Wühltisch widerspiegelt worst case?

1.) FAZ-Medienkritikerin Nina Rehfeld sprach von dem „Tiefpunkt“ des US-amerikanischen Fernsehens. Wie am Wühltisch sei es zugegangen in der Wohnung der mutmaßlichen Attentäter von San Bernardino, die zu jenem Zeitpunkt bereits selbst getötet waren.
(http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/wie-amerikanische-nachrichtensender-die-wohnung-der-attentaeter-von-san-bernadino-stuermten-13951366.html, Aufruf am 9.12.2015, 19.13 Uhr)

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Zitiert aus faz.net / AFP – Intime Einblicke: Fotografen im Kampf um die besten Plätze

Vom „skurrilsten Tag der Kabelnachrichten“ sprach man in „Vanity Fair“, als nach dem Attentat Dutzende Reporter vor live geschalteten Fernsehkameras die Wohnung der mutmaßlichen Täter durchwühlten. Laut Rehfeld stellt die Aufgabe jedweder Zurückhaltung bei diesem Gedränge, das Szenen bei einem Schlussverkauf glich, einen neuen Tiefpunkt des US-amerikanischen Nachrichtenfernsehens dar. Angetrieben von Fox News, das als Murdoch-Medium der politischen Correctness den Krieg erklärt und kurzerhand alle Verhaltensregeln suspendiert habe, seien auch die Sender CNN und MSNBC in die Arena durchlauferhitzter Nachrichtenmacher hinabgestiegen. „Action-News“ rund um die Uhr.

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Hier geht es zu einem Ausschnitt – Quelle: You Tube

CNN-Reporterin Stephanie Elam berichtet aus dem Apartment der mutmaßlichen Attentäter.

Die FAZ moniert einen blanken Voyeurismus – mit einer auch nur ansatzweise erhellenden Berichterstattung habe das nichts mehr zu tun gehabt: „Journalismus als Rummelplatz“. Erik Wemple von der „Washington Post“ kritisierte laut faz.net diesen „erbärmlichen Moment des Journalismus“. Selbstverständlich sei der Zugang zu der Wohnung der Attentäter ein Nachrichten-Ereignis, doch sei die Situation für eine Live-Berichterstattung denkbar ungeeignet gewesen. Das Zeigen der Personal-Dokumente sei ein „enormer Regelbruch – das darf man einfach nicht“. Personen auf diese Weise kenntlich zu machen, das könne unvorhersehbare Folgen haben.

Menschen im Mittelpunkt?

Die Reaktion von CNN habe in einem Seitenhieb auf die noch hemmungslosere Konkurrenz bestanden: Man habe eine „bewusste redaktionelle Entscheidung getroffen, keine Nahaufnahmen von sensiblen oder identifizierenden Materialien wie Fotografien oder Ausweisen“ zu zeigen. Der MSNBC-Moderator Chris Hayes habe erklärt, man vergesse in solchen Situationen schon mal, dass es sich bei den Subjekten der Berichterstattung um Menschen handele.

Bei Journalistenkollegen, aber auch bei Strafrechtsexperten war der taz zufolge das Entsetzen über den Vorfall groß (http://www.taz.de/Wohnung-der-mutmasslichen-Attentaeter/!5258259/, Aufruf am 9.12.2015, 20.54 Uhr). Kritik richtete sich hier vor allem gegen Behörden wie das FBI, weil diese die Wohnung (überhaupt oder zu früh?) dem Eigentümer zurück- und damit in gewisser Weise freigegeben hätten.

Wessen Probleme?

Die Bundespolizei FBI verteidigte sich laut taz gegen den Vorwurf, sie habe die Wohnung nicht ausreichend abgeriegelt. Die Beamten hätten in weniger als 48 Stunden ihre wissenschaftlichen Analysen in der Wohnung in Redlands bei San Bernardino entfernt abgeschlossen. Wenn ein Tatort den Besitzern wieder überlassen werde, „dann ist das nicht mehr unser Problem, wer da reingeht“, sagte David Bowdich vom FBI in Los Angeles.

Aber inwiefern den Journalistenkollegen vor Ort einseitig die Schuld geben? Wer als TV-Reporter wo auch immer in der ersten Reihe steht, von dem wird oft erwartet, zumindest nichts zu verpassen – „mit der Welle mitgehen“ ist dabei eine der pragmatischen Orientierungen. Wie wollte man dann solches Verhalten innerhalb sich zuspitzender, kaum regulierter Konkurrenz anders als billig verdammen? Es ist nicht zynisch oder resignierend gemeint – Gesellschaften haben in der Tendenz die Medien, die sie verdienen. Und auch, dass die Kritik von FAZ bis taz die Ereignisse von Redlands im Superlativ als extreme Ausrutscher darstellt, ist schon wieder viel mehr Teil der Probleme als Ansatz zu Lösungen.

Widerspiegeln oder Wiederspiegeln?

2.) Zum sprachkritischen Kaleidoskop: Immer wieder stoße ich in journalistischen oder Studierenden-Texten auf den Terminus „wiederspiegeln“. Das Verb heißt natürlich „widerspiegeln“, zählt auch im Duden online zu den rechtschreiblich schwierigen Wörtern (siehe http://www.duden.de/rechtschreibung/widerspiegeln, Aufruf am 9.12.2015, 14.55 Uhr). Klar, es dreht sich hier nicht um „erneut“ oder „zurück“, sondern um „gegen“. Dennoch frage ich mich, ob es nicht kürzer und einfacher geht: Gerade angesichts des Duden-Beispieles „Der Mond hat sich im Wasser widergespiegelt“ – auch hier reicht „spiegeln“ meines Erachtens völlig, „widerspiegeln“ scheint mir hingegen in Richtung von „weißen Schimmeln“, also Tautologien zu gehen, wie die Klassiker „vorprogrammieren“ oder „zusammenaddieren“. Wenn ein Gegenstand gespiegel wird, entstehen die Bildpunkte auf der jeweiligen Gegenseite der Spiegelachse. Insofern hätte tatsächlich nur das (laut Duden gar nicht mögliche) „wiederspiegeln“ einen Informationsgehalt, nämlich dann, wenn jemand oder etwas eben noch einmal gespiegelt würde.

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