AfD und kein Ende

1.) Medienkritisch interessant: In einem Interview wird der Soziologieprofessor Holger Lengfeld von der Uni Leipzig von der SZ befragt (http://www.sueddeutsche.de/kultur/abgehaengte-bevoelkerungsgruppen-afd-waehler-sind-nicht-wirtschaftlich-sondern-kulturell-abgehaengt-1.3675805, Aufruf am 22.9.2017, 13.30 Uhr)

Was würden Sie den Medien raten, um wieder an Glaubwürdigkeit zu gewinnen?

Die Antwort des Soziologen kann ich gut nachvollziehen: „Überlegen Sie, inwiefern Ihre Berichterstattung beeinflusst ist durch das, was Sie politisch und gesellschaftlich selbst denken. Dann ist die Chance größer, dass Berichterstattung unparteiischer ausfällt. Bringen Sie mehrere Perspektiven, auch von Menschen, die ganz andere Wertevorstellungen haben. Gar nicht so lange nach der Flüchtlingskrise, schon im Herbst 2015, kam es bei Journalisten zu Selbstreflektionen. Damals waren die Medienberichte voll von der Hilfsbereitschaft der Deutschen, und dann hat man durch das Erstarken der AfD bei den Landtagswahlen plötzlich bemerkt, dass man ein Phänomen übersehen hat. Viele Medienschaffende waren als Bürger sehr stark mit der Hilfsbereitschaft einverstanden und wollten darüber berichten. Wenn man die Ressentiments übersieht und da nicht mehr hinguckt, kommt es zu Problemen.“

Weit weniger kann ich seine Argumente nachvollziehen zum Thema, wo die offenkundige Unzufriedenheit von AfD-Wählern herkommt. Die SZ fragte in dieser Richtung:

Wie sieht das historisch aus? Wurde der „kleine Mann“ oder auch einfach der unzufriedene Bürger in früheren Jahrzehnten weniger übersehen? Gibt es da einen Wandel?

Der Soziologe antwortet: „Man darf die Steuerungsfähigkeit der Politik nicht überschätzen. Das Kleine oder Große am Mann oder der Frau wird im Bereich der Wirtschaft entschieden. Die Politik kann nur an den Verteilungsverhältnissen etwas ändern. In Westdeutschland wurde mit dem Wirtschaftswunder seit Mitte der 50er Jahre immer spezifischer versucht, unterschiedlichste Lebenslagen materiell zu unterstützen. Deshalb kann ich nicht erkennen, dass der kleine Mann früher mehr Beachtung bekommen hat als heute. Was sich geändert hat, sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die die Politik kaum beeinflussen kann. Wenn etwas woanders deutlich billiger hergestellt wird, endet die Steuerungsfähigkeit.“

Das erscheint mir als eine Art Bankrotterklärung des Soziologen: Wenn der Bereich der Wirtschaft vom Bereich des Politischen und damit auch der Demokratie derart getrennt (betrachtet) wird, dann könnte man wohl sagen, dass es VW-Chef Müller oder Siemens-Chef Kaeser ziemlich egal sein dürfte, wer unter ihnen Kanzler ist – ob nun Merkel oder Schulz. Und dann muss man sich über Politikverdrossenheit, Wahlmüdigkeit oder eben AfD-Wählen nicht wundern.

Verzerrt

2.) Zur aktuellen Sprachkritik in meinem Kaleidoskop: Die AfD und ihr Wahlergebnis sind in vieler Munde, auch in dem von ZDF-Moma-Moderatorin Dunja Hayali. Frau Hayali sagte am Tag nach der Bundestagswahl, die AfD habe „auf Anhieb“ oder auch „aus dem Stand“ ihre 12,6 Prozent Zweitstimmenanteil erreicht. Wieso das? Die Partei war bereits bei der Wahl davon angetreten, hatte 2013 mit 4,7 Prozent allerdings den Einzug in den Bundestag verpasst. Sonst müsste man auch sagen, die FDP habe „aus dem Stand“ ihre 10,7 Prozent erreicht. Und auch das stimmt offensichtlich nicht. Mein Vorschlag: Die AfD weder ignorieren noch skandalisieren, sondern im informationsbetonten Bereich des Journalismus (im Unterschied zum meinungsbetonten) sachlich das Angemessene vermitteln. Und wie zur Illustration dieses Problemes sagt Frau Hayali am Freitag, 29.9., „die AfD will die Kanzlerin vor einen Untersuchungsausschuss zerren“. Hallo – wieso „zerren“? Das ist ein extrem wertendes Verb. Warum nicht „bringen“, was relativ sachlich wirkt? Oder meinetwegen auch „zitieren“, schon wertender. Aber „zerren“, sorry, das verzerrt doch jede Objektivierung in solchem Kontext.

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