren, sondern in Nachrichten u.ä.): “ Die Regierung machte einen vermeintlichen Cyberangriff der USA auf das wichtigste Elektrizitätswerk für die Stromausfälle verantwortlich.“ (https://www.tagesanzeiger.ch/ausland/amerika/ich-bin-es-leid-im-elend-zu-leben/story/18972701, Aufruf 10.3.2019, 19.20 Uhr). Kennt man in den Redaktionen nicht die Unterschiede zwischen „angeblich“, „mutmaßlich“ und „vermeintlich“? „Vermeintlich“ ist ganz klar ein Kommentar und besagt: Es verhält sich „in Wahrheit“ ganz anders. (vgl. https://fjhmr.wordpress.com/2014/08/25/haufig-falsch-verwendet-angeblich-vermeintlich-vermutlich/, Aufruf 10.3.2019, 19.34 Uhr). „Angeblich“ sollte sich auf explizite Angaben beziehen, die jemand gemacht hat, „mutmaßlich“ auf Überlegungen, die angestellt wurden – in beiden Fällen bleibt relativ offen, ob die berichtete Version den Tatsachen entspricht.
Die Liste der Einseitigkeiten lässt sich fortsetzen: „Venezuelas Interimspräsident erhöht den Druck auf Staatschef Maduro“, heißt es nicht nur in der FAZ ( https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/guaido-schwoert-venezolaner-auf-massenprotest-gegen-maduro-ein-16070682.html, Aufruf 10.3.2019, 19.46 Uhr). Der eine, Juan Guaidó, scheint praktisch bereits „Präsident“ (jedenfalls schon nicht mehr „selbsternannt“), der andere gilt gerade noch als „Staatschef“.
Und um hier aller schlechten Dinge vier sein zu lassen: Unstrittig scheint, dass Guaidó bisher durch Regierungen von rund 50 Ländern anerkannt ist (vgl. https://www.deutschlandfunk.de/venezuela-vereinte-nationen-fordern-dialog.1939.de.html?drn:news_id=983221, Aufruf 10.3.2019). Das heißt ja aber zugleich, dass ihn Regierungen von knapp 150 Ländern gerade NICHT anerkannt haben – also die weit überwiegende Mehrheit der in den Vereinten Nationen vertretenen Länder. Warum liest man diesen wichtigen Kontext kaum? „Fake News“ sind laut Georg Mascolo auch solche Beiträge, die „durch Auslassungen und Verkürzungen einen bewusst falschen Eindruck erwecken“ (https://www.sueddeutsche.de/medien/journalismus-fuenf-vorschlaege-fuer-den-umgang-mit-fake-news-1.3413492, Aufruf 10.3.2019, 19.50 Uhr).
Mein Hauptkritik-Punkt hier ist allerdings nicht, inwieweit es sich bei solchen Beiträgen um „Fake News“ handele (obwohl auch das nicht un-interessant ist), sondern, dass der Diskurs ingesamt vom Narrativ bestimmt wirkt, es laufe alles auf einen „Regime Change“ hinaus (natürlich in Richtung Freedom and Democracy). Eine Variante eines erstaunlich geschlossenen, geradezu teleologischen Geschichtsbildes, demzufolge die Entwicklung einem feststehenden Fahrplan oder Gesetz folge, als gleichsam „self fulfilling prophecy“. Doch das Leben dürfte auch hier widerspruchsvoller sein als gewisse „Gut-Böse-Schemata“.